León (Nicaragua), 14.5.2002 - Protest gegen KorruptionBilder

LIBERALE, KONSERVATIVE, SANDINISTEN - einig gegen Korruption

Hintergrundbericht von Jürgen Steidinger, 16.5.2002

"Liberale, Konservative, Sandinisten - einig gegen Korruption!" So lautete ein Motto der Demonstration am 14.Mai 2002, zu der die Mitte April vom legendären Comandante Cerro, Eden Pastora Gomez, gegründete nationale Bewegung gegen die Korruption aufgerufen hatte. Ziel der Bewegung ist es, allen an der Korruption beteiligten PolitikerInnen der vorigen Regierung ihre Immunität zu entziehen und sie vor Gericht und hinter Gitter zu bringen sowie dem Ex-Präsidenten Arnoldo Aleman, den von den Sandinisten im Pacto mit den Liberalen geschenkten Abgeordneten Sitz zu entreissen.

In dieser Bewegung sind neben Eden Pastora Vertreter aller Parteien und politischen Richtungen sowie prominente PolitikerInnen und Empresarios vertreten. Einen weiteren wichtigen Bestandteil bildet die Coordinadora Civil, der Verbund von über 300 Nichtregierungsorganisationen Nicaraguas.

Beim ersten Aufruf vor einigen Wochen kamen nur wenige Hundert. Diesmal waren es immerhin weit über Tausend die dem Aufruf zur friedlichen Demonstration folgten.

Eden Pastora forderte die Teilnehmer auf "Ziehen wir vor die Nationalversammlung - da können uns die Abgeordneten zeigen, ob sie ehrenhaft sind oder korrupte Schweine" ("o se dignifican o se chanchifican"). Viele fühlten sich erinnert an den Coup von Comandante Cerro, als er mit einer Gruppe sandinistischer Guerilleros im August 1978 das Parlament (Nationalpalast), in Zeiten Somozas als Schweinestall bekannt, stürmte und die Abgeordneten als Geisel nahm, um gefangene GenossenInnen frei zu pressen.

Am vergangenen Mittwoch war es keine Demonstration im herkömmlichen Sinne - eher eine Demo, bei der sich das Who is Who der nicaraguanischen Politik, das sich frei fühlt von dem Korruptionsverdacht zeigte. Man sah den Bürgermeister von Managua Herty Lewites (FSLN aber Bürgermeister für alle) ebenso wie die abgeschmetterten FSLN-Kandidaten zur letzten Präsidentschaftswahl Martinez Quenca und Hugo Tinoco. Mit dabei waren Antonio Lacayo (Schwiegersohn der Ex-Präsidentin Doña Violetta Chamorro) selbst Experte in Sachen Korruption sowie die streitbare Miriam Arguello, eine ältere Dame aus dem konservativen Lager und einige andere mehr.

Viele der Teilnehmer kamen aus dem der intellektuellen Schicht oder arbeiteten in Nichtregierungsorganisationen - nur gering war die Beteiligung der Masse des Volkes. Diese ist es entweder nicht gewöhnt ohne Aufruf ihrer Caudillos (Daniel Ortega oder Arnoldo Aleman) in Massen auf die Strasse zu gehen oder aber sie haben resigniert - wir können ja doch nichts ändern - arm bleibt arm - reicht bleibt reich und wird immer reicher.

Mit dieser Demonstration und Bewegung sollen die aufrichtigen und ehrbaren RichterInnen, Anwälte sowie die derzeitige Regierung Nicaraguas unter Präsident Enrique Bolaños moralisch im Kampf gegen die Korruption unterstützt werden.

Einmalig in der Geschichte Nicaraguas wie einfache, schlichte RichterInnen sch an die Ethik ihres Berufes erinnernd einen nach dem anderen aus der korrupten Mannschaft Alemans zu Gericht und hinter Gitter brachten. Imposant wie kurz nach Ostern jeden Tag eine neue Meldung kam welcher Ex-MinisterIn wieder eilends das Land verlassen hat, um sich in Sicherheit zu bringen. Duquestrada der Ex-Finanzminister ist in Washington aufgespürt worden, die Gesundheitsministerin, Mariangeles Arguello, mit gesamter Familie wurde Richtung Costa Rica gesichtet, der Direktor der Sozialversicherung, Martin Aguado ist nach Chile abgehauen. Die Ratten verlassen das hoffentlich nicht sinkende Schiff.

Präsident Bolaños, derselben Liberalen Partei PLC wie sein Vorgänger angehörend, verkündete, dass es ihm darum gehe, die über 600 Millionen US Dollar, welche die Regierung Arnoldo Aleman mit ihren Funktionären auf die Seite geschafft hat, dem Volk wieder zu beschaffen.

Der Haushalt beträgt nach Kürzungen von 1,488 Miiliarden Cordoba (etwa 1 Million US Dollar) für das Jahr 2002 nur eben 12,276 Milliarden Cordoba (etwa 902 Millionen US Dollar).

Erstaunlich ist, dass derartige Bekenntnisse und Reaktionen erst kamen als Anfang des Jahres die Vertreter des Bush-Kriegers und der grössten Weltnation Land auf Land ab verkündeten, für die USA sind korrupte Politiker (natürlich, die die Geld der USA verschwinden lassen) und Geldwäscher genauso schlimm und müssen genauso verfolgt werden wie Drogenhändler, Waffenschieber und Terroristen.

Kurz darauf verweigerten dann die USA den der Korruption bezichtigten Politikern wie dem Ex-Direktor der Obersten Finanzbehörde DGI, Byron Jerez, das Einreisevisum.

Das war das späte Startsignal zum Auftakt der Jagd, obwohl schon seit Jahren allgemein bekannt war, welch hohe Summen unter anderem auch von der Katastrophenhilfe nach dem Hurrikan MITCH (1998) in die weiten Taschen der Regierenden geflossen sind.

Von 1990 bis 2001 hat Nicaragua 7,019 Milliarden US Dollar an Entwicklungshilfe bekommen - den höchsten Betrag 1991 mit 1,051 Milliarden US Dollar nach Abwahl der sandinistischen Regierung - quasi als Belohnung.

In den letzten 5 Jahren flossen 2,492 Milliarden US Dollar nach Nicaragua - pro Jahr etwa 498 Millionen US Dollar. Davon 55 Prozent Schenkungen und 45 Prozent Kredite.

Von jedem US Dollar, der über die Weltbank und die interamerikanische Bank für Entwicklung nach Nicaragua kam, gingen 60 Cents in die Stärkung der Verwaltung - d.h. in die Taschen von Regierung und Funktionären. Im Korruptionsindex liegt Nicaragua auf Platz 77 - nur Bolivien und Ecuador gelten in Lateinamerika als noch korrupter

Nach Analysen führender Wirtschaftsexperten hat Nicaragua die schlechteste Aussenhandelsbilanz sämtlicher lateinamerikanischer Staaten. Dem Exporterlös von 600 Millionen US Dollar (überwiegend durch Kaffee, Fischerei und Turismus) standen 2001 Importe in Höhe von 1.600 Millionen US Dollar gegenueber.

Eine Situation, die unter anderem nur durch die uber Jahre anhaltend hohen Remesas (Geld das die im Ausland lebenden Nicas ihren Familien schicken) in etwa in der Waage gehalten wurde. Offiziell betragen diese Remesas uber 400 Millionen US Dollar pro Jahr - Experten schätzen sie auf uber 600 Millionen US Dollar.

Daneben wird von der Regierung die Innen-Schuld mit etwa 800 Millionen US Dollar angegeben. Davon sind 75 Prozent durch die Crashs der verschiedenen Staats- und Privatbanken verursacht. Seit 1997 sind 5 Banken (Banades, Bamer, Interbank, Banco de Cafe, Banic) durch betrügerische Manipulationen zusammen gebrochen und die Verluste meist von der nicaraguanischen Zentralbank aufgefangen worden - das heisst vom nicaraguanischen Volk.

Die Folgen all dessen sind, Nicaragua ist das ärmste spanisch sprechende Land auf dem Globus. Von den etwa 5,3 Millionen Menschen (2002) leben 47,8 Prozent in Armut und 17,3 Prozent in extremer Armut. Auf dem Land erreicht die Extreme Armut bei den Kleinbauern, die unter den schweren klimatischen Katastrophen der letzten Jahre (Dürre und Ueberschwemmungen als Folge von El Niño) leiden und von den allgemeinen Kreditsystemen ausgeschlossen sind bis zu 76 Prozent.

Ein Prozent der Bevölkerung (die Reichsten) haben 15,6 Prozent der nationalen Einkommens - 10 Prozent (die etwas weniger Reichen) verbrauchen nochmal 44,7 Prozent des nationalen Gesamteinkommens. Das heisst 11 Prozent der Bevölkerung konsumieren 60,3 Prozent des Gesamteinkommens und für den Rest, immerhin 89 Prozent der Bevölkerung bleiben die restlichen 39,7 Prozent.

Dokumente belegen, dass Ex-Präsident Arnoldo Aleman sein Vermögen bei Amtsantritt als Bürgermeister von Managua (1991) von 25.000 US Dollar auf jetzt beim Ausscheiden als Präsident auf die geschätzte Summe von 250 Millionen US Dollar gebracht hat. Und das alles nur durch ehrliche Arbeit.

Für die Mehrheit der Menschen in Nicaragua bedeutet dies immer noch, dass von 1000 Lebendgeborenen 17 während des ersten Monats sterben und 22 nicht das erste Lebensjahr beenden - 45 Kinder sterben bevor sie 5 Jahre alt sind. Nicaragua ist immer noch neben Guatemala das Land mit der höchsten Kindersterblichkeit und Müttersterblichkeit (250 Mütter auf 100.000 Geburten) in Zentralamerika.Drei von zehn Kinder sind unterernährt.

Etwa 45 Prozent aller nicaraguanischen Kinder gehen nicht zur Schule - in der Stadt von 10 Jugendlichen nur 6 und auf dem Land nur 2. Die Notwendigkeit, dass Kinder arbeiten müssen, ist der häufigste Grund nicht in die Schule zu gehen.

Von 100 Kindern im Vorschulalter haben nur 23 die Möglichkeit eine Vorschule zu besuchen. Laut UNESCO beträgt die Rate der Analphabeten auf dem Lande bis 53%.

Obwohl Jahr für Jahr wegen der anhaltend hohen Geburtenrate die Bevölkerung um 2,7 Prozent zunimmt, wurden in den letzten Jahren der Haushalt für Bildung und Gesundheit permanent gekürzt.

In der Bildung hat das zur Folge, dass der Haushalt dieses Jahr nur für 1.314.856 Schüler reicht - das sind 35.000 weniger als in 2001. Besonders betroffen sind Secundaria und Erwachsenenbildung.

In der Gesundheitsversorgung heisst das, dass staatliche Krankenhäuser und Centros de Salud ohne Medikamente sind und die Patienten sogar das Nahtmaterial zur Operation mitbringen müssen.

Die derzeitige Gesundheitsministerin Lucia Salvo meinte bei Amtsübernahme, sie habe ein Gesundheitssystem auf der Intensivstation übergeben bekommen.

In den 80igern wurde Nicaragua von der WHO als das Entwicklungsland mit dem besten Gesundheitssystem gelobt.

Was bleibt - Nicaragua Land der verlorenen Träume !