Die Früchte des Baumes mitten im Garten
Kurdische Flüchtlinge im Kirchenasyl

Arbeiterfotografie ist eine Bewegung mit einer Tradition, die in die 20er Jahre zurückreicht, ist damals wie heute eine Fotografie, die sich mit der Gesellschaft, deren Bestandteil wir sind, auseinandersetzt und dabei Partei ergreift für Humanität und Gerechtigkeit. Die damalige Zeit von 1926 bis 1933 war eine bewegte Periode in der Geschichte.

Aber auch heute leben wir in einer Zeit der Veränderungen. Was gestern noch zutraf, ist heute schon fast vergessen. Was gestern noch als unumstößlich richtig galt, wird heute mit Füßen getreten. Es macht sich ein Gefühl breit, daß diese Entwicklung nichts Gutes verheißt.

Noch vor wenigen Jahren galt es als undenkbar, daß sich die Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg beteiligen könnte, der nicht der Verteidigung dient, an einem Krieg zur Durchsetzung machtstrategischer Interessen mit Hilfe der NATO-Streitkräfte, und das obwohl das Grundgesetz einen Krieg, der nicht der Verteidigung dient, ausdrücklich verbietet.

Noch vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, daß das Recht auf politisches Asyl in Frage gestellt werden könnte. Doch heute ist es de facto abgeschafft, obwohl das Grundgesetz dieses Recht als eines der Hauptrechte definiert, die in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden dürfen.

Sich mit diesen Entwicklungen auseinanderzusetzen, ist eine wichtige Aufgabe für die Arbeiterfotografie. Es ist allerdings nicht einfach, in der Zeit, in der man lebt, die Zusammenhänge zu erkennen. Wir stehen einem riesigen Medienapparat gegenüber, der uns glauben macht, wir würden informiert, aber uns mit Unmengen von Information, Ablenkendem und Fehlinformation überschüttet und uns trotzdem Wichtiges vorzuenthalten sucht. Zu zeigen, daß dem so ist, sehen wir als Mitglieder des Bundesverbands Arbeiterfotografie als eine unserer Hauptaufgaben, ganz besonders in einer Situation, in der Deutschland wieder ganz offen Krieg führt, einen Krieg, der bewußt herbeigeführt worden ist, um die Machtverhältnisse auf dem Balkan im Sinne des westlichen Kapitals weiter zu verändern - und das unter dem Deckmantel der Humanität. Wie kommt es, daß Deutschland die UCK unterstützt, die PKK aber als terroristische Organisation verbietet? Wie kommt es, daß Deutschland im Schulterschluß mit der UCK Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien führt, in der Türkei aber den Krieg gegen die PKK und die kurdische Bevölkerung in der Türkei hinnimmt - oder gar unterstützt? Welche Interessen stehen dahinter?

Lassen Sie mich aus einer von medico international - noch vor Beginn des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien - an Außenminister Fischer gerichteten Anfrage zitieren: "Herr Minister. Sie reden laut von künftigen Gefahren im Kosovo. Das Massaker in Kurdistan hat längst stattgefunden. Es wurde verschwiegen. Im Kosovo sind 350 Dörfer teilweise zerstört. In Kurdistan wurden 4000 Dörfer ausradiert. über 30.000 Tote kostete dort der Krieg... Herr Minister, Sie erwähnen Tausende Flüchtlinge im Kosovo. Warum erwähnen Sie die 4 Millionen kurdischen Vertriebenen mit keinem einzigen Wort? Herr Minister, warum kein Rambouillet für Kurden? Weil die NATO es selber ist, die sich seit 15 Jahren den Krieg in Kurdistan leistet? Weil die Türkei ein NATO-Partner ist? Dem die BRD 500.000 Heckler&Koch-Gewehre zur Verfügung stellte? Weil der größte Rüstungssonderhaushalt in der Geschichte der BRD der Türkei gewährt wurde? Um Kurdinnen und Kurden genozidal zu treffen? ... Warum aber, Herr Minister Fischer, liefern Sie jetzt weitere 200 rot-grüne Spürpanzer (Typ Fuchs) nach Anatolien?"

Was ist das für eine Politik, die auf der einen Seite den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung mitzuverantworten hat und auf der anderen Seite Menschen, die der angerichteten lebensbedrohenden Situation zu entkommen suchen, abzuschieben, zu beseitigen trachtet? Was ist das für eine Politik, die Abschiebegefängnisse entstehen läßt, in der Verfolgte wie Schwerverbrecher ihrer Freiheit beraubt werden? Das ist eine Politik, die uns erregt. Es ist bitter, daß in diesen Fragen kaum ein Unterschied zwischen den alten und den neuen Regierungsparteien existiert. Derartige sozialdemokratische, derartige grüne Politik brauchen wir nicht, absolut nicht. Eine CDU ist genug. Dieser Politik liegt eine Art des Denkens zugrunde, die menschenverachtend, die kriminell ist. Und die Medien und die Menschen in der Festung Europa sehen weitgehend weg. Das erinnert in seinen Grundzügen an ein Denken und an ein Verhalten, wie wir es schon einmal gehabt haben. Uns dem zu widersetzen, sehen wir als unsere Aufgabe an, was uns Arbeiterfotografen angeht, zunächst einmal mit fotografischen Mitteln.

Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir über einen Passus im Grundgesetz nachdenken müssen, der lautet: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Die Verfassungsfeinde sind nicht dort, wo uns weiß gemacht werden soll.

"Wehret den Anfängen!", ist eine Erkenntnis, die es zu beherzigen gilt. Doch es ist bereits gefährlich weit gekommen. Und es ist die Aufgabe der Arbeiterfotografie als eines Verbandes politisch engagierter Fotografinnen und Fotografen, und ich denke, unser aller Aufgabe, den skizzierten Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Kirchenasyl ist ein wichtiger Beitrag in dieser Richtung.

Andreas Neumann (anläßlich der Ausstellungseröffnung im Rahmen der 'Triennale der Photographie' am 6. Mai 1999 in Hamburg)