Mittenwald, 27.5.2007 - Treffen der Gebirgsjäger und der Protest dagegenBilder

VVN-BdA schreibt an die Justizminister der Länder und des Bundes: Scheungraber und die anderen verurteilten Kriegsverbrecher nach Italien ausliefern oder hier einsperren

Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA - 7.9.2007


Josef Scheungraber (Foto: Jochen Vogler)

Obigen finster drein blickenden alten Herrn, Möbelhändler aus Ottobrunn, entdeckten wir auf dem Pfingsttreffen des Kameradenkreises der Gebirgstruppe in Mittenwald auf dem Hohen Brendten. Er steht inmitten der Bundeswehrsoldaten der Gebirgstruppe, die hier die "Helden" des zweiten Weltkrieges ehren. Auch Staatsekretär Christian Schmidt (CSU) feierte mit den Kriegsverbrechern. Ja, darum handelt es sich bei diesem Treffen: Um Kriegsverbrecher und solche Soldaten, die diese ehren.

Über den oben abgebildeten Herrn konnte man auf einem Pappschild, das in Mittenwald von einem Neffen des Josef Scheungraber, so heißt der Herr, gezeigt wurde, erfahren: "Mein Onkel Sepp, Josef S. aus Ottobrunn, ist wegen eines Massakers von Falzano (Tötung von 13 Zivilisten) zu lebenslänglicher Haft in Italien seit September 2006 verurteilt. (SZ vom 30.9.06). Die deutsche Justiz hat diesen Mord an Zivilisten nie bearbeitet. Es gab keine Verurteilung. Es gab keine Verhandlung. Er wurde weder verurteilt, noch freigesprochen. Folglich ist Onkel Sepp ein lebenslänglicher Freigänger."

Unter den mindestens 1500 auf dem Hohen Brendten versammelten waren zahlreiche weitere nicht verurteilte Kriegsverbrecher aus der 1. Gebirgsdivision, die die Massaker u.a. in Komeno und Kephallonia zu verantworten haben.

Scheungraber jedoch ist verurteilt worden. Das italienische Militärgericht in La Spezia hat ihn Ende September 2006 in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Einheit hatte als "Vergeltung" gegen Partisanenangriffe 15 Zivilisten in ein Bauerhaus gesperrt und es gesprengt. Alle im Haus bis auf einen 15jährigen Jungen starben.

Stephan Stracke vom AK Angreifbare Traditionspflege erklärte: " Es ist ein Skandal. Trotz der Verurteilung lebt das CSU-Mitglied Josef Scheungraber, 2005 dekoriert mit der Ottobrunner Bürgermedaille, von der Justiz unbehelligt in Ottobrunn."

Während des Feldgottesdienstes auf dem Hohen Brendten entrollten Antifaschistinnen und Antifaschisten Transparente u.a. mit der Aufschrift: "Keine Ruhe für NS-Täter" und riefen Parolen gegen das militaristische Treiben. Die Antifaschisten wurden rabiat von den bayerischen Polizeitruppen des USK festgenommen und in Polizeigewahrsam demütigenden Leibesvisitationen unterzogen. Eine Staatsanwältin leitete die Polizeiaktion. Dass sie stattdessen den Scheungraber hätte festnehmen sollen, der trotz Urteils unbehelligt herumlief, das sagten die Antifaschisten der Staatsanwältin zwar - aber es kümmerte sie nicht.

In Briefen an die Justizminister der Länder hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten gefordert, solche verurteilten Kriegsverbrecher wie Josef Scheungraber festzunehmen und der italienischen Justiz zur Strafverbüßung zu übergeben oder diese Strafverbüßung in Deutschland anzuordnen. Neben Scheungrabers Namen gab die VVN-BdA noch die Namen und Anschriften zehn wegen des Massakers von Marzabotto in Italien Verurteilten an die Justizminister und verlangte die Strafverbüßung in Deutschland oder Italien. Ferner wurde diese Liste an die Justizminister gegeben:

In La Spezia wurden 2005 wegen des Massakers in St. Anna di Stazzema zu lebenslanger Haft verurteilt:
  • Werner Bruss Unteroffizier, Jg. 1920 (Wohnort unklar [gerüchteweise wohnhaft in oder bei Hamburg])
  • Alfred Mathias Concina (meist ohne `Mathias') Unterscharführer, Jg. 1919 (wohnt laut ital. Presse in Rechenberg-Bienenmühle)
  • Ludwig Göring (teilweise als `Goring' benannt) SS-Rottenführer, Jg. 1923 wohnt in Baden-Württemberg, zwischen Pforzheim und Karlsruhe (dt. Presse)
  • Karl Gropler, SS-Unterscharführer, Jg. 1923, Wollin/Brandenburg
  • Georg Rauch, Unterleutnant, Jg. 1921 (Wohnort unklar)
  • Horst Richter, Unterscharführer, Jg. 1921, Krefeld
  • Heinrich Schendel, Unteroffizier, Jg. 1922 wohnt an der Vogelbergstraße/Ecke Bachweg (B275) in Lißberg , einem Ortsteil von Ortenberg in der Wetterau/Hessen.
  • Gerhard Sommer (teilweise auch als `Gerard' benannt) SS-Untersturmführer, Jg. 1921 wohnt in Hamburg-Volksdorf, Seniorenwohnheim der Cura AG, Lerchenberg 4
  • Alfred Schöneberg (teilweise auch als `Schoneberg' bzw. `Schönenberg' benannt) SS-Unterscharführer, Jg. 1921 wohnte in Düsseldorf, inzwischen verstorben
  • Ludwig Heinrich Sonntag (auch als `Heinz Ludwig Sonntag' benannt, oder ohne `Heinrich'), SS-Unterscharführer, Jg. 1924 Dortmund, inzwischen verstorben
Wegen Falzano di Cortona wurden 2006 in Italien zu lebenslänglicher Haft verurteilt:
  • Josef Scheungraber, Ottobrunn (siehe oben)
  • Herbert Stommel (Wohnort unbekannt)
Wegen Massakers in Branzolino-San Tome (bei Forli) zu lebenslänglicher Haft verurteilt:
  • Heinrich Nordhorn (wohnte in Greven, mittlerweile unbekannt verzogen)
Wegen Kephallonia nicht verurteilt (weil in Italien dazu kein Verfahren stattfand und weil die bayerische Justiz die Verfahren einstellte):
  • Othmar Mühlhauser aus Dillingen.
Ferner weitere Personen aus dem Kreis der 196 von der VVN-BdA und Angreifbarer Traditionspflege bei der Staatsanwaltschaft angezeigten mutmaßlichen Täter.

In dem Brief an die Justizsenatoren und -minister heißt es abschließend: "Wir fordern Sie hiermit dringend auf zu handeln. Bitte führen Sie die überlebenden Verurteilten durch Auslieferungen bzw. durch Inhaftierungen in Deutschland ihrer Strafe zu."

Quelle: nrw.vvn-bda.de


Ehrenbürger angeklagt

Frank Brendle in 'junge Welt' vom 12.3.2008

Italien verfolgt Wehrmachts- und SS-Mörder. Deutsche Behörden versuchen, Prozesse und Verurteilungen zu ignorieren. Nun geraten sie aber unter Druck

Das italienische Militärgericht La Spezia verhandelt ab heute gegen den ehemaligen SS-Unteroffizier Helmuth Werner Michaelis. Laut Anklage war er 1944 an einem der fürchterlichsten Massaker während der deutschen Besatzungszeit in Italien beteiligt.

Erst vor vier Wochen wurde der frühere Wehrmachtshauptmann Hans Dietrich Michelsen verurteilt, weil er, so das Gericht, am 18. August 1944 die Ermordung von vier Zivilisten angeordnet hatte und dabei »grausam und grundlos« handelte.

Italienische Staatsanwälte und Richter bringen bei der Verfolgung von Wehrmachtsverbrechen seit einigen Jahren wesentlich mehr Ener­gie als ihre deutschen Kollegen auf. Zwei Dutzend Schuldsprüche konnte allein der Militärstaatsanwalt Marco de Paolis in La Spezia erreichen. Und es finden immer noch neue Prozesse statt.

Jahrzehntelang waren die Unterlagen über die Bluttaten der deutschen Truppen im sogenannten Schrank der Schande verschlossen, in einem Keller der Militär-Generalstaatsanwaltschaft in Rom. Während des Kalten Krieges wollte man dem NATO-Partner BRD nicht zu nahe treten. Doch seit den 90er Jahren wurden zahlreiche Massaker aufgeklärt. Die Massenmorde von Marzabotto gehen auf das Konto der 16. Panzergrenadierdivision »Reichsführer SS«, die zwischen dem 29. September und dem 1. Oktober 1944 fast 800 Einwohner mehrerer Dörfer umbrachte, mit Handgranaten, Brandstiftungen und Maschinengewehren. Die gleiche Einheit hatte bereits im August 1944 etwa 560 Einwohner des Städtchens Sant'Anna di Stazzema ermordet, darunter 116 Kinder.

Mindestens 20 Deutsche sind inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ihr Wohnsitz ist bekannt, dennoch bleiben sie, wie auch der kürzlich verurteilte Michelsen, unbehelligt: Die Prozesse finden in der Regel in Abwesenheit der Angeklagten statt. Die Urteile gelten in Deutschland nicht, und die deutsche Justiz läßt sich beim Ermitteln alle Zeit der Welt. Wenn deutsche Ermittlungsbehörden überhaupt Kenntnis von den italienischen Urteilen erhalten, ist dies nach Angabe eines Sprechers der Zentralstelle zur Verfolgung von Naziverbrechen in Ludwigsburg »eher Zufall«.

Deswegen demonstrierten am 1. Dezember vorigen Jahres bundesweit Antifaschisten vor den Wohnungen der Verurteilten (jW berichtete). Die nordhrein-westfälische VVN-BdA forderte Stellungnahmen von den Länderjustizministern. Aus Baden-Württemberg hieß es daraufhin, die Ermittlungen seien »in enger Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden mit Nachdruck betrieben worden«, doch leider reiche die Beweislage »bei keinem der Beschuldigten aus«. Das bayerische Justizministerium erläuterte verständnisvoll, die Beteiligung an Verbrechen könne »Ausdruck einer menschlichen Schwäche sein, die selbstverständlich weder rechtlich noch sittlich zu billigen ist. Sie erfüllt aber nicht die Voraussetzungen der Mordmerkmale nach § 211 Strafgesetzbuch.« Totschlag hingegen ist verjährt. Theoretisch könnte Italien beantragen, daß die Verurteilten in Deutschland ihre Haft antreten sollen, doch das würde wohl abgelehnt, weil Abwesenheitsurteile im deutschen Rechtssystem nicht vorgesehen sind.

In Bedrängnis kommt nun allerdings der frühere Wehrmachtsleutnant Josef Scheungraber. Im September 2006 wurde er in La Spezia zu »lebenslänglich« verurteilt, weil er als Kompanieführer eines Gebirgspionierbataillons am 26. Juni 1944 mindestens 14 Einwohner des Dorfes Falzano di Cortona ermordet hat, so das Gericht. Demnach hat er unter anderem Zivilisten in einem Haus einsperren und dieses dann sprengen lassen - als »Vergeltung« für einen Partisanenangriff.

Die Münchner Staatsanwaltschaft I hat Anfang März tatsächlich Mordanklage erhoben - ein fast einmaliger Vorgang. Ein Prozeßtermin ist allerdings nicht in Sicht, und auf einen Haftbefehl wurde mangels Fluchtgefahr verzichtet. Scheungraber gilt als honoriger Einwohner von Ottobrunn bei München und ist stolzer Träger der »Bürgermedaille«. Noch im vorigen Jahr tummelte sich der 89jährige putzmunter auf dem »Heldengedenken« der Gebirgstruppen in Mittenwald, was die VVN-BdA mit einem Foto belegt. Inzwischen will er - laut Attest - verhandlungsunfähig sein.

Nach Angaben der Tageszeitung Toscana Oggi plant das Militärgericht in La Spezia gegenwärtig die Eröffnung dreier weiterer Prozesse gegen frühere Wehrmachts- bzw. SS-Angehörige: Wegen der Massaker in Vinca (170 Opfer), Fragheto di Casteldelci (über 30 Opfer) und Callucciole (108 Opfer).

Quelle: jungewelt.de