Buchenwald, 10.4.2005 - 60. Jahrestag der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager |
60. Jahrestag der Selbstbefreiung Fahrt zur Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald am Sonntag, 10. April 2005 - Aufruf der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora / Freundeskreis e.V. Gegen Faschismus, Rassismus und Krieg! Für Frieden, soziale Sicherheit und Solidarität! Sechzig Jahre nach der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch die Häftlinge droht Deutschland von einem unrühmlichen Stück Vergangenheit eingeholt zu werden: Faschisten marschieren gegen den Protest demokratischer Demonstranten und von der Polizei abgeschirmt, aber ungehindert auf öffentlichen Straßen; Nazis verschiedener Parteien werden in Landtage gewählt und nützen die Immunität der Abgeordneten für geschichtsklitternde Lügen und rassistische Hetze; und einer Vielzahl faschistischer Organisationen ist es erlaubt, ihre menschenverachtende Propaganda und Politik legal zu verbreiten. Die derzeitigen politischen Erfolge der Nazis gedeihen in dem von eklatanten Widersprüchen geprägten Deutschland: Die Bundesregierung stützt unmittelbar oder indirekt die Kriege der USA gegen Afghanistan und Irak, was nationalistische Emotionen weckt und verstärkt sowie latente Großmachtträume wieder hoffähig macht. Die Unternehmen stellen den erkämpften sozialen und arbeitsrechtlichen Standard der Beschäftigten grundsätzlich in Frage und wollen damit auch eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft erreichen. Die Massenarbeitslosigkeit und die berufliche Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen erzeugt ein Klima der permanenten Zukunftsangst und der fremdenfeindlichen Ressentiments gegenüber vermeintlich Anderen. Vor diesem Hintergrund erscheint das im „Schwur von Buchenwald“ konzentrierte Vermächtnis der politischen Häftlinge des KZ Buchenwald so aktuell wie eh und je: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung! Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel! Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.“ Dieser Herausforderung stellten sich mehrere Generationen von Antifaschistinnen und Antifaschisten in politischen Parteien, Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften und sozialen Bewegungen. Doch auch sechzig Jahre nach der historischen Niederlage des deutschen Faschismus und Militarismus ist keines der im „Schwur von Buchenwald“ formulierten gesellschaftspolitische Ziele verwirklicht. Dafür weiterhin zu kämpfen, wird mehr und mehr die Herausforderung und Aufgabe der jüngeren Generationen, welche den Hitler-Faschismus an der Macht nicht mehr selbst erlebten, sich aber dem antifaschistischen Widerstand in Nazi-Deutschland und anderen Ländern sowie in den Konzentrationslagern und Gefängnissen verbunden und verpflichtet fühlen. Deshalb rufen wir alle Antifaschistinnen und Antifaschisten auf: Machen wir die Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der Selbstbefreiung am 10. April 2005 in Buchenwald zu einer eindrucksvollen Kundgebung des gemeinsamen Zieles einer neuen Welt des Friedens, der Freiheit, der sozialen Sicherheit und der Solidarität! Veranstaltungen am 10. April 2005 in Buchenwald 10:00 Uhr Staatsakt des Landes Thüringen in Anwesenheit des Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Deutschen Nationaltheater in Weimar (nicht öffentlich, Zutritt nur auf Einladung) anschließend Kranzniederlegung auf dem Appellplatz. 15:00 Uhr Kundgebung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos auf dem Appellplatz - Es sprechen zwei ehemalige Häftlinge des KZ Buchenwald, und der neu formulierte „Schwur von Buchenwald“ wird in russischer, englischer, französischer und deutscher Sprache verlesen. Anschließend gemeinsamer Gang zum Mahnmal und Kranzniederlegung im Glockenturm. Quelle: |
Wir warteten auf die Freiheit... Rede von Felicija Karay, ehemalige Zwangsarbeiterin aus Polen, im Rahmen der Kundgebung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos auf dem Appellplatz Ich bin ein weiblicher Häftling der Hasag Leipzig. Dieses Lager war eines von 23 Außenkommandos von Buchenwald, wo über 28 000 Frauen arbeiten mussten. Nur Frauen, aus ganz Europa: Französinnen, Polinnen, Jüdinnen, Sinti und Roma, Ungarinnen, Frauen aus der Tschechoslowakei, aus Italien und Rußland. Wer hat etwas von uns gehört, wer hat etwas über uns gewusst? "Buchenwald" - das Wort klingt stolz, dort waren Männer, Kämpfer. Und wer waren wir? Wir wurden von unseren Familien getrennt, unsere Kinder waren zu Waisen verurteilt. Unsern Männern blieb nur ein Foto von uns. Unsere Mütter starben vor Sehnsucht. Die deutschen Herrscher haben uns alles genommen: die Freiheit, die Jugend, unsere Weiblichkeit, unsere Schönheit... selbst unsere armselige Kleidung. Tag für Tag marschierten wir in Holzpantinen, in hässlichen grauen gestreiften Kitteln, meist mit kahlrasiertem Kopf zur Arbeit in die Fabriken: Sklavenarbeiterinnen in der deutschen Rüstungsindustrie. Stundenlang, bei Matsch und Kälte, mussten wir beim Appell stehen. In der Nacht bissen uns die Läuse, und am Tag ätzte uns das Öl von den Maschinen. Wir mussten 8, 10 oder gar 12 Stunden in Tag- und Nachtschicht arbeiten. In den Fabriken hatte die SS verbreitet, wir seien Diebinnen und Prostituierte. Halbtot vor Erschöpfung standen wir für die tägliche Rübensuppe in der Schlange. Jeder Meister, jede Aufseherin konnte uns jederzeit schlagen oder befehlen, dass uns die Haare abrasiert wurden. Wen hat damals unser Schmerz interessiert, wen kümmerte es, dass wir gedemütigt wurden? Man hatte uns das Recht, Frauen zu sein, abgesprochen: Wir durften keinen Kontakt zu Männern haben, wir durften keine Kinder zur Welt bringen. Schwangere schickte die SS nach Auschwitz. Die anderen Frauen hatten nur ein Recht zu leben, solange sie arbeiten konnten. In manchen Lagern mussten die Frauen sogar schwere Holzstämme tragen. In anderen Lagern wurde die Verträglichkeit von Giften an uns getestet. Wir, die vergessenen Frauen von Buchenwald aus ganz Europa, waren die "Stütze" der deutschen Kriegswirtschaft! Warum? Weil wir billig waren, weil der Fabrikbesitzer für eine Frau nur die Hälfte dessen an die SS zahlen maßte, was ihn eine männliche Arbeitskraft gekostet hätte! Aber wir haben nicht schlechter als die Männer gearbeitet und wir konnten den Hunger viel besser ertragen... Kein Wunder, dass die SS uns gern zu lebendigen Robotern gemacht hätte. Ohne Herz, ohne Gefühl, ohne eigenen Willen. Der Plan war rentabel, aber er gelang nicht. Wir hatten keine Gewehre, keine Handgranaten, um einen Aufstand zu machen. Unser Widerstand sah anders aus: In jedem Lager, in jeder nationalen Gruppe organisierten die Frauen gegenseitige Hilfe und pflegten ihre Kultur. Wir sangen gemeinsam, veranstalteten literarische Abende - an denen manchmal ganz neue Dichterinnen hervortraten - oder Wettbewerbe, wer die beste Satire auf die böse Blockälteste schreibt. Wir warteten auf die Freiheit... |
Eine Welt aufzubauen, die der Menschheit würdig ist Rede von Kurt Julius Goldstein, Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, im Rahmen der Kundgebung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos auf dem Appellplatz Liebe Buchenwalder, liebe Angehörige und Hinterbliebene unserer Buchenwalder, liebe Kameradinnen und Kameraden aus den vielen Fronten des Widerstandes, verehrte Anwesende! 60 Jahre ist es jetzt her, da erlebten wir hier oben in Buchenwald Apriltage, wie sie sicher einmalig in unserem Leben bleiben. in den ersten Apriltagen hörten wir, wenn auch noch aus der Ferne, dass sich die Alliierte Befreiungsarmee dem Lager näherte. Die SS versuchte, das Lager zu evakuieren. Die Genossen der Lagerleitung taten ihr Möglichstes, das zu verhindern. Doch zu welchen Verbrechen waren die faschistischen Verbrecher, den eigenen Untergang vor Augen, noch bereit! 10 Wochen vorher, als sich die Rote Armee zu unserer Befreiung dem Lager Auschwitz näherte, trieben uns die SS-Leute in aller Hast und Eile gen Westen und das war eigentlich ganz gegen die Pläne der Hitler-Faschisten. Nazideutschland hatte ja im Januar 1942 in der Villa am Wannsee in konsequenter Weiterführung der schon in Hitlers „Mein Kampf“ angedeuteten Vorhaben die Endlösung der Judenfrage beschlossen, ebenso die Vernichtung aller Sinti und Rom. Die Verbrecher waren zu feige zu sagen, was sie mit Endlösung meinten. Die Ermordung aller Juden, aller Sinti und Roma vom Baby bis zum Greis. Deshalb sollte auch kein jüdischer Häftling Auschwitz und seine Nebenlager lebend verfassen. Zur Vorbereitung hatte Himmler im Sommer 1944 angeordnet, alle nichtjüdischen Häftlinge in KZs ins Reichsinnere zu verlegen. Doch der Plan scheiterte — ein Schabernack der Weltgeschichte - infolge einer Anordnung Hitlers. Er hatte ohne Absprache mit dem Oberkommando der Wehrmacht angeordnet, am 16. Dezember 1944 in den Ardennen eine Offensive gegen die Alliierten Streitkräfte zu beginnen. Diese kamen durch die Überraschung in große Schwierigkeiten. Deshalb richtete Churchill in einem Telegramm an Stalin am 5. Januar 1945 die Bitte, die für Februar vorgesehene Offensive der Roten Armee zur Entlastung der Alliierten im Westen vorzuziehen und baldmöglichst zu beginnen. Stalin entsprach der Bitte. Und die Rote Armee brachte die Wehrmacht so dazu rückwärts zu stürmen, dass die Lagerleitung Mitte Januar alle Häftlinge in Richtung Reich in Marsch setzte. Im Morgengrauen des 17. Januar begann für uns ca. 3.000 Häftlinge im Nebenlager Jawischowicz, in dem ich seit Juli 1942 war, der Todesmarsch. Jeder bekam ein ganzes Brot und es erging die Weisung, seine Decke mitzunehmen. Drei Tage marschierten wir bei -15 Grad über tief verschneite Straßen, übernachteten im Freien. Wer beim Marschieren nicht mehr mitkam oder im Morgengrauen beim Befehl „Antreten“ nicht mehr hoch kam, wurde von den SS-Banditen erschossen. Dann wurden wir in offene Kohlewaggons verladen. Nach 2 Tagen kamen wir in Buchenwald an. Verpflegung hatte es während des ganzen Marsches und der Bahnfahrt nicht gegeben. Von den 3.000 beim Abmarsch waren wir noch etwa 500 mehr tot als lebendig, als wir in Buchenwald am Lagertor aus den Händen der SS-Banditen in die der Buchenwaldcapos kamen. Mir ist für mein ganzes Leben in Erinnerung geblieben, mit welcher geradezu liebevollen Kameradschaftlichkeit uns die Buchenwalder behandelten. Sie haben damit viel dazu beigetragen, dass wir allmählich auftauten und ins Leben zurückfanden. Als mir das beim Nachdenken in den ersten Tagen in Buchenwald bewusst wurde, habe ich mir vorgenommen, den Buchenwaldkameraden dafür aus ganzem Herzen zu danken. Das will ich auch hier heute auf dieser Kundgebung zum 60. Jahrestag der Selbstbefreiung des Lagers tun, die vielleicht die letzte ist, die uns Überlebende des 11. April 1945 zusammenführt. Als wir dann nach dem Duschen und dem Frühstück zum Registrieren geführt wurden, habe ich mich entschlossen, mich nicht mehr als deutscher Jude registrieren zu lassen, sondern als Sohn eines französischen Bauern, bei dem ich 1933/34 in Avveyron gearbeitet hatte. Als das geschehen war, sagte der Häftling, der mich registriert hatte, ohne aufzublicken: „J’ai compris, Julio?“ — Ich habe verstanden. Julio, so hieß ich in Spanien in den Internationalen Brigaden. Der wusste also, wer ich wirklich war und ich hatte ihn nicht erkannt, bekam einen großen Schreck; wird er mich bei der SS verraten? Als ich dann auf dem Weg zum kleinen Lager war, traf ich meinen jugoslawischen Freund Serge Dimitrewitsch aus dem Lager La Vemet. Als ich ihm meinen Schreck vom Registrieren erzählte, sagte er: „Mach dir keine Sorgen. Hier in Buchenwald sind auf allen wichtigen Positionen gute Genossen.“ Als wir 1956 zum 20. Jahrestag der Gründung der Interbrigaden ein großes internationales Treffen in Berlin, der Hauptstadt der DDR hatten, wollte ich im Gästehaus der Regierung 4 italienische Kameraden, die an einem Tisch saßen, begrüßen. Da sagt einer zu mir: „J’ai compris, Julio? — Wann hast Du das gehört?“ — „Bei der Registrierung in Buchenwald“, sagte ich. Und er: „Das war ich. — Und dann habe ich den deutschen Kameraden gleich Bescheid gesagt, dass du da bist.“ Durch meine französischen und jugoslawischen Kameraden und einige deutsche Interbrigadisten erfuhr ich im Laufe der Wochen, dass es in Buchenwald gelungen war, im zähen Ringen und Stück für Stück die Einheit aller aktiven Antifaschisten zu schaffen; die Einheit im erbitterten Widerstandskampf aller Parteien und die Einheit aller Nationen. Das war die Grundlage dafür, dass die internationale Widerstandsorganisation in allen nationalen Gruppen bewaffnete Einheiten schuf. Die lagen jetzt in Bereitschaft und sie bereiteten sich auf den Endkampf mit der SS vor. Der fand am 11. April statt. Die dritte amerikanische Armee hatte mit ihrem Angriff auf Erfurt begonnen. Der Donner der Geschütze kam immer näher. In der Luft erschienen im Laufe des Vormittags zuerst amerikanische Aufklärungsflugzeuge und dann konnten wir auch Jagdbomber bei ihren Angriffsflügen vom Lager aus beobachten. Gegen 14.00 Uhr sahen wir dann, wie unsere bewaffneten Kameraden den Stacheldrahtzaun und die Wachtürme gestürmt haben. Die SS-Leute wurden gefangen genommen. Insgesamt nahmen die bewaffneten Häftlingseinheiten bei der unmittelbaren Befreiung des Lagers 120 SS-Leute und in der Umgebung weitere 100 SS-Leute gefangen. Sie wurden im Lager eingesperrt. Keinem wurde ein Haar gekrümmt und sie wurden den Amerikanern als Kriegsgefangene übergeben. Gegen 16.00 Uhr verkündete der Lagerälteste I, Kamerad Hans Eigen über alle Lautsprecher: „Kameraden, wir sind frei!“ Für mich war meine 1 2-jährige Reise von Deutschland nach Deutschland beendet. Sie hatte Im März 1933 begonnen, als ich in Scharnhorst bei Dortmund in meinem illegalen Quartier verhaftet wurde. Aber ich konnte den Gendarmen, die mich verhaftet hatten, entfliehen. Nun ist sie hier in Buchenwald zu Ende gegangen durch die Selbstbefreiung des Lagers von innen durch die bewaffneten Militäreinheiten der Häftlinge und von außen durch die Einheiten der dritten US-amerikanischen Armee. Dabei hätte ich sie so gerne im Januar in Auschwitz durch die Rote Armee erlebt, die durch ihre Siege vor Moskau, bei Stalingrad und im Kursker Bogen die Wende im II. Weltkrieg herbeigeführt und die Armeen Hitlerdeutschlands auf die Verliererstraße gezwungen hatte. Sie befreite das Lager Auschwitz am 27. Januar. Seit 1996 ist dieser Tag in Deutschland ein Gedenktag für alle Opfer des Hitlerfaschismus, an denen wir Überlebende uns in Dankbarkeit an alle erinnern, die den Sieg über den Hitlerfaschismus erzwungen haben. Die alliierten Armeen in Ost und West und die deutschen antifaschistischen Kameradinnen und Kameraden, die in all diesen Armeen mitkämpften, ebenso wie die Frauen und Männer in den Partisanenverbänden und die Widerstandskämpferinnen und —kämpfer in allen von Hitlerdeutschland besetzten Ländern und auch in Deutschland. Nach der Befreiung am 11. April beschloss das Internationale Lagerkomitee am 19. April abends auf dem Appellplatz eine Trauerfeier für die 52.000 in Buchenwald Ermordeten durchzuführen. Am Ende dieser Trauerfeier wurde der in die Weltgeschichte eingegangene Schwur von Buchenwald in französischer, russischer, polnischer, englischer und deutscher Sprache verlesen und die 21.000 versammelten Häftlinge beschworen ihn. In seinen Kernaussagen ist er heute so gültig wie vor 60 Jahren: „Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit Ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“ Wenn wir heute nach jahrzehntelangem Ringen für die Verwirklichung unseres Schwurs Bilanz ziehen, dann müssen wir mit Bedauern feststellen, dass es uns in unserem deutschen Heimatland nicht gelungen ist, alle Naziverbrecher vor Gericht zu bringen. Wir sind auch weit entfernt von einer Weit des Friedens und der Freiheit. Gegenwärtig aber ist das Beunruhigendste, dass es nicht gelungen ist, die Wurzeln des Nazismus zu vernichten. Bert Brecht, unser großer antifaschistischer humanistischer Schriftsteller hatte gewarnt: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Und jetzt erleben wir täglich, in Straßen und Länderparlamenten die wachsenden Aktivitäten der Neonazis. Man stelle sich vor, das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, hält die Demonstrationsfreiheit für ein so hohes Gut, dass die Nazis in Wunsiedel, dem Geburtsort des Hitlerstellvertreters Hess, zu dessen Ehren demonstrieren dürfen. Nicht genug damit, in Bochum beschließt die Stadtverordnetenversammlung die in der Pogromnacht der Nazis im November 1938 abgefackelte Synagoge wieder aufzubauen. Dagegen wollen die Neonazis demonstrieren. Städtische und Landesorgane verbieten diese Demonstration. Und wieder, es ist kaum zu glauben, aber es ist Tatsache, die Richter in Karlsruhe erlauben auch diese Demonstration. Unser aller verehrter Kamerad und Freund, der langjährige Präsident unseres internationalen Buchenwaldkomitees Pierre Durand hat dazu im März 2001 gesagt, „Und die Lage ist, wie wir alle wissen, seit dem nicht besser geworden: Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Auch heute noch wird überall auf der Welt im Namen Gottes, der Freiheit oder aus Rache und ohne das Recht jedes Einzelnen auf seine Spezifik zu beachten, getötet, vergewaltigt und gefoltert. Wie vor hundert, tausend und mehr Jahren unterdrücken überall die Starken die Schwachen, und die Reichen erdrücken die Armen. Afrika wird durch AIDS zerstört, Rinderwahnsinn und Maul- und Klauenseuche bedrohen Europa. Die Todesstrafe ist eine Schande für die USA und in Frankreich und Deutschland unterhöhlen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhass die Gesellschaft. Aber liebe Freunde, wir sind nicht die Klageweiber der Geschichte. Wir sind der noch lebende Beweis dafür, dass der Kampf für Frieden, Freiheit und Glück immer möglich ist. Unser langes Leben hat uns gelehrt, dass man nie aufgeben darf, dass man im Herzen die Flamme der Hoffnung und den Willen bewahren muss, eine bessere Welt aufzubauen. Eine Welt, die der Menschheit würdig ist. Diesen Wunsch haben wir am 19. April 1945 mit unserem Schwur ausgedrückt.“ Diesen Worten meines Freundes und Kameraden Pierre Durand kann ich mich nur aus tiefster Überzeugung und mit ganzem Herzen anschließen. |
Der Versuchung zum Vergessen nicht nachgeben Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 10. April 2005 im Weimarer Nationaltheater anlässlich der zentralen Gedenkveranstaltung aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Sehr verehrte, liebe ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrten Damen und Herren! Viele von Ihnen sind heute aus Israel, aus den Vereinigten Staaten von Amerika und aus den europäischen Nachbarstaaten hier nach Weimar gekommen. Sie haben die Hölle der Konzentrationslager erlitten und haben überlebt. Zahllose Ihrer Mithäftlinge aber, Familienangehörige, Freunde, starben in diesen Lagern, sie fielen dem Hunger, den Krankheiten, dem sadistischen Terror und dem systematischen Mord zum Opfer. Ihrer gedenken wir heute gemeinsam. Sie, die Sie heute hierher gekommen sind, sind die Hüter authentischer, unmittelbarer Erinnerung. Sie haben erlebt und erlitten, was eine bis zum Äußersten gesteigerte Unmenschlichkeit anzurichten im Stande ist. Ich verneige mich vor Ihnen, vor den Opfern und ihren Angehörigen. Meine Damen und Herren, am Anfang von Sempruns großem Roman über Buchenwald steht der Erzähler vor eben einer Buche und bewundert für einen Moment die schlichte winterliche Schönheit des Baumes. Dann wird er von der Stimme und der auf ihn gerichteten Waffe eines SS-Mannes in das Lagerleben zurückgerissen. Buchenwald - ein eigentlich schönes Wort, das dennoch täuscht, denn die Namen der Orte rufen Erinnerungen wach. Zum einen: der Klang des Namens Weimar - ein Ort unvergleichbarer kultureller Blüte. Weimar steht für Humanität, Aufklärung, Idealismus und - nach 1918 - für einen demokratischen Neubeginn in Deutschland. Und zum anderen: Buchenwald auf dem Ettersberg - vierzig Hektar Kälte und Grausamkeit, die absolute Negation jeglicher Kultur. Der Ort steht für Unmenschlichkeit, geistige Finsternis, Barbarei. Es ist das räumliche Nebeneinander von Kultur und Barbarei, das uns so sprachlos macht. Wir möchten vor diesem Hintergrund das Unfassbare begreifen, das doch jede menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Um zu verstehen, sind wir auf die Erinnerungen der Überlebenden angewiesen. Sie sind unsere Verbindung zu eben dieser Vergangenheit. Der Tod der Millionen, das Leid der Überlebenden, die Qualen der Opfer - sie begründen unseren Auftrag, eine bessere Zukunft zu schaffen. Vergangenheit können wir weder ungeschehen machen noch wirklich bewältigen. Aber aus der Geschichte, aus der Zeit der tiefsten Schande unseres Landes, können wir wohl lernen: Wir, die Nachgeborenen, die Vertreter eines anderen, eines demokratischen Deutschlands, wir wollen und wir werden nicht zulassen, dass Unrecht und Gewalt, dass Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land jemals wieder eine Chance bekommen. Die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus, an Krieg, Völkermord und Verbrechen ist Teil unserer nationalen Identität geworden. Daraus folgt eine bleibende moralische und politische Verpflichtung. Uns leiten die Werte der Aufklärung und der französischen Revolution, die Tradition des Humanismus, die Idee einer freien und sozial gerechten Gesellschaft, aber auch die Erfahrung des Widerstandes gegen jede Form der Tyrannei. Diese Werte müssen und werden wir jeden Tag aufs Neue verteidigen. Deshalb, so denke ich, ist es gut, dass junge Erwachsene aus verschiedenen europäischen Staaten heute hier sind. Sie treffen Zeitzeugen, sie sprechen mit ehemaligen Häftlingen, und sie helfen so mit, deren Erinnerungen für zukünftige Generationen zu bewahren. Aber die Erinnerung hat die Eigenheit, mit der Zeit zu verblassen, kraftlos zu werden, gelegentlich fern dem heutigen Leben zu erscheinen. Weil das so ist, sind die Orte so wichtig, die sich ganz der Erinnerung widmen und die Vergangenheit überzeugend in unsere Gegenwart holen. Diese Orte mahnen uns, der Versuchung zum Vergessen oder zum Verdrängen entschieden zu widerstehen. Verehrte Anwesende, das Konzentrationslager war, wie Eugen Kogon geschrieben hat, eine Ordnung ohne Recht, in die der Einzelne hineingeworfen wurde, gezwungen, jeden Tag um ein Leben zu kämpfen, das seinen Bewachern nichts bedeutete. Die Allgegenwart von Terror und Tod, Willkür, Misshandlung und Demütigung hatte zum Ziel, dem Einzelnen seine eigene Persönlichkeit, seine Selbstachtung, ja seine Würde zu nehmen. Aber es gab unter den Gefangenen Solidarität, die Behauptung von Humanität, den Willen zu Mitgefühl und Opferbereitschaft. In gewissen Grenzen hat das tägliche Widerstehen, hat der Zusammenhalt von Häftlingen aus ganz Europa dem Vernichtungswillen in den Lagern entgegen gearbeitet. Spätestens seit Stalingrad wuchs die Zuversicht, dass Hitler den Krieg verlieren würde. Mit welcher Begierde, mit welcher Hoffnung jedes Gerücht vom Kriegsgeschehen, vom stetigen Vormarsch der Alliierten in den Lagern aufgenommen wurde, kann man sich kaum vorstellen. Als am 11. April 1945 die US-Armee das Lager Buchenwald erreichte, war es eine Befreiung von außen sowie zugleich - und das darf eben nicht vergessen werden - eine Befreiung von innen und auch viel politischer Aufbruch. So verfasste der Staatsrechtler Hermann Louis Brill zusammen mit Gleichgesinnten aus ganz Europa ein, wie er es nannte, "Manifest der demokratischen Sozialisten des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald." Das "Manifest" und in gleicher Weise der "Schwur der Häftlinge von Buchenwald" weisen in die Zukunft. Sie beschworen eine Ordnung des Friedens und einen neuen europäischen Geist in Freiheit. Ehemalige Gefangene, Politiker wie Brill oder der große französische Sozialist Léon Blum, wirkten an diesen ersten Schritten in ein freiheitliches Nachkriegs-Europa mit. Dies taten auch Schriftsteller, Journalisten und Künstler. Lassen Sie mich, stellvertretend für viele andere, die Nobelpreisträger Elie Wiesel und Imre Kertesz, die Schriftsteller Bruno Apitz und Danuta Brzosko-Medryk sowie den Künstler Jósef Szajna nennen. Wir verdanken ihnen, aber auch allen anderen, mehr, als wir mit Worten im Stande sind auszudrücken. Sie haben großen Anteil daran, dass Totalitarismus und Menschenverachtung, für die die Konzentrationslager Inbegriff waren, eben nicht dem Vergessen ausgeliefert wurden. Verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, Buchenwald mit all seinen Schrecken steht für das Unrechtsregime des 20. Jahrhunderts: für den Nationalsozialismus und seine Opfer. Es hat aber auch eine zweite, weniger bekannte Geschichte - eine Geschichte des Stalinismus, die nicht vergessen werden darf. Aus dem KZ Buchenwald wurde bis 1950 das sowjetische Speziallager Nr. 2. 1958 wurde das ehemalige Konzentrationslager zur "Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald" der DDR erklärt. Die erste frei gewählte Volkskammer hat dann Buchenwald als Ort des nationalen Gedenkens in den Einigungsvertrag eingebracht. Meine Damen und Herren, das Europa der Freiheit, des Friedens und der Demokratie, das wir in den vergangenen fünfzig Jahren aufgebaut haben, hat gewiss viele Wurzeln. Aber die tiefste Wurzel reicht zurück in die dunkelsten Jahre des 20. Jahrhunderts, in die Jahre, als der stumme Terror der Lager sich über eben dieses Europa legte. In diesen Lagern entstand die tiefe Entschlossenheit, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Aus diesen Lagern stammt die eindringlichste Mahnung, sich den Kräften des Unrechts und der Tyrannei in jeglicher Form entgegenzustellen. Der langjährige Präsident des Internationalen Buchenwald-Komitees, Pierre Durand, sagte zum 56. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald: "Unser langes Leben hat uns gelehrt, dass man nie aufgeben darf, dass man im Herzen die Flamme der Hoffnung und den Willen bewahren muss, eine bessere Welt aufzubauen, eine Welt, die der Menschheit würdig ist." Das, meine Damen und Herren, ist der Auftrag, unter dem wir, die Nachgeborenen, stehen. Das ist unsere Verpflichtung gegenüber denjenigen, die in Buchenwald und in anderen Lagern gelitten haben und gestorben sind. Dieser Auftrag gilt über Generationen hinweg. Er galt für die, die vor uns Verantwortung trugen. Er gilt für uns, und er wird für die gelten, die nach uns kommen. In Deutschland wird dieser Auftrag immer gelten. Quelle: |
"Den Anfängen zu wehren" Rede des Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus am 10. April 2005 im Weimarer Nationaltheater anlässlich der zentralen Gedenkveranstaltung aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Schröder, Herr Bundesratspräsident, sehr geehrter Herr Französischer Forschungsminister, lieber François d'Aubert, lieber Herr Herz als Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos, begrüße ich Sie besonders herzlich. Herr Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Herr Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen. Vor allem begrüße ich alle diejenigen unter Ihnen, die Buchenwald überlebt haben. Ich freue mich, dass Sie heute bei uns sind! Und ich freue mich besonders, dass Sie, lieber Jorge Semprún, heute zu uns sprechen werden! Ich hätte gern auch Imre Kertész begrüßt, doch leider konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen. Ich denke, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich ihm von hier aus herzliche Genesungswünsche übermittle. Ein sehr herzliches Willkommen auch den Veteranen der US-Armee. Sie haben dem Grauen vor 60 Jahren ein Ende bereitet. Wir gedenken, wir erinnern und wir lernen, weil wir Verantwortung tragen. Wir erinnern uns und andere daran, was war, weil wir es nicht vergessen dürfen. Denn wenn wir es vergessen, riskieren wir, dass es sich wiederholt. Nicht heute oder morgen. Aber vielleicht übermorgen. Diese Gedenkfeier ist eine der letzten Gelegenheiten, sich gemeinsam mit Überlebenden der Konzentrationslager gegen das Vergessen zu wenden. 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es nur noch wenige Zeitzeugen, die – wie Jorge Semprún – aus eigenen leidvollen Erfahrungen berichten können, wie es war; in einer Stadt, die wie kaum eine andere die Höhen und Tiefen deutscher Geschichte widerspiegelt, die – Jorge Semprún hat es gesagt – durch eine „unheimliche Nähe zwischen moderner Barbarei und klassischer Kultur" gekennzeichnet ist. Was müssen wir tun, damit das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, damit das Erinnern an die Barbarei nicht zu einem Ritual erstarrt? Was müssen wir tun, damit für immer unmenschliche Geister wie jene chancenlos bleiben? Ich stelle diese Fragen, weil ich davon überzeugt bin: Ein ritualisierter Antifaschismus, wie er in der DDR praktiziert wurde, hilft uns nicht weiter. Im Gegenteil: Er hat die Menschen, wie wir inzwischen wissen, eben nicht selbstverständlich gegen rechtsextremistische Parolen immun gemacht. Nein, wir brauchen nachhaltigere Formen der Erinnerung an das Unfaßbare. Wir müssen uns mehr Mühe geben, als immer nur „Nie wieder!" zu sagen. Wir müssen uns und den kommenden Generationen menschenverachtende Ideologien und die entsetzlichen Folgen des nationalsozialistischen Rassenwahns vor Augen führen, wir müssen uns auch mit dem Warum auseinandersetzen: Warum konnte es dazu kommen? Nationalsozialismus, Rassenwahn und Judenverfolgung sind keineswegs aus dem Nichts entstanden. Das furchtbare Verdikt „Die Juden sind unser Unglück!" ist älter als der Nationalsozialismus. Es gab nicht nur Hitler, Goebbels und Himmler, sondern eine ganze Reihe geistiger Wegbereiter. Und es gab – schon lange vor dem Dritten Reich – extremistisches, antisemitisches Gedankengut. Ich räume ein: Die Auseinandersetzung mit dieser komplexen Geschichte ist schwierig. Aber wir dürfen sie weder uns noch unseren Kindern ersparen. Und es ist nicht nur eine Aufgabe der Schule, junge Leute damit zu konfrontieren. Die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte dürfen sich nicht wiederholen, deshalb müssen wir hinsehen, wenn neue braune Verführer am Werk sind. Auch wenn Neonazis ihr Auftreten verändern, bleiben sie Neonazis. Die jüngsten Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien zeigen, dass die Menschen auch heute nicht vor Verführungen gefeit sind – oder sie wollen extrem provozieren, aber um welchen Preis? Dennoch gibt es keinen Grund zum Pessimismus. Die freiheitliche Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland ist stärker als die Weimarer Republik. Und wir können und wir werden alles dafür tun, dass das auch in Zukunft so bleibt! Bei der Verleihung der Goethe-Medaillien vor drei Wochen hier in Weimar sagte Professor Heinrich Detering in seiner Laudatio für Ruth Klüger: „Was wir von ihr zu lernen haben, im Deutschland des Jahres 2005, das ist die Kunst, unsere Gespenster zu ködern – auf Gedeih und Verderb, auf Spitz und Knopf, auf Teufel komm heraus." Denn für Ruth Klüger, die Auschwitz überlebt hat und als Germanistin in den USA lebt, steht fest: „Um mit Gespenstern umzugehen, muss man sie ködern, ihnen Reibflächen hinhalten, um sie aus ihrem Ruhezustand herauszureizen und sie in Bewegung zu bringen." Das klingt gewagt. Und doch ist es tausend Mal besser, den Streit zu suchen und die Gespenster zu besiegen, als sie zu ignorieren und im Dunkeln ihr Unwesen treiben zu lassen. Es liegt in unserer Verantwortung, wachsam zu bleiben – gegenüber jeder Form von Extremismus und Totalitarismus, gegenüber jeder Form von Intoleranz und Fremdenhass. „O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist", heißt es im Refrain des „Buchenwald-Liedes". Wir wollen nicht vergessen, dass Buchenwald den Lebensweg von rund einer Viertelmillion Menschen aus allen europäischen Ländern auf grausame Weise mitgeprägt hat und bei den Überlebenden noch heute prägt. Die Opfer traf ein unverschuldetes Schicksal, aber kein Schicksal im Sinne einer Naturkatastrophe. Es war ein von Menschen gewolltes, bewußt geplantes und durchgeführtes Verbrechen! Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, Auschwitz, Buchenwald und Mittelbau-Dora zu verhindern – rechtzeitig! Und weil das so ist, sollten wir heute unsere Freiheit nutzen, um bereits den Anfängen zu wehren. Das bleibt unsere Verpflichtung – und auch der Auftrag der nachfolgenden Generationen! Quelle: |
"Eine Welt des Friedens schaffen" Rede von Bertrand Herz, dem Präsidenten des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos am 10. April 2005 im Weimarer Nationaltheater anlässlich der zentralen Gedenkveranstaltung aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Liebe Freunde, liebe Familien der Vertriebenen, der Häftlinge, liebe Kameraden, sechzig Jahre nach der Befreiung der Lager sind wir, die Überlebenden der Verbrechen des Naziregimes, froh, dass unser Leiden und unser Kampf, das Leiden und der Kampf unserer, der Barbarei zum Opfer gefallenen Kameraden, vor denen wir uns im Gedenken verneigen, heute offiziell durch die Bundesrepublik Deutschland und den Freistaat Thüringen geehrt werden. Zu den Überlebenden gehört auch jener fünfzehnjährige junge Franzose, der am 11. April 1945 erschöpft durch das Lager Buchenwald irrt, dessen Vater und Mutter durch die Nazis zu Tode kamen, und der sechzig Jahre später an dieser Stelle die Vertreter eines demokratischen und freundschaftlichen Deutschland tief bewegt grüßt. Diese Begegnung verdanken wir ohne Frage denen, die nach den grauenhaften Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs Versöhnung zwischen den Völkern Europas stiften wollten. Das Europa jedoch, das aus den Ruinen des entsetzlichen Naziregimes hervorgegangen ist, wird nicht überleben können, wenn diese Vergangenheit vergessen wird. Vergessen bedeutet, nicht verstehen zu wollen, wie leicht eine auf Aggression, auf Vernichtung der als minderwertig bezeichneten Rassen und auf Missachtung des Gewissens des Einzelnen ausgerichtete Ideologie entstehen und zu einer Gefahr für unsere gesamte Zivilisation werden konnte. Vergessen bedeutet, nicht einsehen zu wollen, dass Krieg und die Verletzung der Würde des Menschen in unserer Zeit das Unsägliche erneut möglich machen können. Dazu gehört auch blinder Terrorismus. Wie können wir, die Überlebenden der Lager, unter denen viele gegen die nazistische Ideologie der Nazis gekämpft haben, wo so viele Kameraden Opfer geworden sind, wie können wir hinnehmen, dass wieder arrogant der Hass aufkommt, den wir für ewig verschwunden dachten? Hass gegen Ausländer, gegen Sinti und Roma, gegen Juden, gegen andere Gemeinschaften. Wir, die Überlebenden, werden irgendwann nicht mehr sein. Wir müssen mit der Unterstützung der politisch Verantwortlichen die Erinnerung, das Gedenken an das, was wir überlebt haben, von den Erziehern auf die Jugend übertragen. Die Überlegung, die wir aus der Vergangenheit ziehen, die Erkenntnisse aus dieser Vergangenheit, insbesondere der Nazismus, diese Erinnerung, dieses Gedenken ist unbedingt notwendig, damit die jungen Menschen Bürger eines freien und friedlichen Europas werden. Allen jungen Menschen sagen wir, dass sie im täglichen Leben jede Form von Ausgrenzung auf Grund der Nationalität, der Herkunft, der Religion bekämpfen müssen. Seien wir auf der Hut: Ausgrenzung beginnt mit dem Spott, dann kommen Beleidigungen, dann Schläge und schließlich kann sie angesichts der Gleichgültigkeit aller zu Mord und sogar zu Vernichtung führen. Nein, ein junger Mensch darf das niemals tolerieren. Nein, jeder Kamerad ist ein Bruder, oder eine Schwester, wie es die jungen Menschen begriffen haben, die in den von den Nazis besetzten Ländern, trotz aller Gefahr den Davidstern als Zeichen der Solidarität mit ihren gedemütigten Kameraden trugen. Wir möchten den jungen Menschen auch sagen, dass man für die Demokratie eintreten und an die damals Gleichaltrigen denken muss, die Nein zum Nazismus sagten. So wie jene französischen Frauen, die die Marseillaise sangen, als sie nach Auschwitz kamen und von denen wenige nur zurückkehrten. So wie jene sowjetischen Häftlinge, die wie Kameraden anderer Nationen in Dora Kriegswaffen sabotierten und erhängt wurden. Und schließlich so wie jene deutschen antifaschistischen Widerstandskämpfer, die schon 1933 den Nazismus bekämpften und durch deren Mut der bewaffnete Widerstand aller Nationen in Buchenwald durch das Internationale Lagerkomitee ermöglicht wurde. Widerstand, der am 11. April 1945, als die amerikanischen Truppen schon fast eingetroffen waren, ausbrach und das Lager befreite. In der Erinnerung an diesen Kampf und weil Sie, die Jugend, in der tragischen Zeit, die die Welt heute erlebt, wachsam sein müssen, fordern wir Sie auf, demnächst auf dem Appelplatz, erneut den Schwur vom 19. April 1945 zu tun, mit dem die befreiten Häftlinge gelobten, eine Welt des Friedens schaffen zu wollen, von der wir heute, sechzig Jahre später, leider noch weit entfernt sind. Sie, die Jugend, sind jedoch nicht nur Bewahrer unseres Vermächtnisses, Sie sind auch unsere Hoffnung, damit durch Sie jene Welt des Friedens entsteht, jene Welt, die wir so sehr wünschten – auf den Baustellen, in den Tunneln, den Kommandos, unter den Schlägen, in der Kälte, im Gestank der Latrinen des kleinen Lagers, als wir das Lied der "Moorsoldaten" anstimmten und sangen: „Einmal werden froh wir sagen, Heimat, Du bist wieder mein." Quelle: |
"Übernehmen Sie den 'Staffelstab der Erinnerung'!" Rede von Dr. h.c. Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland am 10. April 2005 im Weimarer Nationaltheater anlässlich der zentralen Gedenkveranstaltung aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Herr Bundestagspräsident, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesratspräsident, liebe Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald, Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, aus streng wissenschaftlicher Sicht zählt das Konzentrationslager Buchenwald nicht zur Kategorie der Vernichtungslager. Unter Berücksichtigung der überlieferten Daten und Fakten mag dies zutreffend sein. Mit dem Erleben der Menschen, die die Hölle von Buchenwald durchleiden mussten, haben solche methodischen Einordnungen jedoch rein gar nichts zu tun. Die brutale Ausbeutung der Inhaftierten, das systematische, qualvolle Zugrunderichten von Menschen bis hin zu deren sinnloser Ermordung stellte eine Form der Vernichtung dar, die keiner Gaskammern bedurfte. Auch wer Buchenwald überlebte, war nach dem Erlebnis des Lagers in seinem Innersten, in seinem Menschsein zutiefst verletzt und seelisch vernichtet. Auch das Gelände, auf dem sich einst das Konzentrationslager Buchenwald befand, hat mit der damaligen Wirklichkeit, dem damaligen Erleben der Kinder, Frauen und Männer nur im topographischen Sinne etwas gemein. Was wir hier sehen, erscheint in der Wahrnehmung von Überlebenden bestenfalls als Kulisse des Lagers von einst. „Sauber und aufgeräumt, (…) fast adrett" empfand Ernst Cramer, ein Überlebender von Buchenwald, das Lagergelände, als er es 1990 erstmalig wieder besichtigte. „Allerdings brauchte ich nur auf dem Appellplatz die Augen zu schließen und alles war wieder präsent", so schilderte er seine Empfindungen kürzlich im Thüringer Landtag. „Ich roch den Dreck und den Angstschweiß der Männer um mich. Ich spürte den Nieselregen und die Schläge, die mir ein SS-Mann mit einer Holzlatte auf den kahl geschorenen Kopf gab. Und ich hörte sowohl das Stöhnen um mich herum als auch die schnarrenden, höhnischen Befehle der Wachmannschaften, alle in schwarzer Uniform." Sich einer so hautnahen Konfrontation mit dem Erlebten auszusetzen wie Ernst Cramer war für viele andere Überlebende von Buchenwald undenkbar. So auch für meinen Vater. Eine Besichtigung des ehemaligen Lagergeländes kam für ihn zeitlebens nicht mehr infrage. Zu groß war die Angst, ja Panik, mühsam verdrängte Erinnerungen neu zu beleben. Das Konzentrationslager Buchenwald gibt es nicht mehr. Die Erde dieses Geländes wird jedoch für alle Zeit getränkt sein mit den Tränen der Verzweifelten und dem Blut der hier Ermordeten. Schon lange vor der Befreiung des Lagers war dieses Gelände ein Ort der Trauer und die letzte, verhasste Ruhestätte namenloser Opfer. Heute ist es ein Ort, der uns hilft, eine schwache Vorstellung des Unfassbaren in unseren Köpfen entstehen zu lassen. Nirgendwo ist eine so wirklichkeitsnahe Auseinandersetzung mit dem Geschehenen möglich wie an den einstigen Orten des Terrors und der Vernichtung. In Buchenwald gilt unser Dank dem jahrzehntelangen Engagement des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos, der engagierten Arbeit der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, aber auch dem Land Thüringen und der Bundesregierung für die geleistete Unterstützung. Alle, die in den vergangenen 60 Jahren bemüht waren, die Anlage des ehemaligen Konzentrationslagers für die Nachgeborenen zu bewahren, taten dies im wesentlichen aus einer Überzeugung heraus: Wer diesen Ort aus dem ehrlichen Bemühen aufsucht, ein Empfinden für das Schicksal der hier Gequälten, Gedemütigten und Ermordeten zu entwickeln, der wird sich im entscheidenden Moment hoffentlich auf den Warnruf „Nie wieder!" besinnen und nicht zu denen zählen, die sich abwenden oder wegsehen. Diese Hoffnung ist sicher berechtigt und unterstreicht die herausragende Bedeutung der Gedenkstätten – gerade auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Eine Bedeutung übrigens, die kein Mahnmal je erlangen kann. Seit dem Ein- und Wiedereinzug rechtsextremer Parteien in die Landtage von Sachsen und Brandenburg vergeht keine Woche, in denen es den Rechtsextremen nicht gelingt, sich in das Zentrum der politischen Diskussion in Deutschland zu rücken. Inhaltlich bieten die Äußerungen aus dem rechten Lager nichts Neues: Offener Rassismus und Antisemitismus werden ergänzt durch das Anheizen der Parteienverdrossenheit. Geschichtsfälschungen, sprich die Verharmlosung der NS-Zeit und die Relativierung der Kriegsschuld, die Mobilisierung von Vorurteilen und völkische Parolen sind ebenfalls fester Bestandteil der Reden und Pamphlete. All das ist zutiefst abstoßend und verwerflich – aber bekannt. Neu dagegen sind das Auftreten und die Anstrengungen der Wortführer, sich bürgerlich angepasst und gesellschaftlich etabliert darzustellen. Neu und hochgradig gefährlich ist der Vorstoß der Rechtsextremen in die Mitte der Gesellschaft. Ihr Ziel, zum normalen, selbstverständlichen Bestandteil der politischen und gesellschaftlichen Kultur in Deutschland zu werden, muss uns alarmieren. Dies gilt auch für die nicht zu unterschätzenden Bestrebungen, die weit verbreitete Angst vor sozialem Abstieg zu nutzen, um die Anhängerschaft zu verbreitern und das rechte Lager bis zu den Bundestagswahlen 2006 zu einen. Eng damit verknüpft ist eine weitere, nicht minder besorgniserregende Entwicklung: Die stetig zunehmende Verrohung im Denken von Kindern und Jugendlichen, begleitet von steigender Gewaltbereitschaft. Diese Tendenz spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass die rechte Szene kein Problem hat, Nachwuchs zu rekrutieren. Allein in Brandenburg liegt der Anteil der Ersttäter bei den Gewaltdelikten bei über 80 Prozent. Rechtsextremen Wortführern gelingt es also unvermindert, Jugendliche, ja oft schon Minderjährige, an sich zu binden. Diese Tatsache muss uns weitaus mehr beunruhigen als die skandalösen Reden und Auftritte von NPD-Abgeordneten. Denn viele dieser Jugendlichen sind längst nicht mehr nur gefährdet, sondern den gängigen, verfügbaren Formen pädagogischer Einflussnahme nicht mehr zugänglich. Vor unseren Augen wachsen Überzeugungstäter heran. So berechtigt der besorgte Blick auf die nachwachsende Generation ist, so wichtig wäre es, gleichzeitig auch die Erwachsenen stärker ins Blickfeld zu rücken. Denn seien wir ehrlich: Welcher Erwachsene verfügt über ausreichendes Wissen, um mit seinen Kindern über die Gewaltverbrechen der Vorfahren während des Zweiten Weltkriegs zu sprechen? Wie hoch ist die Bereitschaft, die Lehren aus der Vergangenheit als Mahnung an die Kinder weiterzugeben? Ich wage die These, dass eine der PISA-Studie vergleichbare Untersuchung mit Eltern zum Themenkreis NS-Vergangenheit und Holocaust deprimierende Ergebnisse zur Folge hätte. Die Bereitschaft, Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens, anderer Nationalität oder homosexueller Orientierung zu verachten und als Sündenböcke zu missbrauchen, wird Kindern und Jugendlichen von nicht wenigen Erwachsenen und nicht selten von der eigenen Familie vorgelebt. Schulen und Jugendeinrichtungen können nicht ausgleichen, was in den prägenden Kindheitsjahren im Elternhaus versäumt wurde. Die Tatsache, dass der Rechtsradikalismus in den ostdeutschen ein größeres Problem darstellt als in den westlichen Bundesländern, ist sicher auch die dramatische Langzeitwirkung eines über Jahrzehnte hinweg staatlich verordneten Antifaschismus zu DDR-Zeiten. Solche Überlegungen sind jedoch nur ein Erklärungsmuster von vielen. Fest steht dagegen, dass weder staatlich gelenktes Gedenken, noch lückenhafte Schulbücher oder unzureichend ausgebildete Lehrer eine Rechtfertigung für Rassismus und rechte Gewalt sein dürfen. Kinder, denen ein Begriff von Werten wie Nächstenliebe, Toleranz und Mitmenschlichkeit mitgegeben wurde, werden nicht zu rechten Gewalttätern – egal in welchem politischen System sie aufgewachsen sind. Mich treibt an diesem 60. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager die Sorge um, dass der „Staffelstab der Erinnerung" mit dem endgültigen Verstummen der Zeitzeugen nicht mehr weitergereicht werden wird. Nur die Weitergabe der Erinnerung an die nachfolgenden Generationen garantiert jedoch, dass das Leiden aller ermordeten und überlebenden Opfer der Kriegskatastrophe nicht gänzlich umsonst war. Diese Einsicht muss uns Ansporn sein, die Erinnerung im Sinne der Überlebenden zu bewahren, indem die Nachgeborenen der Opfer und Täter stellvertretend die Zeugenschaft übernehmen. Der Buchenwald-Report, der Berichte von Überlebenden beinhaltet, die unmittelbar nach der Befreiung ihre traumatischen Erlebnisse schilderten, zählt zu den wertvollsten Zeitzeugen-Berichten, über die wir verfügen. Wer diese oder andere Schilderungen von Überlebenden des Zweiten Weltkriegs liest, wird automatisch selbst zum Zeugen des Geschehenen. Aus Demut und Trauer gegenüber dem Schicksal der Toten und in Dankbarkeit gegenüber der Kraftanstrengung der Überlebenden, uns von ihren Erlebnissen zu berichten, appelliere ich an alle wohlmeinenden Menschen, die Verantwortung als gleichsam stellvertretende Zeugen anzunehmen. Geben Sie weiter, was Sie über Verfolgung, Krieg und den staatlich angeordneten, millionenfachen Mord an unschuldigen Menschen gelesen haben! Legen Sie Zeugnis von dem ab, was ihnen von Zeitzeugen direkt oder über die Medien erzählt wurde! Versuchen Sie, jüngeren Menschen zu beschreiben, was Sie beim Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers empfunden haben! Prägen Sie sich den Namen eines einzigen Opfers ein und übernehmen Sie damit eine Art ideeller Patenschaft des Gedenkens. Übernehmen Sie den „Staffelstab der Erinnerung"! Quelle: |
"Sinti und Roma ein gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft" Rede von Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma am 10. April 2005 im Weimarer Nationaltheater anlässlich der zentralen Gedenkveranstaltung aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Meine sehr geehrten Damen und Herren, „Holocaust" – dies steht auch für die vom NS-Staat systematisch ins Werk gesetzte Ermordung einer halben Million Sinti und Roma. Es gibt in Deutschland und den ehemals besetzten Staaten Europas unter uns Sinti und Roma kaum eine Familie, die in dieser Zeit keine Opfer zu beklagen hätte. Dass ein großer Teil der Opfer Kinder und Jugendliche waren, ist der wohl eindringlichste Beleg für den totalen Vernichtungswillen gegenüber unserer Minderheit. Sogar Sinti und Roma in Kinderheimen oder in Adoptivfamilien wurden bürokratisch erfasst und in die Todeslager deportiert. Erster Höhepunkt der systematischen Entrechtung unserer Minderheit waren die „Nürnberger Gesetze". Hierzu verfügte Reichsinnenminister Frick am 2. Januar 1936: „Zu den artfremden Rassen gehören in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner." Und Heinrich Himmler sprach bereits in seinem grundlegenden Erlass vom 8. Dezember 1938 von der Notwendigkeit einer „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage". Dieser Wille zur Ausgrenzung und schließlich Deportation der Sinti und Roma wurde mit Unterstützung des gesamten Staatsapparates planmäßig verfolgt. Mit dem Ziel der totalen Erfassung der Minderheit wurde 1936 in Berlin die so genannte „Rassenhygienische Forschungsstelle" eingerichtet. Bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes setzten die dort tätigen Rassenforscher in Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt, den Parteistellen und anderen staatlichen Behörden alles daran, auch noch den letzten Angehörigen unserer Minderheit aufzuspüren. Wie weitreichend dieses Vernichtungsziel war, zeigt die Tatsache, dass selbst ein so genannter „Achtelzigeuner" – so die menschenverachtende Sprache der Nationalsozialisten – als „rassisch minderwertig" eingestuft wurde und dem staatlich organisierten Mordprogramm zugeführt werden sollte. Namen wie Auschwitz, Majdanek und Kulmhof, wie Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Ravensbrück und Sachsenhausen haben sich unauslöschlich in das kollektive Gedächtnis unserer Minderheit eingebrannt. Diese zentralen Stätten der Verbrechen stehen ebenso für den nationalsozialistischen Völkermord an unserer Minderheit wie die unzähligen Orte im besetzten Europa, an denen unsere Menschen in namenlosen Massengräbern verscharrt wurden. Sie wurden zu Opfern des systematischen Massenmords der SS-Einsatzgruppen hinter der Ostfront. Bestandteil der Vernichtung war auch die völlige Ausbeutung der Menschen. Hierzu hielt Reichsjustizminister Thierack im Protokoll zu seinem Gespräch mit Goebbels am 14. September 1942 fest: „...dass Juden und Zigeuner schlechthin... vernichtet werden sollen. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste." Vor ihrer endgültigen Ermordung wurden Sinti- und Roma-Häftlinge deshalb als Sklavenarbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie eingesetzt, wo sie sich buchstäblich zu Tode arbeiten mussten. Unsere Gedanken sind heute bei allen Opfern der NS-Verbrechen. Zugleich verneigen wir uns vor den Überlebenden und denen, die damals Widerstand leisteten. Wir danken den ehemaligen alliierten Soldaten, die Europa unter Einsatz ihres Lebens von der nationalsozialistischen Diktatur befreit haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in dem Bemühen, nach dem Holocaust die Normalität des Zusammenlebens zwischen der Mehrheitsbevölkerung und den Angehörigen unserer Minderheit zurückzugewinnen, stehen Staat und Politik in einer besonderen historischen Verantwortung. Unsere Menschen haben erlebt, dass sie vor aller Augen ausgesondert und entrechtet wurden. Ihre Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen haben weggeschaut, als die seit Jahrhunderten in Deutschland beheimateten Angehörigen unserer Minderheit nach dem Machtantritt der Nazis diffamiert, ausgegrenzt, deportiert und schließlich ermordet wurden. Diese einschneidende Erfahrung prägt bis heute auch die nachfolgenden Generationen. Deshalb muss die Politik des demokratischen Rechtsstaats immer wieder sichtbar machen, dass Sinti und Roma ein gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft sind. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist das geplante Holocaust-Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin. Es gibt ein überwältigendes Votum unserer Überlebenden und der internationalen Roma-Organisationen, dass ein Zitat des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog Inschrift des Denkmals werden soll. Dieser sagte in seiner historisch bedeutsamen Rede am 16. März 1997: „Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet." Diese Aussage darf nicht in Frage gestellt oder relativiert werden. Ich danke Ihnen. Quelle: |
"Ich habe es gesehen" Rede von Jorge Semprun, am 10. April 2005 im Weimarer Nationaltheater anlässlich der zentralen Gedenkveranstaltung aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Meine Damen und Herren, liebe Freunde, wir wissen es alle, es besteht kein Zweifel daran, aber die Nachricht ist dennoch nicht für alle von uns gleich wichtig. Für einige von uns allerdings hat sie vitale Bedeutung, denn die Nachricht bezieht sich auf unseren Tod. Wir wissen es alle, es stimmt, dass diese 60. Wiederkehr des Tages, an dem die nationalsozialistischen Konzentrationslager aufgedeckt und befreit wurden, dass diese Gedenkfeier die letzte sein wird, an der Zeugen jener Erfahrung teilnehmen werden. In zehn Jahren, im Jahr 2015 – denn diese Gedenkfeiern haben ja seit 1945 verständlicherweise von Jahrzehnt zu Jahrzehnt an Feierlichkeit und Bedeutung gewonnen – 2015 also wird es keine Zeugen mehr geben: Wir werden kein Zeugnis mehr geben können von den Erfahrungen in den Nazi-Lagern. Es wird keine unmittelbare Erinnerung mehr geben, kein direktes Zeugnis, kein lebendiges Gedächtnis: Das Erlebnis jenes Todes wird zu Ende gegangen sein. Niemand wird mehr sagen können: „Ja, so war es, ich war dabei." Und niemand wird unter irgendein Bild der Erinnerung den Satz schreiben können, den Goya unter ein Blatt seiner "Schrecken des Krieges" gesetzt hat: „Ich habe es gesehen." Niemand wird mehr in seinem sensitiven Gedächtnis den Geruch aus den Verbrennungsöfen der Krematorien haben, diesen Geruch, der die Erinnerung imprägniert und vielleicht anreizt, diesen Geruch, der ohne Zweifel das ganz Spezifische, das Einzigartige der Erinnerung an die Vernichtungslager ausmacht. Niemand wird den Bewohnern von New York erklären können, dass der ekelhafte Geruch, der sich nach den Attentaten vom 11. September von den Zwillingstürmen über das ganze Stadtviertel verbreitete, genau jener der Krematoriumsöfen der Nazis war. Der Geruch des totalitären Krieges, den das "alte Europa" bereits kannte, und dem es die bewundernswerte Aufgabe des Aufbaus einer supranationalen Gemeinschaft unabhängiger Staaten entgegenstellt und sich dafür bereit erklärt, auf einen beträchtlichen Teil der nationalen Souveränität zu verzichten – sie abzugeben für eine geteilte, gemeinschaftliche Souveränität. In zehn Jahren, beim nächsten feierlichen Gedenken an die Aufdeckung und Befreiung der Nazi-Konzentrationslager, wird unser Gedächtnis der Überlebenden nicht mehr existieren, denn es wird keine Überlebenden mehr geben, die eine Weitervermittlung der eigenen Erfahrungen leisten könnten und die hinausginge über die notwendige, aber unzureichende Arbeit der Historiker und Soziologen. Es wird nur noch Romanciers geben. Nur die Schriftsteller können, wenn sie frei beschließen, sich jene Erinnerungen anzueignen, sich also das Unvorstellbare vorzustellen, wenn sie also versuchen, die unglaubliche historische Wahrheit literarisch wahrscheinlich zu machen, nur Schriftsteller könnten die lebendige und vitale Erinnerung wieder zum Leben erwecken – das von uns Erlebte, die wir gestorben sein werden. Das sollte uns nicht weiter erstaunen oder beunruhigen: so war es schon immer, so wird es immer sein. Die Zeugen verstummen, die Literatur, die Zeugnis gibt, verschwindet. Der einzige Zweifel, die einzige Frage, auf die wir noch keine Antwort gefunden haben, ist folgende: Wird es eine Literatur der Vernichtungslager geben, die über die Zeugnis- oder Erinnerungsliteratur hinausgeht? Während es also in zehn Jahren keinen Überlebenden von Buchenwald, oder von Dachau, oder von Mauthausen mehr geben wird, also aus jenen Konzentrationslagern, die dazu bestimmt waren, die politischen Widerstandskräfte aus ganz Europa, die den Nazismus bekämpft hatten, zu inhaftieren und zu zerstören, ist es zum anderen gut möglich, sogar wahrscheinlich, dass es Überlebende von Auschwitz oder Birkenau geben wird, den Lagern in Polen, die zur Vernichtung der Juden ganz Europas dienten. Das jüdische Gedächtnis an die Lager wird langlebiger, wird sehr viel dauerhafter sein. Dies aus dem einfachen Grund: Weil es deportierte jüdische Kinder gab, Tausende und Zehntausende, während es keine deportierten Kinder aus dem politischen Widerstand gab. Die Erinnerung an die Nazilager, die am längsten überleben wird, ist also die jüdische Erinnerung. Sie bleibt nicht nur auf die Erfahrung in Auschwitz oder Birkenau beschränkt. Seit 1945 wurden nämlich wegen des Vormarsches der sowjetischen Armee Tausende und Abertausende deportierter Juden in die Lager Mitteldeutschlands evakuiert. So wird vermutlich in der Erinnerung der jüdischen Kinder und Jugendlichen, die wahrscheinlich auch in zehn Jahren, 2015, noch leben werden, ein globales Bild von der Vernichtung, eine universelle Reflexion fortbestehen. Das ist möglich und auch wünschenswert: In diesem Sinne fällt eine große Verantwortung auf das jüdische Gedächtnis der Zukunft. Denn es wird zum Bewahrer und Verwalter aller Erfahrungen der Vernichtung werden: als erstes natürlich der eigenen jüdischen Erfahrung. Dann aber auch all der anderen Erfahrungen: die der Sinti und Roma, die vernichtet wurden wie die Juden, weil sie waren, was sie waren; dann die der politischen Gegner des Hitlerregimes, deutsche Kommunisten, Sozial- und Christdemokraten; schließlich die der Widerstandskämpfer aus den antifaschistischen Guerillabewegungen in ganz Europa. Alle diese europäischen Erinnerungen an den Widerstand und an das Leiden werden in zehn Jahren als letzten Schutz und Zufluchtstätte nur noch die jüdische Erinnerung haben, das älteste Gedächtnis an jene Erfahrung, denn es war das jüngste Erleben vom Tod. Dem Beispiel folgend, das Deutschland seit Jahren im Bundestag gibt, hat der Zyklus der Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag diesmal am 27. Januar in Auschwitz begonnen. So hat man völlig zu Recht die furchteinflößende Einzigartigkeit des Genozids am jüdischen Volk hervorgehoben im Gesamtrahmen der Nazi-Politik gegenüber jeglicher Opposition und jedem Widerstand. Erstmals fand in diesem Januar auch eine Gedenkveranstaltung in der UNO in New York statt, damit diese Erinnerung von nun an zum Erbe der Menschheit zähle. Heute, hier in Weimar, gedenkt man der Befreiung von Buchenwald. So schließt sich in gewisser Weise dieser Zyklus des tätigen Gedächtnisses, das die Augen nicht nur auf die Vergangenheit zurückwirft, sondern auch den Anspruch erhebt, in die Zukunft zu blicken. Eine der wirksamsten Möglichkeiten, der Zukunft eines vereinten Europas, besser gesagt, des wiedervereinten Europas einen Weg zu bahnen, besteht darin, unsere Vergangenheit miteinander zu teilen, unser Gedächtnis, unsere bislang getrennten Erinnerungen zu einen. Der kürzlich erfolgte Beitritt von zehn neuen Ländern aus Mittel- und Osteuropa – dem anderen Europa, das im sowjetischen Totalitarismus gefangen war – kann kulturell und existentiell erst dann wirksam erfolgen, wenn wir unsere Erinnerungen miteinander geteilt und vereinigt haben werden. Hoffen wir, dass bei der nächsten Gedenkfeier in zehn Jahren, 2015, die Erfahrung des Gulag in unser kollektives europäisches Gedächtnis eingegliedert worden ist. Hoffen wir, dass neben die Bücher von Primo Levi, Imre Kertész oder David Rousset auch die "Erzählungen aus Kolyma" von Warlam Schalarnov gerückt wurden. Das würde zum einen bedeuten, dass wir nicht länger halbseitig gelähmt wären, zum anderen aber, dass Russland einen entscheidenden Schritt auf dem Weg in die Demokratisierung getan hätte. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Quelle: |
Der Schwur von Buchenwald Ansprache in französischer, russischer, polnischer, englischer und deutscher Sprache auf der Trauerkundgebung des Lagers Buchenwald am 19. April 1945 Kameraden! Wir Buchenwalder Antifaschisten sind heute angetreten zu Ehren der in Buchenwald und seinen Aussenkommandos von der Nazibestie und ihrer Helfershelfer ermordeten 51 000 Gefangenen! 51 000 erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet - abgespitzt - 51 000 Väter, Brüder - Söhne starben einen qualvollen Tod, weil sie Kämpfer gegen das faschistische Mordregime waren. 51 000 Mütter und Frauen und hunderttausende Kinder klagen an! Wir lebend gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten sahen in ohnmächtiger Wut unsere Kameraden fallen. Wenn uns ein\'s am Leben hielt, dann war es der Gedanke: Es kommt der Tag der Rache! Heute sind wir frei! Wir danken den verbündeten Armeen, der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen. Wir gedenken an dieser Stelle des grossen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt. F. D. R o o s e v e l t . Ehre seinem Andenken! Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, - Slovaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslaven und Ungarn kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung. Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht - Der Sieg muss unser sein! Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum! Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach: WIR SCHWÖREN! |
Der Vergangenheit verbunden sein, um die Zukunft zu sichern Neu formulierter 'Schwur von Buchenwald' - im Rahmen der Kundgebung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos auf dem Appellplatz in russischer, englischer, französischer und deutscher Sprache verlesen Auf diesem Appellplatz leisteten kurz nach ihrer Befreiung am 19. April 1945 über 20.000 Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald einen Schwur; hier, wo sie so viele schmerzhafte Momente erlebt hatten. Sie waren von überall hierher gebracht worden: zuerst aus Deutschland, dann aus vielen Ländern Europas und sogar aus anderen Teilen der Welt. Mit diesem feierlichen und symbolischen Akt erwiesen sie den Zehntausenden die Ehre, die an diesem Ort um ihr Leben gebracht wurden. Sie waren erschossen, erhängt, totgeschlagen, durch Spritzen getötet worden. Sie waren vor Erschöpfung und an unfaßbaren Leiden gestorben. Sie wurden als Sklaven in den Rüstungsfabriken Nazideutschlands oder während der Todesmärsche ermordet. All das, weil sie gegen das mörderische Regime der Nationalsozialisten gekämpft hatten oder aus rassistischen Gründen verfolgt wurden. Die Überlebenden dankten den Soldaten der alliierten Armeen für ihren Einsatz für die Demokratie und den Frieden, und betonten den Kampf, den sie zusammen geführt hatten: gegen die verbrecherischen Nationalsozialisten und für die eigene Befreiung. Sie proklamierten: "Unsere Sache ist gerecht, der Sieg muß unser sein." Sie unterstrichen ihre äußerste Entschlossenheit: "Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal". Seitdem sind sechzig Jahre vergangen. Das, was den Überlebenden geholfen hat, am Leben zu bleiben, war die Idee, daß eines Tages Gerechtigkeit in der Welt herrsche. Dies ist nicht Wirklichkeit geworden. Überall auf der Welt entbrennen immer wieder Kriege und bringen Zerstörung und Armut für die Zivilbevölkerung. Massenvernichtungswaffen bedrohen die Menschheit. Viele Regionen der Welt leiden unter Hungersnöten. Dort sterben Millionen von Menschen, zuerst die Kinder. Völkern wird das Recht auf ein nationales Territorium verweigert. Die einfachen Rechte auf Arbeit, Gesundheit und Glück werden verhöhnt. Diese ständige Unsicherheit führt zu einer realen Gefährdung der Demokratie, der Freiheiten und des Friedens. Die bedingungslose Kapitulation der Armeen des faschistischen Deutschlands am 8. Mai 1945 bedeutete nicht das Ende der nationalsozialistischen Ideologie. Gefährlich ist sie heute wieder in ihren extremsten Formen verbreitet: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und die Ablehnung jeder Verschiedenheit. Die Gedankenfreiheit wird zunehmend von Fundamentalismen beeinträchtigt. Die Solidarität, die die Überlebenden beseelte und einte, und die Hoffnung auf ein Europa, gar eine Welt nach ihrer Vorstellung, ließ sie über die nationalsozialistische Barbarei siegen. Wir, die Generation des 21. Jahrhunderts, wenden uns in diesem April 2005 an die Vereinten Nationen. Diese Organisation ist selbst aus dem Sieg des Menschen über die Diktatur hervorgegangen. Ihr liegen feierliche Erklärungen zugrunde, dass sie sich entschieden für den Schutz der Rechte jedes Menschen einzusetzen hat. Genauso wenden wir uns an die Regierenden aller Nationen, besonders in Europa, von wo die schwersten Konflikte des vergangenen Jahrhunderts ausgegangen sind. Hiermit verneigen wir uns in Erinnerung an die Toten und sprechen unsere Hochachtung gegenüber allen Überlebenden aus. Lasst uns wie die Überlebenden das Vertrauen in die Zukunft bewahren! Lasst uns ihre Erfahrung in unserem Bewußtsein halten! Erinnern wir uns an ihren Zusammenhalt in schwierigster Lage! Die aktuellen Probleme erfordern gründliches Nachdenken. Das Europa von morgen muß für Stabilität zwischen den Nationen sorgen, die Solidarität der Völker und einen dauerhaften Zusammenhalt sichern, in Achtung gegenüber allen, ob groß oder klein, stark oder schwach. Der Erinnerung an die Vergangenheit verbunden, laßt uns unentwegt für Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Frieden einstehen. |