Köln, 13.3.2008 - 'Zug der Erinnerung' - Gedenken an Kinder, die in der NS-Zeit mit der Bahn deportiert worden sind |
Station Nr. 43 mit Domblick - Der Zug der Erinnerung macht Halt in Köln Anneliese Fikentscher für die Neue Rheinische Zeitung, 20.3.2008
Auf Gleis eins lief er ein: der Zug der Erinnerung auf dem Kölner Hauptbahnhof. Anders als zunächst von der Bahn vorgesehen, musste er nicht auf dem „Küchengleis“ tief in der Bahnhofshalle halten, sondern er durfte vorziehen unter das neugestaltete Vordach mit Blick zum Dom. Mehr als 7.500 Besucherinnen und Besucher zeigten Interesse, aber eine Verlängerung der mobilen Gedenkausstellung wurde von der Bahn „aus technischen Gründen“ abgelehnt. „Wir haben in Köln sicherlich einen der prominentesten Standorte auf der gesamten bisherigen Reise gehabt - gegenüber des Doms - in der Nähe und in einem Blickkontakt mit der (von Gunter Demnig gestalteten) Schwelle, die von der Initiative "Die Bahn Erinnern" mit viel Mut viel Entschlossenheit vor geraumer Zeit gelegt worden ist. Und das Echo, das die Ausstellung im Zug gefunden hat, war so groß, dass es sicherlich noch viele Tage hätte weitergehen können“, äußert sich Hans-Rüdiger Minow, Sprecher der Vereinigung „Zug der Erinnerung“, im Rückblick auf den Aufenthalt des Zuges vom 13. bis 15. März 2008 im Kölner Hauptbahnhof gegenüber der NRhZ. Der örtliche Vorsitzende der VVN-BdA, Peter Trinogga, einer der Mitinitiatoren für den Aufenthalt in Köln, drückt seine Zufriedenheit über die Besucherzahl aus. 7500 Menschen an drei Tagen sei schon eine beachtliche Besucherzahl. Zudem müsse man bedenken, dass womöglich noch mehr Schulklassen das Angebot genutzt hätten, wenn der Termin nicht relativ ungünstig zwei Tage vor Ferienbeginn gelegen hätte. Beteiligte und Ausstellungsprogramm Hauptveranstalter für Köln ist das NS-Dokumentationszentrum der Stadt unter Mitarbeit bzw. der Mitwirkung des regionalen DGB, der Initiative "Die Bahn Erinnern", der Emmaus-Gemeinschaft, des Gedenk- und Lernort Jawne, der Kölnischen Gemeinde für christlich-jüdische Zusammenarbeit, IG Metall Köln, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Köln, Melanchton-Akademie, Rom e.V. Verdi Köln, Verein EL-DE-Haus und der VVN.
Nun war das NS-Dok zum Zuge gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Von Anbeginn (November 2007) gab es die Zusage zur Unterstützung bei der Ausgestaltung der (regionalen) Ausstellung. Dass aber die Hauptfinanzierung, die vom Kölner Kulturausschuß im Februar 2008 gebilligt wurde, letztlich dem Haushalt des NS-Dok wieder entzogen werden wird, kann nur bedingt im Interesse der Gedenkstätte sein, die im Laufe des Sommers 2008 zudem thematisch dicht am Geschehen ist. Sie wird - wie es bereits länger geplant war - die Vorläufer-Ausstellung des „Zug der Erinnerung“ von Beate und Serge Klarsfeld in Köln der Öffentlichkeit präsentieren, an einem „Ort in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof“. Man darf gespannt sein. Die Weigerung der DB, sich als Rechtsnachfolger der Reichsbahn ihrer Vergangenheit und deren Aufaufarbeitung zu stellen, brachte den Stein - das heißt den Zug - erst ins Rollen. Hans-Rüdiger Minow: „Das ist das Ergebnis unserer Überlegungen, wie wir die Verbote der Bahn AG, die von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht hat, umgehen können. Anfangs haben wir gefordert, es solle überhaupt ein Gedenken stattfinden... Wir standen da, hatten ein paar Plakate in der Hand und nichts weiter und haben einfach nur gesagt, wir wünschen uns, wir appellieren an die Bahn AG, eine Ausstellung zu zeigen. Das hat man eine Weile toleriert, dass wir in Frankfurt auf dem Hauptbahnhof gestanden haben, hier und dort auf den Hauptbahnhöfen standen, und dann war klar: irgend wann ist Schluß. Und dann hat die Bahn AG am 27. Januar 2007 am Auschwitz-Gedenktag zum ersten Mal Gewalt eingesetzt gegen Mitglieder der Bürgerinitiativen - in dem Fall in Göttingen, die ganz harmlos im Bahnhof gestanden haben und nichts weiter getan haben, als die Fotos zu zeigen. Die sind ihnen runter gerissen worden.“ Rund 11.000 jüdische Kinder sind von 1942 bis 1944 allein aus Frankreich nach Auschwitz in den Zügen der Deutschen Reichsbahn deportiert worden. Die Deutsche Bahn, als Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn, erinnere aber in ihren Bahnhöfen nicht an dieses Ereignis, lautet der Vorwurf von Beate Klarsfeld, die am 7. November 1968 den damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesiger wegen dessen Nazi-Vergangenheit öffentlich ohrfeigte. 2007 wurde Frau Klarsfeld vom französischen Staatspräsidenten Sarkozy, zu dessen persönlichen Beratern ihr Sohn Arno zählt, zum "Offizier der Ehrenlegion" ernannt. Mediale Umsetzung Mit der Fahrt über das (noch) im öffentlichen Besitz befindliche deutsche Schienennetz hat der mediale Charakter, der aus der Not entwickelt wurde, eine gewaltige und neue Dimension erhalten - und das nicht nur die von der Bahn AG auferlegten Kosten betreffend. Rüdiger Minow: „Im Grunde ist alles ganz einfach: wir sind durch die Vordertür der Bahnhöfe gekommen, haben appelliert an den Bahnvorstand, eine Ausstellung zuzulassen, das Gedenken zuzulassen. Das hat man uns verboten. Und daraufhin haben wir gesagt: wenn wir da nicht reinkommen, dann kommen wir über die Schienen. Es ist in der Bundesrepublik immer noch so, dass das Schienennetz uns allen gehört und dass wir über die Schienen auch den Anspruch haben, auf den Bahnhöfen zu halten. Dann sind wir zwar wieder auf den Bahnhöfen, und der Bahnsteig gehört der Bahn AG, er ist zwar öffentliches Eigentum aber er ist nicht öffentlicher Besitz. Da haben wir es dann mit der Bahn AG zu tun. Aber auch das Ein- und Aussteigen ist erlaubt, denn sonst hätte die Nutzung des öffentlichen Schienennetzes gar keinen Sinn. Sonst müßte man immer nur umherfahren und dürfte nirgendwo anhalten... Und diese gesetzliche Regelung, die etwas mit dem öffentlichen Eigentum zu tun hat, die haben wir uns zu nutze gemacht und fahren seitdem mit dem Zug in die Bahnhöfe rein.“ Opfer und Täter Das Gedenken findet nun an damaligen Orten der Deportationen in einem zum aktiven Museum gestalteten Zug statt. Mit einem überregionalen Teil und einer stets wechselnden ortsbezogenen Ausstellung über das Schicksal der Deportierten wächst die Zahl Opfer, derer gedacht werden soll, damit über die von Klarsfeld betrachteten 11.000 französischen verschleppten und ermordeten Kinder und Jugendlichen weit hinaus. In den Blickwinkel geraten die verschiedenen Opfergruppen, auch Zwangsarbeiter. Der Anteil der regionalen Sonderausstellung wurde von der Initiative „Die Bahn erinnern“, dem Gedenk- und Lernort Jawne und dem NS-Dokumentationszentrum unter der Leitung von Dr. Werner Jung aus umfangreicher Zeitzeugenbefragung und Forschungsarbeit bestritten - unter Mitwirkung von Dieter Maretzky und Martin Rüther sowie vielen Helferinnen und Helfern vor Ort, die Führungen durch die Ausstellung vornahmen oder einfach nur als unterstützende Kraft im Gedränge. Viele Besucher verließen emotional bewegt die Waggons, auch weil sie über die Dienstbeflissenheit der Täter erschüttert waren. Neben den an der Spitze stehenden Organisatoren der Reichsbahn Ganzenmüller und Dorpmüller, die für den reibungslosen Ablauf zu sorgen hatten, wurde im Zusatzprogramm von „Die Bahn erinnern“ die Aufmerksamkeit auch auf die Rolle der pflichtbewußten kleinen Bahnmitarbeiter gerichtet, die weit davon entfernt waren, sich etwaigem Unrecht zu widersetzen. „Über die auf meinem Bahngelände gefundenen Leichen habe ich ordnungsgemäß Aktenvorgänge angelegt. Die Akten gingen dann nach oben an die Direktion. Damit hatte ich meine Pflicht erfüllt “, berichtet trocken Hans Pitsch, der während des Krieges Bahnhofsvorsteher im polnischen Bialystok und in den 80er Jahren Bahnhofsvorsteher in Münster in Westfalen war. Aus lebendiger Geschichte lernen Die Kölner Bürgermeisterin Angela Spizig erwähnte während der Eröffnung - an ihrem Manuskript vorbei - eine Kritik, die sie erreicht hatte und die vor alleiniger Rückwärtsgewandtheit warnte. Sie wolle diese Kritik mit einem „geharnischten Brief“ beantworten. Natürlich ist von Bedeutung, was insbesondere die jungen Besucher als Eindrücke und als Impuls für ihr eigenes Verhalten in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg nehmen. Eines sollte aber nicht passieren - wie Peter Gingold, 2004 verstorbenes Mitglied des Auschwitz-Komitees es 1999 anläßlich des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien unter deutscher Beteiligung beschwört: „Ich habe Angehörige, die in Auschwitz vergast worden sind - wir alle sind fassungslos, daß Auschwitz dafür mißbraucht wird, einen Bombenterror, einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, zu rechtfertigen. Dieses Land wird in die Steinzeit zurückgebombt, und es wird genau das Gegenteil erreicht von dem, was man wollte, nämlich den Schutz der Bevölkerung.“ Der zu diesem Zeitpunkt 83jährige bezeichnete es als "Infamie, daß die Toten von Auschwitz dazu mißbraucht werden, den Krieg gegen Jugoslawien ideologisch zu rechtfertigen.“ Die Losung der aus den Konzentrationslagern Befreiten sei schließlich auch „Nie wieder Krieg gewesen“. Gingold erzürnte sich mit Blick auf die damaligen Minister Fischer und Scharping: „Die erste Auschwitz-Lüge besteht doch darin, überhaupt zu leugnen, daß es Gaskammern gegeben hat. Und die neue Auschwitz-Lüge besteht darin, daß man Auschwitz nicht mehr leugnet, sondern verharmlost und banalisiert.“ (philtrat, 5/1999, Universität Köln) Letzte Wegstrecke nach Auschwitz Der Zug und die BegleiterInnen bereiten sich zur Zeit auf die letzte grosse Wegstrecke vor. Man müsse vieles aufarbeiten - so der Sprecher Hans-Rüdiger Minow für den Verein „Zug der Erinnerung“, der sich als „ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen“ versteht: „Wir bereiten uns auf die nächste große Etappe vor, die über Hamburg, durch ganz Norddeutschland, Bremen, Kiel und dann weiter nach Brandenburg und Berlin geht.“ Am Ostermontag, dem 24. März wird bis zum 29. März Station in Hamburg gemacht. Vorgesehen war, dort ebenfalls im Hauptbahnhof einzulaufen. Dass dies - zumindest an einem Tag, Ostermontag auf Gleis 12b - möglich sein kann, ist als Teilerfolg zu werten und gelang nur aufgrund scharfer Proteste der Hamburger Initiative mit Unterstützung von bekannten Persönlichkeiten. Der Vorsitzende des DGB Nord, Peter Deutschland, hatte in einem Brief den Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG, Hartmut Mehdorn, aufgefordert, alles zu tun, damit der „Zug der Erinnerung“ auf dem Hamburger Hauptbahnhof der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könne. Weil die Deportationen ab Oktober 1941 in aller Öffentlichkeit vor sich gegangen seien, fordert Peter Deutschland, komme als Ort unter den gegebenen Umständen in Hamburg nur der Hauptbahnhof in Frage. Die verbleibenden fünf Tage steht er entgegen der vorgesehenen Bahnrestriktionen mit deutlich erweiterten Öffnungszeiten von 9:00 bis 19:30 Uhr im Bahnhof Hamburg-Altona auf Gleis 5 für BesucherInnen bereit. Auf die Frage, ob der Zug planmäßig am 8. März zum Tag des Kriegsendes und der Befreiung in der Gedenkstätte Auschwitz eintreffen werde, heißt es, dass selbst wenn „noch mehr Knüppel auf die Schienen“ gelegt werden, „mit Sicherheit davon auszugehen“ ist. Hans-Rüdiger von Minow: „Es werden 100 bis 130 Jugendliche aus allen Städten, die der Zug angefahren hat - also aus allen Deportationsorten, sich am 5. Mai in Görlitz treffen, und dort wird es eine Abschlußveranstaltung für die Fahrt in Deutschland geben. Der Zug wechselt anschließend auf die polnische Seite und wird zur Gedenkstätte Auschwitz fahren. Da wird er am 7. Mai spätestens ankommen und am 8. Mai wird all das stattfinden, worauf wir von Anfang an hingearbeitet haben: nämlich den deportierten Kindern und Jugendlichen aus Deutschland und aus ganz Europa endlich einen angemessenen Ort des Gedenkens zu geben.“ |