Köln, 3.4.2004 (5) - 'Aufstehn, damit es endlich besser wird' - Europaweiter Aktionstag gegen Sozialabbau |
Aufstehn, damit es endlich besser wird! DGB-Aufruf zum Europäischen Aktionstag am 3. April 2004 - Berlin, Köln, Stuttgart Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, dass Sie jetzt für Ihre Gesundheit tiefer in die Tasche greifen müssen, dass Arbeitgeber mit Lohn- und Gehaltskürzungen und Arbeitszeitverlängerungen drohen, dass Arbeitslose zunehmend sozial deklassiert statt vermittelt werden, dass in unseren Schulen Unterricht ausfällt und Studienplätze abstatt aufgebaut werden, alles das ist kein Zufall. Niemand wird bestreiten, dass der Sozialstaat in Deutschland vor großen Herausforderungen steht. Zukunftsgerechte Reformen sind notwendig. Statt sich dieser Aufgabe mit aller Kraft zu stellen, soll uns weis gemacht werden, dass unsere soziale Sicherung und die öffentlichen Dienstleistungen zu teuer sind und es ohne Kürzungen nicht geht. Es wird von unten nach oben umverteilt. Nicht nur in Deutschland, überall in Europa singen marktradikale Politiker und Unternehmer das gleiche Lied: Die Löhne und Gehälter sind zu hoch, die Arbeitszeiten zu kurz. Überall die gleiche einfältige Predigt. Wie diese Arbeitgeber den Beschäftigten drohen, so drohen sie auch der Politik: Wenn der Sozialstaat nicht billiger wird und Arbeitnehmerrechte nicht abgebaut werden, wollen sie unserem Land den Rücken kehren. Sie wollen sich aus ihrer Verantwortung für die Sozialversicherungen stehlen. Und sie wollen keine Steuern mehr für Leistungen bezahlen, von denen gerade sie profitieren, seien es Schulen, Hochschulen und Kindergärten oder auch Straßen und Kultureinrichtungen. Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und ihre Familien lassen sich weder erpressen noch für kurzsichtige Gewinninteressen instrumentalisieren. Die Gewerkschaften Europas nehmen diese Politik nicht länger hin. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle demokratischen Organisationen und Bewegungen auf, am 3. April 2004 gemeinsam für sozial gerechte Reformen in Deutschland und Europa zu demonstrieren. Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Europa! Demonstrieren Sie mit Ihrer Familie und ihren Freunden für ein Europa, in dem alle Menschen die Chance haben, ein Leben in Freiheit und Würde zu führen. Werden Sie Teil einer Bewegung für eine europäische Wirtschafts- und Sozialordnung, die den Menschen dient. Wir wollen Arbeit für alle von der man in Würde leben kann. Stehen wir zusammen für eine solidarische Gesundheitsversicherung und für Renten, die ein würdiges Leben im Alter sichern. Und wir fordern mehr Geld für Kindergärten, Schulen und Hochschulen. Demonstrieren Sie mit uns für ein Europa, in dem die Bürgerinnen und Bürger teilhaben können an allen für sie wichtigen Entscheidungen, in den Parlamenten genau so wie in den Betrieben und Unternehmen. Zeigen Sie, dass Sie für ein sozial verfasstes Europa der Bürgerinnen und Bürger stehen. Es geht auch anders! Gemeinsam Gegen Sozialabbau - Für soziale Gerechtigkeit ver.di-Aufruf zum Europäischen Aktionstag am 3. April 2004 - Berlin, Köln, Stuttgart Seit Monaten hören wir dieselbe Leier: Die Einkommen sollen runter - die Arbeitszeit soll rauf, die Arbeitslosenhilfe muss weg - jede Arbeit ist zumutbar, egal zu welchem Preis. Für die Gesundheit muss immer tiefer ins Portmonee gegriffen werden: Für Eintrittsgeld beim Arzt und höhere Zuzahlungen bei Medikamenten. Auch die Beiträge fürs Krankengeld sollen wir demnächst allein bezahlen. Und jetzt geht`s noch an die Rente! Zug um Zug drohen Kürzungen. Auf unter 40 % des Bruttoeinkommens sollen die Einkünfte im Alter sinken. Das trifft vor allem die heute Dreißig- und Vierzigjährigen, also die künftigen Rentnergenerationen. Öffentlich wird von Eliteuniversitäten geschwärmt, während den Hochschulen die Mittel gekürzt werden. Die Zahl der Ausbildungsplätze sinkt und die Ausbildungsplatzumlage ist noch immer umstritten. Für viele Politiker ist das alles noch lange nicht genug. Sie wollen den Kurs weiter radikalisieren: Mit Kopfpauschalen in der Krankenversicherung die soziale Schieflage verschärfen, Tarifverträge aushöhlen, Kündigungsschutz abschaffen, Mitbestimmungsrechte streichen. Der soziale Kahlschlag sei notwendig, um den Sozialstaat zu retten und Arbeitsplätze zu schaffen, wird uns entgegen gehalten. Wir sagen: Damit wird der Sozialstaat nicht gerettet und Arbeitsplätze werden nicht geschaffen. Das geht anders! Wir wollen mit einer anderen sozial gerechten Wirtschafts- und Sozialpolitik den Sozialstaat zukunftsfest machen und Arbeitsplätze schaffen. Es gibt Alternativen zu Sozialabbau und Lohnsenkung. Andere Länder machen es uns vor: Skandinavier, Briten oder selbst die Amerikaner, sie alle haben mit öffentlichen Investitionen erfolgreich die Wirtschaft angekurbelt. Das schafft Beschäftigung und stabilisiert die sozialen Sicherungssysteme. Wir müssen gegensteuern statt in die Krise hineinzusparen, mit Investitionen in Bildung, Umwelt, Forschung und Entwicklung. Und zwar jetzt! Damit der Aufschwung, den alle erwarten, schneller kommt und kräftiger ausfällt und sich positiv auf die Menschen und den Arbeitsmarkt auswirkt. Die Binnennachfrage muss gestärkt werden statt sie durch Sozialabbau und Lohnsenkung zu schwächen. Dafür brauchen wir mehr Steuergerechtigkeit, denn auch die Unternehmen und die Vermögensmilliardäre und -millionäre müssen endlich ihren Beitrag leisten. Wir wollen eine Politik, die soziale Reformen wieder auf die Tagesordnung setzt. Wir sind für eine Politik, die Arbeitslosigkeit bekämpft und nicht die Arbeitslosen.
Aufstehn, damit es endlich besser wird! Rede von Walter Haas, DGB, bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich begrüße euch alle herzlich in Köln. Ich grüße die Menschen, die Kollegen in Stuttgart und Berlin und in den anderen europäischen Städten. Ich begrüße besonders unsere internationalen Gäste! Ich freue mich, dass heute als Hauptredner Jürgen Peters, Vorsitzender der IG-Metall, und Wanja Lundby-Wedin Präsidentin der Schwedens LO, bei uns sind und zu uns sprechen. Anrede, wir wollen keine Demontage des Sozialstaates. Niemand wird bestreiten, dass der Sozialstaat vor großen Herausforderungen steht. Nachhaltige zukunftsgerechte Reformen sind notwendig. Die Gründe warum wir heute demonstrieren, protestieren, warum wir alle auf die Strasse gehen sind vielfältig. Die Gesundheit wird teurer, die Rente gekürzt, die Zumutbarkeitsregelungen für die Arbeitsaufnahme drastisch verschärft. Zudem fordern manche Arbeitgeber immer ungenierter niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten und drohen andernfalls abzuwandern. Nicht nur in Deutschland auch in anderen Ländern ist das so. Die Gewerkschaften Europas wollen das nicht länger hinnehmen. Deshalb sind wir heute hier! "Aufstehn, damit es endlich besser wird”. Anrede, vergleicht man die Reformdiskussionen in den anderen europäischen Ländern stellt man fest: wir sind nicht allein. Überall in Europa singen Unternehmer und auch neoliberale und konservative Politiker das gleiche Lied: Die Löhne und Gehälter sind zu hoch, die Arbeitszeiten zu kurz. Arbeitgeber drohen den Beschäftigten und der Politik: Wenn der Sozialstaat nicht billiger wird und Arbeitnehmerrechte nicht abgebaut werden, wollen sie ihrem, unserem Land den Rücken drehen. Die europäischen Gewerkschaften wollen ein sozial verfasstes Europa, dass den Menschen im Rahmen der Globalisierung Chancen bietet. Wir wollen Arbeit von der ordentlich leben kann. Wir stehen zusammen für eine solidarische Gesundheitsversicherung und für Renten, die ein würdiges Leben im Alter sichern. Die Aktivitäten der Gewerkschaften, die politische Bewegung, der Studenten, der sozialen Initiativen, der Globalisierungskritiker die bereits im Vorfeld des Europäischen Aktionstages am 3.4. entfaltet wurden, werden kontinuierlich fortgesetzt und mit Sicherheit nicht ohne Wirkung bleiben. Anrede, das vergangene Jahr war bis in seine letzten Stunden in der Bundesrepublik wesentlich bestimmt durch die Agenda 2010 und die damit verbundene politische Auseinandersetzung. Das Steuersystem, die Subventionen, aber auch das System der sozialen Sicherung, das Gesundheits- und Rentensystem, die Grundpfeiler der Arbeits- und Sozialpolitik, etwa der Kündigungsschutz oder gar die Tarifautonomie - nichts war und ist vor dem Willen zur Veränderung mehr sicher. Die so genannten "Reformen" haben die Stimmung in Deutschland verdüstert. Auf abhängig Beschäftigte und Arbeitslose, insbesondere auf Rentner und Rentnerinnen kommen Belastungen zu, die viele Menschen als einen massiven Eingriff, wenn nicht sogar als einen Angriff auf ihre Lebensverhältnisse erfahren oder noch erfahren werden. Die Stimmung bei den Betroffenen ist mies. Angesichts der fast 7 Mio. Arbeitslosen ist die Diskussion um Arbeitszeitverlängerung (ohne Lohnausgleich) makaber. Diejenigen, die arbeiten, sollen mehr arbeiten und nehmen damit die Chance anderen in Arbeit zu kommen. Ein Irrwitz. Anrede, bei sinkenden Einnahmen steht der Staat vor wachsenden Herausforderungen: Die Analyse unseres Bildungssystems ist eindeutig. Anstatt Chancengleichheit zu fördern zementiert unser System soziale Ungleichheit von Anfang an. Vor einigen Tagen berichtete der WDR von einer Studie, die NRW als Schlusslicht bei Kinderbetreuungseinrichtungen ausweist. Auch bei engen finanziellen Ressourcen muss verstärkt in Bildung investiert werden, nicht nur in Segmentförderung. Wer herausragende Leistungen erzielen will, muss in das gesamte Bildungssystem vom Kindergarten, über Schulen und Unis bis in die Weiterbildung investieren. Das ist innovativ! Nur auf einem breiten Fundament entwickeln sich Spitzenleistungen. Erfolgreiche Europäische Länder beweisen, dass Investitionen in Bildung und Förderung von Innovationen zu Wirtschaftswachstum führen, und damit Grundlagen für soziale Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand bringen. Eine große Sorge treibt mich um: Die Ausbildungsplatzsituation ist katastrophal. Wir alle kennen die Zahlen und fragen uns: Wie soll das eigentlich weitergehen? Zur Rettung des dualen Ausbildungssystems ist eine Ausbildungsumlage erforderlich. Dabei geht es nicht um eine Bestrafung von Betrieben, die nicht ausbilden, sondern allein darum, mehr Ausbildungschancen zu eröffnen. Wir fordern die Landesregierung NRW auf, die Koalitionsfraktionen im Bund in ihrem Bemühen zu unterstützen eine sinnvolle gesetzliche Regelung für eine Umlagefinanzierung schaffen. Es wäre unerträglich, wenn der Ministerpräsidenten mit Minister Schartau im Verein mit den Arbeitgebern und der Opposition wirksame und nachhaltige Verbesserung der Ausbildungssituation verhindern würden. Anrede, seit Anfang März ist klar, welche Blaupausen in den CDU/CSU- Präsidien für 2006 vorbereitet werden: schärfste Angriffe auf Arbeitnehmerrechte. Ob Tarifautonomie, Mitbestimmung, Steuer, Krankenversicherung die Union verabschiedet sich von ihren Wurzeln, die CDU Vorneweg. das ist nicht mehr die Partei der sozialen Marktwirtschaft, das ist Marktwirtschaft pur. Wir wollen keinen Manchester-Kapitalismus! Wenn die CDU mit dieser Ausrichtung Erfolg hat, dann wird es noch schwerer, Vorstellungen von einer sozial verfassten Gesellschaft zu verwirklichen. Für uns, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann dies keine Alternative zur Politik der Regierung sein. Es nützt nichts über Politikverdrossenheit der Bürger zu lamentieren. Politisch Verantwortliche müssen das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen. Die Umverteilung von unten nach oben darf nicht fortgesetzt werden: Die Gewerkschaften erwarten, sie fordern, dass notwendige Korrekturen jetzt umgehend vorgenommen werden. Anrede, Wenn die Menschen direkt betroffen sind wehren sie sich. Heute sehen wir, wie viele unzufrieden sind und sich gegen Sozialabbau wenden. Das ist ein riesiger Erfolg. Die Menschen können aber nicht verstehen, sie werden nicht akzeptieren, dass Belastungen einseitig auf die schwächeren Schultern abgewälzt werden und Unternehmen immer wieder Steuerschlupflöcher finden. 18 Mrd. Umsatzsteuer gegen pro Jahr am Fiskus vorbei. Das ist ein Skandal. Wir fordern die Arbeitgeber auf, Verantwortung für die Gesellschaft zu zeigen, und diese nicht nur von ihren Beschäftigten zu verlangen. Nur wenn wir als Interessenorganisation stark sind, können wir Einfluss nehmen. Wenn wir uns auf unsere eigene Kraft besinnen, werden wir Erfolge haben. Kämpfen wir für ein soziales Europa, kämpfen wir für den Erhalt des Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland. Und wenn wir eure Unterstützung haben werden wir auch gewinnen. Euch allen ein herzliches Glück auf! Quelle: Ein Signal gegen die neo-liberalen Irrwege Rede von Jürgen Peters, Vorsitzender der IG Metall, bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, Hunderttausende sind heute auf der Strasse, auf den Marktplätzen. In Deutschland! In Europa! Eine breite Bürgerbewegung! Eine Bürgerbewegung für eine solidarische Erneuerung unseres Landes. Eine Bürgerbewegung für ein soziales und gerechtes Europa! Unsere Botschaft: Es reicht! Wir haben genug von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit, von stagnierenden Löhnen und explodierenden Managergehältern! Und wir haben die Nase voll von angeblichen Reformen, die wir bezahlen und die den anderen nutzen! Seit Jahren die gleiche Leier: Es muss erst schlechter werden, damit es besser werden kann! Erst müssen wir durch ein Tal der Tränen, damit dann wieder die Sonne scheint! So ein Blödsinn! Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird Politik nach dieser Melodie gemacht. Die Folgen:
Es muss endlich Schluss sein mit einer Politik,
Die Schere zwischen Arm und Reich reißt immer weiter auseinander! Viele Arbeitslose, Kranke, Alleinerziehende und kinderreiche Familien wissen kaum mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Und eine kleine Schicht von Super-Reichen weiß nicht wohin mit den Millionen, die sie durch Steuerprivilegien, Aktiengewinne oder Vermögenszinsen kassieren. Der Staat kürzt soziale Leistungen und öffentliche Investitionen, um zu sparen. Aber Stagnation und Arbeitslosigkeit reißen immer größerer Löcher in die öffentlichen Haushalte. Und in Kindergärten, Schulen, Universitäten und Krankenhäuser zieht’s durch alle Ritzen und regnet es durch die Decke. Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde, das ist doch Irrsinn. Damit muss Schluss sein. Diese Politik löst keine Probleme, sie verschärft sie. Sie führt Wirtschaft und Gesellschaft nicht aus der Krise heraus, sondern weiter hinein. Wir erwarten, ja wir verlangen: Macht endlich Schluss mit dieser Politik! Ja, auch wir wollen Veränderungen. Aber nach vorne und nicht zurück in den ungezügelten Frühkapitalismus des 19 Jahrhunderts. Wir wollen Reformen, die den Namen verdienen. Reformen heißen Reformen, wenn es besser wird! Reformen müssen die Sorgen und Ängste der Menschen aufgreifen und Lösungen anbieten. Lösungen, die gerecht sind und an der sich alle gesellschaftlichen Gruppen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit beteiligen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, wir brauchen eine Perspektive für eine solidarische und soziale Zukunft. In Deutschland und Europa! Im Zentrum einer solchen Politik muss die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stehen. Wir brauchen mehr Beschäftigung, wir brauchen mehr Arbeitsplätze! Arbeitsplätze
Da soll die Tarifautonomie ausgehebelt, der Kündigungsschutz kassiert, Leistungen für Arbeitslose noch weiter abgesenkt und die Vergütungen für Auszubildende gesetzlich herab gesetzt werden. Und was dem Fass den Boden ausschlägt: Was den Millionären an Steuern geschenkt wird, soll wieder rein geholt werden bei Pendlern und Schichtarbeitern, beim Fernfahrer und bei der Krankenschwester. Das sind die Zukunftsvisionen von Westerwelle, Stoiber, Merz und Merkel. Kein Wunder: Das findet den ungeteilten Beifall und die tatkräftige Unterstützung von Rogowski, Hundt und Co. Kein Argument ist zu blöd, und keine Maßnahme zu absurd, um sie nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Hier erlebt der marktradikale Fundamentalismus eine Sternstunde. Ja, Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, es ist nur noch mit ideologischer Verblendung zu erklären, wenn angesichts von 7 Millionen Arbeitssuchenden allgemeine Arbeitszeitverlängerung propagiert wird. Ob im Öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft, ob in Bayern oder anderswo in der Republik. Dabei sagt uns nicht nur der wirtschaftliche Sachverstand, sondern bereits der gesunde Menschenverstand: Wenn die Arbeitszeiten der Beschäftigten ausgeweitet werden, sinken die Arbeitsplatzchancen derer, die vor den Büros und Werkshallen stehen. Damit werden ihnen keine Türen in die Erwerbsarbeit geöffnet. Im Gegenteil: damit werden ihnen die Chancen auf einen Arbeitsplatz zusätzlich verbaut. Und das können wir nicht, das wollen wir nicht, das werden wir nicht mitmachen! Wir kritisieren nicht die Unvernunft der Agenda 2010, um diesen Frontalangriff gegen den Sozialstaat einfach hinzunehmen. Wir wollen den Belzebub austreiben und nicht mit dem Teufel einen Pakt schließen. Wir wollen eine Politik für die Mehrheit der Bevölkerung. Wir wollen eine Politik die sich dem Volke verpflichtet fühlt und nicht kleinen Eliten. Ich sage dies auch an die Adresse des Kandidaten, den FDP und Union in das höchste deutsche Amt wählen wollen. Wir brauchen keinen Bundespräsidenten, der einseitig Partei ergreift. Wir brauchen keinen Bundespräsidenten, der eine Arbeitszeitverlängerung lauthals begrüßt, aber nicht einmal an die denkt, die Arbeit suchen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, damit ich nicht missverstanden werde: Wir wollen keinen Bundespräsidenten der Gewerkschaften. Aber auch Keinen irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe oder politischen Partei. Wir wollen einen Bundespräsidenten, der die gesamte Gesellschaft repräsentiert. Innovativ und - für meinethalben - streitbar, aber unabhängig und fair. Und deshalb sage ich: Herr Köhler, sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie die Macht des Geldes repräsentieren oder die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes? Eines ist gewiss: Ein Bundespräsident, der sich auf die Seite der Mächtigen und Reichen schlägt, wird niemals einer der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, wir brauchen einen grundlegenden Wechsel in der Politik. Wir brauchen mehr Beschäftigung, mehr Arbeit. Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit. Wir haben Alternativen aufgezeigt. Statt arbeitsplatzvernichtender Arbeitszeitverlängerung wollen wir beschäftigungsfördernde Investitionen. In Kindergärten, Schulen und Universitäten, in Krankenhäusern und dem öffentlichen Nahverkehr. Das setzt an den wirklichen Bedarfen der Menschen an, das schafft Arbeitsplätze und steigert den Lebensstandard. Das sind Investitionen in die Zukunft. Wir brauchen eine bildungspolitische Initiative. Die PISA-Studie hat gezeigt: In der Bildungspolitik ist längst die Klassenspaltung vergangener Jahre zurück gekehrt. In keinem hochentwickelten Land hängen Bildungschancen so stark von der sozialen Herkunft der Menschen ab wie in Deutschland. Bildung droht wieder zum Privileg gesellschaftlicher Eliten zu werden. Das ist der Skandal. Und deshalb sage ich: Wir brauchen keine Elite-Uni’s für Wenige, sondern gute, öffentliche Bildungseinrichtungen für Alle. Redet nicht immer nur über Bildung und Wissensgesellschaft, sondern gebt den jungen Menschen endlich eine faire Chance. Auch in der beruflichen Ausbildung. Von Jahr zu Jahr vertrösten uns Konservative, Liberale und Arbeitgebervertreter. Immer mehr wird ausgegeben für Hochglanzbroschüren, in denen über Humankapital philosophiert wird. Aber immer weniger wird in den Betrieben in Ausbildung und Weiterbildung investiert. Nichts als hohle Worte und leere Versprechungen. Damit muss jetzt Schluss sein. Im letzten Jahr waren wieder über 35.000 junge Menschen ohne Ausbildungsplatz. Weniger als 25 % der Betriebe bilden überhaupt noch aus. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Das heißt im Klartext: Die Unternehmen kommen ihrer Ausbildungsverpflichtung nicht nach. Sie verweigern den jungen Menschen eine berufliche Perspektive. Ein Skandal sondergleichen. Damit schädigen sie den Standort, bremsen Innovationen und das wirtschaftliche Wachstum. Uns reicht’s. Wir wollen keine weiteren Versprechungen , wir wollen endlich eine Ausbildungsplatzumlage. Wer nicht ausbildet, soll wenigstens zahlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, wir haben Alternativen, Alternativen zum perspektivlosen Sozialabbau! Wir wollen einen aktiven, einen solidarischen Staat. Wir wollen keinen liberalen Nachtwächterstaat, der die Privilegien der Reichen und Super-Reichen fördert. Wir brauchen einen aktiven Staat, der das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ernst nimmt. Einen Staat der seine Gemeinschaftsaufgaben erfüllt. Wir haben Vorschläge gemacht. Wieder und wieder. Wir haben JA gesagt zu einer solidarischen Gesundheitsreform. Einer Reform, die Wirtschaftlichkeitsreserven im System erschließt, und die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert. Einer Reform, die den Konflikt mit den Ärzte- und Pharmakartellen wagt, um die Leistungen für Versicherte und Kranke zu verbessern. Wir wollen eine Erwerbstätigenversicherung. Eine Sozialversicherung, in der alle versichert sind. Und in die alle entsprechend ihrer wirtschaftlichen Kraft einzahlen. In der alle füreinander einstehen. Die Jungen für die Alten, die Reichen für die Armen, die Gesunden für die Kranken. Das ist machbar, das ist gerecht und das ist zumutbar. Und deshalb sage ich: Wer Versicherte und Kranke abkassiert, weil er den Konflikt mit den Mächtigen im Gesundheitswesen scheut, wird auch in Zukunft auf unseren Widerstand treffen. Aber wer rangeht an die wirklichen Probleme, wer Einkommens- und Machtprivilegien ernsthaft in Frage stellt, der wird uns an seiner Seite finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, nicht nur in Deutschland sagen immer mehr Menschen NEIN zu Deregulierung und Sozialabbau und JA zu einer solidarischen Weiterentwicklung von Gesellschaft und Sozialstaat. In vielen Ländern regt sich Widerstand. Die Menschen wollen keinen Stillstand, sie wollen eine Wende hin zum Besseren. In den Nationalstaaten und in Europa. Auch wir wollen die europäische Einigung. Aber wir wollen kein Europa der Banken, Konzerne und Bürokraten. Wir wollen ein Europa der Menschen. Diesseits und Jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Ein Europa, dass offen ist für die Nöte seiner Menschen. Ein Europa, dass sich nicht als Wohlstandsfestung gegen den Rest der Welt abschottet. Wir befürworten die Osterweiterung Europas. Wir sagen den Menschen, die am 1. Mai der EU beitreten: Seid uns herzlich willkommen! Wir wollen mit ihnen gemeinsam für faire Entwicklungschancen und sozialen Fortschritt , für gesicherte Arbeitnehmerrechte und verbindliche Sozialstandards in Europa kämpfen. Doch dazu muss Europa seine Entwicklungsrichtung ändern. Die Integration von Märkten mag sinnvoll sein, aber sie kann Europa keine Identität verleihen. Nicht der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen, sondern das Wohl der Menschen gehört ins Zentrum der europäischen Entwicklung. Dazu brauchen wir ein solidarisches Entwicklungsmodell. Ein Modell, in dem die Finanz-, Wirtschafts- und Geldpolitik Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsförderung verpflichtet ist. In dem die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und die Weiterentwicklung des Systems der Sozialen Sicherheit höchste Priorität genießen. Das steht in der Tradition des europäischen Sozialmodells, und das muss in der Europäischen Verfassung verankert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, Europa ist unsere Zukunft. Wir wollen ein offenes, ein soziales, aber wir wollen auch ein friedliches Europa. Europa darf nicht den Irrweg forcierter militärischer Aufrüstung gehen. Uns ist das Glück vergönnt, länger als ein halbes Jahrhundert in Frieden zu leben. Wir haben historische Feindschaften überwunden und Formen friedlicher Konfliktlösung gefunden. Deshalb: Nicht militärische Großmacht, sondern zivile Friedensmacht soll Europa sein und bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, unsere heutige Demonstration ist ein Signal. Ein Signal, gegen die neo-liberalen Irrwege und für eine solidarische Zukunft in Europa. Diese Demonstration ist eine machtvolle Bewegung aus sehr unterschiedlichen Initiativen und Organisationen. Aus Jungen und Alten. Aus Menschen unterschiedlichster Herkunft. Uns mag manches trennen, aber uns eint ein starkes Band: Der Wille für ein besseres Europa. Wir wollen eine Zukunft, in der Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit auf der politischen Agenda stehen. Ich lade alle ein, mit uns gemeinsamen diesen Weg in eine bessere Zukunft zu gehen. Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit. Quelle: Wir sind viele. Gemeinsam sind wir erfolgreich. Rede von Wanja Lundby-Wedin, Vorsitzende der LO (Landeszentralverband der schwedischen Gewerkschaften), bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Liebe Freunde! Ich wünschte, Ihr hättet die selbe herrliche Aussicht wie ich. Seht Euch um. Wir sind viele. Was für eine Kraft. Was für ein Engagement. Uns verbinden die gleichen Werte - über Generationen und nationale Grenzen hinweg. Frauen und Männer. Junge und Alte. Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und Erfahrung. Wir haben uns hier und heute versammelt, um unseren Standpunkt deutlich zu machen. Europa darf nicht auf Unsicherheit und Ungerechtigkeit aufgebaut werden. Gerechtigkeit ist eine treibende Kraft für eine bessere Gesellschaft. Sichere Menschen wagen, was sie wollen, können und vermögen. Wenn wir für Lohngerechtigkeit kämpfen, dann ist dies auch ein Kampf für Fortschritt und den Glauben an die Zukunft. Es ist eine große Ehre für mich als Vorsitzende des Landesverbandes in Schweden, an Eurer Kundgebung und im Kampf für unsere Vereinigung teilnehmen zu dürfen. In Schweden stritten wir schon früher um die selben Dinge wie ihr. Es geht um die einfachen und alltäglichen Dinge. Ein Lohn, von dem man auch leben kann. Ein wirkungsvoller Arbeitsplatzschutz. Einfluss auf die Arbeitsbedingungen. Gerechtigkeit und Wohlfahrt. Eure Probleme unterscheiden sich nicht von unseren. Das Neue an der Situation ist, dass es nicht mehr ausreicht, den Arbeitskampf auf nationaler Ebene zu führen. Das Kapital kennt keine nationalen Grenzen mehr. Das setzt die Arbeitnehmer unter Druck. Das stellt unseren gewerkschaftlichen Zusammenhalt und unsere Solidarität auf die Probe. Die Unternehmer versuchen, uns gegeneinander auszuspielen, indem sie die Arbeitsplätze dahin verlegen, wo sie billiger sind oder die Steuern niedriger. Wir müssen dies durch ein grenzüberschreitendes Recht unterbinden. Indem wir uns zu einer europäischen Gewerkschaft verbinden, stärken wir unsere grundlegenden Rechte und bekommen das Recht zu internationalen Sympathiekundgebungen. Der Kampf ist ein gemeinsamer. Unsere Stärke besteht darin, dass wir viele sind. Gemeinsam erreichen wir mehr als jeder für sich. Das gilt für den einzelnen Arbeitsplatz und das gilt für Europa. Die Gewerkschaftsidee kennt keine Grenzen. Selbst wenn wir für die selben Ziele kämpfen, können die tagesaktuellen Bedingungen verschieden aussehen. Die schwedische Gewerkschaftsbewegung wurde in den 1990ern zurück gedrängt. Die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich, während uns gleichzeitig der Abbau des Rechtssystems traf. Damals demonstrierten wir gegen unsere eigene sozialdemokratische Regierung. Heute seid Ihr es, die gegen Arbeitslosigkeit, Verschlechterungen im Sozialwesen und Willkür am Arbeitsplatz demonstrieren. Ihr wisst besser als ich, wie Ihr mit der Situation in Deutschland umgehen müsst. Wir dürfen niemals zögern, die Regierung, ohne Rücksicht auf die Parteifarben, für Beschneidungen zu kritisieren, die sich gegen die sozialen und gesellschaftlichen Rechte unserer Mitglieder richten. Als Vorsitzende des schwedischen Gewerkschaftsverbandes und politisch engagierter Mensch stelle ich die hohe Anforderung an sozialdemokratische Regierungen, auch in schweren Zeiten für Gerechtigkeit einzutreten. In Rom, London und Dublin versammeln sich heute engagierte Gewerkschafter, um unserer Zusammengehörigkeit Ausdruck zu verleihen. Europa sind wir. Wir sind 60 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Ohne uns kommt Europa ins Stocken. Millionen Mitglieder geben uns die Macht und die Möglichkeiten zu Veränderungen. Wenn wir nur selber daran glauben, dass dies möglich ist. Heute kämpfen wir gegen das gesichtslose globale Kapital, ein weitaus aggressiveres Wirtschaftsleben und die neoliberalen Rechtsregierungen in Europa. Wir dürfen uns nicht zerschlagen lassen. Wir in der Gewerkschaftsbewegung halten die Zukunft in unseren eigenen Händen. Wenn es etwas gibt, was uns die Geschichte leeren kann, dann, dass für die Gewerkschaften Erfolg selbst dann möglich ist, wenn der Gegner übermächtig zu sein scheint. Die Gewerkschaftsbewegung hat immer die Mächtigen herausgefordert. Unsere Gegner finden sich sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene. So wie Arbeitgeber früher Lohnempfänger mit gleichem Arbeitsplatz gegeneinander ausspielen konnten, können Arbeitgeber heute die Arbeitnehmer in verschiedenen Ländern gegeneinander ausspielen. Um Arbeitgeber unter gleichen Bedingungen treffen zu können, muss die Gewerkschaftsbewegung darum ihre Zusammenarbeit mit gewerkschaftlichen Organisationen in anderen Ländern ausweiten. Darum ist Solidarität so wichtig in der Gewerkschaftsbewegung. Sie ist gleichzeitig ein grundlegender Wert und eine praktische Arbeitsmethode, um erfolgreich zu sein. Sie ist ein Ausdruck unseres gegenseitigen Mitgefühls in der Erkenntnis, dass sie alle stärker macht. Solidarität und Zusammenhalt sind zwei Seiten der gleichen Münze. Wir müssen auf allen Ebenen zu einem Beschluss kommen, der sich für unsere Mitglieder auswirkt. Die schwedische und die deutsche Gewerkschaftsbewegung können nicht jede für sich die Arbeitslosigkeit bekämpfen oder soziale Gerechtigkeit erreichen. Wir müssen dies zusammen tun. Darum müssen wir über die Grenzen in Europa hinweg noch besser in unserer Zusammenarbeit werden. Die Zusammenarbeit in Europa bietet uns eine neue Arena. Sie ist eine wichtige und notwendige Ergänzung zur nationalen Gewerkschaftsarbeit. Wir haben erfolgreich die Entwicklung in der EU vorangetrieben, so dass wir heute Vereinbarungen treffen und Gesetzgebungen beeinflussen, die für unsere Mitglieder wichtig sind. Das schafft gleichwertige Bedingungen für unsere Mitglieder und verhindert, dass die Arbeitgeber uns gegeneinander ausspielen. Aber die Entwicklung wird durch Rechtsregierungen bedroht und darum legen wir in Schweden großen Wert auf die Wahl zum Europaparlament im Juni. Wir setzen uns für eine hohe Wahlbeteiligung und Vertreter ein, die unsere Werte teilen und unsere Interessen vertreten. Für uns gibt es keine deutschen oder schwedischen Interessen. Es gibt nur Gewerkschaftsinteressen. Und die müssen wir vertreten. Ungeachtet, ob der Kampf hier, in Brüssel, Dublin oder in Stockholm stattfindet. Und noch einmal - seht Euch um. Wir sind viele. Gemeinsam sind wir erfolgreich. Danke. Quelle: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit Rede von Alfred Buß, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Das ist der Titel des Wortes beider großer Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland von 1997. Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Das Papier wurde gelobt, in höchsten Tönen gelobt, ja tot gelobt; oder wie es mir ein hochrangiger Politiker sagte: Es wurde„in Watte gepackt, denn es war ja gefährlich“. Die Frage ist: Gefährden Forderungen nach Gerechtigkeit und Solidarität die Zukunft in Europa oder gibt es - genau andersherum - keine gute Zukunft ohne Solidarität und Gerechtigkeit? Die Tonart der öffentlichen Diskussion dieses Themas hat sich seit 1997 deutlich gewandelt. So bemerkte eine größere Zeitung dieser Tage, wer immer noch von Gerechtigkeit rede, verbreite nur noch schlechte Laune. Da fragt man sich unwillkürlich: schlechte Laune bei wem? Gerechtigkeit ist eines der Hauptworte der Bibel. Sie streicht immer wieder heraus, dass politische Macht ihre Legitimität nicht aus militärischer oder wirtschaftlicher Stärke gewinnt, sondern aus dem Maß an verwirklichter Gerechtigkeit. Gerechtigkeit und Friede können aus Sicht der Bibel nicht voneinander lassen. Sie küssen sich und können nicht ohne einander sein. Sozialer Friede lebt von begründetem Vertrauen und verlässlichen Beziehungen. Grundlage sozialen Friedens ist die Überzeugung, dass ein Leben in Gerechtigkeit ohne Armut und Not möglich ist und auch wirklich angestrebt wird. Für viele Menschen aber sind die Entscheidungsprozesse in Gesellschaft und Staat undurchschaubar geworden. Sie erleben nicht mehr, dass sie die entscheidenden Vorgänge in Politik und Wirtschaft real mitgestalten können. Die beschleunigten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse erzeugen ein hohes Maß an Unsicherheit. Unsicherheit aber gefährdet eklatant den sozialen Frieden. Vertrauen ist ein Kapital, das nur mühsam aufgebaut, aber sehr schnell verspielt werden kann. Vertrauen ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Ohne Verlässlichkeit und Vertrauen verliert jede Ökonomie ihre Grundlage. So ist die zunehmende Verlegung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer -oft bei schwarzen Zahlen hierzulande - schon bald eine Milchmädchenrechnung. Die Menschen werden unsicher und haben Angst vor der Zukunft; sie investieren nicht mehr, üben Kaufzurückhaltung und wagen es nicht, Kinder in die Welt zu setzen, zumal dann nicht, wenn Kinder ein Armutsrisiko sind. Das Gemeinsame Wort der Kirchen sagt: Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die hohe Arbeitslosigkeit. Der Sozialstaat und die sozialstaatlichen Leistungen sind nicht die Ursache für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit (77). Der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach drückt das so aus: Wir leben nicht über unseren Verhältnissen; wir leben unter unseren Verhältnissen, weil mit der Massenarbeitslosigkeit ein riesiges Humankapital brachliegt. Er führt aus: Seit 20 Jahren hören wir, dass die Löhne und Lohnnebenkosten zu hoch sind und die Menschen arbeitsunwillig. Aber wer sagt das eigentlich? Während man für die ohnehin schon sehr gut Verdienenden Anreize nach oben vorschlägt, also noch mehr Geld bietet, um die Produktivität ihrer Arbeit zu erhöhen, sollen Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose durch weniger Geld motiviert werden, Arbeit zu finden. Das ist doch paradox. In diesem Klima der Verunsicherung soll nun der Einzelne sein Geschick selber in die Hand nehmen. Eigenverantwortung heißt die Devise. Angesichts der Alterung seiner Bevölkerung und steigender Massenarbeitslosigkeit zieht der Staat sich auf seine vermeintlichen Kernaufgaben zurück. In religiös anmutender Sprache titelte das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Wir glauben an Ich. Die Bürgerinnen und Bürger sollen zu Selbstversorgern werden und mit wachsender Selbstverwendungsfreude ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen. Aber was passiert, wenn jemand dazu nicht in der Lage ist? Das Wortungetüm von der Teilhabe-Chance (Olaf Scholz) zeigt die Richtung an: In Zukunft geht es um Teilhabechancen und nicht mehr um die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Prozess. Teilhabe-Chance tritt an die Stelle von Teilhabe-Gerechtigkeit. Wer aber kümmert sich dann um die, die ihre Teilhabe-Chance nicht genutzt haben, vielleicht auch nicht dazu fähig waren. Die also dann nicht teilhaben können an der wichtigsten Teilhabe-Möglichkeit unserer Gesellschaft, der Erwerbsarbeit; die dann auch nicht mehr teilhaben können an Bildung und immer weniger teilhaben können an öffentlichen Gütern wie Gesundheit, Mobilität, Sicherheit usw. Was daraus folgt, wird vielen Politikern nicht behagen: Wir wissen längst, dass Menschen ohne umfängliche Teilhabe an der Gesellschaft sich ihr Ventil schaffen, und dann müssen wahlweise Polizisten, Gerichtsvollzieher, Vollzugsbeamte bezahlt werden oder Psychiater, Lebens-, Suchtberater und Therapeuten. So gibt Kalifornien mehr für den Bau von Gefängnissen aus als für den Bau von Schulen. Ich will deutlich herausstellen: Die Eigenverantwortung ist ein wichtiger Grundsatz. Das in unserem Sozialgefüge wichtige Prinzip der Subsidiarität zielt auf die Verantwortlichkeit der Einzelnen und der kleinen Gemeinschaften. Zugleich aber gilt: Wer zu einer selbstverantworteten Lebensführung aufgefordert wird, der muss zuvor dazu befähigt worden sein. Darum insistiert das Gemeinsame Wort der Kirchen auf den Zusammenhang von Subsidiarität und Solidarität, damit der Gedanke der Eigenverantwortung nicht umschlägt in den Horror der Überforderung und Vereinzelung. An dieser Schwelle der Entsolidarisierung der Gesellschaft stehen wir gegenwärtig. Hier lauert eine große Gefahr für unser Gemeinwesen. Das Wort der Kirchen sagt dazu: Die Bevölkerung ist bereit, notwendige Einsparungen mitzutragen, wenn sie sieht und davon ausgehen kann, dass die Lasten und Leistungen gerecht verteilt sind, dabei die Gesamtheit der Solidargemeinschaft erfasst wird und soziale Gerechtigkeit und Solidarität nicht nur bei den Ausgaben und Leistungen, sondern bereits bei der Aufbringung der Mittel gewahrt bleiben. Solidarität bedeutet: Aufbringung der Solidarbeiträge je nach Vermögen und Erhalt von Leistungen je nach Bedarf. Solidarität bedeutet: die mitnehmen, die nicht mitkommen wegen der fehlenden Kraft ihres Geistes, ihres Körpers, ihres Alters oder aufgrund ihres Handicaps. Und die Starken und Vermögenden müssen tun, was sie im Auftrag unserer Verfassung zu tun haben: sie mitnehmen nach dem biblischen Grundsatz: Einer trage des andern Last! (Gal.6,2) Alle gesellschaftlichen Kräfte müssen sich wohl neu auf den Wertekanon einlassen, der die Länder Europas so sehr geprägt hat. Wir müssen miteinander buchstabieren, was Gerechtigkeit und Solidarität bedeuten in einem zusammenwachsenden Europa, damit wir eine gemeinsame Zukunft finden. Darauf weist uns die Bibel: Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben. Quelle: Deutschland braucht Reformen! Das Geld ist da! Aber nicht da, wo es gebraucht wird! Rede von Martina Wasserlos-Strunk, M.A., Mitglied im bundesweiten Attac-Rat, bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Liebe Freundinnen und Freunde, Deutschland braucht Reformen! Das Geld ist da! Aber nicht da, wo es gebraucht wird! Die neoliberale Globalisierung führt weltweit zu massiver Ausbeutung der ohnehin schon Benachteiligten. Immer mehr Menschen wird der Zugang zum Existenzminimum verwehrt. Die globale Wettbewerbspolitik und die monopolistische Dominanz weniger multinationaler Unternehmen hat fatale Folgen für viele Menschen. Die sogenannten Global Player haben sich längst von den realen Gesellschaften getrennt und spielen in ihren Sandkästen Monopoly mit Kapitalblasen. Die 60 reichsten Menschen der USA verfügen über so viel Geld wie 2 Milliarden Menschen der Weltbevölkerung. Es kann nicht sein, dass existentielle Grundrechte der Menschen den Profitinteressen einiger weniger geopfert werden. Globalisierung bedeutet heute, dass seit 1990 54 Länder ärmer geworden sind, in 21 Ländern mehr Hunger gelitten wird und in 34 Ländern die Lebenserwartung gesunken ist. Wir brauchen eine globale Ordnungspolitik mit anderen Grundwerten: Solidarität und Gerechtigkeit. Soziale Grundrechte müssen fester Bestandteil der Einen Welt sein. Wir fordern: Schluss mit der Umverteilung von unten nach oben und milliardenschweren Steuergeschenken an Großunternehmen, die die öffentlichen Finanzen ruinieren! Diese Politik begünstigt die Reichen und plündert dafür die öffentlichen Kassen! Wir fordern gerechte Verteilung von Arbeit und Reichtum. Solidarität heißt für uns auch Solidarität mit den künftigen Generationen und Solidarität mit denjenigen deren Armut durch Umweltzerstörung und Klimakatastrophen noch verstärkt wird. Die Ökologie darf nicht in Pokerrunden verspielt werden! Wir brauchen gerechte Reformen für Deutschland. Die Parteien in Deutschland betreiben Sozialabbau zu Lasten der Schwachen in unserer Gesellschaft. Kürzungen beim Arbeitslosengeld, Senkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau, Ausbau des Niedriglohnsektors, subventionierte Kleinstselbständigkeit und nicht zu vergessen die Einschränkung des Kündigungsschutzes sollen den Sozialstaat umbauen - in Wirklichkeit schaffen sie ihn ab und schaffen die Grundlagen für ein neoliberales Wirtschaftssystem made in Deutschland. Was so unverfänglich „Privatisierung“ genannt wird, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die feindliche Übernahme weiter Bereiche gesellschaftlichen Zusammenlebens zu Lasten des gesellschaftlichen Friedens und der sozialen Sicherheit! Die herrschenden Parteien haben das „Etikett Rot-Grün“ benutzt um das Solidarprinzip aufzukündigen. Sozialdemokratie bedeutet heute faktisch: Einführung von Studiengebühren und Kürzung der Renten. Wer heute Elite sein will, muss nicht schlau sein, er und sie muß es sich nur leisten können! Diese Politik zerstört die Institutionen, die der hemmungslosen Ausbreitung kapitalistischer Blütenträume Einhalt gewähren sollen! Privatisierung ist Enteignung öffentlichen Eigentums! Kanzlermachtworte und Kamingespräche mit Wirtschaftslobbyisten sind keine Politik! Sie ordnen sich nahtlos ein in einen globalen Prozess der Verwirtschaftung aller Lebensbereiche und der Ausbeutung der Schwachen. Der Exportweltmeister Deutschland hat kein Geld mehr um Schulbücher zu finanzieren! Der Exportweltmeister Deutschland kann sich eine öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr leisten! Der Exportweltmeister Deutschland schließt Kindergärten und richtet Suppenküchen ein! Diese Politik darf so nicht weiter toleriert werden: Jeder Mensch hat ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum! Wir brauchen eine Politik die diese Teilhabe gewährleistet!! Es gibt kein Recht auf Bereicherung! Wir streiten für den Sozialstaat und eine solidarische Gesellschaft! Wir fordern europaweite Sozialstaatsstandards! Erwerbstätige dürfen nicht zur Verhandlungsmasse kapitalistischer Interessen werden! Globalisierung muß unter dem Zeichen der Umverteilung stehen. Es ist genug für alle da! Armut ist kein moralisches Problem, sondern ein ökonomisches. Wir sagen: das Geld ist da, aber nicht da, wo es gebraucht wird! Wo Menschen in Armut leben, wo sie bereits jetzt die katastrophalen Folgen des Neoliberalismus zu tragen haben, da ist das Feld für künftige Kriege bereitet. Darauf haben sich die Superglobalisierer schon eingerichtet - sie wissen, dass sie ihre Interessen nur gewaltsam durchsetzen können! Wir brauchen ein starkes europaweites Bündnis gegen den globalen Kasinokapitalismus.. Wir brauchen ein starkes europaweites Bündnis gegen den Sozialabbau. Die außerparlamentarischen Kräfte, die sozialen Bewegungen, Teile der Kirchen, die Gewerkschaften, die Erwerbslosenorganisationen und Studierenden sind mit Attac ein breites Bündnis für Gerechtigkeit eingegangen. Noch nie gab es so viel Reichtum wie heute: mit dieser Politik ist es genug - es ist genug für alle da! Quelle: Das neoliberale System ist krank und macht krank Rede von Klemens Himpele, AStA Uni Köln, bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich bin entsetzt und begeistert: Entsetzt bin ich von der Politik von Rot-Grün und den noch skandalöseren Äußerungen von Schwarz-Gelb. Ich bin aber auch begeistert. Begeistert bin ich, dass europaweit mehrere hunderttausend Menschen dagegen auf die Straße gehen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Unwort des letzten Jahres hätte "Eigenverantwortung" sein müssen. Selten wurde ein Begriff so sinnentstellt wie dieser in den Parolen der rot-grünen Bundesregierung und in den Reden ihrer neoliberalen Geschwister in CDU und FDP: Für die Rente soll eigenverantwortlich gespart werden, obwohl man auf den Kurswert der Anlagen gar keinen Einfluss nehmen kann. Eigenverantwortlich soll man sich in den ersten Arbeitsmarkt integrieren, ohne Einfluss auf die angebotenen Jobs zu haben. Eigenverantwortlich soll man sein Studium in der Regelstudienzeit abschließen, ohne Einfluss auf die Ausstattung der Hochschule zu haben. Und eigenverantwortlich soll man sein, obwohl private Renten, Repressionen des Arbeitsamtes und Studiengebühren doch völlig unverantwortlich sind! Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Eigenverantwortungs-Propaganda dient nur der Verschleierung. Das Problem sind nicht verantwortungslose Bürgerinnen und Bürger. Das Problem ist eine falsche und fatale Politik! An den Hochschulen diverser Bundesländer werden jetzt Studiengebühren für einzelne Studierendengruppen eingeführt. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, da schwadronieren Rote und Schwarze schon in gewohnter Eintracht über generelle Studiengebühren. Studiengebühren, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten eine einfache und zugleich tragische Konsequenz: Junge Menschen aus ärmeren und bildungsfernen Schichten hätten keine Chance mehr, an die Hochschule zu gehen. Dabei muss doch genau das Gegenteil davon das Ziel einer gerechten Politik sein: Das Studium darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig gemacht werden! Wenn nun Neunmalkluge aus dem neoliberalen Lager sagen, dass Akademiker schließlich auch mehr verdienen würden, dann dürfen wir uns davon nicht auseinander dividieren lassen. Zahlreiche Studierendenschaften haben immer wieder bekräftigt: Wer viel verdient, soll auch viel Steuern bezahlen! Dafür muss aber der Spitzensteuersatz angehoben werden, müssen Vermögen zur Steuer herangezogen werden! Wenn AkademikerInnen einen hohen Steuersatz bezahlen, weil sie viel verdienen, dann ist das in voll Ordnung. Nicht in Ordnung ist aber, wenn das Studium für diejenigen, die es schon heute mit Abstand am schwersten haben, weiter erschwert wird! Bildung ist nicht nur Investition in das eigene Humankapital im ökonomischen Sinne, sondern auch ein Menschenrecht - ein Menschenrecht auf freie Entfaltung und Emanzipation! Bildung ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Zusammenhänge unserer Gesellschaft. Dieser Schlüssel, dieser Eintrittsschein zur Emanzipation darf den Menschen aus benachteiligten Schichten nicht vorenthalten werden. Bildung muss stattdessen Benachteiligungen abbauen helfen. Liebe KollegInnen, in NRW wird derzeit darüber diskutiert, wie man die demokratischen Rechte der Hochschulmitglieder weiter einschränken kann. Diskutiert wird von den herrschenden Kreisen, wie man die demokratische Kontrolle durch die Kontrolle der Hochschulleitungen und der privaten Kapitalgeber ersetzen kann. Auch dies Entdemokratisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozeß. Uns soll "Alternativlosigkeit" eingeredet werden. Uns soll glauben gemacht werden, dass die Schweinereien der Regierung gerechtfertigt seien. Dieses falsche Spiel machen wir aber nicht mir. Vielmehr rufen wir der Bundesregierung entgegen: Es ist Aufgabe der Politik, nach sozial gerechten Alternativen zu suchen. Wenn es die nicht gäbe, dann würden Wahlen ihren Sinn verlieren und dann könnte man einen Sachzwang-Verwalter einstellen. Der angebliche Sachzwang ist hausgemacht und politisch gewollt. Deutschland ist als Volkswirtschaft heute so reich wie nie zuvor! Die öffentlichen Kassen sind nicht wegen der RentnerInnen und der Kranken leer; sie sind auch nicht wegen der Arbeitslosen leer; und sie sind auch nicht wegen der so genannten Langzeitstudierenden leer. Nein! Leer sind sie wegen der falschen Politik der rot-grün-gelb-schwarzen neoliberalen Einheitspartei Deutschlands! Geld ist genug da, es ist nur in den falschen Taschen. Reicher wurden die Spitzenverdiener, indem man ihnen zusätzlich zur Senkung des Eingangssteuersatzes auch noch die Senkung des Spitzensteuersatzes nachgeworfen hat. Reicher wurden auch die Aktiengesellschaften, die bei der Körperschaftsteuer und bei Aktiengewinnen massiv entlastet wurden. Ärmer werden die Armen, die Kranken, die Alten, die ArbeitnehmerInnen und viele Studierende. Diese müssen zuzahlen: durch Gebühren in Arztpraxen, durch Einbußen beim Arbeitslosengeld, durch Rentensenkungen, durch Studiengebühren! Und all das in einem Umfeld von Angst, Druck und Repression! Wo auf der einen Seite der Spitzensteuersatz gesenkt wird, gibt es auf der anderen Seite über 1 Million Kinder in Armut! Und das in einem reichen Land wie Deutschland! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir demonstrieren hier und heute zusammen, um zu zeigen: ArbeitnehmerInnen, Arbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen, RentnerInnen, Kranke und Studierende lassen sich nicht auseinander dividieren, weder von der Regierung, noch von der Opposition, die die Schweinereien der Bundesregierung noch potenzieren will. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das neoliberale System ist krank und macht krank, es ist kaputt und macht kaputt! Deshalb muss dieses System weg. Her muss stattdessen eine freie und gerechte Gesellschaft! Quelle: Dem Sozial-Kahlschlag auf allen Ebenen Einhalt gebieten Rede von Paul Saatkamp, Vorsitzender AWO Bezirksverband Niederrhein e.V., Bündnis "Soziale Bewegung NRW", bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Der Philosoph Ernst Bloch hat in dem ihm eigenen Sarkasmus einen Satz gesagt, der den aktuellen Zustand der Bundesrepublik Deutschland besser beschreibt, als alle journalistischen Erklärungsversuche: "Wenn es für alle nicht mehr reicht, springen die Armen ein"! Vorausgeahnte Realität! Ohne jetzt im Einzelnen auf den Sozialkahlschlag, der uns ereilt, einzugehen, stellt sich die Frage, ob mit der Agenda 2010 eine radikale Abkehr vom Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland eingeleitet wurde. Ich denke ja und möchte die augenblickliche Politik mit einer Eingangsthese charakterisieren: In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist sicherlich die derzeitige All-Parteien-Koalition einmalig in ihrem Politikansatz Arme, Kranke, Alte und Arbeitslose zu belasten und Besserverdienende, Vermögende und Unternehmer zu entlasten. Mit der Umsetzung der Agenda 2010 droht Deutschland ein explosionsartiger Anstieg der Zahl der von Armut betroffenen Menschen. Die in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin bereits stark ausgeprägte Umverteilung von unten nach oben gewinnt zusätzlich an Dynamik. Soziale Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke. Die Agenda 2010 betreibt den Systemwechsel vom Sozialstaat zum Wettbewerbsstaat, der sich in erster Linie den Interessen der wirtschaftlich Starken verpflichtet fühlt. Das freie Spiel der Kräfte wird zum gestaltenden Faktor für Politik und Gesellschaft. Schwache haben in diesem 'Spiel' keine Chance. Amerikanische Verhältnisse stehen uns ins Haus. Und wofür das alles? Arbeitsmarktpolitisch für nichts, denn weder Sozialabbau noch die Entlastung der Wohlhabenden und Großunternehmer haben in den vergangenen Jahrzehnten zu mehr Arbeits- und Ausbildungsplätzen geführt. Auch der wieder eingeführte "Tagelöhner" wird zu keinem Aufbruch am Arbeitsmarkt führen. Folglich wird auch die Agenda 2010 die strukturellen Probleme nicht lösen. Gefordert sind dagegen: Mehr soziale und mehr Steuer-Gerechtigkeit sowie eine breitere Finanzierungsgrundlage der Sozialsysteme. Der im Grundgesetz festgelegte Grundsatz 'Eigentum verpflichtet' ist zur Farce verkommen. Bei der Lastenverteilung müssen auch die 'starken Schultern' mittragen. Das bedeutet - nur einige Stichworte:
Die Ansprüche sind geopfert worden. Der 19. Dezember 2003 - Schlusssitzung des Bundesrates - wird als "schwarzer Freitag" in die Sozialgeschichte der Bundesrepublik eingehen. Die sogenannten staatstragenden Parteien haben sich faktisch zu einem Kartell des Sozialkahlschlags verbündet. Unterschiede gibt's zwar in Nuancen und sicher ist auch, dass eine andere Regierung das alles noch schlimmer machen würde, aber ist das ein Trost? Realpolitik in Deutschland - Ich will das einmal verdeutlichen und habe deshalb in der Addition aller bereits beschlossenen Veränderungen durch die so genannten Modernisierungsgesetze einschl. der Steuerreform das Ergebnis mit einigen Zahlen beispielhaft an real existierenden Personen festgemacht:
Auch wir wollen Reformen. Vorausgesetzt allerdings, alle Mitglieder der Gemeinschaft werden ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend an den Belastungen beteiligt.
Zusammengenommen haben sich diese Parteien zu einem Kartell der Umverteilung vereinigt, das mehr und mehr auch die Achtung vor dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes verliert. Aber ist das nicht das mindeste, was man erwarten darf? Ich meine, "Wer erbarmungslos den Ärmsten in unserer Gesellschaft alle Lasten aufdrückt, von dem erwarte ich, dass er dem oberen Drittel der Gesellschaft die "Sozialstaatspflicht" klar macht und ihnen einen angemessenen Beitrag auferlegt. "Eigentum verpflichtet"! Wer sich wundert, dass die Menschen nicht mehr wählen gehen, sollte eins nicht verkennen: Wählen setzt voraus, Auswahl zu haben. Wenn die, die so genannten staatstragenden Parteien nicht mehr bieten, und wenn dann noch hinzukommt, dass wir über Parteien und Parlamente nichts mehr verändern können, weil sie sich mehr und mehr zu Bütteln ihrer Erstvorderen machen, gilt es, andere Wege zu beschreiten. Dann hilft nur noch eine außerparlamentarische Opposition. Und deshalb sind wir hier. Wir müssen auf die öffentliche Meinung Einfluss nehmen und Druck auf die Politiker ausüben, die sich anscheinend im Labyrinth ihrer Sprachregelungen verfangen haben. Aus den Mitstreitern für eine durch Solidarität und Ausgleich geprägte Gemeinschaft muss wieder eine starke soziale Bewegung werden, aber eine gemeinsame neue "soziale APO"! Dabei müssen wir im Interesse des gemeinsamen Anliegens, bestehende Animositäten und partikuläre Interessen überwinden. Mit dem "Bündnis soziale Bewegung NRW" in dem schon jetzt 27 Partnerorganisationen - von A wie AWO oder Attac bis V wie Verdi oder VdK - zusammengeschlossen sind, haben wir einen Anfang gemacht. Ich hoffe, dass es uns gelingt, damit zu einer Klammer zu werden, die andere Initiativen vorurteilsfrei aufnimmt. Nur so werden wir auch Erfolg haben und dem Sozial-Kahlschlag auf allen Ebenen Einhalt gebieten können. Packen wir es gemeinsam an! Herzlichen Dank und "Glück auf"! Quelle: Ein stärkeres Europa, um eine gerechtere Welt zu erzwingen Rede von Tony Janssen, Präsident Europäischer Metallgewerkschaftsbund, bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Kollegen, Die heutige Europäische Union mit ihrem freien Verkehr und ihrem geeinigten Markt, Wirtschaftsraum und Währung, darf wohl eine historische hervorragende Leistung genannt werden. Und wer hätte sich vor fünfzehn Jahren überhaupt vorstellen können, daß wir Freunde in Ost- und Mittel-Europa machen würden und dort mit Kollegen über die Arbeitsbedingungen in denselben multinationalen Unternehmen diskutieren könnten? Und trotzdem herrscht viel Unsicherheit und Beunruhigung bei den Bürgern, vor allem bei den Arbeitnehmern und den Sozialhilfeempfängern. Offensichtlich mögen die Menschen Europa nicht. Gewerkschaften sind nur mit ihrem Verstand für Europa. In den meisten Ländern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, durch Verhandlungen und durch Aktionen, eine Solidaritätsversicherung aufgebaut, die wir hier auf dem Kontinent das Rheinlandmodell genannt haben. Unter dem Druck der zunehmenden Konkurrenz, versuchen nationale Regierungen, das nationale Fangnetz der beschützenden Arbeitsgesetze, der kollektiven Maßnahmen und der Sozialleistungen abzubauen. Wir drohen immer mehr abzugleiten in ein System der Sozialhilfe auf Amerikanischer Art, das sich beschränkt auf Bestreitung der Armut, statt Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Wir sind hier heute zusammengekommen, weil wir die Stimme des gewöhnlichen Menschen, des Arbeitnehmers, durchklingen lassen wollen bis zu den Europäischen Gipfeltreffen, den nationalen Regierungen, den Unternehmern und ihren Kapitalverschaffern. Nicht gegen Europa, sondern für mehr Europa, für ein mehr demokratisches und mehr soziales Europa. Mit der Europäischen Gewerkschaftsbewegung wollen wir dieses Europa mitgestalten. Nicht alles sollte von Brüssel aus dirigiert werden. Wir wollen als Gewerkschaften mit eintreten für Wachstum und Vollbeschäftigung, wie in Lissabon vereinbart worden ist; aber wir kämpfen gegen die Bestreitung der Arbeitslosen. Wir wollen mitreden über die künftige Entwicklung einer dauerhaften Industrie. Wir wollen die Gewerkschaftsrechte sicherstellen, damit wir Tarifverhandlungen und Aktionen unternehmen können, auch über die Grenzen hinaus. Dies ist kein frommer Wunsch. In der jüngsten Vergangenheit haben gemeinsame Aktionen in verschiedenen Sektoren zu Ergebnissen geführt. Als Europäischer Metallgewerkschaftsbund haben wir schon konkrete Vereinbarungen getroffen. Wir haben die Aktionen der anderen Mitglieder des Bundes unterstützt, weil wir uns nicht verteilen lassen wollen und uns nicht gegen einander aufhetzen lassen wollen. Dank unserer gegenseitiger Solidarität und dank unseres gemeinsamen Auftretens in Europäischen Betriebsräten, sowohl auf der Ebene der Branche selbst wie auch branchenübergreifend, haben wir Entscheidungen der Unternehmer und der Politiker umsteuern können. Liebe Freunde und Freundinnen, Europa muß sich selbst gestalten in einer globalisierten Welt. Seit dem Fall der Berliner Mauer leben wir in einer Welt mit nur noch einem einzigen Wirtschaftsmodell, nur noch einer einzigen Ideologie die Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung predigt, wobei Europa die Gefahr läuft, auf einen Vasallenstaat zurückgeführt zu werden. Wir brauchen also ein besseres Europa, das Modell stehen kann für andere Kontinente. Wir brauchen ein stärkeres Europa, um eine gerechtere Welt zu erzwingen. Dazu müssen wir den Druck anhalten, zusammen mit den Gewerkschaften und allen anderen sozialen Bewegungen. Inzwischen möchte ich Ihnen schon danken für Ihre Anwesenheit hier und auch für Ihre Aufmerksamkeit. Quelle: Gemeinsam die Spaltung der Gesellschaft stoppen!!! Rede von Birgit Zenker, Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands, bei der Demonstration in Köln am 3. April 2004 Ich freue mich über die große Beteiligung und begrüße alle hier, die sich für ein soziales und gerechtes Europa einsetzen.
Die KAB Deutschlands fordert deshalb: Die Rente muss endlich nachhaltig gesichert werden. Und das funktioniert nur, wenn alle steuerpflichtigen Einkommen zu ihrer Finanzierung herangezogen werden. Es darf sich K e i n e r aus der Solidarität stehlen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass junge Menschen gegen Rentner und Rentnerinnen ausgespielt werden, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gegen Erwerbslose, Gesunde gegen Kranke und geschützte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gegen ungeschützte. Stoppt die Spaltung der Gesellschaft!! Die Einkommensschere ist auch unter Schröder weiter auseinandergedriftet. Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer z a h l r e i c h e r. Damit muss jetzt Schluss sein! Wer den Wandel der Gesellschaft auf dem Rücken der Schwachen austrägt, handelt nicht nur unchristlich, sondern zerstört den sozialen Zusammenhalt - den sozialen Zusammenhalt der eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftlichen Wohlstand und Frieden ist. Seit Jahren findet eine Umverteilung von unten nach oben statt: Die Manager-Gehälter steigen ins Unermessliche, Gewinne werden privatisiert und die unternehmerischen Lasten und Risiken werden auf uns alle abgewälzt. So können weder Wachstum noch Beschäftigung entstehen. Schon gar nicht, wenn die Gewinne, außer Landes gebracht werden, statt sie in die heimische Wirtschaft zu investieren. (KAB Deutschlands, Bernhard-Letterhaus-Str-26, 50670 Köln, Tel.: 0221/7722-138, www.kab.de) Wir leben in einem der reichsten Länder der Erde und trotzdem müssen über eine Millionen Kinder und Jugendliche von der Sozialhilfe leben. Das ist ein Skandal, den wir alle nicht hinnehmen werden! Als Katholische Arbeitnehmer-Bewegung erleben wir täglich, dass immer mehr Menschen aus dem sozialen Netz fallen. Steueramnestie und radikale Steuersenkung sind keine Antwort auf die soziale Schieflage. Jeder muss nach seinen Möglichkeiten Verantwortung übernehmen. Niedrige Einkommen müssen entlastet werden. Familienmütter und Familienväter müssen endlich mehr in der Tasche haben! Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein. Kollegen und Kolleginnen, wir werden nicht hinnehmen, dass das erkämpfte Arbeits- und Tarifrecht - aus blindem Opportunismus gegenüber Wirtschaftsbossen und Arbeitgeberverbänden - demontiert wird. Wir müssen gemeinsam die Spaltung der Gesellschaft stoppen!!! Merkel, Merz und Westerwelle wollen mit ihren Angriffen auf das Sozialrecht eine andere Republik, eine Republik die dem Neoliberalismus huldigt. Aber diese einseitig auf Kostensenkung und Deregulierung ausgerichtete Wirtschaftsstrategie schafft weder Wachstum noch Beschäftigung. Im Gegenteil: Die Einschränkung des Kündigungsschutzes und die Abschaffung der Tarifautonomie zerstören den sozialen Frieden in den Betrieben. Politik und Wirtschaft müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wer älteren Menschen das Arbeitslosengeld beschneidet, muss ihnen auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben. Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.
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