Frankfurt, 26.5.2001, Demonstration anläßlich der Todestagen von Naimah Hadmar und Aamir AgeebBilder

Gedenktafel

des 'Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main',
angebracht am Eingang zum Terminal 1 Bereich A des Frankfurter Flughafens am 26.5.2001,
von der Flughafenverwaltung FRAPORT für die Dauer von 12 Stunden geduldet


Zum Gedenken an:

Kola Bankole - 30.8.1994
Aamir Ageeb - 28.5.1999
die während ihrer Abschiebung beim Abflug von Frankfurt/main in Lufthansamaschinen durch Beamte des Bundesgrenzschutzes gewaltsam zu Tode gebracht wurden.

Naimah Hadmar - 6.5.2000,
die sich am 238. Tag ihrer Abschiebehaft aus Angst vor der Abschiebung im Internierungslager am Frankfurter Flughafen das Leben nahm.

In Trauer um diese und alle anderen Opfer, in Wut über die deutsche Abschiebepolitik.

Eingreifen gegen Abschiebung, Ausgrenzung und jede Form von Rassismus!

Kein Mensch ist illegal.


Demonstration anlässlich der Todestage von Naimah Hadjar und Aamir Ageeb

Aufruf des 'Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main' zur öffentlichen Anbringung der Gedenktafel am Frankfurter Flughafen am Samstag, 26. Mai 2001, 12 Uhr, Terminal 1, Bereich A

Anfang Mai 2000 nahm sich Naimah Hadjar aus Algerien nach über achtmonatiger Haft im Internierungslager auf dem Frankfurter Flughafen aus Angst vor der Abschiebung das Leben. Ende Mai 1999 war der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb in einer Lufthansa-Maschine kurz nach dem Abflug von Rhein-Main während der Abschiebung von Bundesgrenzschützern getötet worden. Schon 1994 war der nigerianische Flüchtling Kola Bankole bei seiner Abschiebung ums Leben gekommen: gefesselt, geknebelt, mit einer Spritze "ruhiggestellt".

Anlässlich dieser Todestage rufen wir erneut zu einer Demonstration auf. Im Rahmen dieses Protestes werden wir die Gedenktafel für die Opfer der Abschiebepolitik eigenverantwortlich in einer öffentlichen Aktion an einem geeigneten Platz im Frankfurter Flughafen aufhängen.

Wir wollen mit unserer Aktion der Todesopfer der Abschiebepolitik gedenken und auch deutlich machen, dass dies jederzeit erneut passieren kann. Denn nach wie vor sind zwangsweise Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Verfolgung oder Bürgerkrieg herrschen, auf der Tagesordnung. Menschen nehmen nicht wehrlos hin, in die Verfolgerländer abgeschoben zu werden. Betroffene Flüchtlinge wehren sich oft so heftig gegen die Abschiebung, dass sie ihr Leben dabei aufs Spiel setzen. Immer wieder kommt es zu Suizidversuchen.

Mit weiteren Toten ist jederzeit zu rechnen. Die Verantwortlichen, in erster Linie in Ministerien und Behörden, aber auch beteiligte Fluggesellschaften und kooperierende Ärzte, nehmen dies billigend in Kauf.

Mehr als 30 Menschen werden täglich vom Rhein-Main-Flughafen aus abgeschoben. Dies erfolgt immer wieder unter Anwendung brutaler Gewalt von Bundesgrenzschutzbeamten.

Im Internierungslager auf dem Flughafengelände werden nach wie vor Asylsuchende eingesperrt: Männer, Frauen und Kinder, denen die Einreise in die BRD offiziell verweigert wird. Trotz verstärkter Proteste gegen die menschenunwürdigen Bedingungen im sogenannten Transitgebäude C 182 und der Forderung von Menschenrechtsorganisationen, das gesamte Flughafenverfahren abzuschaffen, plant das Bundesinnenministerium nach neuesten Meldungen sogar eine Verschärfung: Auf dem Flughafengelände soll eine zusätzliche "Rückschiebehaftanstalt" gebaut werden, die noch mehr Menschen hinter Gittern hält. Diese haben nichts anderes "verbrochen", als um Asyl zu bitten - bei dem bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Asylrecht aber vergeblich!

Vor diesem Hintergrund werden wir unsere Proteste am Flughafen verschärfen - am 26. Mai und auch in den darauffolgenden Wochen!

Nachdem die Flughafengesellschaft, jetzt Fraport genannt, trotz Offener Briefe, einer breit getragenen Unterschriftensammlung sowie mehrerer Demonstrationen - zuletzt am 9.12 mit über 500 TeilnehmerInnen - keinerlei Bereitschaft gezeigt hat, auf unsere Forderung nach einem Platz für die Mahntafel einzugehen, werden wir diese jetzt eigenständig anbringen.

Die Mahntafel scheint der Fraport ein Dorn im Auge. Sie widerspricht allzu deutlich dem angepriesenen Ruf des Flughafens als Ort angeblicher Weltoffenheit und grenzenloser Freiheit. Ein noch so kleiner Hinweis auf die hinter dem Glitzer des Airports versteckte rassistische Ausgrenzungs- und Abschiebungspraxis soll vermieden werden.

Diese kalte Ignoranz werden wir nicht hinnehmen und die Flughafenverantwortlichen mit unserer Aktion auf öffentlicher Ebene konfrontieren.

Mehrere VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen haben ihre Unterstützung zugesagt:

Cornelius Yufanyi (Mitarbeiter von The Voice/Africa Forum), Alaeldin Agha (Vorsitzender der Sudanesischen Menschenrechtsorganisation/SMRO) und Salima Mellah (Mitarbeiterin von Algeria Watch) werden sich an der Demonstration beteiligen. Sie sind tagtäglich mit den Menschenrechtsverletzungen genau der Länder befasst, in welche die drei obengenannten Opfer hätten abgeschoben werden sollen.

Darüber hinaus werden Prof. Andreas Buro (Friedensforscher und Mitglied im Arbeitsausschusses des Komitees für Grundrechte und Demokratie), Helga Dieter (Courage gegen Rassismus), sowie Hans Branscheidt (medico international) an der öffentlichen Anbringung der Gedenktafel mitwirken.

Wir rufen alle Interessierten auf, unsere neue Aktion zu unterstützen. Kommt und helft mit, unserer Forderung weiteren Nachdruck zu verleihen:

GEGEN DAS VERSCHWEIGEN DER OPFER
SOFORTIGE AUFLÖSUNG DES INTERNIERUNGSLAGERS
STOPP ALLER ABSCHIEBUNGEN


Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main

Kontakt und weitere Informationen:
Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main, c/o AG3F, Metzgerstr.8, 63450 Hanau - Tel./Fax: 06181/184892
Email: AG3F@oln.comlink.apc.org
Internet: www.aktivgegenabschiebung.de


Gedenktafel für die Opfer der Abschiebepolitik

Pressemitteilung des 'Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main' vom 25.5.2001

Fraport erlaubt erstmals Anbringung der Gedenktafel für Abschiebeopfer. Die Demonstration durch das Flughafenterminal soll aber unterbunden werden

"Einerseits ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung, andererseits der Versuch einer völlig inakzeptablen Einschränkung der Protestmöglichkeiten", so kommentiert das Aktionsbündnis gegen Abschiebungen das vorläufige Ergebnis eines Verhandlungsgesprächs mit der Fraport im Vorfeld der Demonstration am kommenden Samstag am Flughafen.

Vergangenen Mittwoch hatten Fraport-Vertreter angeboten, der Gedenktafel "temporär" - für einen Tag - einen Platz im Eingangsbereich des Terminal 1 zuzugestehen.

Das Aktionsbündnis gegen Abschiebung Rhein-Main sieht in diesem Zugeständnis ein erstes Zeichen dafür, daß Fraport sich der Frage der Menschenrechtsverletzungen am Flughafen durch die täglichen Abschiebungen und Internierungen stellen muß. "Fast ein Jahr lang wurde unser Anliegen negiert, nur unter dem Druck der Ankündigung einer eigenverantwortlichen Anbringung der Tafel kam jetzt dieses Angebot zustande. Und unsere Forderung an die Fraport bleibt bestehen: die Bereitstellung eines dauerhaften Platzes!", so ein Sprecher des Aktionsbündnisses heute.

Die weitere Ankündigung von Fraport, am Samstag nur eine Kundgebung, aber - und das gelte auch für die Zukunft - keine Demonstrationen mehr durch das Terminal zulassen zu wollen, will das Aktionsbündnis auf keinen Fall hinnehmen: "Der Flughafen ist ein quasi-öffentlicher Raum, und solange von hier aus abgeschoben wird, solange hier Flüchtlinge eingesperrt werden, solange wird es hier auch weitere Proteste gegen diese Formen staatlichen Rassismus geben."

Das Aktionsbündnis ruft dementsprechend weiterhin für Samstag um 12 Uhr zur Demonstration im Flughafenterminal auf. Zum Teil prominente Mitglieder verschiedener Menschenrechtsorganisationen hatten ihre Teilnahme bereits angekündigt.


Bericht

Information des 'Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main' vom 28.5.2001

Knapp 300 Menschen, weniger als erwartet, setzten am vergangenen Samstag die Demonstration auf dem Frankfurter Flughafen anläßlich der Todestage von Aamir Ageeb und Naima Hadjar durch. Die Fraport hatte vorher zwar die symbolische Anbringung der Gedenktafel für die Todesopfer der Abschiebepolitik zugestanden, wollte eine Demo aber unbedingt verhindern, wie der Leiter der Flughafen-Security noch am Samstagmorgen telefonisch versicherte.

Die Eingänge des Flughafen-Bahnhofs und der ursprünglich als Ort der Auftaktkundgebung geplante Bereich A im Terminal 1 waren dann auch von einem enormen Polizeiaufgebot in Kampfanzügen belagert. Um dennoch die Demonstration durchführen zu können, war der Treffpunkt für die DemonstrantInnen jedoch insgeheim in den Bereich B verlagert worden, wo wir uns dann sammelten und die erste Kundgebung durchführten. Diese und der Demonstrationszug wurden schließlich - gegen alle Ankündigungen - geduldet. Es hätte wohl auch nicht so gut ausgesehen, hier gegenüber den TeilnehmerInnen - teils mit Blumen in der Hand - ein größeres Gerangel anzufangen.

Fazit: als erfolgreich können wir die Durchsetzung der Demo betrachten, und auch die kurzfristige Duldung der Gedenktafel an einem nicht zu abgelegenen Ort. Etwas enttäuschend dagegen die relativ geringe Anzahl der 300 TeilnehmerInnen.


Mahnung bis Mitternacht

Artikel aus '
Junge Welt' vom 28.5.2001 - Demo im Rhein-Main-Flughafen. Gedenktafel erinnert an Opfer deutscher Abschiebepraxis

Gegen den Willen der Fraport AG, der Betreiberin des Rhein- Main-Flughafens, fand am Sonnabend eine Demo im Frankfurter Flughafen statt, die mit der Anbringung einer Gedenktafel für die Opfer der deutschen Abschiebepolitik endete.

Als sich am Samstag um 13 Uhr ein Zug von rund 300 Demonstranten im Terminal 1 in Bewegung setzte, um vom Bereich B zum Bereich A zu ziehen und dabei Parolen wie "Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord - Bleiberecht für alle jetzt sofort" durch das Gebäude hallten, war das für das Bündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main ein Erfolg. Schließlich hatte der Leiter der Flughafen-security zuvor gegenüber Vertretern des Bündnisses erklärt, man werde lediglich die "temporäre Anbringung" einer Gedenktafel dulden. Einen Protestzug, wie in den vergangenen Monaten, wollte man diesmal "unterbinden". Doch die rege Teilnahme an der Aktion dürfte ein Grund dafür gewesen sein, die Demonstranten nicht aufzuhalten.

Schon zu Beginn halfen sich die Veranstalter mit einem kleinen Trick. Während zahlreiche Polizeibeamte im Terminal 1/Bereich A auf die Ankunft der Demonstraten warteten - Bereich A war als Treffpunkt angekündigt worden -, versammelten sich nach und nach immer mehr Abschiebungsgegner im Bereich B des weitläufigen Terminals.

Dort erinnerten dann während einer Kundgebung Rednerinnen und Redner an die besonders krassen Beispiele alltäglicher Abschiebepraxis. Helga Dieter von der Initiative "Courage gegen Rassismus" prangerte dabei die Internierungshaft am Flughafen an. Die sogenannte Sammelunterkunft sei "eine Institution staatlichen Rassismus, denn darin sitzen Frauen, Männer und Kinder, die in keiner Weise kriminell geworden sind". Eingesperrt seien diese Menschen, "weil sie Fremde sind".

Man wisse nicht, wie viele Flüchtlinge, die in den letzten Jahren zwangsweise in ihre Heimatländer zurückgeschickt wurden, dort von ihren Verfolgern eingekerkert, gefoltert oder umgebracht worden seien. Klar sei aber, so Dieter, daß einige Menschen sich aus Furcht vor Abschiebungen das Leben genommen hätten und andere ihre Abschiebung mit Folter und Tod bezahlen müßten. Hier arbeite "die Bundesregierung auch mit Despoten zusammen, die ansonsten als Schurken gelten und die sie mit Bomben bekämpft".

Die Erinnerung an Menschen, die sich im Internierungslager das Leben genommen haben oder noch während der Abschiebung zu Tod gekommen sind, sei vom Flughafenbetreiber und der Politik nicht gewünscht. Aber man werde sich den Protest gegen eine solche Praxis nicht nehmen lassen.

Im Bereich A erinnerte ein Vertreter des Netzwerkes "kein mensch ist illegal" daran, daß man das Geschäft mit den Abschiebungen noch nicht stoppen konnte. Trotzdem sei die größte deutsche Fluggesellschaft im zurückliegenden Jahr unter Druck geraten. Erreicht worden sei, "daß die Lufthansa öffentlich erklärte, mit diesem Geschäft nichts mehr zu tun haben zu wollen. Sicher nicht aus humanitären Gründen, sondern um Imageschäden abzuwenden". Auch die ÖTV hätte sich der Forderung angeschlossen, "aus dem deportation business auszusteigen". Selbst die Pilotengewerkschaft Cockpit gebe mittlerweile ihren Mitgliedern den Rat, unfreiwillige Passagiere nicht mehr mitzunehmen.

Schließlich wurde eine Metalltafel im Eingangsbereich des Terminals aufgehängt. Wortlaut: "Zum Gedenken an: Kola Bankole und Aamir Ageeb, die während ihrer Abschiebung beim Abflug von Frankfurt/ Main in Lufthansamaschinen durch Beamte des Bundegrenzschutzes gewaltsam zu Tode gebracht wurden. Zum Gedenken an Naimah Hadjar, die sich am 238. Tag ihrer Abschiebehaft aus Angst vor der Abschiebung im Internierungslager am Frankfurter Flughafen das Leben nahm. In Trauer um diese und alle anderen Opfer, in Wut über die deutsche Abschiebepolitik. Eingreifen gegen Abschiebungen, Ausgrenzung und jede Form von Rassismus! Kein Mensch ist illegal".

Mit dem Hinweis, Ende Juli, wenn am Frankfurter Flughafen das 4. antirassistische Grenzcamp stattfindet, werde sicher wieder für eine andere Asyl- und Flüchtlingspolitik demonstriert, endete die Aktion.

Die Fraport AG hatte vorab erklärt, daß die Mahntafel nur bis Mitternacht hängen würde.

Thomas Klein, Frankfurt/Main


"Trauer um alle Opfer, Wut über Abschiebepolitik"

Artikel aus '
Frankfurter Rundschau' vom 28.5.2001 - Aktionsbündnis bringt im Flughafen eine Tafel zum Gedenken an drei tote Asylbewerber an

Rund 300 Personen haben am Samstag am Frankfurter Flughafen gegen die Abschiebepraxis demonstriert und eine Gedenktafel für drei Menschen angebracht, die während des Abschiebeverfahrens starben. Die Demonstration verlief ohne Zwischenfälle. Die Tafel wurde schon am Abend wieder entfernt, darauf hatten sich Veranstalter und Flughafengesellschaft verständigt.

Am heutigen Montag, 28.Mai, jährt sich der Todestag des Sudanesen Aamir Ageeb zum zweiten Mal. Zum Gedenken an ihn, sowie an den Nigerianer Kola Bankole, der am 30. August 1994 starb, und die Algerierin Naimah Hadjar, die sich am 6. Mai des vorigen Jahres das Leben nahm, brachten Mitglieder des "Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main" am Samstagmittag eine Gedenktafel am Eingang 2 der Abflughalle A im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens an. Demonstranten legten an der Tafel Blumen nieder.

Bankole und Ageeb seien während ihrer Abschiebung "in Lufthansamaschinen durch Beamte des Bundesgrenzschutzes gewaltsam zu Tode gebracht" worden, Hadjar habe sich am 238.Tag ihrer Abschiebehaft aus Angst vor der Abschiebung im "Internierungslager am Frankfurter Flughafen" das Leben genommen, war auf der Tafel zu lesen: "In Trauer um diese und alle anderen Opfer, in Wut über die deutsche Abschiebepolitik." Die Gedenktafel sollte noch am Samstagabend wieder entfernt werden. Darauf hatten sich das Aktionsbündnis und die Flughafengesellschaft Fraport im Vorfeld der Protestkundgebung verständigt. Der dauerhaften Anbringung einer Gedenktafel könne nicht zugestimmt werden, bekräftigte Fraport-Sprecher Wolfgang Schwalm. Es gebe deswegen verschiedene Anfragen unterschiedlicher Gruppierungen und man wolle "einzelne Gruppen nicht bevorzugen".

Das Angebot der Fraport, die Gedenktafel in einem symbolischen Akt nur einen Tag anzubringen, sei zwar angenommen worden. Die Forderung nach einem dauerhaften Platz bleibe jedoch bestehen, sagte Hagen Kopp vom Aktionsbündnis. Er kündigte eine Klage gegen die Lufthansa an, um deren Verantwortung am Tod Ageebs zu klären. Zum Boykott ihrer Flüge, bis sie sich nicht mehr an Abschiebungen von Flüchtlingen beteilige, rief Hans Branscheidt von Medico International auf.

Weil der Flughafenbetreiber nur eine Kundgebung und nicht einen Demonstrationszug erlauben wollte, hätten sich die Teilnehmer nicht wie vorgesehen in Halle A sondern in Halle B getroffen, um so trotz eines "massiven Polizeiaufgebots" einen Demo-Zug durch das Terminal1 veranstalten zu können. Das Aktionsbündnis betrachtet das Flughafengebäude als "quasi-öffentlichen Raum", die Fraport pocht auf ihr Hausrecht. Der Verzicht auf den Zug wäre von den Mitgliedern als "Präzedenzfall" angesehen worden, meint Kopp.

Die Fraport habe versucht, "so weit wie möglich zu deeskalieren", sagte Schwalm. Vom Hausrecht hätte man nur im Notfall, etwa bei Sachbeschädigungen oder Angriffen auf Personen Gebrauch gemacht. Demonstrationen im Flughafengebäude setze der Flugbetrieb jedoch Grenzen. Nach seiner Einschätzung sind aber keine Fluggäste behindert worden. Es sei zugesichert worden, die Abfertigung nicht zu blockieren, sagte Kopp. Wie er hob auch Schwalm den "absolut friedlichen Verlauf" der Demonstration hervor. ohm


Der Fall Aamir Ageeb

Artikel aus ai-JOURNAL, Heft 11 - November 1999, S. VI

Am 28. Mai diesen Jahres starb der 30 Jahre alte Sudanese Aamir Ageeb. Da er sich gegen seine Abschiebung gewehrt hatte, wurde er von drei BGS-Beamten gefesselt, bekam einen Motorradhelm aufgesetzt und wurde während des Starts mit dem Kopf nach unten gedrückt, wobei er starb.

Ageeb, der u.a. fließend Arabisch, Deutsch und Türkisch sprach, ging oft in die Moschee und war aktiv am Sozialleben der türkischen sowie der arabischen Gemeinde in Hamburg beteiligt. Er war in der muslimischen Gemeinde daher sehr bekannt und populär. Die sehr gut durchgeführte organisatorische Arbeit einiger afrikanischer Gruppen - vor allem im Zusammenhang mit Protestdemonstrationen vor der Ausländerbehörde und in der Hamburger Innenstadt - trugen dazu bei, daß der Fall Ageeb in Hamburg bekannt wurde. Unsere Entscheidung, uns näher mit den Umständen seines Todes zu beschäftigen, entstand nicht nur weil wir durch die ai-Asylarbeit schon Kontakt zu Bekannten und Freunden von Ageeb hatten, sondern vor allem durch die ruhige, gleichzeitig insistierend gestellte Forderung des Sudanesischen Verbandes in und um Hamburg e.V. nach einer lückenlosen Aufklärung des Falles. Die Sudanesen waren schockiert nicht nur über den Tod Ageebs, sondern auch durch die Art, wie mit seinem Andenken in den Medien umgegangen wurde. Denn sie kannten ihn seit Jahren und konnten nicht fassen, wie jemand aus ihrem Freundeskreis angeblich so viele schreckliche Dinge gemacht haben soll, wie in den Medien über ihn berichtet wurde, ohne daß sie je etwas davon bemerkt haben. Ihre Betroffenheit hat uns angesteckt.

Das Problem, daß viele Aspekte unseres Engagements den Rahmen des ai-Mandats sprengten, war ein Dilemma, das AsylberaterInnen oft begegnet; nämlich als Vertreterln von amnesty vor Ort betrachtet zu werden (durch die Beratungsarbeit) gleichzeitig aber gezwungenermaßen auf einem Gebiet zu arbeiten, das zum Teil vom Mandat nicht abgedeckt ist. Das Problem war mehr oder weniger befriedigend dadurch gelöst, daß die Hauptverantwortung für diese Tätigkeit an den Hamburger Arbeitskreises Asyl e.V. in Altona (eine 15 Jahre alte Flüchtlingsinitiative) übertragen wurde.

Ich glaube, daß ein Bericht über unsere Arbeit nicht ohne Relevanz für ai-Mitglieder ist. Erstens geht das Thema alle an, die mit Flüchtlingen zu tun haben, ob innerhalb oder außerhalb des Mandatrahmens. Zweitens wurde das Problem von polizeilichen Übergriffen in Deutschland im ai-JOURNAL schon mehrmals behandelt. Drittens hat die Diskussion über die Glaubwürdigkeit von Berichten in den etablierten Medien schon anderswo in dieser Organisation für nicht wenig Aufregung gesorgt. Die meiner Meinung nach entäuschend dürftige Berichterstattung zum Fall Ageeb hat die Sache nicht gerade besser gemacht. Die litaneiähnliche Wiederholung von Begriffen wie "abgelehnter Asylbewerber" oder die Aufforderung "die körperliche Unversehrtheit von Flüchtlingen bei Abschiebungen sicherzustellen", ohne die vorhandene Sache konkret zu thematisieren, läuft Gefahr, irreführende bis verleumderische mediale Berichterstatungen durch Stillschweigen in Gebieten, die das Mandat nicht unmittelbar angehen, zu legitimieren. Ich glaube inzwischen fast, daß es besser wäre, gar nichts über ein Ereignis im eigenen Land zu berichten, als das zu schreiben, was in unserer Zeitschrift stand. Daher die Entscheidung, ai-INTERN unseren Bericht anzubieten. Bitte nimmt das nicht als Verurteilung, sondern als konstruktiv gemeinte Kritik.

Inzwischen gibt es jetzt eine informelle, selbständige Arbeitsgruppe in Hamburg, die sich mit dem Fall Ageeb und der Medienberichterstattung zu seiner Person u.a aus strafrechtlicher Perspektive beschäftigt. Manche der Mitglieder sind oder waren bei amnesty in der Asylberatung tätig. Zwei kleine Anfragen zu diesem Fall liegen inzwischen dem Bundestag vor, andere werden in Kürze folgen.

Wir beschränken uns in diesem Bericht auf drei Teilaspekte: Die Anfangsberichterstattung zur Person, das spätere vom BMI korrigierte Bild und schließlich ein paar Bemerkungen zum Umgang mit dem Obduktionsbericht.

Das Bild in der Presse

In den Presseberichten unmittelbar nach seinem Tod wurde Ageeb weitgehend als ein untergetauchter, krimineller, abgelehnter Asylbewerber dargestellt. Diese Behauptungen, die bis heute immer noch nicht nachgewiesen sind, gewannen in den ersten Tagen einen so hohen Stellenwert, daß Ageebs Tod in den Hintergrund rückte. Was blieb, war ein stereotypes, rassistisches Bild eines unbeherrschten, gefährlichen Afrikaners, den man mit Recht abschiebt, wenn es sein muß,auch mit Gewalt. Diese Beschuldigungen basierten meistens auf Quellen aus nicht näher definierten "Sicherheitskreisen". Mit zwei interessanten Ausnahmen, einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung von Corinna Emundts und einem von Hans-Peter Klingelschmitt in der taz.

Wir dokumentieren einige Beispiele. Die Frankfurter Rundschau vom 30.5.99 berichtete: "In Sicherheitskreisen hieß es, der Sudanese sei vorbestraft gewesen ... Der Mann sei gewaltbereit und renitent gewesen." In der Hamburger Morgenpost (31.5.99) war zu lesen von einem "wegen eines umfangreichen Strafregisters bis hin zur gefährlichen Körperverletzung abgelehnten Asylbewerber." In der Welt (31.5.99) war zu lesen, "der Sudanese sei mehrfach vorbestraft gewesen, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung."

Der Frankfurter Journalist Klingelschmitt schreibt in der taz (31.5.99) von einem "nach der Ablehnung seines Asylantrags untergetauchten Ageeb", der laut Staatsanwaltschaft 'als gewalttätig bekannt' sei. Nach Informationen der taz saß der Sudanese in der Justizvollzugsanstalt Mannheim in Abschiebehaft. Er sei im Regierungsbezirk Karlsruhe polizeibekannt gewesen ... Ageeb wurde wegen 'gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl' gesucht. Er war auch wegen sexueller Belästigung aufgefallen."

Frau Emundts Darstellung war geradezu grauenerregend (Süddeutsche Zeitung vom 7.6.99): "Allerdings, sagt BGS-Mann Müller, seien es seltener abgelehnte Asylhewerber, die sich wehrten, sondern ausgewiesene ausländische Straftäter. Seinen Kollegen war Ageeb, verurteilt unter anderem wegen schwerer Körperverletzung und Diebstahl, als gewaltbereit angekündigt worden. 'Man kann austicken im Kopf, wenn man die Strafregister sieht, da wird meine Bereitschaft zu Rückführung größer.' Möglicherweise auch jene, härter zuzugreifen? 'Die Gefühle sind da, die kann man nicht abschalten', sagt Müller. 'Wenn sich einer wehrt mit aller Gewalt, da geht es knallhart zu', sagt Steinke, beim zweiten Mal ist man nicht mehr so empfindlich'."

Eine paradoxe Situation, denn die Staatsanwaltschaft hat bis heute jeden Einblick in Ageebs Strafregister verwehrt, angeblich um die Ermittlungsarbeit nicht zu gefährden. Gleichzeitig sickern aus nicht näher bezeichneten "Sicherheitskreisen" Behauptungen durch, die wiederum anscheinend kritiklos von einigen eifrigen JournalistInnen weitergegeben werden. Weder Ageeb, der bekanntlich tot ist, noch sein Anwalt, noch seine Freunde oder Familie werden in die Lage versetzt, etwas dagegen unternehmen zu können. Alle müssen tatenlos zusehen, wie der Ruf eines gewaltsam getöteten Menschens ruiniert wird.

Um herauszufinden, wer was wo gesagt oder geschrieben hat, schickten wir Briefe mit der Bitte um nähere Auskunft an die relevantesten Quellen. Bis auf "Welt" und taz antworteten alle. Dies brachte uns in der Sache weiter. Frau Emundt ortete ihre Quelle im Bundesinnenministerium, wollte aber nicht genau sagen, wer es war.

Morgenpost und FR beriefen sich auf AP und Reuters, und sagten uns genau, wohin wir unsere Briefe schicken sollten. Dies taten wir. Unsere höfliche Anfrage: "Wir kennen viele Freunde von Herrn Ageeb, auch seinen Sozialarbeiter. Niemand weiß etwas von einem schweren Strafregister gegen ihn..." Wir brachten unsere Verwunderung zum Ausdruck, daß die Staatsanwaltschaft Ageebs Anwalt Dieter Kornblum gegenüber mehrmals versichert hat, es gebe keine gravierenden Eintragungen gegen Ageeb, sie aber öffentlich das Gegenteil behauptet. Wie kann das sein?

Reuters antwortete nicht. Herr Peter M. Gehrig, Chefredakteur von AP-Germany, erwiderte dafür prompt und eindeutig. Unsere Fragen, meinte der Meinungsmacher, seien aus der Luft gegriffen und "schädigt(en) das Ansehen unserer Agentur." Herr Gehrig zitiert aus einem kurz nach Ageebs Tod vom Bundesinnenministerium vorbereiteten Bericht zu dem Fall, wonach Ageeb zweimal wegen versuchter Nötigung rechtskräftig zu Geldstrafen und 1999 wegen Störung öffentlicher Betriebe zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Er sei auch wegen sexueller Beleidigung einer Schülerin sowie Vergewaltigung in der Ehe angeklagt, die letzten beiden Ermittlungsverfahren seien "vorläufig eingestellt", weil Herrn Ageebs Aufenthalt angeblich nicht zu ermitteln war.

Herr Gehrig war nicht ganz aufrichtig uns gegenüber. Denn jemand aus seinem Büro faxte uns anonym Kopien der AP-Berichterstattung zum Fall Ageeb in den Tagen unmittelbar nach seinem Tod zu. In fast jedem Bericht zu diesem Fall - egal worum es ging - stand folgender Absatz: "In Sicherheitskreisen hieß es, der Sudanese sei wegen Nötigung, Diebstahls, Hausfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung auf sexueller Basis vorbestraft gewesen (...) Der Mann sei gewaltbereit und renitent gewesen." Diese Behauptungen enthielten ein Vielfaches mehr an Tatsachen-Behauptungen, als in dem BMI-Bericht stand. Nach diesen Beschreibungen, mußte Ageeb mindestens einige Jahre im Knast gesessen haben; sie sind - wie auch die des Frankfurter Journalisten Klingelschmitt -alle reine, glatte Lügen.

Zunächst waren wir natürlich froh darüber, endlich an eine der wichtigen Quellen der Mediendesinformation angelangt zu sein. Das erneute Lesen der Sätze aber rief in uns erhebliches Unwohlsein von anhaltender Dauer hervor. Wir kamen zu der Auffassung, daß der Duktus und Stil dieser Stellungnahmen nicht nur dem Ansehen Ageebs schadeten, sondern die Gefahr hervorriefen, nach klassischer DVU-Manier ein verlogenes, stereotypes Bild von AfrikanerInnen und AusländerInnen überhaupt als an sich "kriminell" im Bewußtsein der Bevölkerung zu zementieren. Die AP-Berichte, auch die ebenso unwahren Behauptungen des taz-Journalisten Klingelschmitt, boten eine glänzende schriftliche Illustration der A. Paul Weber Graphik "Das Gerücht" - diesmal gegen eine ganze soziale Gruppe gerichtet, die heutzutage sowieso mit dieser zunehmend ausländerfeindlichen Gesellschaft schwer zu tun hat.

Der BMI-Bericht

Selbst die BMI-Version enthält bedenkliche Auslassungen und Fehler. Von dem Vorwurf der versuchten Nötigung wissen wir gar nichts. An dem Vorwurf der Störung öffentlicher Betriebe scheint dagegen etwas dran zu sein. Bei einer Fahrkartenkontrolle fühlte sich Ageeb von einem Beamten mißverstanden, ja sogar beleidigt, denn er meinte, die korrekte Summe für eine Fahrkarte bezahlt zu haben und verwahrte sich gegen ein Strafgeld. Es entstand eine heftige Diskussion zwischen Ageeb und dem Schaffner, woraufhin Ageeb aus Protest die Notbremse zog, was das Starten des Zuges kurzzeitig hinderte. Zweifellos ein Kapitalverbrechen.

Die Beschuldigungen im BMI-Bericht in Bezug auf Ageebs angebliches sexuelles Vergehen sind besonders schlimm. Wir zitieren wörtlich: "Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hatte am 22. Januar 1998 Anklage gegen Herrn Ageeb wegen sexueller Beleidigung einer Schülerin erhoben. Das Verfahren war jedoch am 22. Januar 1999 wegen unbekannten Aufenthaltes des Herrn Ageeb gem. §205 StPO wegen Abwesenheit vorläufig eingestellt worden. Weiterhin wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe aufgrund einer Anzeige seiner geschiedenen Ehefrau wegen Vergewaltigung in der Ehe eingeleitet. Auch dieses Verfahren war wegen unbekannten Aufenthaltes des Angeschuldigten am 2. Juni 1998 gem. §205 StPO vorläufig eingestellt worden."

Was den Vorwurf der versuchten sexuellen Nötigung einer Minderjährigen angeht, so hat Ageebs guter Freund in Pinneberg auch hier eine ganz andere Version erzählt. Eine junge Frau brachte zur Anzeige, daß irgendein Schwarzer sie sexuell beleidigt hätte. Daraufhin rief die Polizei jeden Schwarzen zum Polizeirevier, der der Personenbeschreibung der jungen Frau nahekam. Als die Frau Ageeb sah, hat sie ihn nicht identifiziert. Er durfte wieder gehen. Wichtig hier ist die Tatsache, daß sich Ageeb statt unauffindbar zu sein, mit seinem Freund freiwillig bei der Polizei meldete. Der BMI-Bericht läßt anscheinend einige wichtige Fakten unerwähnt.

Wir können zum schweren Vorwurf der Vergewaltigung in der Ehe nichts sagen. Ageebs Ex-Frau hat sich völlig zurückgezogen und äußert sich zu dem Fall überhaupt nicht. Gravierender in diesem Zusammenhang ist, daß nicht einmal die Staatsanwaltschaft in Itzehoe von irgendeinem sexuellen Vergehen Ageebs in seinem Revier weiß. Ageebs Anwalt Kornblum schrieb an dieses Amt mit der Bitte um Auskunft darüber. Am 26. August antwortete Oberamtsanwalt Schlien mit folgender Auskunft: Drei Verfahren waren gegen Ageeb anhängig, wegen Hausfriedensbruch (1997), Diebstahl (1998) und Erschleichen von Leistungen sprich Schwarzfahren in der U-Bahn (1998), die sämtlich wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden. Von irgendwelchen sexuellen Vergehen ist nicht die Rede.

Fassen wir nun alles zusammen. Das ursprüngliche BMI/Medienbild von Ageeb sah so aus: Er war ein wegen Nötigung, Diebstahls, Hausfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung auf sexueller Basis vorbestrafter, in Karlsruhe wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl noch gesuchter und in Itzehoe wegen sexueller Beleidigung einer Minderjährigen sowie versuchter Vergewaltigung, da unauffindbar, nicht mehr gesuchter renitenter, untergetauchter, gewaltbereiter afrikanischer Mann. Nach zweimonatiger Forschung bleib von allen Vorwürfen nur eins hängen: Ageeb war ein afrikanischer Mann.

Offensichtlich hat niemand bis auf - hoffentlich - die Staatsanwaltschaft in Frankfurt den vollen Durchblick in dieser Sache. Wir finden es nur seltsam, daß auf Grund einer laufenden Ermittlung Einblick in ein Strafregister nicht gewährt wird, daß aber gleichzeitig Gerüchte und äußerst widersprüchliche Angaben über dieses Strafregister in Umlauf gesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft in Landshut, anscheinend mindestens ein Beamter im Innenministerium, ein linker taz-Journalist und wahrscheinlich noch andere haben munter mit- und abgeschrieben. Viele dieser von Journalisten verbreiteten Vorwürfe tauchen später in einem offiziellen Bericht nicht mehr auf. Auf den Bericht ist - leider - auch nicht viel Verlaß.

Es gibt einen einfachen Weg aus diesem Dilemma: Das Strafregister freigeben. Warum tut dies der Staatsanwalt nicht? RA Kornblum hat ihn mehrmals darum gebeten, es wurde mehrmals abgelehnt - zum Teil schriftlich.

Die Sache mit dem "untergetaucht sein"

Aamir Ageeb war 1994 in die BRD eingereist, wo er Asyl beantragte. Einer seiner Brüder war im Bürgerkrieg im Sudan gefallen, ein anderer war politischer Gefangener im Sudan. Trotzdem wurde sein Antrag im August 1995 abgelehnt. Er klagte dagegen. Bald lernte er eine Frau kennen, die er heiratete. Er zog seine Klage zurück und bekam eine gültige Aufenthaltserlaubnis bis 19.4.1999. Als die Ehe auseinander ging, wurde Ageebs Aufenthaltserlaubnis mit Verfügung vom 28.4.1998 bis zum 4.6.1998 befristet. Ageeb ließ Widerspruch gegen diese Verfügung einlegen. Am 1.4.1998 meldete er seinen neuen Wohnsitz in Wedel an. Seine neue Adresse war der Behörde also bekannt. Bis zum Tag seiner Verhaftung ist er davon ausgegangen, daß er entweder bis zum 19.4.99 oder bis zur Entscheidung über seinen Widerspruch in der Bundesrepublik bleiben dürfte. Er hatte laut Anwalt kein amtliches Schreiben mehr vom Ausländeramt bekommen. Ageeb wurde am 25.8.1998 und 25.9.1998 von der Polizei in Wedel in ausländer- und melderechtlicher Hinsicht überprüft. Daß es keinerlei Beanstandungen gab, wurde von der Polizei Wedel am 19.5.1999 sogar schriftlich bestätigt. Behauptungen seitens der Polizei in Pinneberg, wonach Ageeb nur deswegen so lange nicht abgeschoben werden konnte, weil es keinen Platz in derAbschiebehaft gab, konnte vom Polizeirevier Wedel nicht bestätigt werden. Ageeb ist zum letzten Mal im März 1999 bei einer Polizeikontrolle überprüft worden -es gab keinerlei Beanstandungen.

Unsere Nachforschung hat ergeben, daß Ageeb am 25.1.1999 an einer Info-Runde des HVV-Verkehrsbegleitservice teilnahm, wo der angeblich untergetauchte, gewaltbereite, renitente Mann als sehr freundlich auffiel. Er wurde am 14.02.1999 zu einer Bewerberunde eingeladen und hätte den Job bekommen, wenn nicht die Stadt Hamburg letztendlich die Gelder für das Projekt gestrichen hätte. Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, konnten sich an ihn erinnern und waren zutiefst schockiert als sie hörten, daß und wie er gestorben ist.

Ageeb war sich so sicher, daß sein Aufenthalt in Deutschland rechtens war, daß er sich bei der Polizei in Karlsruhe meldete. Jemand hatte seine Jacke gestohlen und Ageeb wollte Anzeige erstatten. Statt ihm zu helfen, brachte ihn die Polizei in Abschiebehaft.

Der Obduktionsbericht

Der Obduktionsbericht lag binnen eines Tages nach dem Tode vor. Dennoch zögerte die Staatsanwaltschaft lange, ehe sie ihn an Ageebs Rechtsanwalt übergab. Eine Expertenanalyse soll noch angefertigt werden. Genaueres wird erst in einigen Wochen bekannt sein. Bis dahin möchten wir den Inhalt nicht weiter kommentieren. Statt dessen legen wir eine kleine Anfangschronologie bei.

Am 28.05.1999 wurde die gerichtsmedizinische Untersuchung von Ageebs Leiche durchgeführt. Es dauerte fast zwei Monate, bis dieser Bericht RA Kornblum vorlag. Zunächst teilte die Staatsanwaltschaft Landshut mit, daß die Todesursache nicht eindeutig geklärt werden könne. RA Kornblum wurde mitgeteilt, es könne noch Monate dauern, bis die Todesursache bekannt sei.

Am 15.06.99 teilte das BKA Wiesbaden RA Kornblum mit, daß eine Nachuntersuchung in ungefähr einer Woche durchgeführt werden würde. Daraufhin wurde die sudanesischen Botschaft anscheinend stutzig und bestand darauf, bei der zweiten Obduktion dabei zu sein. Denn inzwischen war die Sache in Khartum zu einem Politikum geworden. Tausende demonstrierten dort.

Die Staatsanwaltschaft wollte damit nichts zu tun haben. Die Botschaft blieb aber bei ihrer Forderung. RA Kornblum sagte zu Ageebs gutem Freund in Pinneberg: "Wie bereits mit Herrn Botschafter Dr. Deng besprochen, wäre für den Fall, daß das Ergebnis der gesamten Autopsie nicht akzeptabel sein sollte, ein Ersuchen an die Staatsanwaltschaft zu richten, um eine nochmalige Untersuchung beispielsweise durch Ärzte der Botschaft herbeizuführen." Dann willigte die Staatsanwaltschaft ein. Die Sudanesen dürften dabei sein.

Plötzlich aber wurde alles noch mal anders behauptet: Die Todesursache sei doch klar, eine zweite Obduktion sei nicht notwendig. Kornblum teilte uns telefonisch mit: Laut Staatsanwaltschaft ist die Todesursache "Erstickungstod durch massive Einwirkung von Gewalt."

Am 25.6.99 schreibt RA Kornblum, daß die Leichenüberführung am 2.7.99 stattfinden soll. Erst am 23.7.99 trifft der Obduktionsbericht und das Protokoll bei RA Kornblum ein. Unverändert mit Datum 31. Mai. Auf Seite 21 steht: "Eine anatomisch eindeutig nachweisbare Todesursache konnte bei der Obduktion der Leiche des Herrn AGEEB Aamir nicht festgestellt werden." Es gebe jedoch gravierende Anzeichen "für einen Erstickungsmechanismus" S.22: "Wir bitten gegebenenfalls um Auftrag zu weiteren Untersuchungen. (...) Ein abschließendes Gutachten bleibt vorbehalten (...) Gegen die Freigabe der Leiche bestehen ärztlicherseits keine Bedenken."

JERRY HODGES (1639; ASYL-AK HAMBURG) FUR DEN ARBEITSKREIS ASYL E.V., HAMBURG


Links

Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main
Informationen zum Fall Aamir Ageeb
Kein Mensch ist illegal - Kölner Netzwerk
Kein Mensch ist illegal - Forschungsstelle Flucht und Migration e.V., Berlin
Kein Mensch ist illegal - Wien
D.I.R. - Dokumentations- und Informationszentrum für Rassismusforschung, Marburg
Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.
Antirassistische Initiative Berlin e.V.
Antirassismusbüro Bremen
Büro antirassistischer Initiativen Kassel
Bürgerinitiative Asyl Regensburg
Verein für politische Flüchtlinge Münster
Zürcher Komitee zur Unterstützung der sans-papiers