Berlin, 20.3.2004, Protest anläßlich des ersten Jahrestages des Überfalls auf den IrakBilder

Imperiales »U-NO«

Rede des Hamburger Völkerrechtlers Norman Paech, gehalten am Samstag auf der Antikriegsdemonstration in Berlin

Vergangenes Jahr zum selben Zeitpunkt kamen noch Hunderttausende in Deutschland, Millionen in der Welt, um gegen den Überfall auf den Irak zu protestieren. Heute sind es nur noch Hunderte, vielleicht Tausende, in einem Land von über 80 Millionen.

Ist der Irak-Krieg schon vergessen, obwohl wir täglich mit neuen Terrormeldungen aus dem besetzten Land an ihn erinnert werden? Gewöhnen wir uns langsam an diese Art von Interventionen, da Saddam Hussein nun gefangen ist und der Aufbau eines weiteren Protektorats zügig voranschreitet? Treten wir nun langsam der Allianz der Aufbauwilligen bei, um Demokratie und Menschenrechte zu exportieren und Öl und Gas dafür wieder billiger zu importieren?

Jetzt wollen sie uns wieder einreden, daß der Terror in Spanien nichts mit Aznars Kriegspolitik zu tun gehabt hat, daß wir alle in Europa, der ganze christliche Westen ohne Unterschied, vom islamischen Terror bedroht werden, daß wir also in dieser Stunde der höchsten Gefahr zusammenstehen und uns hinter den USA versammeln müssen und vor allem den Irak nicht aus den militärischen Fingern lassen dürfen. Die Sicht ist plump und durchsichtig: Die Kriegsallianz, die sich nun allmählich aufzulösen droht, muß zusammengehalten und gefestigt werden. Die Politik imperialistischer Herrschaftsordnung im Nahen und Mittleren Osten muß unverändert, d. h. mit militärischer Drohung und Gewalt fortgeführt werden. Eher sollen Völkerrecht, UNO und der eigene Rechtsstaat vor die Hunde gehen, als daß wir schmählich zurückweichen und die reichen arabischen Ölstaaten uns ihre Preise diktieren.

Die Maschine dreht sich auf hohen Touren, die uns weismachen will: Egal, welche Politik wir machen, mit oder ohne Krieg und Militär, wir sind alle über kurz oder lang Opfer des Terrorismus. Also rüsten wir auf, pflastern wir unsere Straßen und Plätze mit Videokameras, machen wir aus den Wohnungen der Menschen Glascontainer, und holen wir die Armee in die Städte, wehren wir uns, streichen wir die Sozial- und Bildungsetats zusammen und bewaffnen wir uns bis an die Zähne, lieber dumm und kriegsbereit als gebildet und politikbereit, heißt offensichtlich der geheime Fahrplan dieser Politik. Eine Politik, die nicht nur tödlich für unsere Gegner ist, sondern schließlich auch selbstmörderisch für uns sein wird. Eine Politik, zu der wir immer wieder nein sagen müssen, die wir nicht wollen.

Bereits 1999 haben wir beim Angriff der NATO auf Jugoslawien davor gewarnt, daß der Mißbrauch der Menschenrechte zur Begründung von Kriegen die Schleusen für immer weitere Kriege öffnen wird. Daß der Versuch der UNO, mit dem absoluten Gewaltverbot den Krieg aus der Politik der Staaten zu entfernen, ausgerechnet mit den Menschenrechten unterlaufen wird, ist eine der größten Niederlagen nicht nur der UNO, sondern dessen, was wir Zivilisation nennen. Welche Verdrehungen, Übertreibungen und Lügen - von Racak bis zum Hufeisenplan - haben die Regierungen gebraucht, um ihre Wählerinnen und Wähler von einer Menschenrechtskatastrophe im Kosovo und der Notwendigkeit zu überzeugen, ihr mit einem Bombenkrieg abzuhelfen. Und heute? Was uns als Krieg gegen die Katastrophe verkauft wurde, liegt uns nun als das Desaster eines andauernden Bürgerkriegs auf der Tasche und wird zur weiteren Aufsplitterung des Balkans führen. Nicht ohne Grund sehen darin viele das eigentliche Ziel des NATO-Krieges.

Auch der Afghanistan-Krieg, als Verteidigungskrieg gegen den internatioanlen Terrorismus begonnen, hat schon lange die Legitimation wirklicher Verteidigung verloren. Das Glaubensbekenntnis von Minister Struck, »Deutschland wird am Hindukusch verteidigt«, ist genauso irrsinnig wie der Satz »Die USA werden in Kuba verteidigt«. Aber er ist auch genauso gefährlich, da sich dahinter nicht nur die Aufgabe des eigenen Rechtsstaates verbirgt, sondern die unverhohlene Drohung imperialer Herrschaftsansprüche rund um die Welt eröffnet. Um diese Drohung nicht so brutal klingen zu lassen, wie sie in Wirklichkeit ist, werden jetzt wieder die Menschenrechte hervorgeholt, die es für die Frauen in Afghanistan zu gewinnen gilt. Doch schauen wir uns die Militärstrategien von USA und NATO an, so erfahren wir unverblümt, um welche Art von Menschenrechten es sich dreht: Die Freiheit des Handels und der Investitionen, die Freiheit des Zugangs zu Öl, Gold, Diamanten, Kobalt, Kupfer und Coltan, die Freiheit des ungehinderten Zugriffs auf die Reichtümer aller Länder. In keinem dieser Strategie-Dokumente finden wir einen Hinweis auf die sozialen, ökonomischen und kulturellen Menschenrechte, das Selbstbestimmungsrecht oder das Menschenrecht auf Entwicklung oder auf Frieden. Das ist auch gut so, denn sie gehören nicht in Militärstrategien. Es gibt keine Menschenrechte, die dazu taugen, Militär und Krieg zu begründen.

Der Irak-Krieg vor nun genau einem Jahr hat die Unverträglichkeit von Menschenrechten und militärischer Gewalt in besonderer Weise gezeigt. Genauso wie die angeblichen Massenvernichtungsmittel und die Verbindung Saddam Husseins mit dem internationalen Terrorismus eine bewußte Täuschung der internationalen Öffentlichkeit war, so lügenhaft ist nun die Berufung auf Menschenrechte und Demokratie, um den Regimewechsel in Bagdad zu rechtfertigen. Die einzige jahrzehntelange und enge Verbindung, die sich herausgestellt hat, ist die zu den Regierungs- und Wirtschaftskreisen der USA und etlicher europäischer Staaten, darunter natürlich die Bundesrepublik. Wenn überhaupt Massenvernichtungswaffen, dann nur mit Hilfe dieser Länder; wenn massive Menschenrechtsverletzungen, dann nur auf der Basis der Verbindung zu diesen Ländern; wenn ein Angriffskrieg gegen die Nachbarländer Iran und Kuwait, dann nur mit der Unterstützung oder der Ermutigung der USA. Alle verbrecherischen Beziehungen Bagdads in den vergangenen Jahrzehnten weisen in westliche Richtung.

Aber wo steht geschrieben, daß die Förderung und Unterstützung eines verbrecherischen Regimes den Verbündeten das Recht gibt, dieses Regime mit Krieg zu beseitigen, wenn es nicht mehr nützlich ist? Nirgends, und dazu sollte man nicht die Menschenrechte mißbrauchen. Wer sich mit solchen Regimen einläßt, wird selbst Teil des verbrecherischen Systems und befreit sich nicht dadurch, daß er das Volk mit Krieg überzieht. Er befreit sich auch nicht dadurch, daß er sich an Aufräumarbeiten beteiligt, die zu nichts anderem dienen, als ein neues Protektorat zu errichten.

Daran heute, am ersten Jahrestag des Überfalls auf den Irak zu erinnern und immer wieder den Verzicht auf Krieg als Mittel der Politik einzufordern, ist unsere Pflicht. Menschenrechte sind nur mit und im Frieden durchzusetzen, das ist die Botschaft der UNO-Charta. Friedenspolitik entspricht nicht nur den Zielen und der Existenz von UNO und Völkerrecht, sondern ist die Grundbedingung und Voraussetzung für Menschenrechte. Wer zum Krieg greift, sollte von Menschenrechten schweigen.

Dieses alles sind Binsenweisheiten aber für den Imperialismus der neuen Weltordnung offensichtlich kein Argument. Wir haben nur wenige Mittel, diese Wahrheiten in Politik umzusetzen. Aber wir sollten sie auch nicht gering achten. Schröder hätte niemals auf den Krieg an der Seite der USA und Großbritanniens verzichtet, wenn er nicht von dem Friedenswillen der Mehrheit der Deutschen überzeugt worden wäre, der von der Friedensbewegung immer wieder gestärkt worden ist. Aznar wäre nie aus dem Amt gejagt worden, wenn nicht die Mehrheit des spanischen Volkes seiner Kriegspolitik und der damit verbundenen Lügen und Erpressungen überdrüssig geworden wäre. Und so unterstützen wir die Demokraten in den USA bei ihrem Versuch, Bush jr. aus dem Amt und auf die Ranch seines Vaters zu jagen, denn das ist ausschließlicher Inhalt und alleiniges Ziel unseres »Antiamerikanismus«. Und wenn Bush nicht mehr im oval office sitzt, wird auch Blair sich nicht mehr in Downing Street halten können.

Friedenspolitik ist internationale Politik, sie kennt keine Grenzen und macht vor keiner Regierung halt. Deshalb fordern wir nicht nur: Alles fremde Militär muß raus aus Afghanistan und dem Irak. Selbstbestimmung und Souveränität ohne fremde Besatzung für Afghanistan und den Irak. Sondern wir fordern auch: Bush und Blair, ein Krieg genügt, tretet zurück, dann belohnt euch vielleicht der (verdient ihr erst den) Friedensnobelpreis.

Quelle: www.jungewelt.de


Wut auf den Straßen

Artikel in 'junge Welt' vom 22.3.2004

Hunderttausende demonstrierten weltweit für Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak

Ein Jahr nach dem Beginn des Krieges gegen den Irak gingen am Sonnabend weltweit Hunderttausende Demonstranten auf die Straße, um den Abzug der Besatzungstruppen aus dem nahöstlichen Land zu fordern. Die größte Kundgebung fand in Rom statt, wo mehr als 500000 Menschen teilnahmen. Zu Massenkundgebungen kam es auch in Barcelona, London, New York und San Francisco. In Bagdad protestierten Sunniten und Schiiten in zwei sich vereinigenden Demonstrationszügen gegen die Gewalt der Besatzer. Angeprangert wurden vor allem die Lügen, mit denen US-Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair den Krieg begonnen hatten. Vielfach wurde von den Demonstranten die Ankündigung der neuen spanischen Regierung gefeiert, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen.

Zu den ersten Kundgebungen versammelten sich am Sonnabend morgen Tausende Demonstranten in Neuseeland und Australien. In der Hauptstadt der Philippinen Manila hinderte Polizei mehr als tausend Demonstranten mit Gewalt daran, vor die US-Botschaft zu ziehen. In Tokio und anderen Städten Japans wandten sich insgesamt 120000 Menschen gegen die Entsendung eines japanischen Truppenkontingents in den Irak. Demonstrationen fanden auch in Südkorea, Hongkong und Thailand statt.

In Deutschland beteiligten sich einige tausend Menschen an Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen. Vor 3000 Zuhörern am US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz erklärte der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der Irak-Krieg habe viele Staaten erst darin bestärkt, sich Massenvernichtungswaffen anzuschaffen, um sich gegen US-Angriffskriege zu wappnen. Solange die USA Dörfer in Afghanistan oder dem Irak bombardierten, werde »neuer Terror geboren«. In Berlin zogen etwa 2000 Kriegsgegner unter dem Motto »Gegen Krieg und Besatzung - für Frieden und soziale Gerechtigkeit« durch die Innenstadt. Jutta Kautsch von der Initiative »Künstler gegen den Krieg« erklärte auf der Abschlußkundgebung vor der Gedächtniskirche, seit der Aggression gegen Jugoslawien gelte Krieg auch in Deutschland wieder als legitimes Mittel der Politik: »Die Politiker wollen uns weismachen, daß es dazu keine Alternative gibt. Aber alle Kriege waren Raubzüge der reichen Länder gegen die armen Länder.« Mit scharfen Worten griff der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech die Kriegspolitik der imperialistischen Staaten an. Das Glaubensbekenntnis von Kriegsminister Peter Struck (SPD), Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, »ist genauso irrsinnig wie der Satz, die USA würden in Kuba verteidigt«. Dahinter verberge sich nicht nur »die Aufgabe des eigenen Rechtsstaates, sondern die unverhohlene Drohung imperialer Herrschaftsansprüche rund um die Welt.«

Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag Peter Strutynski zog am Sonnabend eine positive Bilanz des Aktionstages. Niemand habe erwarten können, daß die Teilnehmerzahlen an die Massenproteste vor einem Jahr anknüpfen würden. Die Situation vor Kriegsbeginn sei eine ganz andere gewesen.

In Griechenland, Polen, Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien und anderen europäischen Ländern fanden ebenfalls zahlreiche Demonstrationen statt. In Athen und Paris waren jeweils etwa 10000 Menschen auf den Straßen, in London versammelten sich 100000 Teilnehmer, die Bush und Blair heftig attackierten. In der katalanischen Hauptstadt Barcelona forderten 150000 Demonstranten ein Ende des Krieges im Irak und in Palästina. Große Unterstützung fanden hier Aufrufe zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk und die Forderung, die »Kriegsverbrecher« Aznar, Bush, Blair und Scharon nach Den Haag vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Die Menge skandierte immer wieder: »Aznar, du Mörder, mach deinen Krieg allein«. Der zukünftige spanische Ministerpräsident Zapatero wurde aufgefordert, ohne Wenn und Aber die spanischen Truppen aus dem Irak abzuziehen.

Auch an vielen Orten der USA wandten sich Demonstranten gegen die Kriegspolitik Bushs. In New York wurden 100000 Teilnehmer, in San Francisco 50000 Teilnehmer gezählt. Dort richtete sich der Protest auch gegen die Unterstützung Israels durch die US-Regierung im Konflikt mit den Palästinensern. Selbst im Wohnort Bushs, dem texanischen Crawford, versammelten sich mehrere hundert Demonstranten und feierten u. a. den angekündigten spanischen Truppenabzug aus dem Irak.

Quelle: www.jungewelt.de