Berlin, 28./29.6.2003, Sonderparteitag der PDS
Selbstkritisch. Selbstbewusst
Einschätzung des neuen PDS-Parteivorstands vom 2.7.2003 zur Situation in der Partei
Auf seiner ersten Pressekonferenz nach dem außerordentlichen Parteitag stellte der Parteivorsitzende, Lothar Bisky fest:
Der Parteitag hat der PDS eine neue Chance gegeben. Er war durchaus ein Aufbruch aus der Krise, aus der Selbstbeschäftigung. Die Bundespartei ist wieder auf dem Weg in die Politik, in die Gesellschaft, hin zu den Menschen.
Der Parteitag hat dennoch auch die Probleme und Defizite der PDS noch einmal verdeutlicht. Sie sind noch nicht gelöst. Die eigentlichen Aufgaben stehen noch bevor. Das Scheitern des IG-Metall-Streiks hat noch einmal sichtbar werden lassen: Es ist kompliziert, selbst für vernünftigste soziale und solidarische Alternativen und für die seit 13 Jahren überfällige Gleichbehandlung der Ostdeutschen einzutreten. Vor allem geht es um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um die längst überfällige Angleichung der Lebensverhältnisse.
Das ist auch für die PDS schwierig. Anders aber als in den vergangenen Monaten wird die Partei durch die klaren Parteitagsentscheidungen und durch einen fast neuen, stark verjüngten und teamfähigen Parteivorstand in der Lage sein, auf anstehende politische Fragen einzugehen und sie anzupacken.
Dieses Land braucht eine sozialistische Partei, braucht wenigstens eine Alternative zum neoliberalen Einerlei in der alten und neuen Mitte. Dieser Verantwortung muss und wird die PDS gerecht werden!
Einhundertsechzehn-Tage-Programm
In den nächsten Einhundertsechzehn Tagen bis zum 26. Oktober, an dem die Partei des Demokratischen Sozialismus ein neues Programm beschließen wird und an dem in Brandenburg Kommunalwahlen stattfinden, stehen folgende Aufgaben im Mittelpunkt:
Noch im Juli wird - beginnend mit der Vorstandsklausur am 06./07.07.03 eine straffe und professionelle Arbeits- und Führungsfähigkeit des Parteivorstandes und der Bundesgeschäftstelle vorbereitet und hergestellt.
Im Juli/August wird Lothar Bisky auf Kommunal- und Sozialtour gehen. Begleitet von Mitgliedern des Parteivorstandes und weiteren PDS-Politikerinnen und -Politikern geht die Tour durch ostdeutsche Kommunen. Vereinbart sind Treffen mit Bürgermeistern, Besuche von Baubetrieben, sozialen Beratungsstellen etc. Dabei steht die Diskussion über das von Helmut Holter, Harald Wolf und den Landtagsfraktionsvorsitzenden erarbeiteten Innovationsprojekt Ost im Mittelpunkt.
Ebenfalls im Juli/August wird es kreative, populäre und öffentlichkeitswirksame Aktionen gegen die Agenda 2010, für soziale und wirtschaftlich vernünftige Alternativen sowie für die Einberufung eines bundesweiten SozialKonvents (orientiert an der Idee und Arbeitsweise des Europäischen Verfassungskonvents) geben. Ich erachte es für notwendig, so Bisky, auf der Grundlage des Parteitagsbeschlusses und anderer Dokumente kreative und gleichermaßen realistische und wirtschaftlich vernünftige Alternativen der PDS populär zu machen (z.B. die Vorstellungen zur Wertschöpfungsabgabe, zur Bürgerversicherung, zum SozialKonvent).
Bis Ende September wird die PDS ihre Strategie für Politik und Entwicklung der PDS 2004 (Europawahl) bis 2006 (Wiedereinzug einer sozialistischen Fraktion in den Bundestag) vorlegen. Dieses Projekt 04-06 wird weit über die Wahlerfordernisse hinausgehen und auf die Bestimmung und Sicherung des Platzes der PDS in der Gesellschaft und im deutschen Parteiensystem gerichtet sein. Dazu werde wird noch im Juli eine Strategiegruppe "PDS plus", berufen, für die Lothar Bisky u. a. Michael Brie, Michael Chrapa, Rosemarie Hein, Petra Pau, Angelika Gramkow, Paul Schäfer, Rolf Kutzmutz, Wolfgang Gehrcke, Christa Luft aber auch parteilose Intellektuelle gewinnen möchte.
Ohne dem Europaparteitag der PDS und seiner Wahlliste Anfang 2004 vorzugreifen, wird Lothar Bisky dem Parteivorstand im September die Bildung eines Europateams der PDS vorschlagen. Die enorme Rolle europäischer Politik, die aktuellen Herausforderungen (Erweiterung, Verfassung, Verhältnis zu den USA) lassen das ebenso geboten erscheinen wie die große Bedeutung der Europawahlen für die PDS und die weithin anerkannte und erfolgreiche Arbeit der PDS im Europäischen Parlament. Die Europapolitik der PDS muss dringend wirksam personalisiert werden. Mit Sylvia-Yvonne Kaufmann, der einzigen deutschen Frau im europäischen Verfassungskonvent, Helmuth Markov und Landespolitikerinnen und -politikern wie zum Beispiel Ingrid Mattern und Karsten Neumann stehen dafür zweifellos kompetente Menschen aus der PDS zur Verfügung.
Einer sehr gründlichen, langfristigen und transparenten Vorbereitung bedarf der Programmparteitag in Chemnitz durch den Parteivorstand und die Programmkommission. Dazu soll spätestens Anfang August eine Vorbereitungsgruppe unter der Leitung von Gabi Zimmer und dem Parteivorsitzende gebildet werden. Der Parteivorstand wird den Parteitagsdelegierten bis zum 30. August den auf der Grundlage der Diskussionen und Anträge überarbeiteten Vorschlag für das Parteiprogramm vorlegen.
Der diesjährige Einheizmarkt der PDS am 3. Oktober sollte daher unter dem Motto "Ein Programm für Menschen" stattfinden. Mit Kultur, Gesprächen, verständlichen Informationen und nicht zuletzt mit Zuversicht und Selbstbewusstsein wollen wir Tausenden Bürgerinnen und Bürgern unsere programmatischen Positionen und unsere Politik vorstellen. Im Vorfeld des 3. Oktober könnten Basiskonferenzen der PDS bundesweit die Bilanz der bisherigen Programmdiskussion ziehen.
Bis Mitte September wird Bisky gemeinsam mit dem Parteienforscher Michael Chrapa und Verantwortlichen aus Landesvorständen in Ost- und Westdeutschland dem Parteivorstand ein Konzept vorlegen, wie die notwendige Parteireform der PDS praktisch und strategisch in Gang gebracht werden kann.
Der September und Oktober sind Monate des Kommunalwahlkampfes in Brandenburg. Bürgerinnen und Bürger werden primär über die Kommunalpolitik und die Kommunalpolitikerinnen und -politiker der PDS vor Ort entscheiden. Sie sollen aber auch den Neustart und Aufbruch der Bundespartei positiv erleben können.
Steuerreform muss Entlastung der Kommunen bringen
Abschließend beurteilte Lothar Bisky die gegenwärtige Situation in der Bundesrepublik als die "schwerste Finanzkrise in der Geschichte". Die allermeisten der bundesweit 14.000 Städte und Gemeinden bzw. 323 Landkreise wurden an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit gebracht. Die kommunalen Spitzenverbände gehen davon aus, dass durch die Gemeindefinanzreform, die noch in dieser Woche verkündet werden soll, eine Bruttoentlastung der Kommunen um 10 Milliarden Euro erreicht werden kann. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass das geplante Vorziehen der 3. Stufe der Öko-Steuerreform Verluste bei den Kommunen in Höhe von immerhin 2,3 Milliarden Euro bedeutet. Die Dramatik der Finanzsituation belegt, dass die Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2003 um 8 - 10 % unter denen des Jahres 2002 liegen werden.
Nach den ursprünglichen Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen sollten die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen im Zeitraum 2000 - 2005 um 25 Milliarden Euro wachsen. Jetzt geht man davon aus, dass sie in diesem Zeitraum um 25 Milliarden abnehmen werden. Insgesamt entsteht also vor allem durch die Gewerbesteuerverluste ein Loch in den kommunalen Haushalten von 50 Milliarden Euro.
Spricht man mit Vertretern von Banken, hört man nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, dass Unternehmen in ähnlicher Situation schon längst nicht mehr kreditwürdig wären.
Die PDS erwartet, dass die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzierung dauerhaft wirkende Schritte für die Stärkung der kommunalen Finanzkraft und damit gleichzeitig für die Beseitigung der immensen Strukturdefizite, die - so der Deutsche Städtetag - bereits zu argentinischen Verhältnissen geführt haben, einleitet. Die PDS unterstützt seit langem die Vorschläge, die Gewerbesteuer als wirtschaftsbezogene Steuer zu erhalten und zu modernisieren. Die Steuereinnahmen der Kommunen müssen verstetigt und bei der Erhebung dieser Steuer muss mehr Gerechtigkeit erreicht werden.
Quelle: http://www.pds-online.de