Köln, 26.1.2009 - Zum 70. Geburtstag von Walter Herrmann (Initiator und Betreiber der Klagemauer) |
Wir gehören nicht zu denen, die zurückweichen Glückwunsch zum 70sten Geburtstag von Walter Herrmann - von Anneliese Fikentscher Dem Initiator der Kölner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung, Walter Herrmann, kann man in diesen Tagen der Vollendung seines 70sten Lebensjahres eine besondere Freude machen: mitzuwirken an der Unsterblichkeit seiner weltgereisten Idee. - Eine Klagemauer, bestehend aus einfachsten Materialien wie Pappe, Holz und Naturkordel, die allen Winden und Wettern widersteht, allen Attacken von gemeinem und besonderem Pöbel. An einer praktischen Gebrauchsanleitung wird heftigst gearbeitet. Am 24. Juli 1997 schreibt Pfarrer Christian Führer von der Leipziger Nikolai-Kirche an die Initiative Klagemauer in Köln: „Ein Wort, mit dem ich 1988/89 besonders lebte, sage ich Euch heute: Wir gehören nicht zu denen, die zurückweichen und verloren gehen, sondern zu denen, die glauben und das Leben gewinnen.“ (Hebräer 10,39) Zu den 45.000 AutorInnen (bis 1997) der Klagemauer zählen Lew Koplew, Abbe Pierre, Wole Soyinka (Nigeria), die Menschenrechtler Jan Karski (Polen), Sergej Kowaljow (Russland), Harry Wu (China), der Dalei Lama, Künstler wie Michael Leunig (Australien) und der Grafikkünstler und heute amtierende Präsident der Akademie der Künste in Berlin, Klaus Staeck. Nachdem die Kölner Klagemauer im Oktober 1996 in einer Nacht- und Nebelaktion von Stadt und Domkapitel - trotz laufenden Berufungsverfahrens - abgerissen wurde, heftete der Plakatkünstler Staeck am 10.11.1996 eine Botschaft an den aufgestellten Bauzaun, der zeitweise als Ersatzklagemauer fungiert: „Jesus brauchte auch keine Ruhezone“ überschreibt er seine Montage aus fünf einzelnen Domtürmen mit einer Beerdigungsszene im Vordergrund. Das Ordnungsamt der Stadt Köln beschlagnahmt die dort angehefteten Karten regelmäßig. Auf diese Weise geht eine Widmung des nigerianischen Literaturnobelpreisträgers Wole Soyinka verloren. Die Wand aus Papptafeln spricht alle Sprachen dieser Welt - auch niederrheinisch. Hanns Dieter Hüsch: „Tach zusammen! Na, wie isset denn? Gut?! Hauptsache!... Und der Dom könnte eigentlich stolz darauf sein, daß in seinem Schutz und Schatten sich so viele Menschen drängen und um Frieden bitten. Wenn der Dom schon in Köln bleiben soll, dann bitte auch die Klagemauer am Dom...“ Glückwunsch an Walter Herrmann, der nie seine Seele verkauft hat. Angefangen hatte er in der Kölner Innenstadt mit einer Klagemauer gegen Wohnungsnot. Daraus entstand 1991 vor dem Dom die „Kölner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung“, die sich durch die Bekanntschaft mit Kazuo Soda, einem Überlebenden der US-Atombombe auf Nagasaki, verstärkt der Ächtung von Atomrüstung widmet. Am 8. August 1996 dringen Mitarbeiter des Ordnungsamtes in eine Gedenkfeier für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki ein. Sie entreißen dem Hibakusha (d. h. in Japan Überlebender der Atombombe, wörtlich: die Bombardierten) Kazuo Soda das Mikrophon... Die wechselvolle Geschichte der Klagemauer, ihr Abriß, ihr Weiterbestehen als mobile Klagemauer in Gestalt des St. Martinpferdes der Obdachlosen ist bis 1997 in einer Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung unter Mitwirkung von Klaus Schmidt, Konrad Höcker, Eva tom Moehlen und vielen anderen dokumentiert. In den letzten Jahren widmet sich die wiedererstandene Klagemauer dem Thema Palästina, prangert die Menschenrechtsverletzungen und Kollektivbestrafungen Israels an. Eine Holztafel thematisiert den Tod der 23jährigen US-amerikanischen Friedensaktivistin Rachel Corrie, die sich schützend vor palästinensische Häuser stellte, und von einem „Caterpillar“-Bulldozer zweimal überrollt wird. Eine andere Holztafel zitiert den israelischen Dirigenten und Gründer eines Nahost-Jugend-Orchesters, Daniel Barenboim: "Es kann keinen Frieden geben im Angesicht von Mauern, Checkpoints und illegalen Siedlungen.“ Walter Herrmann hat für die Klagemauer einen Sonderstatus erreicht. Er baut täglich auf und ab und gestaltet neu. Fügt neue Karten ein, hebt ältere, die ihm wichtig sind, auf und wirbt für die Rachel-Corrie-Stiftung der israelischen Rechtsanwältin Felicia Langer. Eine der wichtigen Stimmen ist die einer bekennenden Jüdin, sie schreibt am 22. Oktober 2006, also im Jahr des israelischen Angriffs auf den Libanon: "In der Freundschaftsfalle! Wir wollen nicht länger schweigen. Das Unrecht, das die israelische Regierung täglich begeht, darf nicht länger hingenommen werden. Gerade von uns! Jüdische Stimme EJJP, Germany" (European Jews for a just peace - europäische Juden für einen gerechten Frieden). Die Unterzeichnerin ist Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des vormaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Die Klagemauer schafft damit eine Öffentlichkeit für Stimmen, die in den Lobbymedien - darunter auch die so genannten „öffentlich rechtlichen“, nicht zu Wort kommen. Daniel Barenboim war der ARD Sendung Anne Will während des laufenden Gaza-Krieges nicht willkommen. Dafür widmet der deutsche Allroundjournalist, der in allen Gazetten und auf allen Talksofas zu Hause ist, Henryk M. Broder, in urkölsch-komischer Verdrehtheit, der Klagemauer einen Artikel mit dem Titel „Mit Hätz un Siel jejen Israel“ und denunziert sie als antisemitisch-antizionistische Installation. Broder, für den Juden nicht gleich Juden sind, wandte sich 2008 an den WDR mit der Forderung, Evelyn Hecht-Galinski aus der Sendung „Hallo U-Wagen“ auszuladen, denn „ jeder kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau EHG eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist.“ Als Walter Herrmann 1968 nach Köln kam, lebte derselbe HMB in dieser Stadt in einem unpolitischen 68er-Rausch seine Orgasmusphantasien aus und verkaufte alsbald seine Seele und Dienste dem Nachrichtenmileu des „Spiegel“. Das gequälte Recht der freien Meinungsäußerung - wenn schon nicht in den massenwirksamen Medien - muss also zumindest im öffentlichen Raum gewährleistet sein, den Walter Herrmann täglich - für uns alle - verteidigt: „Mit der gezielten Vermarktung der attraktiven städtischen Plätze verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für politische Aktionen im öffentlichen Raum. Für 'prominente' Plätze werden Nutzungssatzungen verabschiedet, die 'politische Infostände' ausgrenzen. Für einen 'politischen Infostand' benötigt man eine städtische Sondererlaubnis. Für die Domplatte gibt es die nicht. Das ist der Hintergrund für die jahrelange Auseinandersetzung um das Projekt Klagemauer auf der Domplatte. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit Beschluß vom 22.8.2007 dem Projekt Klagemauer den Versammlungsstatus zugesprochen und entsprechend das Versammlungsrecht modifiziert. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Grundgesetz braucht keine Genehmigung; sie ist nur bei der Polizei anzumelden. Es wäre zu wünschen, daß auch andere Gruppen in der Tradition der 68er Bewegung sich das Urteil des BVerwG zunutze machen.“ |