Paris, 28.3.2006 - Protest gegen das 'Gesetz für Chancengleichheit' - Demontage des Kündigungsschutzes - 24monatige Probezeit |
Es bleibt nur der Streik! Das französische Verfassungsgericht billigt den CPE: Eine klare poltisiche Entscheidung - Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 31.3.06 Die Verfassungsärsche, pardon, -richter in der Pariser rue Montpensier haben also entschieden. Das neunköpfige Richterkollegium (der zehnte, Ex-Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing, nahm nicht an der Beratung teil und weilte in China) entschied nach einer Sitzung, die am Donnerstag von 09 bis 17.30 Uhr dauerte. Ihre Entscheidung fällt konform zu dem aus, was aus regierungsnahen Kreisen angekündigt und vielfach von Beobachtern erwartet worden war. Dem ‘Conseil constitutionnel' zufolge ist das «Gesetz für Chancengleichheit» mitsamt dem Artikel 8, der den CPE («Ersteinstellungsvertrag») schafft, in allen Punkten konform zur Verfassung und zu anderen höherrangigen Rechtsbestimmungen (internationale Abkommen, Erklärung der Menschenrechte von 1789...). Die konservative Regierung und die ihr zugeneigte Parlamentsmehrheit haben demnach weder gegen die Form, also Verfahrensregeln, noch in der Sache gegen höherrangiges Recht verstoßen. Der Artikel zur Schaffung des CPE war erst am 31. Januar 06 in letzter Minute, auf der Grundlage eines besonderen Eilverfahrens, durch die Regierung in das Gesetzespaket «zur Chancengleichheit» - dieses lag bereits seit dem 09./10. Januar vor – aufgenommen worden. Die Regierung hatte auch nicht dem Conseil d'Etat («Staatsrat», das oberste Verwaltungsgericht, das aber auch seinem Namen entsprechend Beratungsfunktionen für die Regierenden innehat – ein Erbe der französischen Monarchie) den Gesetzentwurf zur Begutachtung seiner Legalität vorab zukommen lassen. Dies können die Regierenden tun, müssen sie aber nicht. Dass es nicht passiert ist, stört die Verfassungsrichter also nicht. Ferner hatte die Regierung am 10. Februar 06, durch das Aufwerfen der «Vertrauensfrage» in Verkoppelung mit der Gesetzesdebatte, die Sachdebatte im Parlament zu dem Gesetzespaket abgewürgt bzw. unterbunden. Dies erlaubt ihr grundsätzlich der Verfassungsartikel 49-3, falls die Notwendigkeit besteht. Die Verfassungsrichter sehen jedoch die Rechte des Parlaments (und damit der Öffentlichkeit!) nicht beeinträchtigt: Die (angebliche) Zielbestimmung des Gesetzes, also die Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit, rechtfertige als solche die Benutzung solcher Eilprozeduren. Eine politische, keine rein juristische Entscheidung Auch in der Sache schmettern die «hohen Richter» die Einwände der parlamentarischen Opposition, die das Verfassungsgericht angerufen hatte, ausnahmslos ab. Die Abgeordneten von Sozialdemokratie, KP und Grünen hatten geltend gemacht, dass die Schaffung des CPE eine Ungleichheit (nach Altersgruppen, in Sachen Kündigungsschutz) vor dem Gesetz schaffe, die als solche unzulässig ist. Wiederum berufen die Verfassungsrichter sich auf die durch die Politik angegebene Zielrichtung des Gesetzespakets: Da es um das hohe Ziel der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit gehe, sei eine solche Ungleichbehandlung zulässig sei. Daneben wurde durch die Kläger vorgetragen, die Möglichkeit einer Kündigung ohne Angabe von Gründen stelle einen schwer wiegenden Eingriff in das Recht auf einen Arbeitsplatz dar (das in der, weiterhin verfassungsrechtlich gültigen, Präambel der Nachkriegsverfassung der damaligen Vierten Republik von 1946 verankert ist)? Aber was sagen die Verfassungsrichter? Raten Sie mal? Sie ahnten es schon, liebe LeserInnen: «Durch ihre Zielbestimmung» (das hohe Ziel der Bekämpfung der undsoweiter) «tendiert die Gesetzesvorschrift dazu, das Recht auf Beschäftigung zu verwirklichen». Und was war mit dem Argument einer Nichtvereinbarkeit der Gesetzesbestimmungen über die Schaffung des CPE mit der ILO-Konvention n° 158 ? Es handelt sich um eine Konvention der International Labour Organization, die durch Frankreich unterzeichnet worden ist und in ihrem Artikel 4 eine Rechtfertigung jeder Kündigung eines abhängig Beschäftigten durch den Arbeitgeber («diesem kommt die Beweislast zu») fordert. Diese Frage wird vom Verfassungsgericht explizit ausgeklammert, da dies (so steht es in Nummer 27 der Urteilsgründe) nicht Gegenstand des Verfahrens sei, und bleibt daher ohne Antwort. Dabei hatte erst am Mittwoch, 29. März der oberste Gerichtshof in Zivil-, Arbeitsrechts- und Strafsachen (die Cour de Cassation) in einer arbeitsrechtlichen Entscheidung klar gestellt, dass diese ILO-Konvention auch in Frankreich direkt anwendbar ist. Im Urteil des Kassationshofs ging es um eine andere Frage. (Um jene, ob auch im Falle der Kündigung eines Beschäftigten, der weniger als 6 Monate im Betrieb gearbeitet hat, eine Abfindung erforderlich ist. Die ILO-Konvention sieht grundsätzlich eine Abfindung vor, das französische Recht in solchen Fällen nicht, sondern erst nach 6monatiger Betriebszugehörigkeit. Die Regelung ist jedoch zulässig, da die ILO-Konvention an diesem Punkt abweichende Regelungen im nationalen Recht ausdrücklich billigt, sofern das Prinzio der Verhältnismäßigkeit gewahrt blieb.) Dabei bleibt jedoch festzuhalten, dass das oberste Gericht in Arbeitsrechtsfragen einen Tag vor dem Urteil der Verfassungsrichter festhielt, dass die ILO-Konvention also im französischen Recht unmittelbar Anwendung findet. Alles in allem wird überaus klar, dass die Verfassungsrichter eine politische Opportunitäts- und keine «pure» juristische Entscheidung getroffen haben. Dies zeigt sich darin, dass gleich mehrfach auf die vom Gesetzgeber verfolgte Intention (angeblich die Schaffung von Jobs und Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit) angeführt, und dieselbe gleichzeitig für absolut bare Münze genommen wird. Anstatt die Auswirkung der strittigen Gesetzesbestimmungen im Detail kritisch zu analysieren. Die sieben Verfassungsrichter, die durch bisherige Rechtsregierungen ernannt worden sind, stimmten geschlossen für die gestrige Entscheidung. Die beiden Richterkollegen, die durch frühere Linksregierungen ernannt worden waren, gaben ihrerseits ein Minderheitsvotum ab und stimmten dagegen. Vorsitzender Richter ist Pierre Mazeaud, einer der ganz wenigen männlichen Duzfreunde von Staatspräsident Chirac. Berichterstattung des Richterkollegiums für die Affäre (das ist derjenige Richter, der den Rechtsstreit für die anderen Anwesenden einführt und auch bereits einen Beschluss vorschlägt) war niemand anders als der frühere Vize-Generalsekretär des Chirac'schen Präsidialamts, Olivier Dutheillet de Lamothe. Es bleibt also nur... Also ist damit klar: Es bleibt also nur der Streik als Ausweg! Auf vielen Kanälen wurde berichtet, dass Präsident Jacques Chirac noch am heutigen Freitag seine Unterschrift unter den Gesetzestext setzen wolle. Zugleich wird er aller Voraussicht nach am Abend eine TV-Ansprache an die werte französische Bevölkerung halten (gähn). Angekündigt wird, dass Chirac, nachdem er die Schaffung des CPE durch seine Unterschrift (kaum 24 Stunden nach der Billigung durch das Verfassungsgericht) rapide «durchgezogen» haben wird, danach zu einem «neuen Grenelle in sozialen Belangen» aufrufen wird. Das «Abkommen von Grenelle» bezeichnet historisch das gemeinsame Abkommen von damaliger gaullistischer Regierung, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften vom 27. Mai 1968. Die Pariser rue de Grenelle ist der Sitz des französischen Arbeits- und Sozialministeriums. Dieses damalige Abkommen sollte der Systemkrise im Mai 1968 ein Ende setzen, was jedoch der Staatsmacht damals erst nach weiteren Wochen von Fabrikbesetzungen, Ausständen und Straßenkämpfen gelingen sollte. Die CGT selbst als eine der Haupttriebkräfte hinter «Grenelle» musste auch nach dem 27. Mai, unter dem Druck ihrer Basis, noch mehrere Tage lang weiterhin zur Fortsetzung der Streiks aufrufen. Anlässlich eines Auftritts im Stammwerk von Renault, in Boulogne-Billancourt (bei Paris), war CGT-Generalsekretär Georges Séguy zunächst mit Buhrufen und Pfiffen empfangen worden, als er die Wiederaufnahme der Arbeit ankündigen wollte. Erst nachdem er zur Fortsetzung des Ausstands aufrief, wurde er mit Applaus aufgenommen. Durch das damalige «Abkommen von Grenelle» konnten die Gewerkschaften einige tatsächliche historische Verbesserungen heraus holen, etwa eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (damals SMIG) um 35 % auf einen Schlag. An mindestens einem entscheidenden Punkt lässt sich die Situation heute, falls Chirac denn tatsächlich ernsthaft ein «neues Grenelle» zwecks Einbindung der Gewerkschaften vorschlägt, überhaupt nicht mit der damaligen vergleichen. «Grenelle» wurde in den letzten Tagen des Mai 1968 nicht abgeschlossen, nachdem das konservative Lage eine geplante Verschlechterung bereits durchgesetzt und den Gewerkschaften (in einem Defensivkampf) eine Niederlage zugefügt hätte. Sondern unter dem Eindruck einer heftigen Systemkrise und eines offensiv auf positive Veränderungen abzielenden Massenstreiks, der dem gegnerischen Lager richtig ernsthaft Angst einjagte. Deshlab ist von Chiracs Ankündigung kaum mehr zu erhoffen, als dass er nach einer neuerlichen Einbindung der Gewerkschaften (und vor allem einer Wiederherstellung der alten guten Beziehung zur CFDT) trachtet, natürlich ohne substanziell etwas im Angebot zu haben. Quelle: |