Berlin, 9.3.2007 - Protest der IG-Metall-Jugend gegen die Rente mit 67 |
Weiter Proteste gegen Regierungspolitik Daniel Behruzi in 'junge Welt' vom 9.3.2007 Bundestag beschließt heute Rente mit 67 und »Tornado«-Einsatz am Hindukusch. Gewerkschaftsjugend demonstriert Am heutigen Freitag stehen im Bundestag gleich zwei umstrittene Gesetzesvorhaben der großen Koalition zur Abstimmung. Sowohl für die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 als auch beim Beschluß über die Entsendung von sechs bis acht »Recce-Tornados« nach Afghanistan gilt die Mehrheit als sicher. In beiden Fällen regt sich jedoch weiterhin außerparlamentarischer Widerstand. Bis zu 2000 junge Beschäftigte und Auszubildende erwartet die IG-Metall-Jugend heute bei einer Demonstration gegen die Rente mit 67 in Berlin (9.30 Uhr, S-Bahnhof Friedrichstraße). »Der Zusammenhang ist klar: Wenn die älteren Kollegen nicht aus dem Betrieb raus dürfen, kommen die jüngeren nicht rein«, erklärte Michael Faißt, Bundesjugendsekretär der Gewerkschaft, am Donnerstag gegenüber jW den Aufruf zum Protest. Das Gesetz werde sowohl zur Reduzierung der Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche als auch zu einer Kürzung der Altersbezüge führen, prognostizierte er. Deshalb sei die »Rentenreform« durchaus Thema. »Die jungen Kollegen kennen die Realitäten in den Betrieben und wissen, daß es dort so gut wie keine 65jährigen mehr gibt – nicht, weil diese nicht mehr arbeiten wollen, sondern weil sie es nicht mehr können«, so Faißt. Widerstand regt sich auch weiterhin gegen den Einsatz deutscher »Tornado«-Flugzeuge in Afghanistan, den lediglich die Linksfraktion geschlossen ablehnen will. Für Donnerstag abend hatte die Berliner »Achse des Friedens« unter dem Motto »Truppenabzug statt Tornados« zu einer Kundgebung in der Nähe des Reichstags aufgerufen. Während Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) weiterhin behauptet, die »Tornados« hätten Aufklärungs-, aber keine Kampfaufträge, sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck laut ddp-Meldung vom Donnerstag, es handele sich um einen Kampfeinsatz. Von hohen Offizieren im Brüsseler NATO-Hauptquartier hieß es in der Nachricht, die US-geführten Streitkräfte im Süden des Landes seien »sehr dankbar«, wenn die »Tornados« die Widerstandsgruppen »in ihren Verstecken aufspüren«. Quelle: Nicht das letzte Gefecht Daniel Behruzi in 'junge Welt' vom 10.3.2007 Mehrere tausend junge Gewerkschafter gegen Rente mit 67 auf der Straße. Widerstand soll trotz Bundestagsbeschluß weitergehen Nach dem letzten Gefecht sieht es nicht aus an diesem Freitag vormittag in der Umgebung des Reichstags. In dem Gebäude stimmen die »Volksvertreter« der Erhöhung des Renteneintrittsalters zwar wie erwartet mit großer Mehrheit zu. Doch draußen bringen knapp 3000 vorwiegend junge Gewerkschafter ihre Wut hierüber zum Ausdruck. Mit Plakaten und Transparenten – auf denen Sprüche wie »Politiker mit 60 ans Montageband« oder »Wir Hartz IV und Opa schafft hier« zu lesen sind – sowie den roten Fahnen der IG Metall ziehen sie in einer lautstarken Demonstration zum Brandenburger Tor, nur wenige Meter vom Bundestag entfernt. Viele sind von weither angereist, um an dem von der IG-Metall-Jugend initiierten Protest in der Hauptstadt teilzunehmen. Allein aus Stuttgart seien zehn Busse gekommen, berichtet Mustafa Kalay, Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) bei Bosch in Feuerbach, stolz. »Die Leute fahren hin und zurück 17, 18 Stunden, um drei Stunden zu demonstrieren – das zeigt, welchen Stellenwert das Thema auch für Jugendliche hat«, so Kalay. Die 20jährige Franzi hat einen fast ebenso weiten Weg hinter sich. Sie macht eine Ausbildung bei BMW in München. Jetzt läuft sie mit roter IG-Metall-Mütze und Trillerpfeife bewaffnet durch Berlins Straßen. »Es geht hier nicht nur um mich, es geht auch um die älteren Kollegen«, erklärt sie auf die Frage, warum sie gegen die Rente mit 67 protestiert. »Wenn das so weitergeht, bin ich wahrscheinlich 70, wenn ich in Rente gehe«, ergänzt Daniel Warmbier. Der 21jährige arbeitet im Einzelhandel und trägt eine ver.di-Fahne. Janina ist ebenfalls Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft. Die 24jährige, die eine weiße ver.di-Plastikweste übergezogen hat, ist derzeit auf Arbeitssuche. »Ich sehe nicht ein, warum Ältere länger arbeiten sollen, wodurch für Jüngere dann noch weniger Jobs da sind«, sagt sie. Dieses Argument hört man von den jungen Gewerkschaftern immer wieder. »Über 600000 Jugendliche unter 27 haben heute schon keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz – durch die Rente mit 67 wird das noch verschlimmert«, ruft Lea Marquardt aus Reutlingen von der vor dem Brandenburger Tor aufgebauten Tribüne. Und Michael Faißt, Bundesjugendsekretär der IG Metall, betont in seiner Ansprache: »Die Kampflinie liegt nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen denen da oben und uns hier unten.« Und: »Trotz der Proteste und gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung will die Regierung ihre unsozialen Rentenpläne durchpeitschen«, kritisiert er. Nur wenige Minuten darauf kommt die Bestätigung. Die Mehrheit der Abgeordneten hat der »Reform« ihre Stimme gegeben. Einer, der dabei war, der Schweinfurter IG-Metall-Bevollmächtigte und Linksfraktions-Abgeordnete Klaus Ernst, schlägt daraufhin vor, den über dem Eingang des Reichstags prangenden Schriftzug »Dem Deutschen Volke« in »Der deutschen Versicherungswirtschaft« umzuändern. Selbst im Bundestag sitzende Funktionäre der Gewerkschaft hätten dem Gesetz zugestimmt und die Kundgebungen dagegen als »verantwortungslos« bezeichnet, empört er sich. Ein Hauptamtlicher der IG Metall berichtet, in seiner Organisation werde über den Ausschluß von SPD-Politikern diskutiert, die für die »Reform« gestimmt haben. Aber auch Selbstkritik wird laut. »Ich bedaure, daß wir als IG Metall und DGB vor der Abstimmung nicht noch einmal stärker Flagge gezeigt haben«, sagt Ernst unter Applaus. Andererseits sei noch Zeit, bis das Gesetz 2012 tatsächlich in der Praxis umgesetzt werde. Die kommenden Jahre müßten zu »Jahren des Widerstands gegen diese unsoziale Politik werden«, fordert der WASG-Frontmann. Das meint auch Bernhard Schweigert, Betriebsrat beim Heidelberger Autozulieferer Schmitthelm. »Wir haben schon andere bereits verabschiedete Gesetze zu Fall gebracht«, sagt er mit Verweis auf die 1996 von der Kohl-Regierung beschlossene Verschlechterung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die nach einer Welle betrieblicher Proteste letztlich doch nicht umgesetzt wurde. »Dafür muß die Gewerkschaft die Kraft, die sie hat, aber komplett in die Waagschale werfen«, so der Aktivist. Was er damit meint, steht auf dem Transparent, das er mit seinen Kollegen durch Berlins Mitte trägt: »Gegen sozialen Raub von Regierung und Kapital hilft nur Widerstand radikal – Generalstreik«. Dem Gefecht um die Rente mit 67 dürften demnächst jedenfalls noch weitere folgen. Quelle: |