Berlin, 18.12.2011 - "Angriff auf die Demokratie. Eine Intervention" - Veranstaltung im Haus der Kulturen Berlin

1 Worin besteht eigentlich die Eurokrise? Politisch betrachtet weniger in der Verschuldung als in den Demokratiegefährdungen, die die vorgebliche Eurorettung mit sich bringt: Die Politik spricht inzwischen von „marktkonformer Demokratie“. Es haben sich Institutionen wie eine „Troika“ etabliert, die demokratisch nicht legitimiert sind; unter Vorgabe ihrer „Sparpläne“ werden Selbstbestimmungsrechte beschnitten. Was da Rettung genannt wird, findet jeweils unter dem behaupteten Zeitdruck „der Märkte“ statt; die unter diesem Druck gefällten Entscheidungen gelten sodann als „alternativlos“.

Demokratie ist eine Ordnung, die auf der Abwägung von Alternativen beruht, und sie ist jederzeit gefährdet – besonders dann, wenn scheinbare Sachzwänge suggerieren, man habe „keine Zeit“, umständliche und langwierige parlamentarische Verfahren zu absolvieren. Das Politikvertrauen ist in den Ländern der EU dramatisch abgesunken.

Diese Intervention findet aus Besorgnis darüber statt, wie demokratiefern und marktnah in der EU Entscheidungen getroffen werden, die in ihrer Tragweite weder überblickt noch parlamentarisch abgewogen werden.

Mit Statements von Franziska Augstein, Friedrich von Borries, Carolin Emcke, Julia Encke, Romuald Karmakar, Nils Minkmar, Ingo Schulze, Joseph Vogl, Harald Welzer, Roger Willemsen

2 In ca. zehnminütigen Statements gegen die Diktatur der Finanzoligarchie


3 Publizistin Carolin Emcke: "Wenn es bei der Eurokrise nur um eine Krise des Euro ginge, wenn die Eurokrise nur eine Krise der Währung wäre, dann wäre ich nicht hier."

4 Publizistin Carolin Emcke: "Die Bevölkerung ist außen vor"

5 Publizistin Carolin Emcke: "Ein Rettungsschirm, unter den vor allem die Banken kommen um sich vor verlustreichem Regen zu schützen, während den Jugendlichen in Spanien, den Rentnern in Griechenland und den Arbeitslosen kreuz und quer durch Europa das Wasser bis zum Hals steht..."

6 Franziska Augstein, Journalistin der 'Süddeutschen Zeitung': "Die Regierungen schließen Verträge untereinander. Das Parlament und seine Kompetenzen sind ausgehebelt. Wir hören immer so viel von der Hebelwirkung von Geld, hier ist mal eine echte Hebelwirkung."

7 Franziska Augstein, Journalistin der 'Süddeutschen Zeitung': "Die Märkte werden uns dargestellt, als wären sie der Heilige Geist, - allgegenwärtig, allwissend. Leider scheint der Heilige Geist manchmal schlecht drauf zu sein..., deshalb wird uns mitgeteilt, zur gegenwärtigen Politik gibt es keine Alternative."

8 Franziska Augstein, Journalistin der 'Süddeutschen Zeitung': "Wenn da nicht viele Leute dranhängen, dann ergeht es den Politikern wie dem Fliegenden Robert im Struwwelpeter: Der Schirm fliegt davon mitsamt den Politikern, die sich daran festhalten - und unten stehen die Wähler und schauen zu."

9 Designexperte Friedrich von Borries: "Politiker sind Waren, bewusst gestaltete Produkte...", Marionetten an den Fäden der Finanzindustrie... Wachsende globale Ungleichheit, Umweltzerstörung und Klimawandel, Überwachungstechnologien und Sicherheitspolitik für Innen und Aussen, Ratingagenturen erst für Atomkraftwerke, dann für Banken: Warum kein Rating für Demokratien?

10 Julia Encke, Journalistin der FAZ: "Anonyme Märkte und angebliche Handelslogik schieben Sachzwänge und Zeitdruck vor, notwendige Zeit für demokratische Prozesse stehen der Dynamik der Märkte entgegen...".

Diktatur der Finanzaristokratie und ihres Zeitmanagements "wegen Zeitmangel auf den Finanzmärkten" ist das Ergebnis...

Die Politik spricht inzwischen von „marktkonformer Demokratie“. Es haben sich Institutionen wie eine „Troika“ etabliert, die demokratisch nicht legitimiert sind; unter Vorgabe ihrer „Sparpläne“ werden Selbstbestimmungsrechte beschnitten. Was da Rettung genannt wird, findet jeweils unter dem behaupteten Zeitdruck „der Märkte“ statt; die unter diesem Druck gefällten Entscheidungen gelten sodann als „alternativlos“...

11 Romuald Karmakar (Filmemacher, Regisseur) kündigt den sechseinhalbminütigen Kurzfilm "Die Ziege" an... (wer und was damit gemeint ist, bleibt den Betrachtern überlassen). Immerhin geht es beim Veranstaltungsthema um die EU und Demokratie.... Im Vorspann erscheint der Text: "Ralph N. Elliott entdeckte, dass die Bewegung der Märkte allein durch das psychische Verhalten der Marktteilnehmer wiedergegeben wird." Dieser Film besteht aus einer einzigen Einstellung und verweigert in seiner Machart die allgegenwärtige hektische, Sachzwänge vorschiebende Betriebsamkeit.

12 Eine satte dicke Ziege sitzt wiederkäuend und umheräugend am Rande einer Weidefläche. Im Hintergrund noch weit entfernt grasen weitere Tiere. Sechs Minuten lang sind sehr hell klingende Glöckchen und auch einmal das kreischende Geräusch einer Kreissäge zu hören, bis dann das Mittagsgeläut von einer Dorfkirche einsetzt...

13 Die auf der Weidefläche weit verstreuten Tiere sammeln sich am Platz der bis dahin wiederkäuenden Ziege, die sich dann erhebt und mit den anderen davonschreitet. Zwei laufen in eine andere Richtung davon... Die Weidefläche bleibt leer zurück....

14 Nils Minkmar, der politische Redakteur im Feuilleton der FAZ: von einem "Weltrettungsgipfel" zum nächsten, nur noch "Wirtschaftsexperten", "Schockaktion", "immer schneller, immer höhere Beiträge" werden bereitgestellt für die Banken, die "Steuerzahler zahlen" die Zeche, "keiner ist verantwortlich", "Alles könnte anders sein!"

Eine wichtige Aufgabe des Fernsehens ist es, Trost zu spenden.

15 Schriftsteller Ingo Schulze: "Ich habe den Eindruck, dass die Sprache, die im Kanzleramt oder im Bundestag gesprochen wird, nicht mehr der Wirklichkeit gerecht wird. Es ist eine Sprache der Selbstgewissheit, die sich an keinem Gegenüber mehr überprüft und relativiert."

"...Begriff postdemokratisch eher geeignet, unsere Situation zu beschreiben. Eine Situation, in der es der Minderheit einer Minderheit gestattet wird, es also legal ist, das Gemeinwohl der eigenen Bereicherung wegen, schwer zu schädigen."

"Alles nichts Neues. Der Kapitalismus braucht Diktatur,...Steuergeschenke und Verelendung"

"...Wachstumsbeschleunigungsgesetz..."

Die Wirklichkeit ist die Satire...

"Milieu des Staatsstreichs...Ringen um die Entscheidungshoheit mit offenem Ausgang."

"....Legaler Despotismus...."

"....nicht gegeneinander ausspielen lassen. Ich habe das bei einer Lesung erlebt, plötzlich diskutierte man als Deutscher und Portugiese, wo ich dann dachte, um Gottes Willen, es geht doch gar nicht um Deutschland und Portugal, sondern es geht jeweils in den Ländern um oben und unten, wer hat, wer profitiert denn davon. Und da muss man versuchen, die Fronten klar zu ziehen."

"...die Ankündigung des griechischen Ministerpräsidenten, eine Volksabstimmung zu machen: Das Entsetzen war ja groß! Oder ein Satz, den man fast täglich hören kann von der Regierung, man muss die Märkte beruhigen oder das Vertrauen der Märkte wiedergewinnen: Was sind denn die Märkte, das sind in dem Falle wahrscheinlich die Börsen. Aber da gibt es ja Akteure. Und gerade jene Akteure insbesondere der Finanzbranche, deren Vertrauen sollen wir also jetzt gewinnen? Das ist doch absurd, das muss doch umgekehrt gehen. In Demokratie muss ich sagen, was will ich für eine Wirtschaft haben, und ich muss doch Regeln, Gesetze geben, dass das Gemeinwohl nicht durch die Bereicherungssucht von ganz wenigen gefährdet wird."

"...ein erfreuliches Beispiel war hier in Berlin das Volksbegehren gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe, das musste gegen die etablierte Politik, gegen den rot-roten Senat durchgesetzt werden, ein Gesetz, was '99 vom rot-schwarzen Senat beschlossen worden war. Und das war, obwohl die Medien es nahezu boykottiert haben, ein erfolgreiches Bürgerbegehren, so dass eine Rekommunalisierung der Wasserbetriebe eingeleitet werden kann."

16 Prof. Dr. Joseph Vogl, Philosoph, Kulturtheoretiker: "Es gibt keinen Gegensatz zwischen kapitalistischem Staat und dem Finanzkapital, - dem ökonomischen Imperialismus. Staat und Märkte durchdringen einander, sind keine Gegensätze."

"Ökonomische Ziele werden letztendlich mit militärischer Gewalt durchgesetzt."

17 Sozialpsychologe Harald Welzer: "Als Zwölfjähriger dachte ich, dass wenige Unternehmen die Welt beherrschen. Und heute zeigt sich, das stimmt."

"...beginnen, sich selbst wieder ernst zu nehmen!"

"...nimmt das Pubertieren wieder das Anwachsen der sozialen Ungleichheit wahr."

"Es kommt glaube ich darauf an, zu einer Haltung zurückzukehren, nicht als Abnehmer von Worthülsen, sondern sich mal zuzumuten, dagegen etwas zu machen oder zu sagen."

"...dass wir leider damit konfrontiert sind, dass wir einen Totalausfall an Zeitdiagnose haben. Die Deutungseliten, die eigentlich die Verantwortung haben, diese Gegenwartsprozesse zu analysieren mit ihren Instrumenten und das bitteschön auch mitzuteilen, tun das nicht."

"Deutungseliten kneifen, ignorieren, verdrängen, werfen Nebelkerzen."

"Es geht um etwas - und es ist nicht mehr akzeptabel, zumindest dann, wenn man Demokratie gut findet, das alles hinzunehmen, in einer Haltung der Unzuständigkeit zu verharren und sich selber nicht ernst zu nehmen."

"Der Klimawandel ist noch immer eine unterschätzte Bedrohung des menschlichen Zusammenlebens. Er wird als Naturkatastrophe betrachtet, es sind aber die sozialen Effekte, die aus den Klimaveränderungen erst Katastrophen werden lassen. Im Zuge dieser Entwicklungen wird Gewalt zunehmend wieder als Problemlösungsstrategie angesehen. Der Zusammenbruch der politischen und sozialen Ordnung in weiten Teilen der Welt führt zu einem „Dauerkrieg“. Dies ist nur abzuwenden, wenn die wohlhabenden Bevölkerungen der Industrieländer ihren bisherigen Konsumstil einbüßen."

18 Roger Willemsen, Publizist und Fernsehmoderator: "Lebensräume schützen. Eingeschränkte Wahrnehmung, Einsamkeit,Gefühlslosigkeit überwinden - gegen die Entsolidarisierung; auch ein Produkt der Weltwirtschaftskrise."

"Dekadenz der sogenannten Demokratie - Massenunterdrückung." Angela Merkel nennt das "marktkonforme Demokratie".

"Wir müssten etwas wie Gegenöffentlichkeit stiften. Diese Gegenöffentlichkeit müsste sich formieren in etwas, was letztlich dem alten romantischen Ideal der außerparlamentarische Opposition zuzuordnen ist."

Streiks und Proteste, so wichtig sie sind, reichen nicht aus. Die Herrschenden lassen sich durch Druck von der Straße nicht zur Umkehr bewegen. Viele Zeitgenossen aus der 1968er Protestbewegung machten im Kapitalismus und seinen staatstragenden Institutionen Karriere, auch wenn sie hin und wieder Widerstand gegen die bestehende Ordnung vortäuschten. Die christliche Rechte ist nicht die einzige zeitgenössische Form der Reaktion.

19 eine Diskussion mit und vor dem Publikum wurde nicht vorgesehen, "der Vorhang fiel und alle Fragen offen...."

Ohne Eingriff in die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse kann diese Krise nicht gelöst werden. Banken, Großunternehmen und große Vermögen müssen enteignet, demokratisch kontrolliert und in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden.

20 Kapitalismus und Demokratie sind letztendlich nicht kompatibel. Notverordnungen und Kriege sind in der Weltgeschichte nichts Neues und ebensowenig, dass überschuldete und gleichzeitig hochgerüstete Länder versuchen, ihre Schulden militärisch zu tilgen. Bei den "linken" Intellektuellen ist die Mobilisierung der Arbeiterklasse für eine internationale sozialistische Revolution kein Thema.