Bremen, 15.1.2005 - Demonstration gegen den gewaltsamen Einsatz von BrechmittelnBilder

Tod durch gewaltsame Brechmittelvergabe

Stellungnahme von Uwe Menger

Zum 2. Mal innerhalb von drei Jahren endete eine gewaltsame Brechmittelvergabe tödlich.

Der aus Sierra Leone stammende 35 jährige, Laye Kondéverstab, verstarb durch „ersticken“ am 7. Januar 2005 in Bremen. Ihm wurden in den Räumen des Bremer Polizeipräsidiums am 27. Dezember 2004 gewaltsam Brechmittel und Unmengen von Wasser eingeflößt. Dieses gelangte über den Rachenraum in die Lungen und führte schließlich über die Lähmung des Atemkreislaufs zum mehrtägigen Koma und später zum Tod.

Der Bremer Innensenator, Thomas Röwekamp, geriet daraufhin mit seiner falschen Aussage in einem Fernsehinterview, der Afrikaner habe sich durch Zerbeißen einer Kokainkapsel selbst vergiftet, in die Schlagzeilen der Bremer Presse. Insbesondere seine Meinung, dass „Schwerstkriminelle“ mit „körperlichen Nachteilen“ rechnen müssen, sorgte für eine intensive Diskussion mit der stets lauter werdenden Forderung nach einer Amtsenthebung Röwekamps.

Die Zwangsvergabe von Brechmitteln wird indessen wegen ihrer unkalkulierbaren Risiken von zahlreichen Ärzten und Menschenrechtsorganisationen, wie Amnesty International und der Internationalen Liga für Menschenrechte, scharf kritisiert.

Ihre Anwendung berücksichtigt weder die gebotene Verhältnismäßigkeit der Mittel, noch das Recht auf körperliche Unversehrtheit, zumal vermeintlich verschluckte Drogenbehältnisse den Körper auch auf natürlichem Wege wieder verlassen.

Wenn laut Innensenator Röwekamp bei etwa 100 Anwendungen pro Jahr 80 Dealer überführt wurden, dann bedeutet dieses im Umkehrschluss auch, dass die lebensgefährliche Vergabe von Brechmitteln an immerhin 20 unschuldigen Personen vorgenommen wurde.

Doch körperliche Gewaltanwendung darf innerhalb eines Rechtsstaates, in dem es keine Folter gibt, kein Mittel sein, um an Beweismaterial zu gelangen.


Zum Todesfall durch Brechmittel-Einsatz

Erklärung von Professorinnen und Professoren der Universität Bremen

Am 27.12.2004 starb ein mutmaßlicher „Kokain-Dealer“ im Bremer Polizeigewahrsam. Ein ärztlicher „Beweissicherungsdienst“ hatte ihm im Auftrag der Bremer Polizei Brechmittel verabreicht, um ihm die mutmaßlich verschluckten, in Plastik verpackten Kokain-Kügelchen abzunehmen. Dabei wurde dem Widerstand leistenden Betroffenen so viel Wasser eingeflösst, dass nach Angabe des hinzugezogenen Notarztes der Hirntod durch Ertrinken eintrat.

Die Vergabe von Brechmitteln zur polizeilichen Sicherung von Beweismitteln hatte bereits 2001 in Hamburg zu einem Todesfall geführt. Die Bremer Ärztekammer weist diese Methode seit Jahren als medizinisch nicht vertretbar zurück, der Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund und Präsident der Ärztekammer Hamburg, Dr. Montgomery, hält den Brechmitteleinsatz für medizinisch nicht indiziert und unverantwortbar (zuletzt in der taz-nord, bremen, v. 6.1.05).

2002 unterstrich auch der Deutsche Ärztetag seine „kritische Haltung“ gegenüber der Vergabe von Brechmitteln. Das Oberlandesgericht Frankfurt/M bezeichnete die Praxis 1996 als Verletzung der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit. und Amnesty International bezeichnet den Brechmitteleinsatz als „grausam, unmenschlich und erniedrigend“. Eine Antwort des UN-Folter-Ausschusses auf eine entsprechende Beschwerde des Flüchtlingsrates Hamburg steht noch aus.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1999 eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde zwar nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft war, aber erklärt: „Im Hinblick auf das Grundrecht auf körperliche Un versehrtheit sind verfassungsrechtlich relevante, insbesondere medizinische Fragen zu klären.“ Es fordert zugleich, eine „mögliche Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit zu verhindern.“ In der Presseerklärung des BverfG heißt es ausdrücklich:

„Soweit die Kammer seinerzeit ausgeführt hat, ein Brechmitteleinsatz begegne in Hinblick auf die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs.1 in Verbindung mit Art 1 Abs. 1 GG) keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, sagt dies nichts darüber aus, inwieweit eine zwangsweise Verabreichung mit Blick auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zulässig ist.“ (Pressemitteilung Nr. 116/2001 vom 13. Dezember 2001)

Die ‚herrschende Meinung’ in der Strafrechtswissenschaft verneint die Verfassungsmäßigkeit des Brechmitteleinsatzes und bejaht ein entsprechendes Beweisverbot (z.B. Dallmeyer, Strafverteidiger 1997, 606ff.; Naucke, Strafverteidiger 2000, 1). Gleichwohl wird diese Praxis nach kurzzeitiger Aussetzung in Frankfurt/M (1996) Hamburg (2001) auch weiterhin fortgesetzt. Ein Vergleich mit anlässlich des Falles Daschner thematisierten Foltermethoden zur Erzielung von Geständnissen drängt sich auf.

Der Bremer Innensenator Röwekamp behauptete noch eine Woche nach dem Vorfall in Buten und Binnen (Radio Bremen TV), der Betroffene sei auf dem Wege der Besserung und das Vorgehen sei gegen solche „Schwerverbrecher“ gerechtfertigt.

In „80% der Fälle“ würden Beweismittel zu Tage gefördert und bei jährlich hundert Fällen in Bremen sei nie etwas passiert. Implizit heißt das: In Bremen werden jährlich 20 Personen zur eventuellen Sicherung von wenigen Gramm illegaler Substanzen lediglich aufgrund von polizeilich gehegtem Anfangsverdacht und ohne Gerichtsbeschluss so traktiert. Spätestens seit dem Vorfall in Hamburg 2001 muss klar sein, dass die Polizei beim gewaltsamen Verabreichen von Brechmitteln den Tod der Betroffenen fahrlässig in Kauf nimmt. Im Weser-Kurier vom 7.1.05 beruft er sich darauf, die Innenministerkonferenz bezeichne den Brechmitteleinsatz als „das mildeste Mittel“, um verschluckte Drogen zum Vorschein zu bringen, und zwar unter der Voraussetzung einer Vornahme nach den ärztlichen Kunstregeln. Im Übrigen bezeichnet er Drogendealer als „Schwerstverbrecher, die hunderte von Menschenleben gefährden“, und bringt diese mit 61 „Drogentoten“ und umfangreicher „Beschaffungskriminalität“ des Jahres 2004 in Bremen in Verbindung.

Unabhängig von der Art des Delikts: Einen Verdächtigen pauschal als „Schwerverbrecher“ zu titulieren bedeutet, die rechtsstaatlich normierte Unschuldvermutung ebenso wie strafrechtliche Kategorien zu ignorieren: Der Handel mit bis zu 5 g Kokain wird mit einer „mittleren Strafe“ (Geldstrafe bis maximal 5 Jahren Freiheitsentzug) geahndet. Die rechtlich unverantwortlichen, vorverurteilenden Äußerungen des auf die Verfassung vereidigten Innensenators, der es nicht für notwendig hält, sich selbst umfassend und die Öffentlichkeit rechtzeitig zu informieren, müssen rechtstaatlich gesinnte Bürger stark beunruhigen. Er leistet damit aktiv einen Beitrag zum Abbau rechtstaatlichen Bewusstseins in der Öffentlichkeit und ist deshalb in dieser Funktion untragbar.

Alarmierend ist jenseits der lokalen Ebene der Widerspruch, dass die Innensenatoren sich über strafrechtswissenschaftlichen Sachverstand hinwegsetzen und die Praxis mit der „Einhaltung der ärztlichen Kunstregeln“ legitimieren, die Ärzteschaft diese jedoch bei gewaltsamer Vornahme gerade verneint. Der natürliche oder auch medikamentös beschleunigte Abführvorgang ist jedenfalls ein milderes Mittel. Hier wird massiv gegen das oberste Verfassungsprinzip, das Verhältnismäßigkeitsgebot, verstoßen. Außerdem ignoriert Herr Röwekamp, dass Kokain-Todesfälle extrem selten sind und dass Heroin-Todesfälle und Beschaffungskriminalität gerade durch die Kriminalisierung und den dadurch bedingten Schwarzmarkt mit verursacht sind.

Die unterzeichnenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen sich den Leitzielen der Universität Bremen verpflichtet, d.h. der Verteidigung von Gerechtigkeit, Menschenrechten und rechtstaatlicher Demokratie.

Sie fordern aus Anlass dieses Skandals dazu auf, die Frage des Brechmittel-Einsatzes in einem rechtsstaatlichen Diskurs über die Grundfreiheiten der Bürger zu thematisieren. Sie appellieren allgemein an die Politik, sich hinsichtlich des Umgangs mit Straftätern strikt an die rechtsstaatlichen Prinzipien zu halten und sich in rechtspolitischer Hinsicht in stärkerem Maße gegenüber rechts- und humanwissenschaftlichen Erkenntnissen zu öffnen. Konkret fordern sie auf, die Praxis des Brechmitteleinsatzes einzustellen.

J. Beck; D. Beyersmann; J. Bleck-Neuhaus; L. Böllinger; S. Broeck; W. Emmerich; G. Febel; M. Fikus; H. Gerstenberger; S. Görres, D. Hart; H. Heide; F. Herzog; J. Huffschmid; H.-J. Kreowski; H. Krüger; H. Lange; J. Lott; M. Müller; R. Müller; C.C. Noack; L. Peter; K. Plett; H. Pollähne; S. Quensel; H.J. Sandkühler; D. Schefold; K. Schumann; H. Spitzley; E. Weßlau; D. Wöhrle; K. Zimmermann

v.i.S.P.: Prof. Dr.Lorenz Böllinger, Prof. Dr. Hans Jörg Sandkühler