Berlin, 27.1.2007 - Protest am Hauptbahnhof gegen die Deutsche Bahn wegen deren Verhalten in Sachen Deportation jüdischer Kinder durch die ReichsbahnBilder

Mehdorns Ausstellung

Artikel von Wolfgang Popp aus 'Ossietzky', Ausgabe 25/2006

»11.000 Kinder – mit der Reichsbahn in den Tod« heißt eine Ausstellung, die das Schicksal von 11.000 jüdischen Kindern dokumentiert, die zwischen 1942 und 1945 von Paris aus auf den Schienen der französischen Staatsbahn und der deutschen Reichsbahn quer durch Deutschland bis ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert wurden. trugen Sie wurde aufgrund jahrelanger wissenschaftlicher Recherchen Serge und Beate Klarsfelds zusammengestellt und inzwischen auf 18 französischen Bahnhöfen gezeigt, die an der Strecke der Todeszüge liegen.

Seit über zwei Jahren bemühen sich die Klarsfelds darum, die Ausstellung auch auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen. Sie werden dabei von einer wachsenden Zahl deutscher Initiativen in über 20 Städten unterstützt, die die Ausstellung auch auf ihren Bahnhöfen sehen wollen.

Aber der Chef der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, wehrt sich mit Händen und Füßen gegen ein solches Ansinnen. Zuerst war kein Geld und kein Personal da, dann kam das Angebot, die Ausstellung in ein Museum der Deutschen Bahn zu verbannen, dann war das Thema zu ernst für vorbeieilende Reisende mit einem Brötchen in der Hand und so weiter.

Die französische Organisation der Ausstellungsmacher Beate und Serge Klarsfeld und ihre deutschen Unterstützer-Initiativen ließen nicht locker: Mit Demonstrationen auf den Bahnhöfen gewannen sie immer mehr öffentliche Zustimmung, so daß sich schließlich Bundesverkehrsminister Tiefensee zum Handeln gezwungen sah. Er machte mehrere vergebliche Vermittlungsversuche, zuletzt sogar den Vorschlag, das Ausstellungsprojekt dem Reemtsma-Institut in Hamburg zu übergeben. Mehdorn winkte ab. Es kam Kritik in der internationalen Presse auf, ein Zusammenhang zwischen Mehdorns Weigerung und zunehmenden neonazistischen Vorkommnissen in Deutschland wurde vermutet. Deutsche Parlamentarier wurden unruhig, die Sache sollte vor den Bundestag.

Und auf einmal erwärmt sich Mehdorns kaltes Herz für das »unermeßliche Leid der deportierten jüdischen Kinder«. In bestem Einvernehmen mit Tiefensee kündigt er an, daß er jetzt selbst eine Ausstellung machen will, in die er dann »Elemente« der Ausstellung von Beate und Serge Klarsfeld gnädig »integrieren« will. Eine tolldreiste Anmaßung: Wann hätte Mehdorn sich je mit der Rolle der Reichsbahn und mit den Deportationszügen wissenschaftlich beschäftigt? Der neoliberale Manager als Ausstellungsmacher? Als Macher einer Ausstellung, die umfassender sein soll als die der Klarsfelds?

Die »Grundlage« seiner neuen Ausstellung soll »die bereits bestehende Dauerausstellung im DB-Museum in Nürnberg sein«. Das macht stutzig. Ohne die Verdienste der Nürnberger Ausstellung für die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Bahn in Frage stellen zu wollen, kann man doch nicht die vielen Lücken übersehen, die sie gelassen haben: Wie verliefen die Deportationsstrecken? Wieviele Kinder aus welchen Ländern wurden auf ihnen deportiert? Wie arbeiteten die Reichsbahn und verschiedene NS-Behörden und -organisationen zusammen? Was weiß man über Überlebende, wie lebten sie weiter? Was weiß man über Widerstand während der Deportation, und wie reagierte das Fahr- und Begleitpersonal darauf? Alles offene Fragen, die noch kaum erforscht sind. Eine »umfassende« Ausstellung müßte sie irgendwie beantworten.

Die »neue« Ausstellung Mehdorns ist eine Farce. Wenn sie wirklich Neues bieten sollte, das über die vorhandene Ausstellung der Klarsfelds hinausginge, müßte er erst einmal einen Stab von Wissenschaftlern auf die Spuren der unerforschten Geschichte der Deportationen setzen. Wo will Mehdorn die so schnell herholen, wenn er schon das Reemtsma-Institut links liegen läßt? Immerhin soll die Ausstellung schon in einem Jahr, am 27. Januar 2008, in Berlin eröffnet werden, wie er großspurig erklärt. Jedenfalls würde diese Ausstellung erheblich mehr kosten als die 40.000 Euro, die die Bahn aufbringen müßte, um die bescheidene Klarsfeld-Ausstellung auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen.

Aber hinter dem Eiertanz um die Ausstellung verbirgt sich etwas anderes und Peinliches: Im Grunde geht es um die Person Beate Klarsfeld. Sie hat 1968 weltweit Aufsehen erregt, als sie es wagte, den CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger öffentlich zu ohrfeigen, der sich nicht geschämt hatte, als ehemaliger Propaganda-Funktionär des Nazistaates für das höchste Amt der BRD zu kandidieren. Das verzeiht ihr die politische Klasse nie. Aus dem Bundeskanzleramt verlautete zwischenzeitlich, Beate Klarsfeld könne Herrn Mehdorn nicht zugemutet werden. Propagandistisch mag man es so formulieren, aber es verhält sich doch genau umgekehrt: Wie lange meint man der demokratischen Gesellschaft einen Bahnchef Mehdorn noch zumuten zu können, der das Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur erst gar nicht und dann an den deutschen Bürger-Initiativen vorbei organisieren will?

Zivilcourage und kritische Öffentlichkeit sind den furchtsamen Verhinderern, den unseligen Weißwäschern und Kompromißlern ein Greuel. Man spürt ihre Angst, sich die nächste basisdemokratische und antifaschistische Ohrfeige einzufangen. Doch Mehdorns Absichten werden nicht aufgehen.

Quelle: www.sopos.org/ossietzky