Köln, 3.1.2005 - 'Agenturschluss' - Aktion gegen das Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetze |
»Arbeitsagenturen« und »Personal Service Agenturen« am 3. Januar 2005 lahmlegen! Aufruf zur Agenturschluss-Aktion vom 2.9.2004 Wenn am 1. Januar 2005 die neuen Hartz-Gesetze in Kraft treten sollten, rufen wir dazu auf, die »Arbeitsagenturen« und »Personal Service Agenturen« (PSA) bundesweit zu schließen. Am ersten Werktag des neuen Jahres, am Montag dem 3. Januar 2005, werden wir den Start von »Hartz IV« stoppen. Wir werden in Form von Besetzungen, Blockaden oder Versammlungen in den Ablauf der Erwerbslosenbürokratie eingreifen. Wir wollen die Nötigung und Beschneidung unseres Lebens anhalten und einen Raum schaffen für den Ausdruck unserer Ängste, unserer Wut und unserer eigenen Vorstellungen von einem würdigen Leben. Ob wir mit den jetzt stattfindenden Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen die notwendige gesellschaftliche Kraft entfalten, damit die Regierung die »Hartz-Gesetze« zurücknimmt, wissen wir nicht. Unsere Wut und unsere Phantasie sind aber noch lange nicht aufgebraucht. Wir rufen besonders zur Teilnahme an der Arbeitsagentur-Aktionswoche vom 2. bis 5. November und zur bundesweiten Großdemonstration an der Zentrale der »Bundesagentur für Arbeit« am 6. November in Nürnberg auf. Selbst wenn die »Hartz-Gesetze« Alltag werden, wird der soziale Protest und Widerstand dagegen nicht zu Ende sein. Es sind schon andere Gesetze wieder gekippt worden. Weisen wir das gesellschaftliche Elend, das uns jetzt versprochen wird, zurück. Erinnern wir uns an die erfolgreichen Proteste gegen die Einführung einer Kopf-Steuer (»polltax«) in England Anfang der 90er Jahre. Die massenhafte Aufkündigung des »sozialen Friedens« brachte das Gesetzesvorhaben seinerzeit zu Fall. Viele Menschen begreifen, dass der Angriff auf uns und unsere Bedürfnisse gleichermaßen für Erwerbslose wie für Lohnarbeitende gilt. Für diejenigen, die lohnarbeiten, als Erpressung zu Mehrarbeit und Lohnverzicht. Für diejenigen, die erwerbslos sind, als Leistungskürzung und Zwang in Billigjobs. Immer mehr Aufwendungen für Renten- und Krankenversicherung kommen für alle dazu. Dass ausgerechnet die großen Sozialverbände wie Caritas, Diakonie oder AWO von der Einführung der nur symbolisch entlohnten Zwangsarbeit für »Arbeitslosengeld-II-BezieherInnen« profitieren wollen, macht sie zu klaren Gegnern im Widerstand gegen die »Hartz-Gesetze«. Im gemeinsam und gleichzeitig erlebten Alltag der Bedrohung mit Arbeit und Arbeitslosigkeit gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Darin liegt aber auch die Möglichkeit, im Protest und Widerstand, nicht nur gegen die »Hartz-Gesetze«, zusammen zu kommen. Im aktuellen Umbau des Sozialstaates verschiebt sich die Aufgabe der neuen »Agenturen für Arbeit«. Im Leitbild der »Verfolgungsbetreuung« tritt die Zielrichtung der Kontrolle und Ausübung von Zwang gegenüber den erwerbslosen »KundInnen« deutlich hervor und die Förderung und Beratung in den Hintergrund. Wenn die »Arbeitsagenturen« zur »Arbeitspolizei« werden, stellen wir ihre Existenzberechtigung in Frage. In diesem Sinne soll die Schließung der »Arbeitsagenturen« durch unsere Aktionen auch die Forderung nach der Auflösung dieser Behörde ausdrücken. Was konkret am 3. Januar 2005 in den »Arbeitsagenturen« und »PSAs« passieren wird, ist abhängig von den Menschen vor Ort, von ihrem Zorn und von dem, was sie sich zutrauen. Unser Ziel ist es, uns in den Ämtern zu versammeln, den Betrieb lahm zu legen und dort zu protestieren und zu diskutieren. Dabei können die Beschäftigten der Arbeitsämter mit einbezogen werden. Sollten wir vor verschlossenen Türen stehen, haben wir ein Teilziel erreicht und können uns überlegen, ob und wie wir uns Zutritt verschaffen. Vielleicht haben wir auch vorher schon eine Idee dazu. Organisiert euch! Macht Agenturschluss in eurer Stadt! Verlegen wir die Montagsdemonstrationen am 3. Januar in die »Arbeitsagenturen« und »PSAs«. Achtet auf Aufrufe und Ankündigungen! Wir haben mehr vom Leben als von der Arbeit! Agenturschluss ist eine Initiative von sozialpolitisch engagierten Gruppen aus mehreren Städten. Sie entstand auf dem Kongress »Die Kosten rebellieren - Internationale Versammlung zu Prekarisierung und Migration« und wurde auf einem bundesweiten Treffen Anfang August konkretisiert. Quelle: |
Armutsverwalter belagert Rainer Balcerowiak und Reimar Paul in 'junge Welt' vom 4.1.2005 Aktion »Agenturschluß« in über 80 Städten. Gerangel mit der Polizei in Berlin, Happening in Göttingen In mehr als 80 Städten fanden am Montag Aktionen von Sozialinitiativen vor und in örtlichen Arbeitsagenturen statt. Unter dem Motto »Agenturschluß« wurde gegen die »Hartz-IV-Reformen« protestiert, die zu Jahrenbeginn in Kraft getreten sind. In Berlin versammelten sich um zehn Uhr rund 400 Menschen am Leopoldplatz und zogen entgegen den polizeilichen Auflagen direkt vor die Arbeitsagentur Mitte in der Müllerstraße. Das triste Gebäude war bereits in der Nacht zum Montag durch etliche Farbbeutel ein wenig geschmückt worden. Ein Eilantrag der Veranstalter mit dem Ziel, direkt vor der Agentur demonstrieren zu dürfen, war zuvor vom Oberverwaltungsgericht abgelehnt worden. Es kam zu vereinzelten Handgreiflichkeiten seitens der Polizei, die das Gebäude mit einem martialischen Aufgebot inklusive ziviler Greiftrupps und Hundestaffel »gesichert« hatte. Nachdem es einigen Demonstranten gelungen war, in die Arbeitsagentur vorzudringen und zeitweilig auch ein Transparent aus einem Fenster zu hängen, wurde der Eingang geschlossen, was sowohl bei den Demonstranten als auch bei ausgesperrten »Kunden« der Arbeitsagentur zu lautstarken Protesten führte. Anschließend kam es zu weiteren Attacken der Polizei. Dabei wurde auch vereinzelt Pfefferspray eingesetzt. Es gab vier vorläufige Festnahmen. Nach gut eineinhalb Stunden räumte die Polizei den Vorplatz der Agentur. Daß es dabei zu keinen weiteren Übergriffen durch die teilweise sehr aggressiven Polizisten kam, war vermutlich der großen Präsenz von Fernsehteams und anderen Medienvertretern geschuldet. Wesentlich entspannter verlief die »Agenturschlußaktion« in Göttingen. Die Polizei trat nicht in Erscheinung, als vor dem örtlichen Jobcenter eine Mauer aus leeren Obstkisten als Sperre aufgebaut wurde. »Wir haben sogar Verständnis für die Proteste«, sagte die zuständige Sozialdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck (SPD) gegenüber jW. Für viele Menschen bedeute »Hartz IV« »einschneidende Veränderungen«, für manche sogar »so etwas wie einen Absturz«. Man rechne »mit rund 10 000 Kunden in der Stadt«, damit wäre jeder zehnte Einwohner Göttingens unmittelbar von »Hartz IV« betroffen. Im Foyer des Job-Centers bauten Demonstranten eine Kaffeetafel auf, durch das Gebäude schallte Musik von »Ton Steine Scherben«. Angeführt von einer Trommlerin, zog eine Gruppe grell geschminkter, in pinkfarbene Anzüge gekleideter und mit Staubwedeln ausgerüsteter Frauen laut singend und Konfetti werfend durch die Büros. »Wir sind die Ein-Euro-Job-Kolonne, Arbeit ist für uns ’ne Wonne«, skandierten sie. Die Organisatoren des Protestes lehnen diese Ein-Euro-Jobs strikt ab. »Sie bedeuten nichts anderes als moderne Arbeitsdienste«, sagte ein Sprecher der Demonstranten. Es gebe dabei keinen Arbeitsvertrag, keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub und schon gar kein Streikrecht und keinen Kündigungsschutz. Außerdem würden diese angeblich zusätzlichen Arbeitsangebote erst durch die Kahlschläge in allen sozialen Bereichen produziert. »Die notwendige Arbeit wird weiter geleistet, nur viel billiger«. Später wurden »Ton Steine Scherben« durch Kurt Weills Moritat von Mackie Messer aus der Dreigroschenoper ersetzt. In einem Flur bauten Demonstranten leere, mit »Hartz IV« beschriftete Blechdosen zu einem Turm auf. Wer mochte, konnte mit Stoffbällen dagegen werfen. Bei Treffern krachte die Konstruktion laut scheppernd zusammen. Dafür gab es stets viel Beifall. Quelle: |
»Wir haben mal Akteneinsicht genommen« Interview mit Heiner Stuhlfauth, einer der Organisatoren der Aktion »Agenturschluß« in Köln, geführt von Peter Wolter in 'junge Welt' vom 4.1.2005 Kölner Erwerbslose besetzten die Arbeitsagentur. Im Samba-Rhythmus durch die Behörde. F: Wie lief Ihre Aktion »Agenturschluß« am ersten Arbeitstag nach Inkrafttreten der »Hartz-IV«-Gesetze ab? Wir wollten in die Arbeitsagentur selbst hineingehen. Unsere Strategie dafür war durchwachsen: Einige von uns wollten das ganz legal unter dem Vorwand machen, Anträge stellen oder Widerspruch einlegen zu wollen. Andere plädierten dafür, gewaltsam durchzubrechen, falls das Personal sie am Betreten der Behörde hindern sollte. Was dann ablief, war ein Mix aus beiden Strategien. Insgesamt waren 150 bis 200 Personen beteiligt. F: Sind Sie denn daran gehindert worden, das Gebäude zu betreten? Die Kölner Arbeitsagentur wurde im Eingang vor einiger Zeit umgebaut, dort gibt es jetzt eine Art Schleuse. Dort wollte uns der von zivilen Wachmännern flankierte Agenturdirektor festhalten, hinzu kam ein Trupp von Beschäftigten der Agentur. Wir haben uns dann in Zweierreihen aufgestellt - jeweils ein Antragsteller mit persönlichem Beistand an der Seite. Unsere Samba-Gruppe spielte laute Rhythmen, wir riefen dazu unsere Parolen und bestanden darauf, hineingelassen zu werden. Als das nicht geschah, habe ich den Beschäftigten mit Anzeigen gedroht, da sie Arbeitslose in ihren Rechten beschneiden. Die wollten aber nur die »normalen« Arbeitslosen durchlassen. Irgendwann verloren die Türsteher die Übersicht, und wir sind tatsächlich durchgebrochen. F: Kam es innen zu weiteren Konfrontationen? Der Agenturdirektor hat buchstäblich kapituliert und den ganzen Laden zum »open shop« erklärt. Locker, auf kölsche Art eben - man kann es natürlich auch repressive Toleranz nennen. Wir haben dann mitten in der Arbeitsagentur unseren Frühstückstisch aufgebaut und sind mit der Samba-Trommelgruppe durch die Gänge und über die Treppen gezogen. Dabei haben wir immer wieder die Parole »Niedriglohn, Zwangsarbeit, dafür haben wir keine Zeit« gerufen. Im 14. Stock besuchten wir das Büro des Agenturdirektors und nahmen Akteneinsicht. Und dann ging es mit unserer Musikgruppe wieder abwärts durch alle Abteilungen bis in den 9. Stock. Da residiert die Abteilung Bußgelder und Strafen, die Kollegen dort wurden allerdings ein wenig pampig. Es ist aber nicht zu größeren Sachbeschädigungen gekommen. F: Da haben Sie auch Akteneinsicht genommen? Das nicht. Wir haben aber die Angestellten genervt. Ein paar von uns haben Parolen an die Wände gemalt, Namensschilder ausgetauscht usw. Währenddessen gab es unten das Arbeitslosen-Frühstück mit Kaffee und belegten Brötchen. Die Aktion endete gegen zwölf Uhr in der Kantine, wo wir noch mit einigen Beschäftigten diskutierten. F: Wie war denn deren Reaktion? Wir hatten Flugblätter für sie, mit dem Aufruf zum Streik, zum Dienst nach Vorschrift oder zum Krankfeiern. Einige Beschäftigte waren überrascht, andere fanden den Lärm nicht so prickelnd, wieder andere waren genervt, einige ablehnend. Aber in der Regel waren sie freundlich - was wir ja auch waren. In der Kantine war die Stimmung eher ablehnend, die meisten wollten sich nicht gerne beim Essen stören lassen. Wir haben jedenfalls in den Diskussionen und im Ablauf unserer Aktion Wert darauf gelegt, daß wir nicht gegen die Beschäftigten Front machen. F: Viele Arbeitsagenturen hatten zu diesem bundesweiten Aktionstag vorsorglich Polizeischutz angefordert. Wie war es in Köln? Ich habe nur zwei Polizisten oben beim Büro des Direktors gesehen, die blieben aber passiv. Zum Schluß sollen noch ein paar zusätzliche Beamte gekommen sein, als wir unten in der Kantine waren. Quelle: |