Dortmund, 3.3.2001, Demonstration gegen
den Neonazi-Aufmarsch
Uns reicht's!
Aufruf des Bündnisses 'Dortmund gegen Rechts'
Am 3. März wollen die Neonazis zum drittenmal innerhalb eines halben Jahres die Menschen in Dortmund provozieren, gleich zweimal hintereinander. Sie benutzen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, obwohl sie anderen Menschen die in der Verfassung verbrieften Grundrechte absprechen. Sie fordern eine Stadt und uns als Bevölkerung heraus. Daher sagen viele von uns: Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Die Neonazis wollen in Dortmund die Herrschaft über Straßen und Plätze erringen - sie nennen das 'national befreite Zone'. Dies müssen wir alle - jung und alt, Frauen und Männer, In- und Ausländer, Arbeitende und Arbeitslose - alle Demokratinnen und Demokraten gemeinsam verhindern.
In der Nordstadt haben der Neonazi Borchardt und seine Anhänger schon ausländische Jugendliche gejagt, das Kulturzentrum im Langen August bedroht und Polizisten mit Knüppeln und Baseballschlägern angegriffen.
Das Bündnis Dortmund gegen Rechts hat am 1. Mai vorigen Jahres in der Nordstadt demonstriert. Unsere Stadt darf kein Platz für Aufmärsche dieser Gruppen werden.
Wir protestieren dagegen, dass in Dortmund und anderswo Menschenverachtung und Fremdenfeindlichkeit gezeigt wird. Der Versuch, Angst und Schrecken zu verbreiten, darf kein Chance haben.
Setz Dich ein! Für ein solidarisches, gewaltfreies und respektvolles Miteinander!
Diesen Aufruf des Bündnisses 'Dortmund gegen Rechts' unterstützen mehr als 85 Organisationen und Initiativen.
Die Bösen und die Anständigen
Aufruf der Antifaschistischen Aktion Dortmund zur Demonstration des Bündnisses 'Wir stellen uns quer'
Die Nazis
Nach den Verboten militanter Neonaziorganisationen, wie der FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei), der NF (Nationalistischen Front) und der Wiking-Jugend, Anfang der 90er Jahre, entstand in der militanten Nazi-Szene ein organisatorisches Vakuum. Dies wusste die NPD (Nationaldemokratische ParteiDeutschlands) und vor allem ihre Jugendorganisation JN (Junge Nationaldemokraten) für sich zu nutzen. Die bis dahin als spießige Altherren-Partei in der Neonazi-Szene verschrieenen NPD/JN stellten ihre Organisationsstruktur um und öffneten sich unter dem neuen Vorsitzenden Udo Voigt (seit 1996 im Amt) für militante Neonazis. So gelang es, fertige Strukturen der NF und der FAP zu übernehmen und zum Sammelbecken der extremen Rechten zu werden. Die JN präsentierte sich dabei als 'revolutionäre' Speerspitze der Bewegung. Andere Teile der verbotenen Organisationen begannen sich in sogenannten 'freien' oder 'autonomen Kameradschaften' zu organisieren. Diese versuchten sich von Anfang an militanter und radikaler als NPD/JN darzustellen um so für junge NeueinsteigerInnen attraktiver zu werden. Mittlerweile dürften diese 'freien Kameradschaften' mindestens soviel Einfluss in der Szene haben wie die NPD/JN. Dies wurde von verschiedenen Entwicklungen begünstigt: Einmal kam es innerhalb der NPD/JN zu Streitigkeiten und Kompetenzgerangel, zum anderen mussten die NPD/JN von ihrem bisherigen Kurs abgehen und von all zu radikalen Meinungen und martialischen Aufmärschen Abstand nehmen um nicht weitere Argumente für ein Verbot zu liefern. Dadurch verloren NPD/JN an Glaubwürdigkeit innerhalb der Szene und es kam zu einer enormen Stärkung der 'freien Kameradschaften'. Bundesweit großen Einfluss innerhalb dieser Szene hat der Hamburger Neonazi Christian Worch, der sich für die Anmeldungen fast aller Aufmärsche in letzter Zeit verantwortlich zeigt.
Personen und Organisationen in Dortmund: In Dortmund arbeiten NPD/JN und 'freie Kameradschaften' seit jeher eng zusammen. Sowohl die 'Ruhrpottkameradschaft Dortmund/Witten' um den Wittener Carsten Köppe als auch die eng mit erstgenannter verwobene 'Kameradschaft Dortmund' um Siegfried Borchardt und Michael Krick gelten als NPD-freundlich. Als wichtige Schnittstelle zwischen NPD/JN und den 'freien Kameradschaften' hat sich der Schürener NPDler Pascal Zinn herauskristallisiert. Standortleiter der JN ist in Dortmund der in Dorstfeld lebende Domenik Lutz.
Und was sie so machen: Der Dortmunder Szene gelang es mit der mittlerweile geschlossenen Kneipe Schützeneck einen überregional wichtigen Nazitreffpunkt zu betreiben. Hier fanden Kameradschaftsabende, Schulungen und Besäufnisse der Nazi- Szene statt. Von diesem Treffpunkt ging eine immense Bedrohung für alle aus, die nicht in das menschenverachtende Weltbild dieser braunen Schlägertrupps passen. Beispielhaft hierfür seien zwei Ereignisse genannt: Im Oktober 1999 überfallen zwei Neonazis in unmittelbarer Nähe des Schützenecks einen geistig und körperlich behinderten Mann, sie schlagen ihn und treten auf ihn ein als er am Boden liegt. Das Eingreifen von PassantInnen verhindert noch schlimmeres. Im Januar 2000 wird ein jugendlicher Migrant aus dem Schützeneck heraus beschimpft und zusammengeschlagen. Aber auch nach der Schließung des Schützecks geht der Terror der Neonazis weiter. So wird eine Gruppe Skater vor dem Dortmunder Hauptbahnhof von Nazis angegriffen. In der Nacht des Karfreitags 2000 veranstalten Nazis in der Dortmunder Nordstadt eine regelrechte Hetzjagd auf MigrantInnen. Am 14.06.2000 ermordet der Dortmunder Nazi Michael Berger drei Polizeibeamte und begeht danach Selbstmord. Danach tauchen Aufkleber und Flugblätter auf, mit denen die Kameradschaft Dortmund Berger und seine Taten feiert. Aufschrift: 'Berger war ein Freund von uns.3:1 für Deutschland'. Im Dortmunder Vorort Brechten treiben Nazis mit Eisenstangen Polizeibeamte derart in die Enge, dass diese sich gezwungen sehen einen Warnschuss abzugeben. Wohl als Reaktion auf den massiven und direkten antifaschistischen Widerstand gegen den Naziaufmarsch am 21.10.2000, marschiert eine Gruppe von ca. 70 Nazis unter Führung von Siegfried Borchardt am 25.10.2000 durch die Nordstadt zum Initiativenhaus 'Langer August' und setzt dort unmittelbar dazu an, einzudringen. Mit einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr wird am 17.11.2000 die Geburtstagsfeier des Nazis Siegfried Borchardt aufgelöst. AnwohnerInnen verständigen die Polizei, da sie sich durch die lautstark skandierten rechtsradikalen Parolen gestört fühlen. Die anwesenden Nazis leisten gegen die Auflösung der Feier massiven Widerstand: Sie greifen Polizeibeamte mit Holzlatten und Flaschen an und verbarrikadieren sich schließlich in den angemieteten Räumen. 102 Nazis werden in Polizeigewahrsam genommen. Am 16.12.2000 marschieren erneut Nazis, massiv durch ein Großaufgebot der Polizei geschützt und von antifaschistischem Widerstand begleitet, durch Dortmund. Diese Aufzählung der schlimmeren Vorfälle soll hier lediglich beispielhaft für die Aktionen der Dortmunder Nazis sein und erwähnt eine Vielzahl von Übergriffen nicht.
Die Naziaufmärsche in Dortmund und anderswo stellen für uns eine nicht hinnehmbare Provokation dar, weshalb wir zu massivem und direktem Widerstand aufrufen. Er ist legitim! Schluß mit der Kriminalisierung!
Der Staat
Seit dem letzten Sommer wird von vielen gesellschaftlichen Kräften dazu aufgerufen, sich dem durch die intensivierte Presseberichterstattung immer besser wahrnehmbaren Nazi-Terror entgegenzustellen. Wo sich aber der notwendige und legitime direkte Widerstand gegen die Nazis zeigt, reagiert die Polizei mit brutaler Gewalt (vom Schlagstockeinsatz bis zum Kessel) und rechtlicher Repression (in Form von Verhören, Observationen und Strafbefehlen). Hiervon soll wohl das Signal ausgehen, daß Widerstand der über eine rein symbolische Ebene hinausgeht nicht geduldet wird!
Dieses Verhalten ließ sich auch bei den Einsätzen der Dortmunder Polizei anläßlich der letzten Naziaufmärsche beobachten. Worch und seine Schlägerbande konnten, von der Polizei beschützt, durch die Strassen der Dortmunder Innenstadt marschieren. Diejenigen, die dies unzumutbar fanden und dies lautstark artikulierten, wurden von der Polizei eingekesselt und ihres Demonstrationsrechtes und ihrer Freiheit beraubt. Sie waren z.T. stundenlang gefesselt und ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen. Allein bei den beiden Aufmärschen im Jahr 2000 wurden insgesamt über 1000 GegendemonstrantInnen von der Polizei festgehalten. Fragwürdig erscheinen die antirassistischen und antifaschistischen Bekenntnisse der offiziellen BehördenvertreterInnen nicht nur im Bezug auf ihr Verhalten bei den vergangenen Aufmärschen, wo sie bemüht waren, den antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren. Insbesondere der Umgang der bundesdeutschen Behörden mit MigrantInnen stellt den vermeintlichen staatlichen Antirassismus in Frage. Nach den rassistischen Pogromen Anfang der 90er Jahre (Rostock, Hoyerswerda, Mölln etc.) nutzten die VertreterInnen von SPD,CDU/CSU und der FDP die Stimmung im Land, um das Asylrecht de facto abzuschaffen. Das Asylrecht wurde um die so genannte 'Drittstaatenregelung' erweitert. Danach können nur noch Menschen um Asyl ersuchen, die auf ihrer Flucht vor Hunger, Elend und Tod nicht über einen 'sicheren Drittstaat' eingereist sind. Da aber alle die BRD umgebenden Staaten als sicher
klassifiziert sind, wird den schutzsuchenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland auf dem Landweg verwehrt! An der deutschen Ostgrenze ist seit dem ein kaum zu überwindender Todesstreifen entstanden. Deutschland drängt die anderen EU-Länder und sogar die Nachbarländer der EU zunehmend dazu, vergleichbare Grenzregimes zu errichten. Die Abschottungsmaßnahmen in der von Deutschland dominierten EU haben im Zeitraum 1993-2000 weit über 2000 Tote gefordert. Wer es dennoch schafft in die Festung Europa zu gelangen muß mit den Zumutungen eines illegalisierten Status leben (keine Krankenversicherung, Hungerlöhne, sexuelle Ausbeutung etc.). Außerdem sind die illegalisierten MigrantInnen ständig mit der Gefahr konfrontiert von der Polizei oder dem BGS gehetzt und aufgegriffen zu werden. Der paramilitärische BGS kontrolliert nicht nur an den Grenzen, sondern auch im Inland, zumeist (wie auch in Dortmund) in Bahnhöfen, jeden Menschen der in die rassistisch strukturierten Vorstellungen der BeamtInnen passt. Er setzt hierbei auch auf Denunziation durch 'Bürgertelefone'. Die nach ökonomischen und rassistischen Motiven illegalisierten MigrantInnen laufen dann Gefahr in einen der Abschiebeknäste eingepfercht zu werden, um baldest möglich abgeschoben zu werden. Die Aussicht, in die Verhältnisse zurückgebracht zu werden aus denen sie oft nur mit Mühe und Not entkommen sind, also oft in Elend Folter und Tod, treibt immer wieder Flüchtlinge zum Selbstmord. Die wenigen, die das Glück haben als AsylbewerberInnen anerkannt worden zu sein, werden oft unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Sie werden zunehmend mit unzureichenden Lebensmittelpaketen versorgt, d.h. ihnen wir nicht einmal gestattet, selbstbestimmt ihre Ernährung zu organisieren. Zudem werden sie mit rassistischen Sondergesetzen wie der sogenannten Residenzpflicht in ihrer Bewegungsfreiheit begrenzt.
Der deutsche Staat ist also selber strukturell rasisstisch!
Die Anständigen
"Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 da liegen oder wenn 1000 da liegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwäche - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.", Heinrich Himmler am 4.10.1943 zu SS-Offizieren.
Der Bundeskanzler Schröder hat den 'Aufstand der Anständigen' gegen die Nazis gefordert. Was bedeutet 'Aufstand' und wer sind diese 'Anständigen' ? Aufstände stürzen die Mächtigen. Meint er vielleicht den Aufstand von Unterdrückten gegen eine Fremdherrschaft, so wie dieser Begriff gewöhnlich verwendet wird. Das hieße, angewandt auf Rechtsradikalismus und Antisemitismus, daß es faschistische und antisemitische Kräfte gibt, die die 'Anständigen' unterdrücken und nötigen, und es nun an ihnen ist, sich als die Opfer der Unterdrückung gegen diese fremde Macht zu erheben, 'aufzustehen'. Die angesprochenen 'anständigen' Deutschen gebären sich als die eigentlichen Opfer der nazistischen Anschläge, deren Täter als die 'unanständigen' Image-Beschädiger und Nestbeschmutzer marginalisiert werden. Der Volkszorn, der sich nach Bedarf gegen die, durch die Abschaffung des Asylrechts, kaum noch nach Deutschland gelangenden MigrantInnen, gegen schmarotzende und arbeitsscheue SozialhilfebezieherInnen oder sonstige standortfeindliche Elemente richtet und jederzeit zu diesen zurückkehren kann, hat die Nazis als das zu bekämpfende Fremde auserkoren. Die müssen erstaunt feststellen, daß ihre Lösungen des 'Asylantenproblems', ob der höchst effizient und scheinbar sauber funktionierenden staatlichen Abschiebemaschinerie, nicht mehr gefragt sind. Zur Formierung des deutschen Kollektivs bedarf es der Bedrohung von außen. Wieder spielt der rechte Mob die Rolle des gesellschaftlichen Katalysators. Wurden seine Pogrome Anfang der 90er Jahre genutzt um das Asylrecht abzuschaffen, dienen sie heute dazu, die Volksgemeinschaft zu definieren. Dazu gehört, wer sich an die Spielregeln des staatstragenden Rassimus hält. Die ewiggestrigen SA-Glatzen, die basis-demokratisch den Brandsatz in die eigenen Hände nehmen, sind die Störenfriede der zivilgesellschaftlichen Ordnung. Dieser Grundbaustein antisemitischen und völkischen Wahns, die von außen kommende Bedrohung, benötigt die Nazi-Kader aus dem Westen oder aus der Nachbarstadt, die die Glatzen in den ostdeutschen Plattenbausiedlungen verführen, und das bayerische Dorf unterwandern, in dem im Wochenrythmus jüdische Grabsteine geschändet werden, es angeblich aber keine Nazis gibt. Die schaurige Drohung 'Deutschland den Deutschen!' setzt das rassistische Kollektiv tagtäglich in die Tat um: Die Bürgerwehren, die den BGS an der deutschen Ostgrenze bei der Menschenjagd unterstützen und die Taxifahrer, die beim BGS Meldung machen, sobald sie Nicht-Deutsche transportieren, sind genauso Bestandteil wie der Soziologie-Professor, der bei einer Diskussion über die 'Neuen Quellen des Rechtsextremismus' im Dortmunder Rathaus feststellt, das Problematische am 'Asylkompromiss' sei das lange Zögern der PolitikerInnen gewesen, das schließlich mit der 'Stabilisierung der deutschen Ostgrenzen' behoben worden sei. In den letzten Monaten hat sich eine unheimliche Volksfront aller guten Deutschen gegen rechts formiert. Auch wenn diese einigen konkreten Nazis schadet, hat sie vor allem das Ziel, die Reihen fest zu schließen. Vom 'Aufstand der Anständigen' wird einzig das übrig bleiben, was bereits Heinrich immler seinen SS-Kameraden bescheinigt hat: Der Anstand.
Ernst gemeinter Antifaschismus muß sich folgerichtig nicht nur direkt gegen die Nazi-Banden, sondern auch radikal gegen das rassistische Kollektiv der anständigen Deutschen richten.
Naziaufmärsche verhindern! Kein Fußbreit den Deutschen!
antifaschistische demonstration:
03.03.01 10.30 Uhr
dortmund hauptbahnhof >nordausgang
Antifaschistische Aktion Dortmund
www.free.de/aado
Infotelefon: 0174 / 8348579