2. Augenzeugenberichte - Eine Dokumentation der staatlichen Gewalt

Globalisierter Ausnahmezustand

Artikel von Jürgen Müller aus der taz Köln vom 26.7.2001 - Vier Tage im Juli: Eine verwüstete Stadt, unzählige Verhaftete und Verletzte, ein Toter - die traurige Bilanz des G8-Gipfels in Genua. Der wütende Erlebnisbericht eines dabei gewesenen Rheinländers

G8-Gipfel in Genua, der Höhepunkt des "summer of resistance" sollte es werden: nix wie hin, dachte ich mir, zum vielfältigen Protest und zum Widerstand gegen die Hybris der Regierungschefs der acht führenden Industrienationen, die die Geschicke der Welt(-wirtschaft) in einem elitär-exklusiven Treffen lenken zu können meinen.

Und sie waren da, erst die 50.000, die am Donnerstag, am "Tag der Migration", Bewegungsfreiheit für alle und eine Welt ohne Grenzen forderten, dann die 100.000, die am Freitag die Illegitimität des Schutzzauns, hinter dem die Herrschenden sich verschanzten, durch die Erstürmung der "roten Zone" anprangern wollen, und die 200.000 am Samstag, aus verschiedensten Regionen und Spektren kommend, um gemeinsam zu zeigen, dass "eine anderen Welt möglich" ist, ja nötig ist.

Am Aktionstag ging ich im "pink-silver march" mit, dem bunten Samba-Protestzug unter dem Motto "dance down the G 8". Die ersten Versuche, am Zaun Aktionen zu machen, wurden erst mit Wasserwerfern, dann mit Tränengas durch die Polizei beantwortet. Und dann ging sie los, die Hetzjagd auf die Demonstrierenden: Der ganze pink-silver Marsch wurde durch die Gassen getrieben, Tränengasattacken direkt von den umherkreisenden Helikoptern, mitten in die friedliche Menge. Dahinter schlagstockbewehrte Polizei- und Carabinieri-Einheiten, alles niederknüppelnd, was vor dem Gas und Rauch in Panik zu flüchten versucht. Es ging ihnen nicht darum, gezielt Leute herauszugreifen, sondern es sollte eingeschüchtert, wahllos geknüppelt, verjagt und verletzt werden. Und wir waren noch nicht von den schlimmsten Gewaltauswüchsen der Staatsmacht betroffen. Denn in den Gassen weiter südöstlich wurde zur ungefähr gleichen Zeit in heftigen Ausschreitungen der 23-jährige Carlo Giuliani von zwei Kopfschüssen gezielt niedergestreckt. Schock, Wut und Trauer. Jetzt fängt die Staatsmacht an, protestierende Menschen zu erschießen. Damit haben sie auf uns alle geschossen, auf alle Protestierenden, auf die ganze Bewegung. Das erzeugt Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit in uns allen.

Doch der perversesten Form von Polizeigewalt sollte ich erst in der Nacht von Samstag auf Sonntag Zeuge werden. Wir tagten um Mitternacht im Medienzentrum des Genoa Social Forums, als es hieß: Polizei kommt! Hektisches verbarrikadieren und telefonieren, die Polizei dringt durch einen der oberen Stöcke herein. Wir werden gezwungen, uns auf den Boden zu legen. Die Polizei bedient sich an Computer-Festplatten und Videokassetten. Zum Glück sind es leicht ausgerüstete Polizisten, die nur wenigen von uns etwas antun. Zur gleiche Zeit aber dringen die schwer ausgerüsteten Robocops der Carabinieri in die gegenüber liegende Schule ein: Menschen werden aus dem Schlaf gerissen, aus ihren Schlafsäcken geprügelt, die Gänge entlang gejagt. Sie verfolgen jeden bis in den letzten Winkel der Schule: je mehr Eigenschutz, desto härtere Schläge. Erst als sie die Verletzten abtransportieren, entfernt sich die Polizei auch aus unserem Medienzentrum. So werden wir lediglich Zeugen, wie Bahre um Bahre aus der Schule in die Ambulanzwagen geschoben werden, wie die wenigen Unverletzten in Polizeibusse gesteckt werden. Kein einziger Augenzeuge bleibt übrig. Die Atmosphäre während des Abtransports ist geladen, nahe am explodieren. Als die Polizei Plastiksäcke herausträgt, gibt es einen Aufschrei aus hunderten von Kehlen: "Assassini, Assassini, Mörder, Mörder". Ich sehe Freunde von mir, die abtransportiert werden, in die Augen steigen Tränen. Nach dem Abzug der Polizei laufen wir in die Schule. Ein Bild der Zerstörung, überall Blutlachen auf dem Boden, an den Wänden, eingetretene Türen und Fenster ... Was bleibt? Die Erkenntnis, dass unser Widerstand noch größer, ausdauernder, konsequenter werden muss, um der Gewalt widerstehen zu können.

Quelle: http://www.taz-koeln.de


Bericht von zwei Opfern aus Genua

Unsere Erfahrungen in Genua - Übersetzung: Phill Hill und Barbara Merlau

Hintergrund

Wir sind zwei neuseeländische StudentInnen (Alter 20), die in den vergangenen Monaten in Hamburg gewohnt und gearbeitet haben. In September verlassen wir Europa, um ein Jahr lang in den Vereinigten Staaten zu studieren. Zu Hause sind wir in der Studentenorganisation politisch aktiv gewesen, die der Labour-Partei nahesteht. Wir reisten mit dem Bus nach Genua zusammen mit der internationalen Organisation ATTAC. ATTAC befürwortet Reformen, um den Markt zu demokratisieren und versucht dieses durch gewaltfreie Demonstrationen zu erreichen. ATTAC hatte eine Art Fest-Demonstration am Rand der "roten Zone" mit Musik, Puppenspiel usw. geplant, sowie symbolische Störung der roten Zone durch kleine Seifenblasen und Luftballons.

Die Ereignisse von Genua

Spät am Donnerstag kamen wir in Genua an und richteten uns im gekennzeichneten (und legalen) Zeltlager für die deutschen Aktivisten ein, das ungefähr 7 km östlich der roten Zone lag. An Freitag früh fuhren wir zusammen mit den anderen deutschen Aktivisten zum Konvergenzpunkt (Stützpunkt des Genua-Sozial-Forums). Die Atmosphäre am Konvergenzpunkt war friedlich. Von hier aus gingen die Proteste los. Wir gingen mit dem "Globalise-Resistance"-Block (Befürworter gewaltloser direkter Aktion), sowie mit der Bezugsgruppe, die sich im Bus gebildet hatte. Als der Demozug in der roten Zone ankam, hielt er am Zaun. Die Teilnehmer skandierten Sprechchöre und blieben nahe beim Zaun. Dann wurden zu unserer Überraschung und unserem Ärger vier oder fünf leere Plastikflaschen über den Zaun geworfen. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserkanonen. Dann erschien die Polizei mit Knüppeln und Schildern aus den Seitenstraßen und prügelte auf die Demonstranten ein (wir sahen sogleich einen Demonstranten, bei dem das Blut aus einer Kopfwunde floß). Nun fing der Protestzug an, zurückzuweichen, und wir bewegten uns in Richtung des hinteren Teils des Zuges. Zusammen mit zwei Hamburger StudentInnen entschieden wir uns, die Demo zu verlassen und unseren Weg zum nahegelegenen ATTAC-Versammlungspunkt zu finden, da dieser im Wesentlichen gewaltlose Protest auf eine derartige Überreaktion der Polizei getroffen war.

Als wir versuchten, zurück zur ATTAC-Stelle zu gelangen, merkten wir, daß Carabinieri mit Knüppel alle Straßen blockiert hatte, die von diesem Protestort wegführten. Daher gab es keine Gelegenheit, die Demonstration zu verlassen, auch wenn man sich nicht mehr an ihr beteiligen wollte. Uns vieren bat sich keine andere Möglichkeit, als eine kurze Treppe in der Nähe der Polizeiwache des Stadtzentrums hochzugehen, zu einen Aussichtspunkt, von der aus die Stadt zu sehen war. Dort gab es einige Medienvertreter und wir könnten schwarze Rauchwolken von ungefähr zwei Kilometern östlich sehen. Wie es sich später herausstellte, waren dies Müllbehälter und Autos, die vom schwarzen Block angezündet worden waren. Von hier aus konnten wir auch die Polizeibarrieren sehen, die es uns unmöglich machten, die Innenstadt zu verlassen.

Wir trafen dann auf eine Gruppe von fünf oder sechs anderen TeilnehmerInnen, die ATTAC T-Shirts trugen, und bewegten uns zusammen hin zum ATTAC-Punkt, der nur etwa 750 m entfernt lag (allerdings unsichtbar). Auf halber Strecke, in der Piazza-Alessi, überquerten wir den Verteilerkreis und wollten gerade in eine Seitenstraße einbiegen, als die Carabinieri-Wagen bei voller Geschwindigkeit und mit heulenden Sirenen in Richtung Demo rasten. Dies verstärkte unser Wunsch, zum ATTAC- Punkt zu gelangen. Man muß betonen, dass es auf dieser Seitenstraße, die zur ATTAC-Stelle führte, (inzwischen waren es nur noch 200 m), keine Demonstration oder sonstigen Protest gab, sondern nur etwa zehn bis zwanzig Menschen, die ruhig und nicht im Block die Straße hinunterliefen.

In diesem Moment näherten sich mehrere Carabinieri-Wagen, voll von Polizei mit Knüppeln und Schildern, sowie mit je einem Polizisten mit einer mit Plastekugeln beladen Pistole, der durch das Dach herauszielte. Die Pistolen versetzten uns in Panik, da wir nicht sicher sein konnten, womit sie beladen wurden, so liefen wir davon, um uns aus der Schußlinie zu entfernen. Dabei wurden wir getrennt, daher berichten wir im folgenden zwei verschiedene Geschichten.

Bericht von EN, weiblich, 20 Jahre alt.

Bei erster Gelegenheit lief ich rechts in eine Straße hinein, um aus der Schußlinie herauszukommen. Sie stellte sich als Sackgasse heraus. Bevor ich mich bewegen könnte, sprangen sieben Meter von der Stelle, wo ich, eine weitere Hamburger Studentin, sowie mehrere Andere in der Falle steckten, sechs bis acht Carabinieri aus ihrem Fahrzeug. Wir hoben alle unsere Hände über die Köpfe, um zu zeigen, daß wir keinen Widerstand leisteten. Das half nichts, die Carabiniere knüppelten den Mann neben mir am Kopf und schrieen mich an und bedrohten auch mich mit einem gehobenen Knüppel. Ich wurde einmal am Kopf mit der bloßen Hand geschlagen und wurde ins Carabinieri-Wagen gestoßen. Ich hatte SB zu Boden fallen gesehen. Sie wurde mit einem Knüppel auf ihrem Rücken geschlagen und wurde in den Bauch eingetreten. Sie wurde dann auch in den Wagen getrieben und nahm neben mir Platz. Überall um uns herum wurde die Prügelei fortgesetzt, fünf junge Männer wurden dann ebenfalls in den Polizeiwagen geladen. Keiner widersetzte sich, alle bluteten schon von ihren Verletzungen. Ein Carabiniero saß im Heck und benutzte seinen Knüppel, um die Männer in der hinteren Reihe regelmäßig auf den Kopf zu schlagen. Die Männer waren schon ganz unterwürfig, einer weinte. Auf beiden Seiten von SB und mir kamen die Carabinieri wiederholt auf die beiden Männer im Wagen zu und hauten sie mit ihren Knüppeln in den Bauch und auf die Nase.

Die Carabinieri schienen nicht richtig zu wissen, was sie nun mit uns tun sollten und fuhren nur ungefähr fünfzig Meter, hielten dann wieder und durchsuchten einen der Leute im Wagen. Als es so aussah, als ob der Globalise-Resistance-Block in unsere Richtung kommen würde, fuhr der Wagen eilig zur Polizeiwache Stadtzentrum. Hier wurden wir vor der Wache aus dem Polizeiwagen getrieben, wo einige Journalisten standen. Wegen der Journalisten wurden wir aber gleich wieder in den Wagen hineingeladen und fuhren dann zum Hintereingang.

Auf der Polizeiwache wurden wir in ein kleines Zimmer gebracht und wurden gezwungen, uns an eine Wand zu stellen. SB und ich auf einer Seite, die Typen auf der anderen. Die Atmosphäre war erschreckend. Es gab unzählige Polizisten und sie schienen in einer äußerst aggressiven Verfassung zu sein. SB und ich hörten, wie die Typen mit Knüppel geschlagen wurden. Dann wurden unsere Rucksäcke geleert (d.h., ausgekippt). Ich hörte ein lautes Zerschellen und sah Teile meiner Kamera durch das Zimmer fliegen. Dann wurden die anderen Kameras, Handys, Armbanduhren und so weiter gewaltsam von den Carabinieri zerstört. Wir hatten Angst, was noch auf uns zukommen würde. Dann sammelten sie unsere Dokumente. Ich hatte keinen Paß, da mein Partner JA diesen in seinem Geldgürtel um hatte. SB und mir wurde erlaubt, uns hinzusetzen und uns umzudrehen. Die Typen standen noch an der Wand. Polizei gingen mit ihren Knüppeln bedrohlich hantierend ein und aus. Die Scherben auf dem Boden wurde in eine Ecke gefegt, und alles wurde in einen Abfallsack gekehrt. Mein Schal, Kamera, Brot, Nutella, Löffel und Papiere wurden weggeworfen. Ein Zivilarzt kam nun herein, um zu sehen, ob wir medizinische Hilfe bräuchten. Die Typen wurden einer nach dem anderen behandelt.

Zu keinem Zeitpunkt sagte man uns, was die Situation sei, ob wir verhaftet seien, und so weiter. Ungefähr zwanzig Minuten später hörten wir einen Aufruhr im Korridor - Schreie und der Laut eines Knüppels, der auf etwas traf. Ein Typ, wahrscheinlich nicht älter als siebzehn, wurde ins Zimmer getrieben und in die Ecke geschmissen. Ein Polizist mit seinem Knüppel ging auf ihn los und prügelte ihn mehrmals auf den Kopf, obwohl dieser junge Mann in der Ecke kauerte und vor Angst winselte.

Einige Minuten später wurden wir alle, die ursprünglich zusammen im Wagen gewesen waren, zum Hintereingang der Wache herausgetrieben und in Polizeiautos geladen. Hier saßen wir mindestens noch zehn Minuten. Wir hatten Angst, weil die Polizisten, die vorbei gingen, uns durchs Fenster aggressiv anschrieen. Wir fuhren dann mit hoher Geschwindigkeit von der Wache zum Vorort Bolzaneto, wo eine Carabinieri-Kaserne in ein Gefängnis umfunktioniert worden war. Als wir durch das Tor fuhren, sahen wir etwa hundert Männer mit Plastehandschuhen und eine ganze Chirurgiemannschaft. Wir erschraken und wunderten uns, was sie wohl mit uns vor hatten. SB und ich wurden in eine Zelle geführt und mussten an die Wand mit den Händen an der Wand stehen. Wir wurden wieder von einer Beamtin durchsucht, wobei sie auch unter unseren BHs suchte. Uns wurde nicht erlaubt, uns hinzusetzen, sondern wir mußten weiter an der Wand stehen bleiben, mit den Händen an der Wand. Nach etwa einer halben Stunde wurde ich in ein anderes Zimmer gebracht, um meine Identität festzustellen. Fingerabdrücke, Fotos und Netzhautprüfung wurden durchgeführt, über eine Datenbank konnten sie dann feststellen, daß ich die war, die ich zu sein behauptete und daß ich nicht vorbestraft war. Ich wurde dann zurück in meine Zelle geführt. Ich bat dann, auf die Toilette gehen zu dürfen und es wurde mir erlaubt. Als ich zurück in die Zelle kam war SB nicht mehr da. Sie wurde etwas später hereingeführt, nachdem auch sie die Fingerabdrücke und so weiter durchgemacht hatte. Wir baten wieder um einen Anwalt, was aber abgelehnt wurde mit der Begründung "Sie brauchen keinen." Wir fragten, ob wir in Haft seien und erhielten keine Antwort. Ich bat, JA verständigen zu können, aber auch das wurde abgelehnt.

Uns wurde schließlich erlaubt, uns hinzusetzen. SB verlangte, mit dem Arzt zu sprechen, weil sie ihre Medikamente finden mußte, (sie leidet an Herzinsuffizienz). Der Polizeiarzt hatte dafür kein Verständnis. Als wir in unserer Zelle saßen, sahen wir, wie andere Demonstranten vorbeigeführt wurden. Einige wurden geschlagen, als sie durch das Korridor geführt wurden, die meisten von ihnen waren auf irgendeiner Weise verletzt. Ein junger Mann wurde durch das Korridor getrieben und dabei immer wieder mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen. Die Laute waren unerträglich.

Drei weitere Frauen wurden zu uns ins Gefängnis geschickt. Eine Frau hatte einen gebrochenen Arm. Sie war beim NGO-Protest gewesen, ungefähr 3 km von der roten Zone entfernt, wo sich hungerstreikende Nonnen und Gruppen wie Oxfam aufhielten. Sie sagte, daß die Polizei mit Knüppeln gekommen sei, und versucht habe, ihren Kopf mit dem Arm vor der Wucht des Knüppels zu schützen, wobei es gebrochen worden sei. Sie habe zunächst der Verhaftung entgehen können und sei in ein Krankenhaus gebracht worden, wo sie geröntgt worden sei und man ihr gesagt habe, sie müsse operiert werden. Im Krankenhaus die Polizei sie abgeholt und ins Gefängnis gebracht, trotz der Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung. Noch eine Frau in unserer Zelle litt an einer Gehirnerschütterung, nachdem sie immer wieder auf den Kopf geknüppelt worden war. Sie war am NGO-Protest gewesen und hatte sich ebenfalls im Krankenhaus aufgehalten. Die dritte Frau, eine Italienerin, war in einer Kneipe verhaftet worden. Die Polizei hatte Tränengas in die Kneipe gesprüht, und sie auf die Nase geknüppelt. Die Frau mit der Gehirnerschütterung und die Frau mit dem gebrochenen Arm baten, mit dem Polizeiarzt zu sprechen. Er erzählte der Frau mit der Gehirnerschütterung durch die Zellentür, daß er nichts für sie tun würde, bis sie erbräche. Mit der Frau mit dem gebrochenen Arm wollte er gar nicht erst sprechen.

Zwei Stunden waren verstrichen und ich mußte wieder auf die Toilette. Ich bat danach und es wurde mir zunächst deswegen verweigert, weil ich ja schon vor zwei Stunden da gewesen sei. Ich bat wieder darum, und es wurde mir schließlich erlaubt. Diesmal ließ man die Tür auf und beobachtete mich beim urinieren.

Wir konnten weder einen Anwalt noch irgendeine Information darüber bekommen, warum wir festgehalten wurden. Etwas später wurde SB aus der Zelle gerufen. Dann wurde ich gerufen. Man legte mir vier Dokumente auf Italienisch vor und sagte mir, daß ich befreit würde, wenn ich sie unterschriebe. Ich bat um eine Übersetzung, und ein Polizist gab mir eine flüchtige Darstellung dessen, was angeblich dort stand. Ohne viel Alternative unterschrieb ich das Dokument (ich habe eine Kopie) und wurde befreit. Insgesamt wurde ich knapp fünf Stunden festgehalten. SB wartete außerhalb des Gefängnistors auf mich. Ich war in Schwierigkeiten. JA hatte meinen Paß und mein Geld. Ich hatte dieses der Polizei erklärt, und sie hatten gesagt "das ist Ihr Problem." Ein etwas sympathischerer Polizist hatte mir gesagt, es gäbe Chaos in Genua, es habe Tode gegeben, wir sollten die Stadt sofort verlassen. SB hatte etwas Geld, und wir gingen zur nächsten Bushaltestelle, von wo aus wir mit einem Bus und dann mit Zügen nach Mailand fuhren. Unsere Versuche, Kontakt mit JA oder anderen im deutschen Zeltlager aufzunehmen waren 24 Stunden lang erfolglos, wir saßen ohne genügendes Geld fest, ich ohne Paß, SB ohne Medikamente.

Ich möchte betonen, daß es unmöglich war, uns mit den Mitgliedern des schwarzen Blocks zu verwechseln. Ich bin 160 cm groß, wiege 50 kg und bin von zierlicher Statur. Ich hatte mein langes schwarzes Haar in einem Pferdeschwanz gebunden und trug ein weißes T-Shirt und eine graue Hose. SB ist von ähnlicher Statur und hat blonde Haare. Die anderen Leute in unserem Polizeiwagen waren alle etwas übergewichtige Männer, die in Shorts und T-Shirts gekleidet waren. Keiner trug eine Maske oder war ganz schwarz gekleidet.

Auch die anderen Leute, die zur Polizeiwache bzw. ins Gefängnis gebracht wurden, sahen nicht wie Mitglieder des schwarzen Blocks aus. Die meisten waren wie wir gekleidet.

Bericht von JA

Ich sah ein Polizeifahrzeug mit einem Polizisten obendrauf. Alle liefen aus Angst vor dem Gewehr davon. Ich lief hinter den anderen Leuten in eine Auffahrt. Dabei wurde ich von EN getrennt, und hielt an, um nach ihr zu rufen. Ich hörte 2 Pistolenschüsse, (es wurde mir später von einem Augenzeugen bestätigt, daß es sich um Gummigeschosse handelte). Ich drehte mich um und sah einen Polizisten, der auf mich zulief und schrie. Ich wusste nicht genau, was ich tun sollte und hob die Hände und legte mich dann mit dem Gesicht auf den Boden hin, um zu verdeutlichen, dass ich keinen Widerstand leisten wollte. Ich wurde dann mit einem Knüppel auf den Rücken geschlagen. Vor Schock stand ich auf und lief in die Ecke der Auffahrt, eine Sackgasse, wo die anderen gegen eine Betonwand zusammengedrängt wurden. Außer mir waren es dort 5-7 Leute. Zwei Polizisten schlugen uns mit Knüppeln, ich bekam wenigstens 2 Knüppelschläge auf dem Kopf und zahlreiche andere Schläge auf anderen Körperteilen. Die anderen erfuhren alle eine ähnliche Behandlung. Zu keinem Zeitpunkt leistete irgendeiner Widerstand. Die beiden Polizisten wendeten sich einem weiteren Mann zu, der in der gegenüberliegenden Ecke zusammengezogen lag. Obwohl er keinen Widerstand leistete wurde er gleichzeitig von beiden Offizieren etwa eine Minute lang geschlagen. Leute weinten, und jemand winselte "bitte." Dies schien einen von den Offizieren wütend zu machen, der den Schrei "bitte" nachäffte, und uns dann seine Pistole zeigte und uns anschrie. Die zwei Polizisten schlugen uns dann wieder, ich wurde in den Hintern getreten. Die Polizisten gingen dann weiter, und wir machten uns auf den Weg zum ATTAC Konvergenzpunkt. Es war weniger als 100 Meter entfernt.

Es ist zu mir unvorstellbar, daß einer dieser Leute als gewaltsamen Demonstranten hätte verkannt werden können. Mehrere trugen weiße ATTAC-T-Shirt, die eine klar pazifistische Gruppe ist. Ein anderer trug einen weißen T-Shirt und Jeans, und ich trug ein kurzärmliges Hemd und Shorts. Niemand trug eine Maske oder sonst etwas von der üblichen Uniform des schwarzen Blocks.

Menschenrechtsverletzungen

Der Punkt, den wir in dieser Darstellung hervorheben wollen, ist die ernste Verletzung von Grundrechten, die in Genua stattfand. In unserem Fall waren dies die folgenden Rechten:
  • Bewegungsfreiheit
  • Freiheit der politischen Meinungsäußerung
  • Freiheit vor willkürlicher Festnahme
  • Rechte der Menschenwürde (z.B., der Zwischenfall in der Toilette, Verletzungen)
  • Recht auf medizinische Behandlung (die Verweigerung medizinischer Behandlung für Leute im Gefängnis, z.B. gebrochener Arm, Gehirnerschütterung)
Unserer Meinung nach wurden in Genua die Aktivitäten des schwarzen Blocks benutzt, um die polizeiliche Unterdrückung eines breiten Spektrums friedlicher Demonstranten zu rechtfertigen. In den Medien konnte dann jedeR FestgenommeneR bzw. VerletzteR als Mitglied des schwarzen Blocks dargestellt werden. In die meisten Fällen waren diejenige, die festgenommen bzw. angegriffen wurden, friedliche Demonstranten. Die Gewalt war in unserem Fall völlig unprovoziert, kein Widerstand wurde geleistet, sie war völlig einseitig.

Wir bestreiten auch die offiziellen Zahlen der Polizei über verletzte und verhaftete Menschen. Es gab weit mehr Verletzungen, die meisten wurden aus Angst vor einer Festnahme im Krankenhaus nie aktenkundig. JA hat gewartet, bis er wieder in Hamburg war, um eine medizinische Behandlung zu suchen, SB ebenso. Wir schätzen, das Tausende von Leuten so wie EN festgenommen wurden.

Die Ereignisse von Genua waren ein grausame Erfahrung für uns. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschenrechte und die eklatante polizeiliche Brutalität standen im eklatanten Widerspruch zu den Grundsätzen, die eine demokratische Nation schätzen sollte.

EN & JA

Den Kontakt zu den beiden Autorinnen stellt das Attac-Büro auf Nachfrage, auch von JournalistInnen, gerne her.

Quelle: http://www.attac-netzwerk.de/genua/protokoll.html


Was ist neu?

Bericht von Ulrich Brand aus Genua

Ulrich Brand ist aktiv im Arbeitsschwerpunktes Weltwirtschaft des BUKO (Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen)

Zu siebt nahmen wir am Samstag, 21. Juli an der Großdemonstration in Genua während des G 8-Treffens teil. Wir entschlossen uns gegen 15:30 Uhr mit dem Demonstrationszug durch das Zentrum zu laufen. Die Stimmung war sehr gut, trotz der Vorfälle vom Freitag. Entfernt waren erste Auseinandersetzungen mit Rauchbomben zu beobachten, jedoch in sicherer Entfernung der Demonstrationsroute. Wir schlossen uns einem Teil des Demonstrationszuges an, in dem auch eine Gruppe italienischer Gewerkschafter mitliefen und kamen so an eine Strassenkreuzung im Zentrum der Stadt, an der die Veranstalter die TeilnehmerInnen aufforderten, schneller zu gehen, damit der Zug nicht stockte.

Plötzlich wurde sowohl hinter als auch vor uns Tränengas in die Menge geschossen. Unter den Demonstranten brach Panik aus. Ich blieb mit zwei anderen Mitgliedern meiner Gruppe zusammen, wir wollten zurück gehen. Dann entdeckten wir eine offene Haustür und suchten zusammen mit etwa einhundert anderen Menschen Schutz. Wir waren alle relativ ruhig, damit beschäftigt, mit Wasser die Augen auszuwaschen und das Gesicht abzuwischen. Eine Hausbewohnerin öffnete die Tür und bot Hilfe an. Nach etwa 20 Minuten ging die Meldung durch den Flur, dass unten die Polizei stehe und uns rauslassen würde. Wir gingen hinunter und im Erdgeschoss - ich dachte an überhaupt nichts Böses -riss mich plötzlich ein wütender Polizist an meinem schwarzen T-Shirt, zeigte auf das darauf abgebildete Porträt von Marcos, und schrie: "Terrorista". Ich versuchte weiter zu gehen, wurde aber festgehalten und musste dann meinen Ausweis zeigen, der mir sofort abgenommen wurde. Etwa 5 Minuten lang wurde ich im Hauseingang festgehalten, meine beiden Begleiterinnen mussten weitergehen, im Flur hinter mir wurden Leute geprügelt. Ich musste den Rucksack öffnen, er wurde auf den Boden geworfen, zwei Kniebandagen, Fotoapparat, den Rucksack selbst und eine Uhr sah ich nicht wieder.

Zu zweit wurden wir festgenommen, ein Italiener (Maracielli o.s.ä. - ich nennen ihn in Unkenntnis seines Namens Massimo) und ich. Wir waren diejenigen gewesen, die schwarze Kleidung trugen: er war ganz in schwarz gekleidet, ich trug ein schwarzes (Marcos-) T-Shirt, blaue Hose und Turnschuhe. Vor einem Polizeiwagen mussten wir auf den Boden knien und uns wurden Handriemen angelegt, die wir bis zur Einlieferung in Bolzaneto umhatten. Mit einem Kombi wurden wir in etwa 5 Minuten zu einem Gebäude (der Questura?) in der Innenstadt gefahren. Man spürte bereits die Wut und den Hass der Polizisten, Massimo wurde permanent mit einem Polizeiknüppel geschlagen, mein "Nachbar" war zahmer. Dann wurden wir vom Auto in das Gebäude geführt. Der Polizist neben mir drohte (die Verständigung war die ganze Zeit auf Englisch), wenn ich fliehen würde, würde er mich umbringen (I will kill you). Dann summte der hinter mir laufende Polizist ein Lied, worauf der neben mir fragte: "Do you know this song? No? It´s a fascist song."

Vor dem Gebäude standen zig uniformierte und zivil gekleidete Polizisten. Drinnen wurden wir in einen schmutzigen Raum ohne Möbel und mit Kachelboden geführt und ich wusste sofort, was jetzt passieren würde. Wir wurden auf den Boden geworfen, dann erst Massimo und danach ich verprügelt, dabei die ganze Zeit in Handschellen gefesselt. Um mich herum standen etwa 10 bis 15 Polizisten, etwa 5 von ihnen kamen nacheinander an mich heran und traten zu: Kopf, Gesicht, Rücken und Beine. Es war ein hasserfülltes Treten. Gleich zu Beginn wurde mir die Brille abgenommen, neben mich gelegt und jemand trat drauf. Dann lagen wir - die ganze Zeit gefesselt - in Ungewissheit auf dem Boden, uns wurden sie letzten Sachen abgenommen (Geld, Adressen, Gürtel), wobei zwei Hosentaschen nicht geöffnet, sondern aufgerissen wurden. Die Schuhe wurden mir ausgezogen, ich bekam sie auch nicht wieder, sondern war die nächsten etwa 15 Stunden nur auf Socken. Es kam irgendwann ein Arzt, der meinte, jetzt sei alles in Ordnung. Er leuchtete in die Augen und maß den Puls. Ich dachte aber schon, wofür das gut sei. Irgendwann wechselten recht schnell die Leute im Raum, der Arzt und sein Gehilfe waren weg, es kamen Polizisten mit schwarzen Handschuhen: die zweite Runde. Diesmal wurde mir das T-Shirt zerrissen, wir wurden - wie die gesamte Zeit - beschimpft, und nochmals mit Fäusten geschlagen und getreten. Dann wurde mir das T-Shirt abgeschnitten und ein neues über den Kopf gezogen - und zwar eines mit EZLN-Aufdruck. Doch dies wurde mir wieder abgenommen und durch ein farbiges ersetzt. Darüber war ich froh, denn ich hoffte, es würde in den nächsten Stunden "de-eskalierend" wirken. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt extreme Angst, da die Polizisten alles mit uns hätten machen können. Hass und Willkür waren überwältigend. Falls Massimo herausgeführt worden und ich alleine geblieben wäre, hätte ich wohl Panik bekommen.

Plötzlich wurden wir rausgeführt, auf dem Weg zum Auto nochmals geschlagen, mein Kopf schlug gegen eine Wand. Dann ging es - in getrennten Autos - mit hoher Geschwindigkeit durch die unbelebte Stadt, dann über die Autobahn in ein Sammelgefängnis. Wie ich später erfuhr, war es Bolzaneto. Die Handriemen wurden abgenommen und ich wurde in eine Zelle (Nr. 7) geführt, auf dem Flur standen Polizisten wieder Spalier, von denen einige nach Belieben zuschlugen und -traten. Ich wurde mit den Worten "trattamento speciale" zu einer Zelle geführt und bekam Angst, dass es gleich so weiter ging. Es bezog sich aber wohl auf die vorherige "Behandlung". In der Zelle (etwa 6x6 Meter) waren wir zu acht und mussten mit dem Gesicht zur Wand stehen, die Nase an die Wand, die Hände nach oben. Die Aufpasser schrien dauernd "alto gli mani!" (die Hände hoch), gingen immer wieder durch die Zelle und zwangen die Gefangenen, die Hände noch höher zu strecken, hämische Rufe waren etwa "Comunista", "Bastardi", "global", "Manu Chao" u.a. Das Lieblingswort der Polizisten war "Cazzo" (Schwanz). Hinter dem Fenster standen ebenfalls hämisches Zeug redende Polizisten. Irgendwann ließ einer von dort Tränengas in den Raum ziehen, sich am Husten der Gefangenen erfreuend. Nach etwa zwei Stunden, es war noch hell, musste ich raus (wieder das Spießrutenlaufen über den Flur) und nochmals etwa 30 Minuten warten, dann kam ich zum Erkennungsdienst. Elektronischer Fingerabdruck, normale Fingerabdrücke, Fotos, Daten angeben. Übrigens sehr gut ausgestattet mit Computern; ein irischer Gefangener erzählte mir anschließend, dass er bezüglich seiner Personenangabe auf dem Bildschirm gesehen hätten, dass er vor einem halben Jahr die Zeitung "The Internationalist" abonniert hätte. Beim Rausgehen wusch ich mir die Hände auf dem Hof als plötzlich ein Polizist neben mir stand, etwas sagte, mir etwas 20 cm vors Gesicht hielt und abdrückte: Es war Tränengas; glücklicherweise konnte ich mich wegdrehen und die Augen schließen. Abwaschen konnte ich nicht, weil sich gleich der nächste Polizist sich von der anderen Seite näherte und ich Angst vor einem weiteren Übergriff hatte. Es tat in den kommenden Stunden höllisch weh. Dann kam ich in dieselbe Zelle zurück, wo mittlerweile nicht mehr acht, sondern über dreißig Leute standen, eine Frau sah ich auch. Es wurde dunkel, neben mir standen ein Deutscher aus Stuttgart und ein Italiener. Wir konnten uns leise verständigen. Der Italiener wurde irgendwann rausgeholt und kam nach 15 Minuten stöhnend zurück - "trattamento speciale".

Man hörte immer wieder Schreie über die Flure von offenbar gefolterten Menschen. In den kommenden Stunden wurden einzelne Gefangene rausgeholt und mussten offenbar ihren Verhaftungsgrund sich anhören und unterschreiben (setenzia). Es kamen immer wieder Leute rein, die mit einzelnen Gefangenen über Anwälte sprachen. Es herrschte eine absolute Unklarheit, wie lange ich wo bleiben würde, was mir zur Last gelegt wird. Dann passierte noch einmal die widerliche Sache mit dem Tränengas.

Zusammen mit Massimo, der in einer anderen Zelle war, wurden wir vor ein Büro geführt. Offenbar müsste es nun auch um unsere Anschuldigung gehen. Wieder Tritte und Knuffe auf dem Flur. Massimo musste mehrmals laut "Viva il Duce" (Mussolino) sagen. Wir kamen aber direkt zurück in die Zelle ohne Verhör, Gespräch o.ä. Dann konnten wir uns nach Stunden zum ersten Mal auf den Boden setzen - mit schmerzenden Armen und Schultern. Nach zehn Minuten mussten wir allerdings wieder aufstehen, uns zur Wand drehen und wieder die Arme hoch halten. Der Raum leerte sich, offenbar wurden die Gefangenen entweder frei gelassen oder weg gebracht. Wir mussten wieder vor das Büro, kamen wieder nicht rein, jetzt aber in eine andere Zelle und unsere Sachen ausgehändigt (in meinem Fall nur der Ausweis und Geld, andere auch Rücksäcke u.ä.). Die Zelle wurde von einem Sadisten überwacht, der nochmals schlug und peinigte. Wir mussten später aufrecht auf Knien sitzen, was höllisch schmerzte. Ich dachte aber, bald seien wir frei, malte mir schon aus, ob vor der Tür wohl Leute vom "Genua Social Forum" seien, ob ich auf Socken zurück gehen müsste, hoffte, dass mich nicht Polizisten in die Stadt zurück fahren würden. Irgendwann, vielleicht nach einer weiteren Stunde, es war wohl nach Mitternacht, kamen wir in das Büro. Dort mussten wir alles mögliche unterschreiben, als ich etwas durchlesen wollte, wurde ich zur Eile getrieben. U.a. unterschrieb ich wohl, dass die Polizei mich gut behandelt hat. Dann noch mal zum Arzt (hier erfuhr ich, dass ich nicht frei kommen würde, sondern in ein Gefängnis), noch mal in die Zelle und schließlich - ohne Massimo - in Handschellen (zu zweit aneinander gekettet) in einen Bus mit Zellen für je vier Personen. Irgendwann ging es im Sonnenaufgang los. Wohlgemerkt verließ ich Bolzaneto ohne Verhör und ohne Anklage. (Im Bus nickte ich mehrmals kurz weg und träumte mich sofort in ganz drastische Gegenwelten von Urlaub und ruhigen Szenen.)

Nach etwa 30-45 Minuten Fahrt kamen wir im Gefängnis von Alessandria an. Beim Ein- und Aussteigen ließen es sich die Bewacher nicht nehmen, nochmals zuzuschlagen. Dann kamen wir zu sechst oder siebt in kleine Zellen, mussten einen Meter von der Wand entfernt stehen, durften uns nur mit zwei, später mit einem Finger abstützen. Hier bekam ich wieder Angst, weil über den Flur dauernd etwas von "german" (was nicht Deutscher/tedesco, sondern Germane heißt) zu hören war und ich an die 1.200 DM dachte, die mir zu Beginn abgenommen worden waren und auf die die Polizisten evtl. scharf sein könnten und es mir im Gefängnis oder später mit Gewalt abnehmen wollten. Relativ spät kam ich dran (auf dem Weg von der Zelle zum Aufnahmebüro wurden wieder einzelne Leute geschlagen), im Aufnahmebüro saßen zwei offenbar Verantwortliche und standen noch mal acht bis zehn Polizisten. Ein Verantwortlicher zählte gerade mein Geld, was meine Befürchtung zu bestätigen schien. Einer direkt neben mir zischte mir immer wieder Sauereien ins Ohr. Ich sagte auf Englisch, dass ich auf das Geld verzichten würde, dass es keine Anklage gegen mich gäbe, dass ich einen Rechtsanwalt und mit der deutschen Botschaft sprechen wolle. Ich gab eine Nummer in Frankfurt an, doch die interessiert sie nicht. Statt dessen sollte ich auf einer Liste der deutschen Botschaft einen Anwalt ankreuzen. Warum ich denn in Genua gewesen sei. Weil ich an den friedlichen Protesten gegen das G 8-Treffen teilnehmen wollte; ich sei Mitglied einer Dritte-Welt-Gruppe in Frankfurt. "Stop talking, please." Von Richter war keine Rede, sondern von mindestens fünf Tagen Gefängnis. Eine für einen Rechtsstaat absurde Situation, wie ja die gesamt Zeit über schon.

Aber es wurde noch nicht mal der Anschein eine geordneten Verfahrens erweckt. Immer noch herrschte Willkür - und Hass. Ich kam noch mal zum Arzt, dann in eine Zelle mit einem Römer (ich erinnere seinen Namen nicht; wohnt in Città Vecchia bei Rom; Tel. konnte ich mir merken). Er wurde festgenommen, weil er die Polizei fotografierte, war noch nicht einmal Demo-Teilnehmer, sondern eher Tourist. Wir konnten duschen, bekamen Essen, wurden mit Bettwäsche und Geschirr eingedeckt, konnten uns ein Buch ausleihen (man mußte wählen zwischen Hofspaziergang und Buch). Der Tag verging, ich schlief immer wieder unruhig und sprach mit meinem Zimmerkollegen. Gegen Abend kam jemand und teilte uns auf Italienisch mit, dass ich frei sei. Zusammenpacken, dann zum "Auschecken". Das Perfide war, dass teilweise dieselben Leute, die uns morgens noch verachteten, nun ganz freundlich waren. Zigaretten wurden angeboten, umtriebige, aber lockere Stimmung. Meinen Ausweis fanden sie nicht gleich, dann bekam ich aber sogar mein Geld zurück. Ein Polizist sagte: "Forget all. It was a bad dream." Zu siebt samt Polizeibegleitung gingen wir zum Ausgang, einer musste zurück, weil noch Sachen fehlten. Andere hörten, dass er oben wieder geschlagen wurde.

Nach etwa 30 Stunden war ich wieder frei. Wir gingen etwa zwei Kilometer Richtung Alessandria, um einen Zug nach Genua zu nehmen. Dann hielt eine Frau mit Auto, die vom Genua Social Forum benachrichtigt worden war. Sie nahm uns mit nach Hause, ich telefonierte mit Frankfurt, wir warteten noch auf andere, die etwas später frei gelassen wurden - u.a. der Deutsche, der in Bolzaneto neben mir stand. Dann ging es mit dem Auto nach Nervi bei Genua, da meine Gruppe nicht mehr da war, auf den Zug um 5:50 Uhr am Montagfrüh nach Mailand - bloß weg von Genua. In Innsbruck ließ ich mich am Dienstagvormittag von einem Arzt untersuchen, am Freitagabend war ich in Frankfurt in der Unfallklinik. Eine Platzwunde am Kopf ist am Verheilen, meine Kopfschmerzen gingen nach einer Woche weg, meine Blutsäcke unter den Augen, ein sog. Brillenhematom, sind auch weitgehend verschwunden. Bis heute schmerzt mein linker Brustkorb, in den ich Tritte bekam. Rechtliche Schritte werde ich zusammen mit anderen ergreifen, sobald alle noch Inhaftierten draußen sind.

aufgeschrieben am 31.7.2001 (leider habe ich die Notizen, die ich im Zug anfertigte, verloren)

Quelle: http://www.attac-netzwerk.de/genua/prot_brand.html


21.7.2001: Verhaftet in Genua / Arrested in Genua

Bericht von Ulrich Brand (eMail: ulibrand@gmx.de)

English Summary:

I was arrested on Saturday, 21. June, at about 4 p.m., and held in police custody until Sunday, 22. June, 10 p.m.; first in a prison in downtown Genova (one hour of severe beatings), then in Bolzaneto (10-12 hours harrassement and abuse), then in a jail in Alessandria (16-18 hours confinement).

Together with a group of seven people from Frankfurt, I participated peacefully in the central demonstration on Saturday. At about 3:30 p.m., we encountered a tear gas attack by the police which aimed to divide and disperse the demonstration. Together with about a hundred other people, two members of our group and I escaped into a house. After 20 minutes, the police told us to leave the house and waited for us downstairs. They let almost everybody pass - except an Italian man and me. Both of us were wearing black T-Shirts (mine had the face of Marcos on it). They took my back pack away with a foto, a wristwatch and two knee bandages in it. We were brought to a police car, severely beaten, put in handcuffs and then transported to a house (probably La Questura) downtown. On the way from the car to the house, one policemen said to me: "If you try to escape, I will kill you" and then he sang a fascist song. Inside the prison we were brought into a dirty room where policemen started beating both of us with their fists and feet. They beat us into our faces, on our heads, on our backs and legs. They took away my glasses and crushed them. A medical doctor came to inspect us and after he said that we were o.k. the policemen continued beating us. The policemen were full of hate, it was incredible.

After one hour of severe beatings, they brought us to a prison in Bolzaneto where they forced us to stand facing the wall of cell number 7, with our hands up. We had to stand in this position for several hours while the policemen where shouting at us: "Comunista", "Bastardi", "Global", "Manu Chao" and most of all "Cazzo" (prick). From outside the window they sprayed tear gas into this room twice while we were standing there. Several times, people were brought to other places to be submitted to "trattamento speciale" (special treatment). We heard how these people were brutalized and heard them crying.

I was brought to the police records department. After this, I washed my hands in the yard when a policeman came up to me and from about 20 centimeters away sprayed tear gas into my face. Fortunately, I was able to turn away a little but it was still extremely painful for several hours and could not rinse out my eyes. I was then brought back to the prison room where now there were more than 30 people (which was only one of at least eight). I had been given no information on why I was being held in prison. Nobody had presented me with a sentence or any other information. During the next hours more and more people were escorted out of the room. I did not know whether they were brought to other places or released.

At sunset, I was brought with others to the jail in Alessandria. There I was asked for the first time why I happened to be in Genua. I answered that I was a peaceful protester and member of a Third-World group in Frankfurt, Germany. They were not interested in what I said and told me: "Stop talking, please!" I asked to talk to an attorney of my choice but they refused and I had to chose one from a general list of attorneys distributed by the German ambassy. I was brought back into a cell and in the evening, again without any information, I was released from prison onto the street. One policeman told me: "Forget everything. It was a bad dream."

Ulrich Brand works as an Assistant Professor at Kassel University (Germany) in the area "Globalization and Politics" and politically active in the Federal Congress of Development Action Groups (BUKO) as well as in the Third World House in Frankfurt/M. He is author and editor of several book and articles on international politics/Global Governance, critical state theory, non-governmental organizations, social movements (esp. the Zapatista movement in Chiapas) and environmental politics.

Deutsche Fassung:

Zu siebt nahmen wir am Samstag, 21. Juli an der Großdemonstration in Genua während des G 8-Treffens teil. Wir entschlossen uns gegen 15:30 Uhr mit dem Demonstrationszug durch das Zentrum zu laufen. Die Stimmung war sehr gut, trotz der Vorfälle vom Freitag. Entfernt waren erste Auseinandersetzungen mit Rauchbomben zu beobachten, jedoch in sicherer Entfernung der Demonstrationsroute. Wir schlossen uns einem Teil des Demonstrationszuges an, in dem auch eine Gruppe italienischer Gewerkschafter mitliefen und kamen so an eine Strassenkreuzung im Zentrum der Stadt, an der die Veranstalter die TeilnehmerInnen aufforderten, schneller zu gehen, damit der Zug nicht stockte.

Plötzlich wurde sowohl hinter als auch vor uns Tränengas in die Menge geschossen. Unter den Demonstranten brach Panik aus. Ich blieb mit zwei anderen Mitgliedern meiner Gruppe zusammen, wir wollten zurück gehen. Dann entdeckten wir eine offene Haustür und suchten zusammen mit etwa einhundert anderen Menschen Schutz. Wir waren alle relativ ruhig, damit beschäftigt, mit Wasser die Augen auszuwaschen und das Gesicht abzuwischen. Eine Hausbewohnerin öffnete die Tür und bot Hilfe an. Nach etwa 20 Minuten ging die Meldung durch den Flur, dass unten die Polizei stehe und uns rauslassen würde. Wir gingen hinunter und im Erdgeschoss - ich dachte an überhaupt nichts Böses -riss mich plötzlich ein wütender Polizist an meinem schwarzen T-Shirt, zeigte auf das darauf abgebildete Porträt von Marcos, und schrie: "Terrorista". Ich versuchte weiter zu gehen, wurde aber festgehalten und musste dann meinen Ausweis zeigen, der mir sofort abgenommen wurde. Etwa 5 Minuten lang wurde ich im Hauseingang festgehalten, meine beiden Begleiterinnen mussten weitergehen, im Flur hinter mir wurden Leute geprügelt. Ich musste den Rucksack öffnen, er wurde auf den Boden geworfen, zwei Kniebandagen, Fotoapparat, den Rucksack selbst und eine Uhr sah ich nicht wieder.

Zu zweit wurden wir festgenommen, ein Italiener (Maracielli o.s.ä. - ich nennen ihn in Unkenntnis seines Namens Massimo) und ich. Wir waren diejenigen gewesen, die schwarze Kleidung trugen: er war ganz in schwarz gekleidet, ich trug ein schwarzes (Marcos-) T-Shirt, blaue Hose und Turnschuhe. Vor einem Polizeiwagen mussten wir auf den Boden knien und uns wurden Handriemen angelegt, die wir bis zur Einlieferung in Bolzaneto umhatten. Mit einem Kombi wurden wir in etwa 5 Minuten zu einem Gebäude (der Questura?) in der Innenstadt gefahren. Man spürte bereits die Wut und den Hass der Polizisten, Massimo wurde permanent mit einem Polizeiknüppel geschlagen, mein "Nachbar" war zahmer. Dann wurden wir vom Auto in das Gebäude geführt. Der Polizist neben mir drohte (die Verständigung war die ganze Zeit auf Englisch), wenn ich fliehen würde, würde er mich umbringen (I will kill you). Dann summte der hinter mir laufende Polizist ein Lied, worauf der neben mir fragte: "Do you know this song? No? It´s a fascist song."

Vor dem Gebäude standen zig uniformierte und zivil gekleidete Polizisten. Drinnen wurden wir in einen schmutzigen Raum ohne Möbel und mit Kachelboden geführt und ich wusste sofort, was jetzt passieren würde. Wir wurden auf den Boden geworfen, dann erst Massimo und danach ich verprügelt, dabei die ganze Zeit in Handschellen gefesselt. Um mich herum standen etwa 10 bis 15 Polizisten, etwa 5 von ihnen kamen nacheinander an mich heran und traten zu: Kopf, Gesicht, Rücken und Beine. Es war ein hasserfülltes Treten. Gleich zu Beginn wurde mir die Brille abgenommen, neben mich gelegt und jemand trat drauf. Dann lagen wir - die ganze Zeit gefesselt - in Ungewissheit auf dem Boden, uns wurden sie letzten Sachen abgenommen (Geld, Adressen, Gürtel), wobei zwei Hosentaschen nicht geöffnet, sondern aufgerissen wurden. Die Schuhe wurden mir ausgezogen, ich bekam sie auch nicht wieder, sondern war die nächsten etwa 15 Stunden nur auf Socken. Es kam irgendwann ein Arzt, der meinte, jetzt sei alles in Ordnung. Er leuchtete in die Augen und maß den Puls. Ich dachte aber schon, wofür das gut sei. Irgendwann wechselten recht schnell die Leute im Raum, der Arzt und sein Gehilfe waren weg, es kamen Polizisten mit schwarzen Handschuhen: die zweite Runde. Diesmal wurde mir das T-Shirt zerrissen, wir wurden - wie die gesamte Zeit - beschimpft, und nochmals mit Fäusten geschlagen und getreten. Dann wurde mir das T-Shirt abgeschnitten und ein neues über den Kopf gezogen - und zwar eines mit EZLN-Aufdruck. Doch dies wurde mir wieder abgenommen und durch ein farbiges ersetzt. Darüber war ich froh, denn ich hoffte, es würde in den nächsten Stunden "de-eskalierend" wirken. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt extreme Angst, da die Polizisten alles mit uns hätten machen können. Hass und Willkür waren überwältigend. Falls Massimo herausgeführt worden und ich alleine geblieben wäre, hätte ich wohl Panik bekommen.

Plötzlich wurden wir rausgeführt, auf dem Weg zum Auto nochmals geschlagen, mein Kopf schlug gegen eine Wand. Dann ging es - in getrennten Autos - mit hoher Geschwindigkeit durch die unbelebte Stadt, dann über die Autobahn in ein Sammelgefängnis. Wie ich später erfuhr, war es Bolzaneto. Die Handriemen wurden abgenommen und ich wurde in eine Zelle (Nr. 7) geführt, auf dem Flur standen Polizisten wieder Spalier, von denen einige nach Belieben zuschlugen und -traten. Ich wurde mit den Worten "trattamento speciale" zu einer Zelle geführt und bekam Angst, dass es gleich so weiter ging. Es bezog sich aber wohl auf die vorherige "Behandlung". In der Zelle (etwa 6x6 Meter) waren wir zu acht und mussten mit dem Gesicht zur Wand stehen, die Nase an die Wand, die Hände nach oben. Die Aufpasser schrien dauernd "alto gli mani!" (die Hände hoch), gingen immer wieder durch die Zelle und zwangen die Gefangenen, die Hände noch höher zu strecken, hämische Rufe waren etwa "Comunista", "Bastardi", "global", "Manu Chao" u.a. Das Lieblingswort der Polizisten war "Cazzo" (Schwanz). Hinter dem Fenster standen ebenfalls hämisches Zeug redende Polizisten. Irgendwann ließ einer von dort Tränengas in den Raum ziehen, sich am Husten der Gefangenen erfreuend.

Nach etwa zwei Stunden, es war noch hell, musste ich raus (wieder das Spießrutenlaufen über den Flur) und nochmals etwa 30 Minuten warten, dann kam ich zum Erkennungsdienst. Elektronischer Fingerabdruck, normale Fingerabdrücke, Fotos, Daten angeben. Übrigens sehr gut ausgestattet mit Computern; ein irischer Gefangener erzählte mir anschließend, dass er bezüglich seiner Personenangabe auf dem Bildschirm gesehen hätten, dass er vor einem halben Jahr die Zeitung "The Internationalist" abonniert hätte. Beim Rausgehen wusch ich mir die Hände auf dem Hof als plötzlich ein Polizist neben mir stand, etwas sagte, mir etwas 20 cm vors Gesicht hielt und abdrückte: Es war Tränengas; glücklicherweise konnte ich mich wegdrehen und die Augen schließen. Abwaschen konnte ich nicht, weil sich gleich der nächste Polizist sich von der anderen Seite näherte und ich Angst vor einem weiteren Übergriff hatte. Es tat in den kommenden Stunden höllisch weh.

Dann kam ich in dieselbe Zelle zurück, wo mittlerweile nicht mehr acht, sondern über dreißig Leute standen, eine Frau sah ich auch. Es wurde dunkel, neben mir standen ein Deutscher aus Stuttgart und ein Italiener. Wir konnten uns leise verständigen. Der Italiener wurde irgendwann rausgeholt und kam nach 15 Minuten stöhnend zurück - "trattamento speciale". Man hörte immer wieder Schreie über die Flure von offenbar gefolterten Menschen. In den kommenden Stunden wurden einzelne Gefangene rausgeholt und mussten offenbar ihren Verhaftungsgrund sich anhören und unterschreiben (setenzia). Es kamen immer wieder Leute rein, die mit einzelnen Gefangenen über Anwälte sprachen. Es herrschte eine absolute Unklarheit, wie lange ich wo bleiben würde, was mir zur Last gelegt wird. Dann passierte noch einmal die widerliche Sache mit dem Tränengas.

Zusammen mit Massimo, der in einer anderen Zelle war, wurden wir vor ein Büro geführt. Offenbar müsste es nun auch um unsere Anschuldigung gehen. Wieder Tritte und Knuffe auf dem Flur. Massimo musste mehrmals laut "Viva il Duce" (Mussolino) sagen. Wir kamen aber direkt zurück in die Zelle ohne Verhör, Gespräch o.ä. Dann konnten wir uns nach Stunden zum ersten Mal auf den Boden setzen - mit schmerzenden Armen und Schultern. Nach zehn Minuten mussten wir allerdings wieder aufstehen, uns zur Wand drehen und wieder die Arme hoch halten. Der Raum leerte sich, offenbar wurden die Gefangenen entweder frei gelassen oder weg gebracht. Wir mussten wieder vor das Büro, kamen wieder nicht rein, jetzt aber in eine andere Zelle und unsere Sachen ausgehändigt (in meinem Fall nur der Ausweis und Geld, andere auch Rücksäcke u.ä.). Die Zelle wurde von einem Sadisten überwacht, der nochmals schlug und peinigte. Wir mussten später aufrecht auf Knien sitzen, was höllisch schmerzte. Ich dachte aber, bald seien wir frei, malte mir schon aus, ob vor der Tür wohl Leute vom "Genua Social Forum" seien, ob ich auf Socken zurück gehen müsste, hoffte, dass mich nicht Polizisten in die Stadt zurück fahren würden. Irgendwann, vielleicht nach einer weiteren Stunde, es war wohl nach Mitternacht, kamen wir in das Büro. Dort mussten wir alles mögliche unterschreiben, als ich etwas durchlesen wollte, wurde ich zur Eile getrieben. U.a. unterschrieb ich wohl, dass die Polizei mich gut behandelt hat. Dann noch mal zum Arzt (hier erfuhr ich, dass ich nicht frei kommen würde, sondern in ein Gefängnis), noch mal in die Zelle und schließlich - ohne Massimo - in Handschellen (zu zweit aneinander gekettet) in einen Bus mit Zellen für je vier Personen. Irgendwann ging es im Sonnenaufgang los. Wohlgemerkt verließ ich Bolzaneto ohne Verhör und ohne Anklage. (Im Bus nickte ich mehrmals kurz weg und träumte mich sofort in ganz drastische Gegenwelten von Urlaub und ruhigen Szenen.)

Nach etwa 30-45 Minuten Fahrt kamen wir im Gefängnis von Alessandria an. Beim Ein- und Aussteigen ließen es sich die Bewacher nicht nehmen, nochmals zuzuschlagen. Dann kamen wir zu sechst oder siebt in kleine Zellen, mussten einen Meter von der Wand entfernt stehen, durften uns nur mit zwei, später mit einem Finger abstützen. Hier bekam ich wieder Angst, weil über den Flur dauernd etwas von "german" (was nicht Deutscher/tedesco, sondern Germane heißt) zu hören war und ich an die 1.200 DM dachte, die mir zu Beginn abgenommen worden waren und auf die die Polizisten evtl. scharf sein könnten und es mir im Gefängnis oder später mit Gewalt abnehmen wollten. Relativ spät kam ich dran (auf dem Weg von der Zelle zum Aufnahmebüro wurden wieder einzelne Leute geschlagen), im Aufnahmebüro saßen zwei offenbar Verantwortliche und standen noch mal acht bis zehn Polizisten. Ein Verantwortlicher zählte gerade mein Geld, was meine Befürchtung zu bestätigen schien. Einer direkt neben mir zischte mir immer wieder Sauereien ins Ohr. Ich sagte auf Englisch, dass ich auf das Geld verzichten würde, dass es keine Anklage gegen mich gäbe, dass ich einen Rechtsanwalt und mit der deutschen Botschaft sprechen wolle. Ich gab eine Nummer in Frankfurt an, doch die interessiert sie nicht. Statt dessen sollte ich auf einer Liste der deutschen Botschaft einen Anwalt ankreuzen.

Warum ich denn in Genua gewesen sei. Weil ich an den friedlichen Protesten gegen das G 8-Treffen teilnehmen wollte; ich sei Mitglied einer Dritte-Welt-Gruppe in Frankfurt. "Stop talking, please." Von Richter war keine Rede, sondern von mindestens fünf Tagen Gefängnis. Eine für einen Rechtsstaat absurde Situation, wie ja die gesamt Zeit über schon. Aber es wurde noch nicht mal der Anschein eine geordneten Verfahrens erweckt. Immer noch herrschte Willkür - und Hass.

Ich kam noch mal zum Arzt, dann in eine Zelle mit einem Römer (ich erinnere seinen Namen nicht; wohnt in Città Vecchia bei Rom; Tel. konnte ich mir merken). Er wurde festgenommen, weil er die Polizei fotografierte, war noch nicht einmal Demo-Teilnehmer, sondern eher Tourist. Wir konnten duschen, bekamen Essen, wurden mit Bettwäsche und Geschirr eingedeckt, konnten uns ein Buch ausleihen (man mußte wählen zwischen Hofspaziergang und Buch). Der Tag verging, ich schlief immer wieder unruhig und sprach mit meinem Zimmerkollegen. Gegen Abend kam jemand und teilte uns auf Italienisch mit, dass ich frei sei. Zusammenpacken, dann zum "Auschecken". Das Perfide war, dass teilweise dieselben Leute, die uns morgens noch verachteten, nun ganz freundlich waren. Zigaretten wurden angeboten, umtriebige, aber lockere Stimmung. Meinen Ausweis fanden sie nicht gleich, dann bekam ich aber sogar mein Geld zurück. Ein Polizist sagte: "Forget all. It was a bad dream." Zu siebt samt Polizeibegleitung gingen wir zum Ausgang, einer musste zurück, weil noch Sachen fehlten. Andere hörten, dass er oben wieder geschlagen wurde.

Nach etwa 30 Stunden war ich wieder frei. Wir gingen etwa zwei Kilometer Richtung Alessandria, um einen Zug nach Genua zu nehmen. Dann hielt eine Frau mit Auto, die vom Genua Social Forum benachrichtigt worden war. Sie nahm uns mit nach Hause, ich telefonierte mit Frankfurt, wir warteten noch auf andere, die etwas später frei gelassen wurden - u.a. der Deutsche, der in Bolzaneto neben mir stand. Dann ging es mit dem Auto nach Nervi bei Genua, da meine Gruppe nicht mehr da war, auf den Zug um 5:50 Uhr am Montagfrüh nach Mailand - bloß weg von Genua.

In Innsbruck ließ ich mich am Dienstagvormittag von einem Arzt untersuchen, am Freitagabend war ich in Frankfurt in der Unfallklinik. Eine Platzwunde am Kopf ist am Verheilen, meine Kopfschmerzen gingen nach einer Woche weg, meine Blutsäcke unter den Augen, ein sog. Brillenhematom, sind auch weitgehend verschwunden. Bis heute schmerzt mein linker Brustkorb, in den ich Tritte bekam. Rechtliche Schritte werde ich zusammen mit anderen ergreifen, sobald alle noch Inhaftierten draußen sind.

aufgeschrieben am 31.7.2001 (leider habe ich die Notizen, die ich im Zug anfertigte, verloren)

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/genova/verhaftet.htm


20.7.2001: Genoa eyewitness report

Bericht in Indymedia.de vom 2.8.2001 14:47 - Eyewitness report on Police brutality against pacifists on July, 20th in Genoa

On July, 20th 2001, the siege day, I was with the "Pink-Silver Block". In this report I aim to describe how we, a thoroughly peaceful and harmless mass of people, were met by an indescribable brutality of the Police forces on Piazza Manin and earlier.

After a loud but peaceful procession from Piazza J.F. Kennedy we reached Via Assarotti (the street that leads from Pizza Manin straight into the red zone in a south-western direction; both Piazza Manin and Via Assarotti were occupied by the pacifist blocks). There was some confusion as to where we were heading and where Piazza Manin was. After a while part of the group, including myself, joined an Italian group that was trying to - more or less symbolically - "destroy" the fence by attaching ropes to it and pulling until the rope snapped. There was a lot of Riot Police behind the fence so even if we would have got rid of the fence it was clear to us and the Police that we wouldn't have represented any danger to the red zone. However, after only a few minutes, without any kind of warning, a water canon was used to get the people off the fence - spraying the people right into the face. It wasn't hard enough to break people's bones but f. ex. for people with sensitive eyes it was a really dangerous situation, especially as they didn't give us any kind of warning.

After a while, people were moving to another part of the fence which was situated only about 50 metres from the one in Via Assarotti in a north-western direction. I had hardly reached the fence when Police - again without warning - started shooting teargas bullets from behind the fence into the crowd. People ran back to Via Assarotti, only to return after the teargas had gone. Again, teargas was used, this time from both sides of the small square. There was also Riot Police coming from the north but whether they were beating people I couldn't see as the air was heavy with teargas.

In all this running around I had lost my group. I decided to walk up Via Assarotti towards Piazza Manin to look for them. On both Via Assarotti and Piazza Manin there were thousands of pacifists, having a sit-in, making music, letting balloons rise with banners attached to them etc. - a very peaceful atmosphere. People in T-Shirts and Shorts, people of all ages. At about 3:30pm, on Piazza Manin, part of the Pink-Silver Block came together for a meeting to decide what to do next. I still couldn't find my group. I used the time of the meeting to dry my clothes and to eat something. About ten minutes later, people dressed in black entered the square and moved right through its middle. They had drums, part of them were marching! They surely did not look like anarchists! As they intended to enter Via Assarotti, many of the pacifists formed a line to stop them. The next thing I remember was that a teargas bullet came down right next to me. At first I couldn't believe what I saw as I thought of Piazza Manin as being the quiet, the pacifist place. I was still pretty much undressed so before I could run I had to get into my shoes which cost precious time. A mass panic developed. There were massive amounts of teargas being shot into the square and thrown from a helicopter. I, and many other people (including a German Police leader who saw the scenes on TV), later said that it was a miracle that in this mass panic with thousands of people just trying to escape from the square, nobody was killed.

Teargas was so heavy that I couldn't open my eyes most of the time. I just tried to run in the direction of a street that was leading from Piazza Manin to the west, the one next to Via Assarotti (I cannot remember the name). Unfortunately, I ran into the wall between the two streets so I had to run along this wall to get to the street. There the first Riot Cops appeared. They had formed a kind of line in front of the wall and they were beating every person that ran past, everything that moved. It was here that I was hit hard on the head and shoulder for the first time. I was also hit by a teargas bullet on my right leg.

Suddenly, I heard a woman screaming right next to me. She was lying with her back on the ground and she was facing two Cops that beat the shit out of her. They were hitting her right in the face. Without thinking I pushed one of the Cops as hard as I could and tried to give the woman time to escape. Unfortunately, there were also Cops behind me who started hitting me on the head so I panicked and just ran away without knowing what became of the woman who was, as I think, still lying on the ground when I left.

Eventually, I reached the street. A whole mass of people were running down this street, trying to escape the Police by running into small lanes or stairs that went off the street to the left and to the right. Police kept on firing teargas into the crowd even now that everybody had run away from the square. I ran after a group of about 15 Italian and French pacifists who entered a small lane to the left. There was no time to think where to go. We hoped that the Police would go after the "Black Block" (?) part of which was also running down the same street - especially as the lane we had entered turned out to be a dead end.

I turned around. About 8-10 Riot Cops had followed us into the lane. They approached us in a normal walking speed. While the "Black Block" was running down the street the Cops were taking plenty of time to persecute pacifists. By now it was clear that they were after us, not the "Black Block". It took about 20 seconds for them to reach us so there was enough time for them to realise that we were absolutely peaceful and harmless. We were standing with our backs to the wall, hands raised, everyone in the group was very obviously peaceful.

I looked into the eyes of one of the Cops (the only part of their body that was visible due to the gas masks etc.) and tried to show him with hand gestures that we represented no danger to them; there was no other way to communicate, again due to the gas masks. Maybe this was a mistake but there was no time to think. The Cop looked at me and my raised hands for a few seconds, then he hit my right wrist really hard with his truncheon. The doctor later commented that it is a miracle that it is not broken. From now on the Cops just lost their heads. They pushed us into one corner and started hitting us on the head before we could even protect our heads with our arms. And they didn't stop for about 3-5 minutes. I just lost track of the time, it felt like ages, everybody was just waiting for them to stop. Anyhow, in all that time there was absolutely no kind of resistance, neither from me nor from the other activists, we were just lying there on the ground trying to protect the vital parts of our bodies. I was hit on the head - and my arms and hands with which I wanted to protect my head - extremely hard about ten times, then kicked in the back (into the kidneys and very close to my spinal column). It was probably due to my fairly dense hair that my head was not bleeding. The heads of the people next to me were covered in blood.

After a minute or so an Italian guy who was lying on the ground to my left started crying and screaming in panic: "Basta! Basta! Basta!" (Enough!) I looked up and saw that he was being beaten on the head again and again by one Cop. But when he started crying and screaming, one or two of the other Cops started to beat and kick him as well as if they were taking great pleasure in him crying for his life. He was over and over covered in blood and had to be carried to an ambulance when the attackers had disappeared.

By now everyone in the group was fearing the worst. I was scared to death. But, very suddenly, they stopped. I looked to the left and I saw that a woman with a video camera had started filming the scene so they just stopped and ran away. The video can be seen on the internet (www.kanalb.de); however, most of the attack is not covered. Everybody got up, most of us were crying, some had to be carried away.

As my head, right shoulder, back, arms and hands were hurting I decided to join a group that wanted to avoid any more confrontations with the Police at all cost and go back to Piazza J.F. Kennedy. This, however, took about four hours as we were blocked by the Police again and again. They seemed to be wanting to trap us in the city and not let us out. Riots, Cops, teargas everywhere. Still in a state of shock and surrounded by war-like scenes, panic started to grow inside of me when the news of Carlo Giuliani's death broke. I just wanted to get out of there. Then, after an endless seeming time we had found our way back to the sea and could relax for the first time after the attack and see a doctor.

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/genova/gunsch.htm


21.7.2001: Bolzaneto: "In dieser Kaserne gibt es Folter"

Zahlreiche Zeugenaussagen über Gewalt bei der mobilen Einheit der Polizei in den Außenbezirken von Genua

Bolzaneto, Anwälte klagen an: "In dieser Kaserne gibt es Folter"

Quasi alle während der Ereignisse am Freitag und Samstag festgenommenen Demonstranten hat die Polizei erst einmal in die Kaserne der mobilen Einheit Bolzaneto gebracht, in den Außenbezirken von Genua. Nach einigen Stunden wurden die Verhafteten dann in die Gefängnisse von Pavia oder Alessandria überführt. Bolzaneto war der Spezialknast des G8. Nach vielen Zeugenaussagen, die den Anwälten des Genua Social Forum übermittelt wurden, war Bolzaneto "ein Zentrum des Horrors". "Wir haben den Beweis, daß es in dieser Kaserne systematische physische und psychische Folter gegeben hat", so lautet die Anklage der Anwälte. Dario Rossi, einer der Anwälte, der jetzt ein Weißbuch über die Gewalt von Genua vorbereitet, präsiziert: "Dieses Zentrum wird im Mittelpunkt einer Kollektivklage wegen schwerer Verstöße sein."

Die Kaserne von Bolzaneto ist der Sitz der mobilen Einheit von Genua, die auch die Erstürmung der Schule Díaz Samstag nacht ausgeführt hat. Durch dieses Zentrum sind ein großer Teil der 280 Menschen gegangen, die während des G8 verhaftet wurden. Hier wurden die festgenommenen Demonstranten erst einmal identifiziert, bevor sie in ein Gefängnis gebracht wurden. "Für einige hat die Identifizierung bis zu 15 Stunden gedauert", sagen die Anwälte.

"Alptraumnacht in Bolzaneto" hat gestern Le Monde getitelt. Vincent, organisiert bei der französischen Gruppe Aarrg, hat der Zeitung folgendes berichtet: "Wir sind in dieser Kaserne am Samstag so gegen 19 Uhr angekommen. Dutzende von Demonstranten. Ich habe einige schreien gehört. Einige Krankenschwestern haben Eis hin- und hergebracht, um Hämatome zu vermeiden. Einer der Polizisten hat zu mir gesagt: "Komm her zu französisches Stück Scheiße. Ich werde Dich zum Leiden bringen." Vincent hat eine Nahtstelle mit zwölf Stichen am Schädel, sein Gesicht ist geschwollen. "Kaum hatte ich gewagt zu schreien, haben sie mir einen noch stärkeren Schlag verpaßt. Dann mußte ich ganz langsam rausgehen, dort haben sie mich gezwungen, in der Mitte von zwei Reihen Polizisten zu gehen, die mich geschlagen haben." Gegen 3 Uhr morgens wurde er dann auf der Autobahn freigelassen, nachdem er eine Freilassungserklärung unterschreiben mußte, auf der eine falsche Uhrzeit stand: 23.30h. Seine ganzen Dokumente, sein Geld und die Kreditkarte sind verschwunden. "Es ist schwer vorzustellen, daß sich eine Polizei in einem Land der EU derartig verhält", bemerkt Le Monde.

Die Gewalt in der Kaserne von Bolzaneto ist von vielen bestätigt worden, die als erstes festgenommen wurden und schon Sonntag aus dem Gefängnis von Alessandria wieder freigelassen wurden. So sagte einer aus Neapel: "Nach einem Tag in Auschwitz, in Bolzaneto, sind wir endlich im Knastparadies angekommen." Auch zwei spanische Demonstranten haben der Zeitung El País von schweren Folterungen berichtet. "Sie haben uns geschlagen und verprügelt, während wir zwischen den Polizisten hindurch mußten", erzählen Adolfo Sesma und Luis Alberto Lorente aus Zaragoza. "Sie haben uns auch beschuldigt, daß wir einen Polizisten getötet hätten - das war ein wirkliche Psychofolter, daß wir gedacht haben, daß wir jetzt des Mordes beschuldigt würden."

Nach Bolzaneto sind auch die Demonstranten gebracht worden, die während der Erstürmung der Schule Díaz festgenommen wurden. Laura Tartarini, Anwältin in Genua, fügt hinzu: "Vielen Frauen ist eine Vergewaltigung angedroht worden". Gilberta Pagani gehört zu den Anwälten des GSF und betreut einige dieser Festgenommenen. Auch ihr hat man zahlreiche Berichte über Gewalt in dieser Kaserne zugetragen. "Wir werden eine Anzeige machen, aber sind uns sicher - sagt sie - daß die Verwaltung von Genua wegen dieser schweren Verstöße ein Verfahren eröffnen wird."

Augenzeugenbericht:

Evandro Fornasier, aus Turin, 39 Jahre, Bankangestellter und Absolvent im Fach Psychologie, wurde Samstag nachmittag in die Kaserne Bolzaneto gebracht, nachdem er zusammen mit einer Gruppe festgenommen wurde, die durch das Tränengas zerstreut worden war. Das ist sein Bericht:

"Einer nach dem anderen wurde in einen Mannschaftswagen der Polizei hineingeworfen, mitten in eine Gruppe Polizisten, die mit Schlägen verschiedenster Art wütete. Dann wurden wir alle in einen Raum gebracht, wo wir auf den Füßen standen, das Gesicht zur Wand, die Beine gespreizt und die Hände gehoben. Ungefähr 15 Stunden mußten wir so ausharren. Abwechselnd kamen Soldaten rein und übten verschiedene Gewalt aus:

Sie stießen den Kopf gegen die Wand, sie schlugen unsere Hoden, sie gaben uns Ohrfeigen, Schläge gegen den Brustkorb, Gas ins Gesicht.

Und ständig Beleidigungen: "Scheiß-Kommunisten" oder "Warum ruft Ihr nicht Bertinotti oder Manu Chao?", "Jetzt, für die nächsten fünf Jahre bin ich Euer Chef". Sie haben ein Lied gesungen, an dessen Text ich mich erinnern kann:

"eins, zwei, drei, es lebe Pinochet, vier, fünf, sechs, Tod den Juden, sieben, acht, neun, der Neger rührt sich nicht mehr - Sieg Heil - Apartheid." Dann haben sie in das Zimmer Tränengas geworfen - in kleinen Mengen. Am nächsten Morgen sind wir dann in den Knast Alessandria gebracht worden, immer zwei in Handschellen aneinander gefesselt. Später sind ich und andere dann freigelassen worden, weil es keine ausreichenden Haftgründe gab.

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/genova/bolzaneto.htm


21.7.2001: Bolzaneto - Faschistische Festung

Bericht in indymedia.de vom 28.7.2001 21:31 - Zeugnis eines Fotografen aus Genua - Übers.

Im Folgenden die Übersetzung eines Beitrags in Italienischer Sprache aus Indymedia Italy. Ich versichere qualitativ gute und getreue Wiedergabe. Bei Indymedia Italy erschienen unter dem Titel: "Catarro sulla Foto di Fausto - BOLZANETO ROCCAFORTE FASCHISTA - La testimonianza di un ostaggio rilasciato". 28.07.01, 18:21 Uhr

A., fotograf, übergibt einem Indymedia-Journalisten sein Zeugnis und entscheidet sich, aus Angst vor Repressalien, anonym zu bleiben.

"Am Samstag wurde ich verhaftet, während ich mich dort zum Fotografieren aufhielt: dadurch, dass ich mich zu einem gewissen Zeitpunkt von der Gruppe der anderen Fotografen gelöst hatte, blieb ich isoliert zurück, war also extrem exponiert. Ich habe einen Polizeiansturm kommen gesehen und bin instinktiv geflüchtet, allein, bis ich mich in einem menschenleeren Seitengässchen wiederfand. Ich war mir soeben meiner Lage bewusst geworden, da kamen schon 3-4 Angehörige der Digos in Zivil (Politische Abteilung der Polizei A.d.Ü.) und stellten sich unvermittelt vor mir auf. Für sie ist ein Fotograf, alleine in einem leeren Gässchen, mit Sicherheit eine grosse Freude. Sie haben begonnen, mich mit Knüppeln zu schlagen (von wegen Schlagstöcke!), ich erinnere mich, dass einer von ihnen, der, der mit dem Stock am rabiatesten vorging, einen Moped-Fahrerhelm und eine Jacke in Orange, wie die der Journalisten, trug.

Nach der Verhaftung bin ich zum genueser Polizeipräsidium überführt worden, zusammen mit anderen jungen Leuten.Gegen mich war bereits eine absurde Anklage erhoben worden: Gewalt und Widerstand gegen eine Amtsperson und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (letzteres wörtlich übersetzt: Subversive Vereinigung, A.d.Ü) zum Zweck der Verwüstung der Stadt.

Ich sei praktisch einer vom schwarzen Block gewesen, ihrer Meinung nach, erst recht weil ich zu dem Zeitpunkt und rein zufällig ein schwarzes T-Shirt trug.

Samstag Nacht ist für mich die "grosse Nacht der Folterungen" gewesen: zum Gefängnis von Bolzaneto gelangt man aus Genua, es ist ein fünfzehn Auto-Minuten entferntes Kaff. Ich habe diese fünfzehn Minuten in einem Streifenwagen mit vier Polizisten zurückgelegt, die keine Minute aufgehört haben mir Fausthiebe auf den Kopf zu verpassen: sie beschimpften mich und fuhren fort, mich zu schlagen. Der Fahrer beschwerte sich, weil ihn das Steuern des Autos wegen den vielen Kurven daran hinderte, mit der von ihm gewünschten Beharrlichkeit auf mich loszugehen, wobei auch er sich während der wenigen geraden Streckenabschnitte umdrehte und mir Prügel an den Kopf versetzte. Dann hörte ich den Fahrer sein Ansinnen Manifestieren, am Straßenrand anzuhalten, um einem Kollegen die Steuerung des Wagens zu überlassen, um sich richtig Zeit nehmen zu können, seine ganze Boshaftigkeit an mir herauszulassen.

Ich war in Handschellen und durfte keine Fragen stellen. Als ich nach Bolzaneto kam, das in wirklichkeit kein Gefängnis, sondern ein mobiles Präsidium ist und begriffen habe, welche Behandlung für uns vorgesehen war, hatte ich einen einzigen Gedanken; "wenigstens können sie uns nicht umbringen", auch wenn es keine absolute Sicherheit war.

Im Gefängnis waren wir in Gruppen von 10-15 Personen in grossen Zellen eingeschlossen. Die Polizisten hielten unsere Köpfe gegen den Fußboden, um uns daran zu hindern, den Ort und die Gesichter unserer Peiniger klar zu sehen.

Dann haben sie uns mit dem Gesicht zur Wand in eine Reihe aufgestellt und haben uns gezwungen, den Kopf und die Hände gegen die Wand und die Beine gespreizt zu halten und haben uns stundenlang mit Schlägen und Beleidigungen überhäuft.

Sie versuchten, uns Weh zu tun, ohne Spuren zu hinterlassen, wenn auch mancher schon gezeichnet war: es gab den einen oder anderen mit vernähten Wunden, zerschlagenen Zähnen, Blutergüssen. Sie haben uns geohrfeigt, getreten, es gab welche, die weinten und zusammenbrachen, währenddessen amüsierten sich die Polizisten, ich sage es in aller Deutlichkeit gerade weil sie unter sich dem duce ( Benito Mussolini, Führer, A.d. Ü.) huldigten und faschistische Parolen wechselten. Ich habe Polizisten das Foto von Fausto Bertinotti (italienischer, "roter", Politiker A.d.Ü. ) bespucken gesehen: ich habe auch persönlich die gegen einen französichen Fotografen mit brennenden Zigaretten ausgeübten Misshandlungen zu Gesicht bekommen, von denen in etlichen Zeitungen die Rede war. Einen einzigen Carabinere gab es dort, der die jungen Leute zur Toilette oder zum Trinken begleitete und nicht zuließ, dass die Jungs auf dem Weg Opfer der Übergriffe anderer Polizisten wurden. Wahrscheinlich versuchte er auf seine Weise, die Gewalttätigkeiten abzuwehren.

Um die Toilette zu erreichen musste man durch einen Gang an anderen Zellen vorbei, die sich wegen der Säuberungsaktionen der Nacht aufgefüllt hatten.

Ich habe mein Leben zunichte werden, die Sicherheiten, die mein Dasein begründeten, zusammenbrechen gesehen. Es bedeutet, dass sie sich deines Lebens ermächtigen können, und damit tun, was sie wollen. Ich habe mich besiegt gefühlt. Am Sonntag bin ich in das Gefgängnis von Alessandria verbracht worden, wo ich bis Dienstag Nachmittag geblieben bin. Während der Verbringung mussten die Gefangenen jeweils zu Zweit mit Handschellen aneinandergekettet auf die LKws der Gefängnispolizei steigen. Niemand wusste wohin man uns brachte, wer es versuchte, den Mund aufzumachen, erhielt Drohungen. Ich wähle, anonym zu bleiben, weil ich, angesichts der von den Sicherheitskräften eingesetzten Methoden, um meine Unversehrtheit fürchte"

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/genova/bolzaneto1.htm


21.7.2001: Ein Polizist erzählt

Bolzaneto, Lager der GOM

Ein Polizist des Mobilen Einsatzkommandos, der im Gefängnis Bolzaneto vor den Toren von Genua Dienst hatte, erzählt von der "chilenischen Nacht", als die die Verhafteten aus der Scuola Diaz erst ins Krankenhaus, dann ins Gefängnis abtransportiert wurden. Das Mobile Einsatzkommendo heißt im Italienischen auch "Celere" und ist wegen seiner Gewalttätigkeit berüchtigt. Beim Überfall auf die Schule waren Einheiten aus Rom eingesetzt.

Leider ist alles wahr. Auch noch mehr. Ich hab den Geruch dieser Stunden immer noch in der Nase, den Geruch der Exkremente der Verhafteten, denen nicht erlaubt wurde, auf die Toilette zu gehen. Aber diese Nacht hat eine Woche vorher begonnen. Als bei uns in Bolzaneto eine Hundertschaft der Mobilen Operativen Einheit der Gefängnispolizei (Gom) angekommen ist."

Es ist das erste der vielen noch unbekannten Hintergrundbilder vom dramatischen Samstag der G8. Unser Gesprächspartner gibt zu: "In der Polizei gibt es noch viel Faschismus, die Subkultur vieler Junger, die leicht beeinflußbar sind, und diejenigen von uns, die an diesem Abend geklatscht haben. Aber die Schlächterei haben die andern angestellt, die von der Gom."

Und die systematische Schlägerei in der Schule? "Das waren wir. Einige sagen, das sei ein Racheakt gewesen, andere, es habe genaue Order aus Rom gegeben, Verhaftete um jeden Preis zu machen. Den Einsatz haben die Kollegen des Mobilen Einsatzkommandos aus Rom ausgeführt, die "Celere" der Hauptstadt. Geleitete wurde er von den Führungen der Sco (ein Sonderkommando zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität) und der Nocs (eine Antiterror-Einheit, die 1978 zur Bekämpfung der Roten Brigaden geschaffen wurde). Nicht die Polizei von Genua; der wurde die Befehlsgewalt entzogen. Es war ein Wahnsinn. Für die Opfer wie für unser Image, wie auch wegen des Risikos eines Volksaufstands. In der Nacht haben einige im Polizeipräsidium geflucht, denn wenn die Nachricht die 20000 erreicht hätte, die im Bahnhof Brignole auf ihre Abreise warteten, hätte ein Aufstand gedroht."

Die Umwandlung des Gefängnisses Bolzaneto in ein "Lager" beginnt am Montag mit dem Eintreffen der Gom, eine Spezialeinheit, die 1997 geschaffen wurde und einem ehemaligen General der Geheimpolizei untersteht. Sie ist bekannt geworden durch eine brutale Unterdrückungsaktion in der Haftanstalt Opera. Ihr Habit ist ein graugrüner Tarnanzug, darüber eine ärmellose schwarze Weste mit vielen Taschen, schwarzer Gürtel mit Pistolenhalterung, Fesseln und Knüppel und ein Funkgerät an den Schulterklappen. Sie nehmen von dem Teil der Polizeikaserne Besitz, der schon Wochen zuvor zum Gefängnis umgebaut wurde, mit angrenzender Krankenstation für die Verhafteten des G8.

Die Turnhalle wurde in eine Sammelstelle für die Ankommenden verwandelt, dort wurden sie identifiziert. Alle Verhafteten wurden erst hierher gebracht, wer Dokumente hat, zeigt sie vor, allen werden die Fingerabdrücke genommen. Links von der Turnhalle, neben dem Tennisplatz, ist ein kleines Gebäude, das extra für den Gipfel hergerichtet wurde; daraus wurde das eigentliche Gefängnis gemacht. Im Eingang befinden sich zwei offene Räume, die als Vorraum dienen. Hier hatte Samstag nacht bis weit in den Sonntag morgen hinein der stellvertretende Chef der Digos von Genua mit einigen diensthabenden Polizisten und einigen Carabinieri sein Quartier aufgeschlagen.

"Was in der Schule und später hier in Bolzaneto passiert ist, war eine Aufhebung der Rechte, die Außerkraftsetzung der Verfassung. Ich habe versucht, mit Kollegen darüber zu reden, und weißt du, was sie antworten: Wir müssen keine Angst haben, wir werden gedeckt."

In jener Nacht. "Das Tor ging ständig auf, aus den Wannen entstiegen die jungen Leute und wurden verprügelt. Sie mußten mit dem Gesicht zur Wand stehen. Einmal drinnen, haben sie ihnen den Kopf gegen die Wand geschlagen. Auf einige haben sie draufgepißt, andere geschlagen, wenn sie nicht die faschistische Hymne gesungen haben ("Facetta nera"). Ein Mädchen hat Blut gespuckt und der Kapo der Gom schauten zu. Den Mädchen drohten sie, sie mit den Knüppeln zu vergewaltigen..."

Und ihr, die anderen? "Von uns waren nicht viele da. Die meisten waren noch in Genua, die rote Zone zu bewachen. Unter den Hiesigen waren solche, die zugestimmt haben, aber auch solche wie der Inspektor, der eine Knüppelei mit den Worten unterbrochen hat: "Ihr seid hier nicht zu Hause." Und es gab solche wie mich, die vielleicht zu wenig getan haben und sich jetzt schämen." Und wenn es die Gom nicht gegeben hätte? "Ich glaube, dann hätte es diese Schlächterei nicht gegeben. Unser Kommandant ist ein Harter, aber einer von der alten Schule, die einen Ehrenkodex haben und Männer erziehen kšnnen, wir nennen ihn Rommel."

Wo sind die demokratischen Polizisten gelandet? "Wir sind noch viele, aber heute empfinden wir Angst und Scham."

aus: La Repubblica, 26.7.2001

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/genova/bolzaneto2.htm


21./22.7.2001: augenzeugenbericht scuola diaz, genua

Bericht in indymedia.de vom 7.8.2001 02:52 - transkription eines dreiviertelstündigen audios (interview mit einem augenzeugen aus der scuola diaz) - aufgezeichnet in berlin, sa-abend, 28.7.01; kommentare/fragen der interviewenden person sind durch klammern gekennzeichnet und meistens vollständig weggelassen: (...)

'... im prinzip sind sie halt, so wie mir der erste teil erzählt wurde, ging es unheimlich schnell, also, es sind unheimlich schnell ganz viele einheiten in die strasse reingefahren, es kamen gleich polizisten knüppelnd die strasse runter, und haben die leute, die auf der strasse waren, auch bereits zum teil verhauen, also, die haben auch schon was abgekriegt obwohl die gar nicht auf dem gelände waren; die leute haben sich dann ziemlich schnell verpisst die vor dem gelände waren, ja, die sind dann wirklich fast alle weggelaufen, aber die die stehngeblieben sind haben dann gleich auch was abgekriegt und so, dann haben die leute von innen, also, das war wohl ziemlich grosse panik, haben die,(...) also ich hab das von innen so mitgekriegt ich war gerade auf den toi- der toilette die da links war wenn du hinter den internetplätzen da durchgegangen bist dann war da so ne toiletteund da war ich gerade und war am zähneputzen so, und ich war da gerade vorher reingegangen und dann kamen halt schreie von der andern seite polizeipolizeipolizei , so, und dann hab ich irgendwie erstmal gedacht ach tranquilo, irgendwie,was wird jetzt schon wieder sein, war ja schon dreiviermal polizei, gell, und dann wurden die schreie halt aber immer lauter und es wurde immer panischer die ganze sache und ich hab dann irgendwann irgendwie ziemlich bald irgendwie meine zahnpasta ausgespuckt irgendwie und bin nach vorne in den raum gegangen und hab gesehen wie die ersten leute da halt schon dran waren (...) die dran waren, die tür zu verbarrikadieren, die haben da so bänke und stühle genommen und haben die praktisch dagegengekeilt gegen die tür, die sie vorher zugemacht haben; die tür wurde von innen verschlossen und es wurden die... es wurde halt irgendwas dagegen gekeilt, so dass die da nicht rangekommen sind, die leute sind dann panisch nach oben gelaufen bzw. haben sich unten alle in ne ecke gedrängt,... ich hab dann meine sachen genommen, bin schnell zu meinen sachen hin (...wieviele leute sind unten im parterre in der turnhalle geblieben?..)

30-40 denke ich in etwa, vielleicht auch sogar nur 30 also, ja, ich bin dann ziemlich schnell zu meinen sachen gelaufen, während da andere halt noch dabei waren irgendwas zu verbarrikadieren, mir kam die situation dann gleich superbrenzlig vor, draussen wurde halt mächtig rumgeschrieen und man hat schon unheimlich viel krach gehört so, die haben schon mit äusserster gewalt versucht die tür irgendwie aufzukriegen und ich hab dann meine sachen geholt, hab mich in ne ecke gesetzt, und ja hab - hab irgendwie alles so meine ganzen sachen so irgendwie zusammengepackt, um mich drumrum gemacht und hab ... und genau, ich hab in meine tasche geguckt nach meinem presseausweis weil, weil ich dachte, dass mich das schützt also dass der presseausweis in irgendeinerweise, wenn ich den sichtbar dabeihabe, dass das irgendnen schutz geben könnte (...) genau , das haben wir noch vorher probiert, ich bin noch vorher durch den raum gelaufen mit andern zusammen und wir haben geguckt ob die fenster vergittert sind - die fenster waren alle vergittert, man ist nirgendwo rausgekommen, also, alle leute haben panisch alle fenster ausprobiert, ich hatte auch erst schon, genau, als der erste schrei 'polizei' war und so hatte ich schon am klo geguckt ob die klofenster auch verriegelt sind, die waren auch verriegelt, da ist man auch nicht rausgekommen, war alles vergittert, nirgendwo ist man rausgekommen; (..obere stockwerke?) da war ich nicht; ich weiss nur, dass die fenster dort nicht vergittert waren, dass die leute auf die gerüste gekommen sind, die schule war ja eingerüstet und die leute sind auf die gerüste gekommen, konnten dann aber nicht runtergehen, weil unten schon die bullen warteten und da sind nur ganz wenige sind dann über das gerüst praktisch nach hinten in den garten noch gekommen bevor die bullen da waren, und die haben die dann im garten auch verfolgt, da gibt?s dann noch berichte auf indymedia schon zu, wie's denen ergangen ist, die da hinten in die gärten entfliehen konnten, was wohl nur 5/6 leute waren oder so, ... der grossteil der leute ist von den gerüsten wieder runtergegangen weil es ihnen zu gefährlich wurde, weil sie angst hatten, dass sie da runtergestossen werden von den gerüsten, die sind dann wieder in die schule reingegangen ....

wohlweisslich, also, wie gut, wie gut, dass sie das gemacht haben .. drinnen haben wir dann halt schon ziemlich die panik gekriegt weil wir da nicht rauskonnten an keiner seite, ich hab dann meine sachen zusammengepackt hab mich praktisch an die wand, nicht an die hintere wand wenn man durchgeht, so, also an die entgegengesetzte seite gesetzt, sondern hab mich an die seite gesetzt, so, zum eingang hin; da war hinten so`n-so`n langer gang und dann warn son paar stufen runter und dann war man in diesem sporttrakt, das war wohl ist wohl die sporthalle da unten gewesen, mit holzfussboden , (...) der ganz grosse raum, genau, mit dem holzfussboden, der hatte sone art galerie vorne am eingang und ich hab mich dann praktisch auf die rechte seite ganz alleine hab ich mich da hingesetzt, in die ecke gekauert mit meinen sachen und hab meinen presseausweis rausgenommen und dachte, wenn ich mich da jetzt n bischen separiere... mit dem presseausweis hinsetzte, dann werden die mich mal n bischen genauer vielleicht angucken und werden mich nicht einfach pauschal verhauen wie wenn, wie wenn ich in der gruppe drinsitz; so; das war so mein kalkül sozusagen und auch das von aussen zu beobachten was jetzt abläuft, so, also nicht mitten drin zu sein,... und ja, hab meinen fotoapparat an mich gerafft, alles irgendwie..dicht an mich, dann hats halt vielleicht 2/3 minuten gedauert bis die die tür auf hatten, es wurde also immer massiver, und leute haben mir dann halt erzählt, dass die von aussen mit nem auto, mit nem speziellen rammauto die tür wohl aufgebrochen haben; also die sind dann so oft gegengefahren, bis die tür irgendwie auf war; (...die hoftür?) die andere tür auch, ja, also, ich weiss nicht, ob du das gesehen hast, dass kann ich nicht sagen, ich war wiegesagt nicht draussen;

mit irgendwelchen, mit irgendwelcher ziemlich grosser gewalt haben dies jedenfalls aufgekriegt, obwohl da unmengen von sachen vorgestapelt waren, so; die sind dann rein und haben ..und haben irgendwie erstmal als sie reinkamen sofort die ganzen tische und stühle die direkt an dem türbereich waren, die haben sie haben sie alle quer durch den raum geschmissen, die flogen dann in hohem bogen irgendwie meterweit durch den raum ...

soweit ich das gesehen hab wurde davon niemand getroffen, also die leute warn irgendwie in der ecke und so und es ist niemand von irgendwelchen rumfliegenden möbelteilen getroffen worden.... das hat echt weniger als ne minute gedauert aufjedenfall, das ging superschnell; dann sind die echt so durchgewetzt, in der raummitte kurz umgeguckt, ungefähr 15-20 leute standen sofort im raum praktisch, alle mit... tüchern praktisch verdeckt, also bis unter die nase so, solche roten tücher, und.. helme auf, kampfanzüge an und gummiknüppel in der hand. ... dann haben sie sich aufgeteilt, also, zu mir in die richtung sind 2 oder 3 gelaufen, am anfang, in die andere richtung ist der rest gelaufen, zu den anderen; die sind ganz kurz am anfang zu so nem alten typ, das war glaub ich ein gammler oder ein obdachloser, der hatte sich neben mir postiert irgendwie, da sind die kurz hin haben ihn kurz verhauen aber nur ganz kurz, danach haben die mich dann gesehen, der kam ihnen wahrscheinlich nicht gefährlich vor, so, der war auch glaub ich besoffen oder so, der hang dann da rum der hat erstmal'n bischen was abgekriegt, dann hab ich was abgekriegt. dann sind sie halt zu mir, 2 oder 3, und ich hab dann also im prinzip nur noch mitgekriegt, was bei mir passiert; also, ich hab meinen, meinen presseausweis eben hochgehalten, hab aufm boden gesessen, hab hochgeguckt, hab 'presspress' ge-geschrieen, die ganze zeit 'presspresspresspress, not, don't hit' , ja, so irgendwas hab ich geschrien..hm.. zwei bullen oder erstmal wars halt einer so, der mir dann direkt gegenüberstand,.. der hat dann sofort angafangen, also unmittelbar eigentlich, unmittelbar angefangen sofort auf mich einzuschlagen, und mit den hoch, also mit der pressekarte hoch, mit den, die arme benutzt um mich zu schützen, gleichzeitig sozusagen, habs hochgehalten und... mich geschützt mit den unterarmen gleichzeitig; der hat dann wie ein wilder auf meine arme und meine hände eingeprügelt bis ich die karte halt fallengelassen hab und den schutz einfach nicht mehr aufrechthalten konnte weil`s derart weh getan hat... ich hatte einfach keine kraft mehr..hab dann die arme sinken lassen, hab dann sofort schläge auf den kopf bekommen, hab einen schlag halt eben auf die stirn bekommen, was die platzwunde gemacht hat, hab... mindestens noch einen schlag oben auf `n kopf bekommen und einen an die seite ans ohr bekommen, das hat dann bei mir erstmal son 'uiuiuiuiui'- also ich wär fast ohnmächtig geworden,.. hab nichts gehört auf dem einen ohr, und ....

ja, hab gekrischen wie am spiess, die haben einfach immer weiter draufgedroschen, der bulle hat zu mir n paarmal rübergekrischen 'where's giuliani where's giuliani', .. so.. zynisch, wo isser, wo ist giuliani, guck, wo isser jetzt, so (...).. der getötete demonstrant, wo isser, wo isser, also, nicht wer es is, sondern wo issser, wo ist giuliani, wo ist giuliani, und immer 'black block' , also das warn so zwei fragen, die sich ständig abwechselten, dann kamen auch noch andere dazu , die haben mich auch angekrischen die ganze zeit, also die haben auf mich eingekrischen und ich hab praktisch immer nur, ähm, irgendwie gekrischen sie sollen aufhören und so und (...) nein, meine brille war auf , meine brille war auf die ganze zeit...ja dann haben sie mich halt, ich hab dann irgendwann aufgegeben so in ner aufrechten stellung zu bleiben, hab mich dann hingelegt und eingerollt, sie haben dann praktisch wie wild auf mich eingetreten, auf mich eingeschlagen, haben mir eben die eine seite praktisch total kaputtgeschlagen, so hier, also .... es is echt nicht mehr, also, es war wirklich praktisch alles von oben bis unten...

überall schläge abbekommen und tritte abbekommen, ein tritt, den sieht man auch noch ziemlich deutlich, da haben sie mich mit dem stiefel getreten, da kann man den abdruck noch richtig sehen, so kreuzähnlich,... mh,ja, und ich hab halt gedacht die schlagen mich tot, ... also, meine, meine wahrnehmung war, die schlagen immer weiter, also, die haben wirklich so brutal und solange auf mich eingeschlagen... dass ich das gefühl hatte sie wollen m-mich halbtot schlagen oder totschlagen, oder irgendsowas, und sie waren so rasend, vor wut,... also, man hat ihnen angemerkt sie waren total aufgeputscht und aufge-powert unglaublich aufgepowert, also, als wenn,.. sie sich mitten im kampf befänden, in nem boxkampf oder sowas (...) wir hatten auch das gefühl also, ich hatte auch das gefühl, dass sie auf drogen sind, ich hatte das gefühl der war überhaupt nicht fähig mich wahrzunehmen als presse oder so, ob,ob er`s wollte oder nicht ...weiss ich nicht, ich hatte das gefühl, ..., es war, ... ein völlig hassverzerrtes gesicht was mir entgegenkam, was mich einfach als so ne art gegenstand nur wahrgenommen hat, also, mich nicht als mensch wahrgenommen hat, sonder wirklich als.... bestie oder so, die totgeprügelt werden muss .....ja, ich hab dann irgendwann gemerkt, solange ich aufrecht bin und in irgendeiner weise lebenszeichen von mir gebe, prügeln die in voller energie auf mich ein und hab dann irgendwann total den, den, alles verloren sozusagen, die kontrolle verloren, spätestens als sie mir auf das eine ohr gehauen hatten und ich ohnehin schon fast bewusstlos war...bin ich dann auch umgefallen, hab mich gekrümmt, die haben dann immer noch ne ganze weile dann auf mich eingetreten und eingeschlagen, einer der bullen hatte sich einen holzstock mitgebracht, das war kein gummiknüppel, sondern der hatte tatsächlich nen richtigen ... stock von nem baum, also `n ast-aststück dabei, das war ungefähr so dick, also, so 4 bis 5 zentimeter dick im durchmesser, und der hat mich damit auch geschlagen, ... und, also der eine mit nem gummiknüppel, der andere eben auch mit diesem holzstock, ... (...) ..nee, ganz am anfang eben nur einer und dann kamen eben andere dazu bis zu drei waren da gleichzeitig an mir zugange, ......

ja, es war ein riesengeschrei im ganzen raum, also, es war eine unglaubliche lautstärke, ein Riesengebrülle und geschreie und verzweifelt und wimmernd und was weiss ich und dann, ... ja haben sie irgendwie von mir abgelassen so `n bisschen und ich hab so aus den augenwinkeln geguckt was passiert irgendwie, zum glück hab ich meine brille aufbehalten, so dass ich irgendwie, die is nicht kaputtgegengen und nichts, so dass ich irgendwie gucken konnte was jetzt passiert noch im raum, und ich hab dann gesehn, da ich ja ganz alleine auf der einen seite war, dass,.... eben im anzug, also fein gekleidete männer, zwei mindestens, den raum betraten und stolzierten so runter in die mitte von dieser turnhalle rein, und gaben so handzeichen, so lässig mit der hand, die sollen jetzt mal langsam machen, so, ... und ... es gab auch leute, die ham eben gehört, 'basta basta' hätten die gesagt, s kann ich mich nicht mehr so ganz genau dran erinnern, ob die jetzt basta gesagt haben, ich kann mich nur erinnern, die ham zeichen gegeben, dass es jetzt ruhiger zugehen soll, so, und dann sind die schlägertypen, die erste garde, die sind dann raus, sind dann wirklich weggegangen zum grossen teil und es kamen halt auch andere nach, dann, die ham uns dann alle zusammengetrieben, das heisst, die haben mich dann... auf die andere seite gelotst, ich musste dann ohne meine sachen praktisch auf die andere seite gehen, wo (...).. ich bin da so hin ich weiss nicht wie genau , also, irgendwie da so hingekrochen, ich konnte am anfang noch laufen, ich konnte dann auch noch relativ gut später weiterlaufen, weil noch waren, waren meine beine und alles noch nicht angeschwollen von dem, ähm, ich hatte keine brüche (...) ja, (...) also ich war irgendwie total da in dem moment, obwohl mir alles wehtat; ich ... den kopf, der kopf dröhnte ohne ende, aber ich hatte so ne art powerschock irgendwie und bin dann rübergegangen, hab mich zwischen die anderen verletzten gelegt.....die waren alle mächtig am bluten und am wimmern, da waren ganz viele frauen, die hatten superviel abgekriegt irgendwie, es waren also an stellen, an manchen stellen so richtig viel blutspuren, ganz grosse, und die haben sich alle so zusammengerauft....

das war also so`n, so`n wimmernder haufen, war so der anblick; im gleichen moment, also, diese amtsherren die standen immer noch drin in der halle, ham sich das alles angeguckt so ganz lässig cool, die sind nich, nah-nah rangekommen an uns, sondern die sind immer in der mitte stehengeblieben, die sind nicht zu den leuten hin, die haben uns nicht individuell angeguckt oder irgendsowas, die haben dann nur so`n bisschen ausschau gehalten und `n paar anweisungen offenbar gegeben, woraufhin dann auch die bullen gleich anfingen die ganzen sachen von uns... alle zusammenzuschmeissen, die sind dann durch die wimmernden haufen gegangen, haben das ganze gepäck rausgerissen, den leuten, die haben ja da geschlafen zum grossen teil (...) grade da unten, grade da unten die leute waren am schlafen; also, die, das war ne gruppe von spaniern, sehr viele spanier ... in dieser ecke und die haben sich schon zum schlafen gelegt, also, und, ich mein, in dem moment war da wahrscheinlich keiner mehr jetzt direkt richtig am schlafen, weil, das war so 'ne panik, aber die leute waren im prinzip noch in ihren schlafsachen, also, sie, sie lagen eben auf ihren schlaflagern drauf im prinzip als das ganze begann; die leute waren alle in die ecke gedrängt, ergeben, hatten die hände hoch, .....

keiner hat, is auch nur aufgestanden, keiner hat auch nur den geringsten widerstand geleistet, was ich gesehn hab, also, die leute waren alle total friedlich, niemand hat irgendwas gemacht ..... ja,..., dann waren wir eben alle versammelt in einer ecke, die fingen an das ganze gepäck rüberzuschmeissen und so, und die haben uns.... die haben dann nacheinander irgendwie so geguckt wie wir aussehen und so und ich hab gemerkt, ich bin irgendwie schwer verletzt , ich blute ohne ende,.. das ganze gesicht, alles ist halt voller blut gewesen und ist überall runtergelaufen und so und ich hatte schmerzen, und ich hab gedacht ich werde gleich ohnmächtig irgendwie bei dem ganzen weil ich auch.. so viel blut überall war und ich dachte ich verlier unheimlich viel blut und dann..... fingen halt die ersten auch an 'doktor doktor' zu rufen oder so und es wurde dann immer lauter so, also der ruf nach ärztlicher hilfe praktisch, das haben dann also einige.... gemacht,... und wir wurden dann dazu ermahnt ruhig zu sein, wir durften nicht weiterrufen, und.... stattdessen wurde das gepäck durchsucht, also das ganze gepäck wurde dann rausgenommen, das wurde alles auf einen riesigen haufen, an die gleiche seite praktisch, nur so gegenüber eben am eingangsbereich hingeschmissen;..... ja, das haben sie dann gemacht, eben gleich am anfang, alles fein säuberlich durchsucht und versucht den leuten auch ihr handgepäck abzunehmen; das ist ihnen bei mir nicht gelungen, die haben meine fototasche irgendwie aus irgendwelchen gründen nicht gesehen , die haben sie mir nicht weggenommen;....

alle andern aber, sonst waren die da total auf suche nach, nach irgendwelchen fotogeschichten und so, um die einzusacken, das war erst mal das wichtigste, das hat ungefähr nach meiner wahrnehmung da in dem moment.... 10 minuten bis `ne viertelstunde gedauert bis die ersten sanitäter reinkamen;....das waren dann nur zwei oder drei die da reingelassen wurden, die waren völlig hoffnungslos überfordert,weil, das waren ganz viele schwerverletzte, die-die sind ganz panisch gewesen die sanitäter, die haben nur geguckt und gesehen, wissen gar nicht wo sie anfangen sollen, alle sind schwer verletzt und bluten, und es gibt ganz viele kopfwunden und so und die sind dann halt.... die waren total... ham sich dann rumgedreht und haben gesagt wir brauchen verstärkung, es müssen irgendwie mehr her und so, ... und... und dann, ... und dann. ...ja, haben sie halt so notdürftig, die hatten nur so ganz kleine köfferchen dabei, die haben dann so... flüssigkeiten da rausgenommen und haben die mir und anderen über die wunden und über `n kopf praktisch so geschüttet;.... das war so desinfektionsmittel,.... ja, ........ muss mal ne kurze pause machen

PAUSE

ja, gut, dann waren halt die sanitäter drinnen, es waren halt zuwenige, die haben dann gleich... verstärkung angefordert,...

und,...es gab dann so offensichtlich rangeleien, ob des jetzt geht, ob die schon reindürfen, und was weiss ich, ob genügend... sanitäter überhaupt da sind und so, das ganze sah recht panisch aus, also, von seiten der rettungskräfte; die waren offensichtlich darauf nich wirklich vorbereitet, auf das was die da erwartet, die haben das nich... nich... die waren da nicht drauf vorbereitet,....offensichtlich nicht; ....ja, die haben dann halt versucht die leute zu beruhigen, irgendwie, und haben sich die ganze zeit die-die-die hände überm kopf zusammengeschlagen über das was sie irgendwie da sehen, die waren sichtlich schockiert, und ... ja und, dann kamen nach ner weile eben noch zwei drei andere , also das hat dann wieder so fünf bis zehn minuten gedauert bis dann noch ne verstärkung kam, dann wurde sehr lange und ausführlich diskutiert, ob schon welche rausdürfen ins krankenhaus;...die haben halt die ganze zeit gesagt wir brauchen nen doktor, also zwei drei vier leute haben .... sehr vehement immer nach nem doktor geschrien, ich unter anderem eben auch, weil .... ich das gefühl hatte,dass ich ganz viel blut verliere, und ... die haben mich dann auch gleich angeguckt und gesagt der, der, der, .... muss eigentlich sofort ins krankenhaus so,.... und haben also praktisch schon so `n paar leute ausgesucht; dann wurden die bullen eben gefragt, ob die mitdürfen...so, und wir haben dann sozusagen ... nach längerem hin und her die erlaubnis, haben die dann bekommen uns schon rauszubringen; ... es war erst das problem, dass die leute auf der bahre raussollten, was nicht ging, es gab nur eine einzige bahre und dann war eben die frage, ob jemand schon laufen kann; dann hab ich gesagt, ok, ich kann laufen, irgendwie, des geht und habs probiert so; dann haben die einen eben auf die bahre gepackt und mich laufen lassen, und wir sind dann durch den eingang eben durch, an unmengen von polizei vorbei, durch das eingangstor draussen, eben raus....... an der strasse waren einige journalisten, die haben bilder gemacht, ich hab die fotoblitze irgendwie wahrgenommen ... das ich fotografiert wurde, wir mussten dann ungefähr 200 meter die strasse runter laufen ....

ja, das hab ich in so nem art alptraumzustand ... bin ich dann so die strasse eben runtergelaufen und ... bin dann in des, in den krankenwagen gekommen, dort war der andere patient schon drin, also, mit der bahre; ... der war schon, der war schon drin, der war.. es sah sehr schlimm aus, der hat die ganze zeit geschrien, also, der war auch `n deutscher, hat deutsch gesprochen ... und der hat die ganze zeit immer gesagt ... dass er sein-seine eine gehir-gesichtshälfte nicht spürt und war ganz panisch, er hatte das gefühl, dass er irgendwie gelähmt ist oder so, auf der einen seite, und er hat ganz fürchterlich immer geklagt darüber und die italienischen ... ambulanzkräfte haben ihn überhaupt nicht verstanden, sie wussten nicht, was los ist, also ... die konnten sich überhaupt nicht mit ihm verständigen, sie haben die ganze zeit nur gesagt, dass er ruhig sein soll, dass wir ruhig sein sollen und dass wir jetzt losfahren und ich muss , ich hab mich dann mit ihm verständigt, ich hab dann praktisch die, als selbst schwerverletzter, die situation eingenommen ... den kommunikator zu spielen zwischen denen, also, damit der, damit die überhaupt verstehen konnten, was er von ihnen will; (...)... ja, den hatten sie halt auch auf ´n kopf geschlagen (...) ja, der hat auch geblutet, also, und der hatte auch am kopf ´ne wunde ..... ja, und es ging dannhalt ziemlich schnell, in rasendem tempo zum krankenhaus; dort wurden wir eben ausgeladen, es war gleich vorne die notstation, die notaufnahme und sind dann in verschiedene .... krankenbehandlungszimmer gekommen ...... ja, ich hatte dann'n pfleger, der war relativ freundlich, der hat mich dann angeguckt und so, und es war dann auch gleich'n arzt da;....

ich hab mich dann einigermassen sicher gefühlt in dem moment, also, als da ärzte eben waren um mich drumrum, und,.... ja, es wurde, ich wurde dann halt erstmal untersucht oberflächlich, es wurde nach einer weile eben die wunde genäht am kopf, sofort, damit nicht nochmehr blut .... da verloren geht eben, und ... ich wurde dann geröngt am ganzen körper anschliessend, also, von kopf bis fuss sozusagen; alle stellen, die mir wehgetan haben, ..... und ja, nach und nach hab ich dann eben mitbekommen, dass da immer mehr kamen und immer mehr kamen in das krankenhaus; .... ich hab dann .... bekannte auch dort gesehen, bekannte gesichter und weniger bekannte gesichter, ganz viele leute, die .... sehr schlimm aussahen, also, die wirklich starke schmerzen hatten ...... eine frau gesehen, 'ne junge, die ich auch kannte, die , der sie eben die ganzen zähne vorne ausgeschlagen hatten, also, die hatte fast keine zähne mehr im vorderen mundteil, da war noch ein einziger zahn der da so krumm drinstand im mund, die war völlig traumatisiert, die hat irgendwie nur gewinselt und komisch vor sich hingeguckt, die hat mich erstmal gar nicht erkannt, obwohl ich die kenne.......

ich hab dann versucht zu ihr kontakt aufzunehmen, und ..... das war, ja, und es war..so .... ich hab so gemerkt, die ist total fertig, die ist psychisch total fertig, und ... die haben sie dann ganz oft alleine dasitzen lassen, über lange zeit alleine sitzen lassen; die war völlig fertig, die ist dann so ..., die hat echt so-so , also, man hat ihr total angesehen, dass sie total traumatisiert war, von dem was sie da gerade erlebt hatte und dass ..... ja, bis zum schluss, also, ich bin dann ganz am ende nach den ganzen röntgengeschichten und den ganzen untersuchungen und den ganzen personalienaufnahmen, und ... ständig die ganze zeit bullen daneben, überall haben bullen patroulliert auf der ganzen etage, die hatten alle ihre gummiknüppel und so dabei, die sind mit ihren gummiknüppeln zwischen den traumatisierten leuten rumgelaufen ...... zwischen denen, denen sie vorher eben die , den schädel eingeschlagen haben (das waren die gleichen?).. des, also, das kann ich nicht sagen, ob das die gleichen waren, aber die, ich denke die waren aus einer einheit, sie sind hinterhergefahren, die waren noch nicht alle da; als ich dort ankam waren da nur zwei, drei bullen ... und hinterher war alles voll, auf jeder etage waren viele bullen und überall waren bullen, also, es ist anzunehmen, dass viele von den bullen , nachdem sie bei dem einsatz waren, anschliessend in die krankenhäuser gefahren sind um dort die leute weiterzubewachen .... aber da, die waren ja bei dem angriff nicht zu sehen, die waren ja alle ... eben getarnt, so dass man die sowieso nicht wiedererkennen konnte; ich könnte den nicht wiedererkennen, der mich verhauen hat ...... den ersten, den ich dann wiederekennen könnte, ist der, der mich dann ... praktisch bewacht hat anschliessend; nach der behandlung sind wir in 'ne kalte ecke im krankenhaus, im flur, gesetzt worden; die war so abgesperrt ... das war so ne dunkle ecke; die ganzen polizisten haben ... also das waren carabinieri und polizia, die haben vor uns gesessen und haben praktisch so ne absperrung gemacht, die haben sich nett unterhalten und gewitzelt .... die ganze zeit, und wir ... sassen eben in so'm, in so'ner komischen ecke drin, unter anderem eben auch die frau, die traumatisierte... die lag auf ner liege und war .. völlig .. abgedreht, ... hat die augen nur die ganze zeit zugehabt... hat irgendwie komisch vor sich hingemurmelt und so, war offesnsichtlich nur halb anwesend, so, in dem ganzen zustand .....

und die haben sich noch oft über sie lustig gemacht .... haben dann praktisch noch witze gerissen, und haben sie angepflaumt, wenn irgendwas wenn sie irgendwas wollten und so ....... es war saukalt da in der ecke......... und es kamen dann nach und nach immer mehr und wir waren dann hinterher zu fünft oder zu sechst in der ecke; dort haben wir über 'ne stunde sicherlich gewartet in dieser ecke ... und es waren keine ärzte da und so mehr, wir waren da ganz alleine mit den polizisten .... durften dann auf´s klo gehen; ich hatte mir beim , bei dem angriff der bullen im, in der schule in die hose gemacht vor angst ..... und .... ich hatte im krankenhaus mehrfach 'ne neue hose, 'ne frische hose verlangt; ich hab denleuten gezeigt, dass meine hose vollgeschissen ist, und dass ich 'ne neue hose brauche, irgendwie, und als ich das gemerkt hab, irgendwie, es hat ne ganze weile gedauert bis ich das überhaupt gemerkt hab .... ich hab keine frische hose bekommen im krankenhaus; die haben immer gesagt 'later,later,later', und ganz am ende habe ich dann nochmal gesagt als der arzt dann praktisch so die endabnahme gemacht hat und mich den bullen ausgeliefert hat ..... und ich hab keine hose gekriegt, die bullen haben sich dann anschlissend nen grossen spass draus gemacht als ich auf's klo musste .. haben dann zugeguckt, wie ich die scheisse aus der hose versucht hab so rauszukratzen ... in meinem .. zustand ... und .. haben eben .... sich... hat sich belacht die ganze zeit und hat dann ... am ende, als, hat er das dann irgendwann abgebrochen als es ihm zulange gedauert hat und hat gesagt 'schnellschnell jetzt, hose wieder rauf' und so, ich hatte noch lange nicht das wirklich da raus so .....

und ich musste mir dann die hände ganz schnell waschen, unter druck nur, also, durch meinen druck war es nur möglich, dass ich mir die hände dann sauberwaschen konnte anschliessend, und ... musste dann eben wieder zu den anderen gehen mit meiner vollen hose ... und ... ja, dann sind wir eben .... einige zeit später, das war im morgengrauen, es war schon hell, ... sind wir dann in einen polizeiwagen gepackt worden; immer in solche kleinen streifenwagen, die hinten sehrsehr eng sind, und ich bin mit einem spanier da reingepackt worden, .. der hatte das linke bein vom hüftansatz bis zum unteren knöchel eingegipst, hat es insgesamt dreimal gebrochen .. das bein und hatte den rechten arm von unten bis oben dunkelblau gehauen ... und ...unter grossen schmerzen wurde er bei mir mit in, in das gleich-, in den gleichen engen streifenwagen hinten reingequetscht ... ham dann in einer unmöglichen position hinten in diesen plastikschalen streifenwagen gesessen, der hat hinten keine richtigen sitze, sondern sone komischen zwangsschalen; wir durften uns nicht unterhalten und sind in rasender geschwindigkeit nach bolzaneto gefahren worden .... das gilt auch für die andern, die sind auf genau dem gleichen weg dann da auch so hinverfrachtet worden; ich kann mich noch sehr genau an den bullen erinnern, der mich da hochgefahren hat, das war ne frau und n mann, die frau und der mann, die waren beide auch schon vorher im krankenhaus und haben uns dort bewacht; ..... das war so'n ... ja, eher so'n rötlicher typ, rotblond, mit sehr kurzen haaren und nem knopf im ohr, kann ich mich noch erinnern ... helle augen, graublau oder so, und ... und n ganz fieser typ irgendwie, der uns sehr hart angepackt hat, und uns alles verboten hat und beson- also wirklich wahnsinnig schnell gefahren is auf der fahrt da hoch dass es einem wie so ne rennfahrt vorkam .... und .... ja, dort angekommen in bolzaneto hat er dann , mussten wir dann aussteigen aus'm auto ... dort wartete schon ne gruppe auf uns, wie auf alle andern (..in was für ner sprache hat der typ mit euch gesprochen?) der hat, der hat englisch und deutsch gesprochen mit uns, der konnte sogar'n paar worte deutsch .. dieser .. rötliche, und... ja, die haben, haben, dann mussten wir uns dann nebeneinanderstellen; am eingang, es hat ne grosse gruppe auf uns gewartet, hat uns beklatscht als wir angefahren kamen und hat sich schon gefreut, 's war echt so'n mob vor der tür von diesem lager wo wir dann hing-gefahren wurden ... und ...

da waren auch noch eben die andern waren dann auch im gleichen moment auch angekommen so, die standen uns zum teil dann gegenüber .... wurden mit hitlergruss begrüsst ... vor dem .. vor dem lager, also einzelne polizisten haben über den gefangenen den hitlergruss gemacht über den kopf ..... wir wurden alle markiert dann, also, die hatten so'n stift dann da und haben .. uns alle markiert, haben uns kreuze auf die backen gemalt ... und haben uns mächtig angst gemacht, also was jetzt mit uns passiert so, markierte eben erstmal ...dann .. haben sie uns alle ... irgendwie die ganze zeit angeschrien mit 'black block' und mit ... ja, wir haben nur die hälfte verstanden, weil vieles war auf italienisch , was sie gesagt haben .... und ... ich bin dann .. sonderbehandelt worden, weil der bulle dann gleich weitererzählt hat, dass meine hose vollgeschissen ist, und sie haben sich dann mir ganz besonders angenommen, haben sich ... haben mich alle eben angeguckt und haben ... begutachtet .... haben, ja, haben mich richtig fertig gemacht so und haben mich dann auch besonders markiert; ich hab dann'n besonderes zeichen auf die backe gemalt bekommen, nicht nur ein kreuz, sondern gleich mehrere so übernander .... ich hatte da mächtige angst irgendwie, dass die jetzt mit mir noch weitere sachen machen aufgrunddessen ..... aus irgendwelchen gründen haben sie dann erstmal davon abgesehen .... kam dann auch noch ´n streifenwagen mit noch mehr und sie haben sich dann eher denen zugewendet .... und wir wurden dann eben reingeführt ... und wurden eben ... leibesvisitation, mussten unsere taschen alle ausleeren und die sachen wurden dann alle in irgendwelche, in irgendwelche kuverts, papierkuverts, reingesteckt und so; ..... ja, und damit fängt eigentlich schon..das nächste kapitel dann an .. also ... das ist dann noch mal .... kann ich dir jetzt dann nochmal ne stunde erzählen, wie das dann weiterging, also ... im prinzip wurden wir dann eben in ne zelle gesperrt, zusammen alle, mussten eben, egal wie, alle mussten, auch wenn sie kaum laufen konnten, mussten in so `ner ganz geduckten stellung, so ungefähr, dass man so seine füsse gesehen hat, der kopf wurde ganz weit runtergedrückt, wurden wir in die zelle rein..manövriert, haben dann von links und rechts durchaus tritte bekommen und wurden rumgeschubst und so und ... haben auch noch schläge bekommen, wenn wir uns dann nicht tiefgenug gebückt haben, und nicht dabei gleichzeitig schnell genug gelaufen sind (...).. das weiss ich nicht genau, ob die, ob die uns jetzt nur getreten haben oder ob das auch ein knüppel war ... das kann ich also, kannich, zumindest für mich persönlich kann ich's nicht genau sagen, ich weiss nur, ich hab da, ich wurde, ich wurde, mit gewalt wurde ich dazu gebracht schneller zu laufen, obwohl mein knie in der zwischenzeit schon sehr wehtat und ich gar nicht mehr so tief runter mich bücken konnte eigentlich, und .. das nur unter schmerzen möglich war so zu laufen überhaupt .....

also ich hab da auch drauf hingewiesen, dass es nich geht, das mein knie kaputt ist, und das hat sie dann aber nur angespornt, mich noch tiefer runterzudrücken, und ... noch schneller mit mir zu rennen praktisch, also ... das hat genau das gegenteil bewirkt, sozusagen, die aufforderung langsamer zu gehen .... ja, und dann in der zelle waren dann die meisten andern schon da, also, wir waren mit die letzten, die da ankamen; ... und die hockten dann schon alle auf dem kalten steinboden an den wänden entlang; ......es waren unheimlich viele bullen in dem flur, alles voll (..getrennt nach männern undfrauen?)..nein, es war gemischt am anfang; ... und es waren am anfang viele carabinieri da .... das deutet daraufhin, dass es auch von den einheiten waren, die uns vorher verhauen haben ... also,.. die haben auch ... haben das auch .. symbolisiert so, also, die haben das irgendwie auch rübergebracht, man hatte das gefühl das sind die gleichen wie die, die uns..uns verhauen haben ... die uns jetzt einbuchten; ......... ja, und die haben dann auch sehr viel terror gemacht anschliessend ............ja, und das ist jetzt nochmal 'n neues ... ich weiss nicht, ob ich das jetzt auch erzählen soll .......'s wird mir jetzt alles 'n bisschenviel vielleicht ..... wenn ich das jetzt noch alles erzähle ..... total viel ist dann mit der polizeikaserne, des ist echt nochmal 'n....
ENDE DER AUFNAHME

ANSCHLIESSENDE MITSCHRIFT:
x hat noch kurz weitererzählt von beschimpfungen/schlägen/tritten/bespucken in der zelle, wieder die black block und giuliani - sprüche/drohungen,; war vor allem betroffen von der art, wie sie mit der frau mit den ausgeschlagenen zähnen umgegangen sind; sie blutete immernoch aus dem mund, alles war total aufgeschwollen, die polizisten haben sich dann einen spass draus gemacht und sie mehrere male gezwungen, ihren namen zu sagen, und wenn sie das, wegen der starken verletzung (der kiefer sei richtig kaputt gewesen) nicht konnte, wurde sie beschimpft und geschlagen.

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/genova/diazaugenzeuge.htm


18.-23.7.2001: NoG8 in Genua

Bericht in indymedia.de vom 4.8.2001 15:32 - eine Geschichte von Tausenden - ein persönlicher Erfahrungsbericht der Tage in Genua

Dies ist ein persönlicher Erfahrungsbericht der Tage in Genua. Er ist ein kleiner Teil eines großen Puzzle. Er legt keinen Wert auf Vollständigkeit der Ereignisse und möglichen Einschätzungen. Es ist eine Geschichte von vielen Tausenden.

Montag, 23.7.2001, Bogliasco, ca. 20km östlich von Genua

Die Leute und Gruppen, die sich hier treffen, die, die unversehrt blieben, freuen sich an einer Dusche, an einem Kaffee, an ein paar Stunden Schlaf - wem es möglich ist, zu schlafen. Zu viele Leute sind im Knast, verletzt oder noch verschollen.

Was sind wunde Füße und ein paar Kratzer im Gegensatz zu einem eingeschlagenen Schädel oder dauerhaft verletzten Lungen? Leute, die ins Krankenhaus gekommen sind, werden von der polizia abgeholt und noch einmal zusammengeschlagen. La Bella Italia ist die zynische Floskel für ein Land, das uns sein faschistisches Gesicht zeigt, getragen von den Mächtigen dieser Welt. Wir hören davon, dass den Verhafteten auf den Polizeirevieren unter Pinups Bilder von Mussolini gezeigt werden -

Einreise

Bei der Einreise werden wir kurz an der Grenze angehalten, dann durchgewunken. Wir haben Glück. Andere nicht.

Am Mittwochabend, 18. Juli, treffen sich Tausende von Menschen am zentralen Infopunkt, dem s. g. Convergence Point, einem großen Parkplatz zwischen Promenade und Meer, auf dem es spärliche Infos, Essen und Trinken gibt - viel ist teuer, nur Wasser gibt es tonnenweise umsonst, Äpfel und Brötchen - Plena finden hier statt und ein paar politische Gruppen haben hier Stände.

No G8 beginnt mit Spaß und Spiel: Manu Chao spielt und die Musik zieht nicht nur GipfelgegnerInnen, sondern auch TouristInnen an. Das Fan-Gerücht besagt: Berlusconi hat Manu Chao für einen Auftritt eine riesige Summe Gage geboten. Doch er spielt lieber hier umsonst. Die Stimme des bekanntesten EZLN-Vertreters schallt laut durch die Boxen über den riesigen Platz: Para todos todo, para nosotros nada... Menschen tanzen, klatschen, singen, der ganze Platz tobt ausgelassen. Die Stimmung ist fantastisch...

- nein, nicht ganz. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm. Warum sieht man schon den ganzen Tag keine polizia, keine carabinieri? Die Bullenkolonnen, die mit Blaulicht durch die Stadt fahren, hin und her und her und hin, kratzen momentan niemanden. Leute von Infozelt meinten dazu kurz: Das ist nur Zeichen von Machtdemonstration, weiter nix. Beschäftigungstherapie. Es besteht kein Grund zur Sorge.

Während des Konzerts sieht man von weitem, dass die autostrada, die wichtigste Verkehrsstraße Genuas, die die Küste entlang verläuft, mit Containern zugebaut wird. Die Innenstadt, in der der erste Tag des G8 stattfinden soll, ist bereits unpassierbar: in den Boden wurden Betonträger gegossen, mit Gittern verkleidet, durch Metallträger nach hinten gestützt. Die rote Zone. Aus Angst vor uns haben sich die Reichsten der Reichen ein eigenes Gefängnis gebaut. In die rote Zone kommt niemand mehr. AnwohnerInnen haben Zutritt durch besondere Ausweise. Pflegebedürftige wurden in Krankenhäuser zwangsabtransportiert, da ihre Betreuung während der Gipfeltage nicht gesichert würde.

Genua im Ausnahmezustand. Es gibt keine offenen Geschäfte mehr, keine Bars, keine Restaurants, keine Märkte, kein Kulturvergnügen oder sonstiges Alltagsgeschäft. Sind wir nervös?

Donnerstag, 19.7.

No G8 beginnt ruhig. Am Donnerstag sind rund 30.000 Leute auf der Straße. Die Demo ist explizit als friedlich angekündigt, um die MigrantInnen, um die es hier geht, nicht in Gefahr zu bringen. Daran hält sich jede und jeder. Wir laufen ein paar Stunden durch die Nachmittagshitze, los geht es im Westen der Stadt, in der Nähe der so genannten roten Zone, und führt bis weit in den Ostteil. Die Stadt ist leer. Einer der wenigen AnwohnerInnen, die es in der Stadt gehalten hat, hält aus seiner Wohnung ein Che-Bild raus, wird beklatscht und bejubelt. Ebenso diejenigen, die ihre Wäsche vor die Fenster gehängt haben, was hier ein Zeichen der Solidarisierung ist, Berlusconi hatte propagiert: Auf Genua schaut die Welt. Genueser, haltet Eure Stadt sauber. Hängt keine Wäsche aus den Fenstern.

Was ist für morgen geplant?

Es gab und gibt abends noch Plena von unterschiedlichen "Blöcken". Es gibt Gerüchte. Ein schwarzer Block und ein blauschwarzer daneben, die unabhängig Aktionen planen? Wie zerstritten sind die italienischen politischen Strömungen? Was haben die Tuti Bianchi vor? Wer hat aufkommen lassen, dass sie eine medienwirksame Aktion mit den Bullen abgesprochen hätten? Greifbar, da das Vorbereitungsplenum zentral auf dem Infoplatz stattfindet, ist der Pink-silver-Block, der sich dreisprachig auf eine Mischform von Aktionen einigt: ein friedlicher Teil und ein militanterer Teil, der sich zum klaren Ziel setzt: Wir wollen rein in die rote Zone. Ein paar Leute, die sich dem schwarzen Block anschließen wollten, erzählen von dessen Vorbereitungstreffen und wechseln jetzt zum Pink-silver mit der traurigen Begründung: "zu viele Macker".

Nachts im Camp herrscht Verwirrung. Es gibt keine vernünftigen Camp-Absprachen, die Wachen funktionieren nicht, es herrscht die Sorge, dass das Camp von der polizia dichtgemacht werden könnte - was einfach wäre: es gibt nur drei Eingänge und sonst hohe Mauern. Missstimmung, weil Leute im Camp sich "Material" zusammensuchen und -bauen, um gewaltsam ausbrechen zu können. Wie kann das angehen? Hier ist kein besetztes Gelände zu verteidigen. Das Camp ist Teil der Infrastruktur, dient als Rückzugsort. Es befinden sich Hunderte von unterschiedlichsten Leuten hier, darunter welche, die sich wohl im Traum nicht vorstellen können, dass sie von einem Bullenknüppel geweckt werden könnten. Einige verlassen in dieser Nacht das Camp, viele bleiben. Gott sei dank passiert nichts.

Freitag, 20.7.

Zwischen 70. und 85.000 Menschen finden sich in Genuas Straßen unterwegs. Die rote Zone ist dicht, polizia und die paramilitärischen carabinieri haben einen Gürtel um die Absperrungen gezogen und schlecht zu verteidigende Straßen zusätzlich mit Containern dichtgemacht. Die ganze Nacht wurde daran gearbeitet. Wir kommen zu spät, da wir außerhalb der Stadt übernachtet haben. Die Suche nach dem Pink-silver-Block, wo wir Leute von uns treffen wollten, führt uns in einem breiten Bogen um den gesamten Südteil der roten Zone. Wir treffen als erstes auf den Attac-Block, der wohl reformistischste der anwesenden Aktionsblöcke, der Luftballons und Seifenblasen über die Absperrung in die rote Zone werfen wird. Die Bullen wissen das. Sie stehen in Ruhe dahinter, an der attacs von außen Blumen gesteckt haben. Wir treffen auf den schwarzen Block und "begleiten" ihn 2 Stunden. An der Spitze gehen schwarzvermummte Trommler und schwenken in einstudierten Kreisformationen schwarze Fahnen. Ihre Kopfbedeckungen erinnern an Sciencefiction, Helme mit schwarzen Gumminoppen. Eine Performance, in der viel Vorbereitung gesteckt haben muss. Später hören wir merkwürdige Assoziationen, die diese Block-Spitze bei Leuten ausgelöst hat, das Harmloseste hieß: "militärisch". Der schwarze Block teilt sich vor der Brücke des Flusses, der Westen und Osten der Stadt bestimmt. Warum? Vielleicht ist es geplant. Die große Teil, zumindest einige Hundert Menschen, bleibt auf der Ostseite der Stadt. Die rote Zone liegt im Westen. Ca. 100-200 Leute inclusive der Trommel-Spitze geistern westlich des Flusses entlang und brandschatzen. Kleine Autos, Roller, Telefonzellen, Mülltonnen gehen in Flammen auf oder in die Brüche, Supermärkte, Banken, kleine Lädchen, was eben da ist. Es werden Straßensperren errichtet. Niemand braucht zur Zeit einen Fluchtweg. Keine Verfolgung. Viele der Männer - es sind kaum Frauen dabei - schütten sich hochprozentigen Alk runter. Deutsche, italienische, französische Stimmen. Was bloß ist das Absurde an diesem Zug? Ich stehe auf dem Bürgersteig und ziehe mir die martialische Situation rein. Mir wird klar: Die Stadt ist tot! Es ist niemand zu sehen außer ein, zwei schaulustigen Einwohnern, dann plötzlich eine Omi, die seelenruhig, mit einer Plastiktüte in der Hand, unter den Mollis ihres Weges geht. Es ist niemand zu sehen: kein einziger blausilberner Bulle weit und breit. Keiner! Über einige Stunden nicht!

Wir reden noch Tage später darüber. In den gesamten Tagen in Genua wird "der schwarze Block" zum Negativ-Mythos hochstilisiert. Wir kennen das schon, nicht nur aus Göteborg oder Prag. Eine perfekte Strategie: Man lässt 100-200 Leute brachial durch die Stadt ziehen - soviel Müll wie hier hat wohl noch nie in einer Stadt gebrannt, die giftigen Dämpfe, die der brennende Müll entfacht, beißen uns in der Lunge - und dann nennt man es den schwarzen Block und legitimiert damit das Handeln der Staatsgewalt.

Die wenigen verwüsten alles, was da ist. Ihre Militanz ist nicht an eine politische Aussage gekoppelt. Aber es ist nicht der schwarze Block. Es gab andere militantere Straßenzüge: die italienische Basisgewerkschaft Cobas hat ebenfalls keinen einzigen Bankautomaten heil gelassen - dafür aber die kleinen Geschäfte, Autos und Roller von EinwohnerInnen. Das erscheint mir vermittelbar. Das, was fälschlicherweise als der schwarze Block durch die Medien und leider auch durch viele Köpfe der GipfelgegnerInnen geistert, bezieht sich auf einige Idioten plus - wie später klar wird - Provokateure, die von Seiten der Staatsgewalt unter den Block gemischt werden.

Später entsteht Gerangel und dann Panik in der Stadt. Der Pink-silver-Block hat sich ebenfalls geteilt und wird von Wolken aus CS- und CN-Gas auseinander gesprengt. Einige "Pinks" haben versucht, den Zaun um die rote Zone mit Seilen aus den Angeln zu heben. Unklar ist, was mit den Tuti Bianchi ist. Auch sie hatten vor über eine zentrale Straße an die rote Zone zu gelangen. Die ganze Stadt ist voller Gas. Einige bekommen die scharfen Gaspatronen an die nackte Haut und verletzen sich schwer. Genua hallt von Feuerwehr- und Krankenwagengeräuschen.

Wir irren durch die Stadt mit einigen der versprengten "Pinks" und versuchen neue Pläne zu machen. Wir wollen immer noch rein in die rote Zone. Uns erreicht das Gerücht, dass die Tuti Bianchi weit im Osten der Stadt von der polizia eingekesselt wurden. Mit inzwischen ca 100-200 versprengten GipfelgegnerInnen sitzen wir auf einer kleine Kreuzung. Wir holen uns Kekse und Wasser aus einem der geplünderten Supermärkte, an denen sich ebenfalls EinwohnerInnen gütig tun. Wir sind alle unglaublich kapputt. Wir haben nichts gegessen, kaum getrunken, geschwitzt, haben einen schlechten Geschmack im Mund vom Gas, fühlen uns gleichzeitig ausgepowert und hochgeputscht durch viele Adrenalinschübe. An Ausruhen ist nicht zu denken. Viele sind unschlüssig: auf dem Weg "zu" den Tuti Bianchi gibt es riots, Straßenkämpfe. "Wir wollen nicht in die Nähe des schwarzen Blockes", ist zu hören. Leute haben Angst. Das ist verständlich. Resultat ist aber auch: Entsolidarisierung. Das nächste Gerücht besagt, dass Leute des schwarzen Blockes im Kessel sitzen. Wir versuchen unsere Bezugsgruppe, mit der wir uns im Chaos zusammengetan haben, dorthin zu bewegen. Die Meinungen sind geteilt. Die Angst überwiegt. Viele von denen, die hier ratlos zusammenstehen, haben sich - vielleicht unbewusst - der Polarisierung ergeben. Für uns ist klar: Es sitzen Leute im Kessel. Wer unterstützt, wer beobachtet zumindest? Die Frage ergibt sich, als eine Hundertschaft auf uns zu gerannt kommt und das Stadtviertel abriegelt. Viele, viele Krankenwagen werden durchgelassen, wir sehen Hubschrauber kreisen, Rauchwolken aufsteigen. Das erste Mal sage ich mir: Hier herrscht Krieg. Das nächste Gerücht besagt, dass zwei Menschen im Kessel erschossen worden sind. Vereinzelt steht jemand auf dem Bürgersteig und weint.

Wir wissen später, dass der 23jährige Carlos Giuliani aus Genua in der Nähe des Bahnhofes von einem Bullen zweimal in den Kopf geschossen wurde bei dem Versuch, einen Feuerlöscher auf den gepanzerten Wagen zu werfen. Erschossen und dann rückwärts überfahren. Fassungslosigkeit. Assassini!!!

Wie viele Tote gibt es? Die verzweifelte Suche nach Infos, wir hören Geschichten, ein Typ hat gesehen, dass eine Frau von Bullen überfahren wurde und Wiederbelebungsversuche nicht mehr geholfen haben sollen. Was ist mit den Schüssen im Kessel? Am nächsten Tag ist in der italienischen Zeitung El Manifesto von Hunderten von Verletzten die Rede. Dabei ist klar, dass Krankenhaus Gefängnis bedeutet. Gefängnis und nochmals Schläge. Faschistische Bilder an den Wänden. Von Folterungen ist zu hören.

Wir puzzeln uns am Abend unsere Infos zusammen. Freuen uns über jedes bekannte Gesicht, über jeden Menschen, der unverletzt ist. Wir tauschen uns aus, jeder ist froh, seine Erlebnisse zu teilen. Auf dem Rückweg zum Infopunkt laufen wir durch verwüstete Straßen. Zwischendurch bekommen wir irakische Datteln und Wasser aus einem kleinen Lieferwagen. Vor einem ausgebrannten Panzerwagen posieren Typen, um sich fotografieren zu lassen. Es sind auch welche, die vorher nicht in die Nähe des schwarzen Blockes wollten. Hier schmücken sie sich mit fremden Lorbeeren. Das Stadtviertel im Osten ist stundenlang dicht. Wir wissen, dass sie dort Leute plattmachen. Die Krankenwagen sind Indiz davon.

Abends treffen wir unsere Leute. Uns fallen Steine vom Herzen, alle sind unverletzt. Einer ist allerdings in den Gaswolken fast abgekackt.

Der black bloc ist immer wieder Thema. Es polarisiert sich. Es gibt keine Differenzierung. "Todos somos black block" schreibt eine auf ein Transpi für den nächsten Tag. Es gibt viel Kritik an den Verwüstungszügen, die jeder politischen Aussage entbehren. Die Frage der Militanz droht wieder mit Spaltung. Am Sonntag wird eine Pressekonferenz stattfinden, auf der ein Journalist sagt: "Schauen wir nicht auf den schwarzen Block, sondern auf die schwarzen Kolonnen Berlusconis..." Die Faschisten des Landes. Mittlerweise heißt es, dass das Genua Social Forum sich vom black bloc distanziert haben soll.

Offen bleibt die Frage: Warum haben sich die Mehrheit der Aktionen im Osten der Stadt abgespielt, weit weg von der roten Zone?

Wir verbringen die Nacht auf dem Infopunkt in der Nähe des Meeres und schaffen es endlich, ein paar Stunden zu schlafen. Meine Träume summieren Gehörtes und Erlebtes zu einem chaotischen Science Fiction.

Samstag, 21.7.

Der Tag beginnt relativ ruhig. Ich schaffe es, ein paar Pommes zu essen, das erste Handfeste seit 3 Tagen. Die Demo ist für Nachmittags geplant. Es kommen Unmengen von Leuten jetzt noch dafür angereist, vor uns zahlreiche Busse aus Griechenland. Bereits am frühen Morgen laufen Hunderte von Menschen mit Transpis, Plakaten und Demo-Zubehör zum Treffpunkt, der östlich an der Strandpromenade liegt. Es ist brüllendheiß. Ich nehme an, niemand traut sich noch Sonnencreme zu benutzen, auch nicht die am friedlichsten Gestimmten.

Auf der Promenade, die am Infopunkt vorbeiläuft, beginnt es unruhig zu werden. Wieder Gas. Wir überlegen kurz, ob wir bleiben, klinken uns dann aber in den Demostrom ein. Zahlen sind nicht mehr zu schätzen. Zwischen 150.000 und 300.000 Menschen heißt es später.

Wir laufen im Pink-silver-Block. Bunt ist es hier. Das Motto lautete bereits gestern: Wir tanzen uns in die rote Zone, was von einigen als Peece-Niks belächelt wird. Vor der Demo gab es einen Basteltisch, wo Leute sich noch eigene Transpis basteln können. Plakate von den italienischen Kommunisten wurden überklebt und mit eigenen Sprüchen bemalt. Assassini! ist seit dem Tod von Carlos G. immer wieder zu lesen. Es werden Zielscheiben gemalt, Target. Eine Engländerin mit pinker Perücke und silbernen Stiefeln wird ein Dutzend Mal fotografiert. Samba, Trommeln aus Plastikwasserflaschen und Metallkrempel, Leute tanzen tatsächlich, man riecht tatsächlich Hasch. Der Pink-silver ist nicht nur in seiner Ausstrahlung lebendig, integrativ - in der Auseinandersetzung vorher, in erstaunlich basisdemokatisch organisierten Plena, gab es eine klare Absprache zwischen den "Peece-Niks" und den militanter Orientierten: Man geht solange zusammen, wie es eben geht, stützt sich gegenseitig, man weiß von einander. Pink-silver versprüht in seiner Vielfalt etwas von dem, warum wir hier sind: Weil wir eine bessere Welt wollen. Eine, in der wir etwas zu Lachen haben. Eine Welt, in der viele Welten Platz haben, in der sich keiner über den anderen stellt und stellen kann. Es ist zu sehen, was das Motto "keine Macker, keine Helden, keine Märtyrer" mit sich bringt. In der Idee des Pink-silver ist ein anarchistischer Hauch zu spüren, den Menschen ausfüllen, und etwas Grundsätzliches: Solidarität. Ist es Zufall, dass hier ganz unterschiedliche zu finden sind, darunter Schwule, Lesben, Freaks, Feministinnen, MigrantInnen, Leute mit Kindern...? Es ist schwer, hier Bezeichnungen zu finden, hört sich das doch schnell gleich wieder nach Schubladen an. Und genau um die geht es hier nicht!!!

Manche im Pink-silver versuchen, auf kulturelle Art politische Inhalte zu vermitteln. Abschätzend wird er der Party-Block genannt. Dabei wird verkannt, dass ein klares Ziel, ein klares Wofür und Wohin besprochen wurde. Unterschiedliche politische Konzepte finden hier Gemeinsamkeiten und lassen neue Methoden entstehen. Das Wofür steht deutlich neben dem Dagegen.

Als wir von der Nachricht hören, der G8 wäre abgebrochen worden, sind wir im Party-Block gut aufgehoben! Überall Musik und Leute, die sich lachend, vor Freude weinend in die Arme fallen. Die Stimmung ist unglaublich. Wir haben einen Punktsieg! Wenige AnwohnerInnen winken aus ihren Fenstern und hängen Transpis aus "hasta la victoria siempre...", ein alter Opi holt kübelweise Wasser und bespritzt die verschwitzte und durstige Masse, wird dankbar beklatscht und bejubelt. Zwischendrin läuft plötzlich, etwas verstört - aber nicht zu sehr - eine Kuh, eine Kampagne gegen Genmanipulation von einheimischen Bauern, die ohne richtiges Schuhwerk auf dem heißen Asphalt laufen. "Libera Genua! Libera Genua!" ist der am häufigsten zu hörende Demoruf.

Erst später wird uns klar, dass uns jemand verarscht hat. Während der obere Demozug feiert, werden unten - immer noch an der Promenade - Leute plattgemacht. Aus dem Straßenkampf ist eine Hetzjagd geworden. Die Bullen teilen die Riesendemo und treiben die kilometerlange zweite Hälfte dicht gedrängter Menschen mit Unmengen von Gas die Strandpromenade zurück. Massenpanik. Ans Meer runter ist nicht zu denken. Es gibt keine Treppen an die kleinen Privatstrände runter, nur ein paar Meter hohe Feldklippen, über die Leute in Angst und Panik herunterzuklettern versuchen. Die Bullen werfen ihnen Gaspatronen hinterher. Es gibt tatsächlich noch Touris, die an diesen Tagen am Strand liegen und so tun, als wäre Genua einfach nur eine Touristenstadt an der Riviera. Auf ihre eingecremte Haut fliegt jetzt Gas.

Einzelne versuchen sich in kleinen Hinterhöfen und Parkplätzen auf der gegenüber liegenden Seite der Promenade zu verstecken. Es werden unzählige verhaftet und verletzt. Die Bullen knüppeln drauf los.

Als der obere Demoteil anhand von Hubschrauber- und Krankenwagengeräuschen und angesichts der riesigen Gaswolken in der Ferne erkennt, dass die gute Nachricht eine faule war, eine, die vielleicht ganz strategisch unter die Massen verstreut wurde, ist es bereits zu spät. Die polizias sind schon da. Es bricht Panik aus. Einige stehen ratlos herum, niemand weiß, was tun. Wir erfahren erneut von einem Kessel und versuchen, von der anderen Seite des Flusses hinüber zu gelangen. Kein Durchkommen. Irgendwann ergeben wir uns unserer bleiernen Müdigkeit und laufen zum Infopunkt zurück, an dem wieder alles ruhig erscheint. Die Promenade gibt deutliche Zeichen vom Geschehenen. Ein Straßenteil liegt in Schutt und Asche. Verbrannte Autos, verbrannte Palmen. Das ausgebrannte Lufthansa-Büro schmückt die Parole stop deportation class.

Die Straßen sind ohne Ende vermüllt. Nach den vielen brennenden Mülltonnen des Tages vorher hat die städtische Müllabfuhr Hunderte davon weggeschlossen. Doch die Demonstration hinterlässt ihre neuen Spuren. Die Stadt ist leer, doch wer dageblieben ist, sind neben der Bullerei und den Militärs das Krankenhauspersonal, die Feuerwehr - und die Müllleute, die auch in der nächsten Nacht wie von Geisterhand riesige Berge von Demospuren beseitigen. Wie hatte Berlusconi schließlich gesagt? "Die Welt blickt auf uns, auf Genua..."

Abends suchen wir wieder nach Infos. Wir sind mit 8 Leuten unterwegs und haben ein Auto am Pressepunkt geparkt, dafür wurde eine Schule bereit gestellt. Indymedia-Zentrum, Sani-Station und AnwältInnen-Betreuung. Eine andere Schule genau gegenüber dient als Schlafplatz, dort können ebenfalls Computer benutzt werden. Es findet ein Pink-silver-Plenum statt, es soll was für die vielen inhaftierten und verletzten organisiert werden.

Gruppendynamik: 8 Leute unter einen Hut kriegen. Wo schlafen? Außerhalb der Stadt? Hier in der Schule? Es gibt Stimmen dagegen, ohne konkrete Begründung, eher intuitiv. Wir wollen raus aus der Stadt. Jemand ist noch beim Plenum, andere mailen, trinken einen Kaffee, sprechen mit Bekannten. Es dauert. Kurz vor Mitternacht wollen wir endlich los, die eine Fuhre Leute sitzt bereits im Auto. Eine ist noch in der Schule, um ihre Freundin zu holen, die seit Tagen mit hohem Fieber dort ausruht.

Dann sehen wir die Bullen oberhalb der Schule, etwa 50? Meter vor uns auf der schmalen Straße, die von hohen Häusern mit hohen Zäunen gesäumt ist. Die italienischen Einheiten blitzen blau-silber. Es taucht die Assoziation Kriegsmaschine auf, Roboter, Marionetten, das kennt man.

Die von uns, die auf der Straße sind, rasen in die andere Richtung. Nach ca. 100? Metern macht die Straße eine Rechtskurve, links geht ein kleiner Fußweg über eine Treppe nach oben. Um die Kurve herum sehen wir die zweite Einheit nur wenige Meter von uns entfernt. In diesem Moment wird uns klar, dass wir einige Sekunden Zeit bekommen haben, bevor die Falle zuschnappt.

Wir verstecken und irgendwo in den kleinen Gassen, erst unter Autos, dann unter Büschen. Ungefähr ein Dutzend Menschen, die den gleichen Weg raus gefunden haben. Dann geht der Suchhubschrauber los. Wir zählen die Sekunden, zwischen denen der Scheinwerfer an uns entlang streicht. Vielleicht 30? Wir sind immer noch nicht weit weg von der Schule. Nackte Angst. Kommen sie gleich um die Ecke? Sie können uns einfach zusammenknüppeln. Wir haben nichts, um uns zu verteidigen. Es würde niemand mitbekommen. Wir haben Angst. Schließlich teilen wir uns auf. Einige wenige schlagen sich an den Strand durch und verstecken sich in der Nähe des Infopunktes. Die Hubschrauber kreisen über das viertel mit der Schule. Über die Promenade rasen Krankenwagen und schließlich die gepanzerten Polizeiwagen, die uns in dieser Nacht wie Panzer erscheinen. Sie machen alle platt! Sie machen sie platt. Wir sitzen in unserem Versteck, fertig, fassungslos, panisch, wütend, hasserfüllt, erschöpft, verzweifelt. Wir laufen zum Infopunkt, weil wir hoffen, dort welche von uns zu treffen. Es sitzen vielleicht 100 Menschen um ein Lagerfeuer herum. Das Gerücht besagt, dass Leute vom infopunkt hoch zur Schule sind, um Widerstand zu leisten. Wir versuchen, Zigaretten zu schnorren, was äußerst schwierig ist. Tabak und Zigaretten sind rar geworden in den letzten Tagen. Schließlich ergattern wir drei Zigaretten, die wir uns zu fünft in den nächsten 4 Stunden teilen werden, etwas Brot und eine Flasche Wasser. Auf dem Rückweg zu unserem "Versteck" steigen hinter uns 2 Zivilbullen aus dem Auto. Jetzt habe ich plötzlich Panik. Meine Begleiter drückt so stark meine Hand, dass der kurze Schmerz größer ist als sie. Völlig erschöpft legen wir uns auf den kalten Steinfußboden und dösen 1,2 Stunden. Es ist total kalt. Wir haben nicht viel an, nichts dabei.

Früh Morgens gehen wir zurück in die Schule - eher schleichen wir. Was wird uns erwarten? Sie ist bereits seit einigen Stunden wieder von Leuten von uns bevölkert, viele schlafen in der Halle, die bisher als Krankenstation diente. Einige Leute der Tuti Bianchi sind gekommen, wohl aus Angst, dass ihr Camp ebenfalls geräumt würde? Oder wurde es geräumt? Ich erinnere mich nicht...

Das was wir erfahren, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Die Bullen haben gemetzelt. In der Schule waren ungefähr 70 Menschen, viele davon haben bereits geschlafen. Die Sondereinheiten haben auf alle eingeknüppelt, gnadenlos. Fast niemand ist auf eigenen Beinen heraus, fast alle auf Bahren ins Krankenhaus gekommen. Ein Engländer wurde ins Koma geschlagen. Einge wenige haben es geschafft, durchs Fenster auf das nebenliegende Baugerüst und dann über den Garten zu fliehen, darunter die 2 Frauen, von denen die eine krank ist.

Die ganze Schule zeugt von einem Massaker. Blutspuren im Treppenhaus, auf den Klos, in allen Räumen, zwischen zerbrochenen Flaschen, Schlafsäcken und persönlichen dinge der Leute, die hier eine letzte Nacht verbringen wollten, bevor es nachhause gehen sollte, zerfetzte Computer.

Wenige von uns haben einen Arsch voll glück gehabt. Viele nicht. Mir wird in diesem Moment klar: wir sind zum Abschuss freigegeben.

Das wird bestätigt durch viele verstreute Infos darüber, dass GipfelgegnerInnen überall abgegriffen werden: auf Stränden, Autobahnen, in Bars, an Tankstellen, in Zügen, auf der Straße, auf Campingplätzen. Niemand ist mehr sicher. Die Bullen haben einen Gürtel um Genua gezogen und sacken uns ein.

Es wird am Sonntag nach dem Massaker über Soli-aktionen gesprochen. Leider bröckelt die Teilnahme, alle sind am Ende ihrer Kraft. Wir bleiben noch bis zum Abend, dann verlassen wir Genua in Richtung Osten.

Der italienische Innenminister Scajola begründet die Aktion mit den Verdacht, dort Mollis zu finden. Er sagt zu dem Sondereinsatz lakonisch: "Buenissima cosa."

Am Montag hören wir von vielen Aktionen und Solidaritätsdemonstrationen aus der ganzen Welt. Es waren wenige in Genua. Viel mehr von uns sind zuhause.

Wir sprechen über das faschistische Gesicht Italiens, das von der Welt getragen wird.

Es gibt viel aufzuarbeiten: die Polarisierung in der Bewegung, die Entsolidarisierung mit dem von den Medien forcierten Mythos um den vermeintlichen schwarzen Block, um die Ideen, wie sich unterschiedliche linke Methoden und Menschen zusammen- finden könnten, um die Unterstützung, die Leute brauchen, die noch im Knast sitzen, die vielen Hunderte von Verletzten, wie es weiter gehen kann. Welche Chancen haben wir? Wie kommen wir sicher über die Grenze? Wo können wir mal wieder aufs Klo? Können wir in Italien sehen, was uns in Deutschland und anderswo vielleicht auch bald erwartet? Wie organisieren wir uns dagegen? Wann trinken wir endlich einen latte macchiato? Wir brauchen dringend Schlaf.

Es hat wohl keiner so wirklich mit dem gerechnet, was uns hier in Genua begegnet ist. Uns wird klar, dass alle geblieben sind.

YA BASTA!

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/genova/nog8.htm


Alles war voller Blut

Artikel aus der Volksstimme (Wien) vom 2. August 2001 - Interview von Michael Kothbauer mit Enrico Fletzer, verantwortlicher Direktor von Radio K Centrale (Bologna)

Enrico, du warst in der Nacht von Samstag auf Sonntag Augenzeuge wie Opfer des Polizeiangriffs auf die Schule Diaz und das Pressezentrum in Genua.

Ich war in dieser Nacht vom 21. auf den 22. Juli im Pressezentrum vis a vis der Diaz-Schule. In dem Gebäude befanden sich neben dem Studio von Radio Gap auch die Büros einiger Zeitungen wie Il Manifesto, und la Carta, ebenso das Indymedia-Büro und im ersten Stock waren die Rechtsanwälte der Rechtshilfe untergebracht.

Mir fällt es nicht ganz leicht, die Ereignisse dieser Nacht zu rekapitulieren, da ich noch immer ein wenig unter Schock stehe. Es begann damit, dass die Polizei gegen halb eins in der früh in das Gebäude gegenüber dem Pressezentrum eingedrungen ist.

Wer befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Diaz-Schule?

Die Diaz-Schule wurde von der Gemeinde als Schlafplatz für circa hundert Personen zur Verfügung gestellt. Zum Zeitpunkt des Angriffs haben dort eine nicht genau bekannte Anzahl von Leuten geschlafen. Die Leute waren nach drei Tagen Demo völlig fertig und haben so wie wir alle damit gerechnet, dass die ganze Sache nun vorüber ist. Wir konnten also vom Pressezentrum aus beobachten wie Polizei und Carabineri (Militärpolizei, untersteht dem Verteidigungsminister) mit äußester Brutalität in die Diaz-Schule eingedrungen sind. Das ganze unter Ausschluss von Anwälten, Ärzten nicht einmal anwesende Parlamentsabgeordnete wurden vorgelassen. Während wir also vom Gebäude vis a vis pausenlose Schreie der Massakrierten hören konnten, waren wir in ständigem telefonischen Kontakt mit der Anwaltskammer, mit der Journalistenvereingung mit Parlamentariern um Druck zu machen damit die Polizei aufhört.

Ist die Polizei auch ins Pressezentrum eingedrungen?

Das war so: Ich bin als verantwortlicher Journalist bekleidet mit dem gelben Trikot der offiziell Akreditierten und mit meinem Pesseausweis deutlich sichtbar den Polizisten entgegengegangen, um sie zu fragen, was sie von uns wollen. Die haben mich dann als Antwort gleich ins Gesicht geschlagen, sind in unser Gebäude gestürmt und mich haben sie in einen Raum gestoßen und dort weiter verprügelt. Dann haben sie so eine Art von grausamen Theater getrieben, nachdem sie den Raum verlassen haben, sind sie kurze Zeit später wiedergekommen, haben mich wieder geprügelt, schlimmer noch sie haben mich dann zu Boden geschlagen und eine Schulbank auf mich drauf geworfen. Ich habe versucht abzuwehren, so gut es ging und sie sind noch zweimal wiedergekommen, um mich zu schlagen. Beim letzten Mal haben sie nochmal eine Bank auf mich geworfen und damit ist meine Geschichte zu Ende. Ich habe sehr viele Schläge abbekommen, was später im Spital auch dokumentiert wurde. Wie ich erfahren habe, waren die einzigen, die nicht verprügelt wurden im Pressezentrum, die Leute, die sich ins Aufnahmestudio im letzten Stock geflüchtet haben. Und das auch nur deshalb, weil die Leute dort die Polizei darauf aufmerksam gemacht haben, dass alles was sie tun, live gesendet wird. Das hat die ein wenig eigeschüchtert, mehr als meine Journalistenweste. Da sind sie dann wieder weg. Außerdem haben sie alles Material, das sie finden konnten, Disketten, Videobänder und auch die gesammelten Zeugenaussagen aus den Büros der Anwälte gestohlen.

Solche Szenen kannte ich bisher nur aus Dokumentationen über die Zeit der Militärdiktatur in Chile.

Eines möchte ich noch abschließend sagen: Als die Polizei drüben fertig war, mit dem Massakrieren und alle Leute festgenommen und weggeschafft hat und die Journalisten die Diaz-Schule betreten konnten, haben sich einige Journalisten angekotzt, als sie das, was nach dem Angriff über war, gesehen haben. Der Boden, die Heizkörper, die Treppen und die Wände, alles war voller Blut.

Quelle: http://www.kpoenet.at/vs/