80 Jahre Arbeiterfotografie
Dokumentation der Veranstaltung(wird weiter vervollständigt)
Dokumentation der Ausstellungen(wird weiter vervollständigt)
Resonanz in den Medien
Es ist ein ganz besonderes Jubiläum, dass die Arbeiterfotografie nunmehr seit 80 Jahren existiert und aus der deutschen Medienwelt nicht mehr wegzudenken ist. Als Forum für Fotokunst, kritische Fotografie und Sozialfotografie, als Galerie und Fotoredaktion ist die Arbeiterfotografie seit ihrer Gründung 1927 in Erfurt den Grundsätzen ihres Schöpfers Willy Münzenberg treu geblieben, eine wirksame Gegenöffentlichkeit zur bürgerlichen Bild- und Pressewelt zu schaffen und damit vielen den Zugang zu einer anderen Gedanken- und Erfahrungswelt zu ermöglichen. Gerade heute, in einer Zeit der für die Demokratie ungesunden Medienkonzentration hat die Bedeutung der Arbeiterfotografie zugenommen. Dass viele den Entwicklungen einer von mächtiger Seite gesteuerten Meinungsbildung nicht mehr trauen, zeigt, dass im vergangenen Jahr die Menschen rund fünf Millionen mal den Weg zum Internetportal der Arbeiterfotografinnen und - fotografen gefunden haben, um sich zu informieren. Viele Zeitungen und Zeitschriften bedienen sich aus dem Angebot des Verbandes, weil – so sagen viele – die Arbeiterfotografie „ehrliche" Fotodokumente bereit stellt.

John Heartfield

Fotomontage: John Heartfield (mehr dazu hier)

Vom 26.10. bis zum 28.10.2007 wird dieser Entwicklung durch öffentliche Veranstaltungen im Stadtgarten Erfurt Rechnung getragen. Die Arbeiterfotografie möchte mit einem Festakt all den Freundinnen und Freunden, ihren Mitgliedern und Förderern für ihr großes Engagement danken und lädt deshalb die interessierte Öffentlichkeit ein, an den Ausstellungen, Vorträgen und Diskussionen um einen längst überfälligen medienkritischen Diskurs teilzunehmen. Und vielleicht gelingt es, gegen die herrschende Meinungsbildung ein Zeichen zu setzen, das in künftigen medienpolitischen Debatten nicht unbeachtet bleiben kann.

    „Die ungeheuere Entwicklung der Bildreportage ist für die Wahrheit über die Zustände, die auf der Welt herrschen, kaum ein Gewinn gewesen; die Photographie ist in den Händen der Bourgeoisie zu einer furchtbaren Waffe gegen die Wahrheit geworden. Das riesige Bildmaterial, das tagtäglich von den Druckpressen ausgespieen wird, und das doch den Charakter der Wahrheit zu haben scheint, dient in Wirklichkeit nur der Verdunklung der Tatbestände. Der Photographenapparat kann ebenso lügen wie die Setzmaschine."

    (Bertolt Brecht 1931)

Überblick zur Entwicklung der Arbeiterfotografie

Bilder sind unverzichtbare Mittel, um Botschaften massenwirksam zu verbreiten. Bildern haftet Beweiskraft an. Bei Bildern kommt es aber auch auf die Sichtweise an. Was wird wann wozu fotografiert? Die Fotografie war schnell Bestandteil der Massenmedien, organisiert über Fotoagenturen. Die Medien der Arbeiterbewegung waren zunächst auf diese Agenturen angewiesen und sahen immer dringender die Notwendigkeit, auch Bildmaterial zu haben, das die Welt und die Auseinandersetzungen aus ihrer Sicht illustriert. Mit der Zeitschrift „Der Arbeiterfotograf“ begann die Bewegung der Arbeiterfotografen, die sich im April 1927 im Erfurter ‚Volkshaus’ zur „Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands“ organisierte. Mit Gästen aus der Sowjetunion, aus Belgien, aus England und aus der Tschechoslowakei fand die Gründungsversammlung statt.

Der bürgerlichen Medienmacht die Sicht der Arbeiterklasse in ihren Medien entgegen zu setzen und mit ihren Bildern Einfluss zu nehmen, war Anliegen der Arbeiterfotografen und sie hatten damit auch eine eigene ästhetische Bildsprache geschaffen, die in der kurzen Zeit bis 1933 beachtliche Aufmerksamkeit erzielte. Die Namen Eugen Heilig, Erich Rinka, Ernst Thormann zeugen heute noch von der bedeutenden fotografischen Qualität der Arbeiterfotografie der 1920er und 1930er Jahre. John Heartfield schuf seine Foto-Montage-Kunst in enger Verbindung mit den Arbeiten der Arbeiterfotografie. Wie alle Vereinigungen der Arbeiterbewegung konnte auch die „Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands“ das Jahr 1933 nicht überleben.

In der Bundesrepublik erfolgte 1978 in Essen die Neugründung des Bundesverbandes der Arbeiterfotografie. Absicht und Selbstverständnis ihrer Mitglieder knüpfen an den damaligen Intentionen der Arbeiterfotografen an. Die technischen Möglichkeiten haben sich verändert. Das Medium Fotografie ist durch die Digitalisierung schneller geworden, die Verbreitungsmöglichkeiten durch das Internet sind größer geworden. Aber das Vertrauen der Menschen in diese digitale Fotowelt ist gesunken. Eine Herausforderung für die Arbeiterfotografie, die Menschen für kritisches Sehen und Denken zu sensibilisieren.

Haupt-Veranstaltungsort:
Stadtgarten, Dalbergsweg 2a (am Karl-Marx-Platz), 99084 Erfurt

Veranstaltungsort Stadtgarten
Schirmherrschaft:
Andreas Bausewein (Oberbürgermeister der Stadt Erfurt)
Luc Jochimsen (Bundestagsabgeordnete)
Mittwoch, 10.10.2007

17 Uhr - Ausstellungseröffnung 'Deutschlandreise'

Thüringer Landtag, Fraktion ‚Die Linke’, Arnstädter Str. 51, 99096 Erfurt

Es sprechen:
Dieter Hausold, Vorsitzender der Fraktion 'Die Linke' im Thüringer Landtag
Jochen Vogler, Vorsitzender des Bundesverbands Arbeiterfotografie
Hans-Dieter Hey, Vorstand des Bundesverbands Arbeiterfotografie

Musikalischer Rahmen: Bernd Fränzel, Saxophon
Donnerstag, 25.10.2007

18 Uhr - Ausstellungseröffnung

Stadtwerke-Forum, Magdeburger Allee 34, 99086 Erfurt

Es spricht:
Dr. Eckhardt Schön, Vizepräsident der Gesellschaft für Fotografie (GfF) und Vorsitzender des Landesverbands Thüringen
Freitag, 26.10.2007

16 Uhr - Verlegung einer Gedenktafel

Haus Tivoli - Magdeburger Allee/Ecke Mehringstraße

Gedenktafel 80 Jahre Arbeiterfotografie

Entwurf der Bronzeplatte: Stolpersteinkünstler Gunter Demnig


18-22 Uhr - Eröffnungsveranstaltung

Eintritt: frei

Stadtgarten, Dalbergsweg 2a (am Karl-Marx-Platz), 99084 Erfurt
Samstag, 27.10.2007

9-13 Uhr - Foto-Exkursionen

Treffpunkt: Anger (Platzmitte)
  • Spur der Vergangenheit (Topf und Söhne-Gelände, Gedenkstätte Buchenwald)
    Bus: 5 Euro
  • Stadtumbau Ost (Neubaugebiete, alte Fabrikgebäude)
15-18 Uhr - Arbeiterfotografie zwischen gestern und heute

Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro

Stadtgarten, Dalbergsweg 2a (am Karl-Marx-Platz), 99084 Erfurt
20 Uhr - Konzert Frank Baier & Band

Stadtgarten, Dalbergsweg 2a (am Karl-Marx-Platz), 99084 Erfurt

Eintritt: 15 Euro, ermäßigt 10 Euro

Frank Baier und Bandzur website von Frank Baier

(mit Mitgliedern der Gruppe ‚Sons of Gastarbeita’)
Sonntag, 28.10.2007

10-15 Uhr - Medienpolitisches Forum - 'Wie frei ist die Meinungsfreiheit?'

Stadtgarten, Dalbergsweg 2a (am Karl-Marx-Platz), 99084 Erfurt

Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 5 Euro
Tagungsbeitrag komplett:

20 Euro, ermäßigt 13 Euro (Buchenwald-Bus extra)

Spenden:

Der finanzielle Aufwand für Veranstaltungen und Ausstellungen ist erheblich. Deshalb bitten wir dringend um Spenden (ab 20 Euro gegen steuerabzugsfähige Spendenquittung).

Arbeiterfotografie e.V., Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20, Kto. 101 656-203
Stichwort '80 Jahre'

Anmeldung bitte bei:

Hans-Dieter Hey, Marsiliusstr. 49, 50937 Köln
eMail: hans.dieter.hey@arbeiterfotografie.com

bitte angeben:

Nachname, Vorname
Postadresse (Straße, PLZ, Ort)
eMail-Adresse

und, woran teilzunehmen beabsichtigt ist:

o Eröffnungsveranstaltung
o Fotoexkursion Spur der Vergangenheit
o Fotoexkursion Stadtumbau Ost
o Arbeiterfotografie zwischen gestern und heute
o Konzertveranstaltung
o Medienpolitisches Forum
Unterstützer:

Rosa-Luxemburg-Stiftung ver.di IG Metall Alternative 54 e.V.

junge Welt Freitag Ossietzky Unsere Zeit Sozialistische Zeitung

Neues Deutschland Neue Rheinische Zeitung


Dank an:
Ernst-Thormann-Archiv Berlin
Sparkasse Mittelthüringen
und an RT Reprotechnik.de GmbH, Köln/Erfurt, für die Unterstützung bei der Ausstellungsproduktion.

Ausstellungen
Aktuelle und historische Fotografien und Fotoprojekte


Das Auge der Arbeiterklasse
Historische Arbeiterfotografie der 20er und 30er-Jahre

Stadtwerke-Forum, Magdeburger Allee 34, 99086 Erfurt
26.10. bis 15.11.2007, mo-fr 8-18 Uhr, Ausstellungseröffnung: do, 25.10.2007, 18 Uhr

Das Auge der Arbeiterklasse

Eugen Heilig, 1930, Hunger im Frankenwald (mehr dazu hier)


Die Liebe höret nimmer auf
Grabstätten führender Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft

Stadtwerke-Forum, Magdeburger Allee 34, 99086 Erfurt
26.10. bis 15.11.2007, mo-fr 8-18 Uhr, Ausstellungseröffnung: do, 25.10.2007, 18 Uhr

Die Liebe höret nimmer auf

Krupp-Friedhof, Essen (mehr dazu hier)


Deutschlandreise
Fotografien aus dem Deutschland der 80er und 90er-Jahre

Thüringer Landtag, Fraktion ‚Die Linke’, Arnstädter Str. 51, 99096 Erfurt
11.10. bis 13.11.2007, mo-fr 9-17 Uhr, Ausstellungseröffnung: 10.10.2007, 17 Uhr

Deutschlandreise

Berlin, Brandenburger Tor, 3. Oktober 1990 (mehr dazu hier)


Die Brücke von Varvarin
Fotografien von Gabriele Senft über den NATO-Angriff auf ein Dorf in Serbien

Augustinerkloster, Kreuzgang, Comthurgasse 7, 99084 Erfurt
26.10. bis 20.11.2007, mo-fr 10-17, sa-so 11-14 Uhr

Die Brücke von Varvarin

Gabriele Senft, Varvarin (Jugoslawien), 1999 (mehr dazu hier)


Rettet den Reichtum
Plakate zur Demontage des Sozialstaats

ver.di Thüringen, Schillerstr. 44, 99096 Erfurt
26.10. bis 30.11.2007, mo-do 8-17, fr 8-14 Uhr

Rettet den Reichtum

Plakat, 2006 (mehr dazu hier)


Bilder für eine bessere Zukunft
Aus Reportagen der Arbeiterfotografie

Cafeteria in der Uni-Bibliothek, Nordhäuser Str. 63, 99089 Erfurt
26.10. bis 21.12.2007, mo-fr 9-21 Uhr, sa 10-15

Bilder für eine bessere Zukunft

München, 2002 (mehr dazu hier)


Kommunikation im öffentlichen Raum
Fotografische Arbeiten von Karin Richert

Cafeteria in der Uni-Bibliothek, Nordhäuser Str. 63, 99089 Erfurt
26.10. bis 21.12.2007, mo-fr 9-21 Uhr, sa 10-15

Kommunikation im öffentlichen Raum

Karin Richert (mehr dazu hier)


Spots
Historisches, Heartfield, Palast, Sozialraub, Montagsdemo, Anti-NS, Anti-Krieg...

Stadtgarten, Saal, Dalbergsweg 2a (am Karl-Marx-Platz), 99084 Erfurt
26.10. bis 21.12.2007, do 15-24 Uhr (außer während Veranstaltungen) u.n.Vereinbarung 0361/6531 9988

Spots

Brüssel, 2005


Heute noch ein König,...
Schwarze Inszenierungen von Hans-Dieter Hey

Stadtgarten, Cafe, Dalbergsweg 2a (am Karl-Marx-Platz), 99084 Erfurt
26.10. bis 2.12.2007, mo-so 15-01 Uhr

Heute noch ein König,...

Hans-Dieter Hey, 2006,
'Heute noch ein König, morgen schon Hartz 4' (mehr dazu hier)



Arbeiterfotografen Thüringen stellen sich vor

RedRoxx, Pilse 29, 99084 Erfurt
26.10. bis 30.11.2007, mo-fr 12-20 Uhr

Arbeiterfotografen aus Thüringen

Uwe Pohlitz, Erfurt, 2003


Mauern
von der Berliner Mauer über Fabrikmauern bis hin zu anderen Mauern der Gegenwart

GlassBox der Uni Erfurt, Nordhäuser Str. 63, 99089 Erfurt
18.11. bis 21.12.2007, mo-so 0-24 Uhr

Mauern

Bethlehem, 2005 (mehr dazu hier)


Hier gibt's die Pressemitteilung (120 KB) und ein Faltblatt (10 MB) als PDF-Datei
Werbung an Straßenbahnen
vom 10. bis 29. Oktober 2007 zwölf Banner mit drei verschiedenen Motiven
(von Heino Pflaum, Karin Richert und Hans-Dieter Hey)

Straßenbahn

Straßenbahn

Straßenbahn

Straßenbahn Straßenbahn

Straßenbahn Straßenbahn

Schulung des kritischen Sehens und Denkens
Begrüßungsansprache von Andreas Bausewein, Oberbürgermeister der Stadt Erfurt

Andreas Bausewein

Susan Sontag schrieb in ihrem Essayband 'Über Fotografie': „Durch Fotos kann eine moralische Position zwar nicht geschaffen, wohl aber verstärkt und – im frühen Entwicklungsstadium – gefördert werden.“ Und sie ergänzte: „Voraussetzung für eine moralische Beeinflussung durch Fotos ist die Existenz eines relevanten politischen Bewusstseins.“ Politisches Bewusstsein, meine Damen und Herren ist genau das, was die Arbeiterfotografie seit nunmehr 80 Jahren auszeichnet und deren Bewegung dereinst hier in Erfurt ihren Anfang nahm.

Sehr geehrte Frau Dr. Jochimsen, sehr geehrter Herr Vogler, meine sehr geehrten Professoren Boström und Meggle, sehr geehrte Frau Fikentscher, Herr Schölzel, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Freunde und Förderer der Arbeiterfotografie.

Ich freue mich, Sie in der Thüringer Landeshauptstadt begrüßen zu können und heiße Sie herzlich im Stadtgarten Erfurt willkommen. Wer weiß schon, dass die Bewegung der Arbeiterfotografen mit der Zeitschrift „Der Arbeiterfotograf“ hier in Erfurt begann? Im April 1927, als sich im Erfurter Volkshaus die 'Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands' organisierte.

Bis heute ist sie den Grundsätzen ihres Schöpfers Willi Münzenberg treu geblieben: Nämlich eine Gegenöffentlichkeit zur bürgerlichen Bild- und Pressewelt und damit Möglichkeiten zu neuen Gedanken- und Erfahrungswelten zu schaffen.

Die damalige Gründung war keine lokale Angelegenheit. Vielmehr fand die Gründungsveranstaltung mit internationaler Beteiligung aus der Sowjetunion, Belgien, England und der Tschechoslowakei statt. Namen wie Eugen Heilig, Erich Rinka oder Ernst Thormann zeugen noch heute von der bedeutenden Qualität der Arbeiterfotografie der 20er und 30er Jahre und einer eigenen ästhetischen Bildersprache.

Doch wie alle Vereinigungen der Arbeiterbewegung, überlebte auch die 'Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands' das Jahr 1933 nicht. 1978 in Essen als „Bundesverband der Arbeiterfotografie“ wieder gegründet, feiert sie in diesem Jahr zu Recht ihren 80. Geburtstag.

Sie, meine sehr verehrten Vereinsmitglieder, haben ein unglaublich gehaltvolles Programm auf die Beine gestellt. Herzlichen Dank für Ihr Engagement und die Würdigung Erfurts als Wiege dieser Bewegung. Sie bereichern das kulturelle Leben der Landeshauptstadt damit um ein ganz besonderes – und in der Form noch nie da gewesenes – Ereignis.

Gerne habe ich daher die Schirmherrschaft für das Jubiläumsprojekt „80 Jahre Arbeiterfotografie – 80 Jahre Gegenwind“ übernommen. Mit Ihren Ausstellungen, Vorträgen, Diskussionen und Fotoexkursionen laden Sie die Erfurterinnen und Erfurter zu einem medienkritischen Diskurs ein. Und hinterfragen dabei insbesondere den Begriff der Wirklichkeit. Wahrheit.

Wir alle wissen um die Macht der Bilder – das ist eine Lektion, die ich insbesondere während meiner Amtszeit als Oberbürgermeister schnell gelernt habe. Bilder ziehen unweigerlich die Aufmerksamkeit auf sich. Sie werden wahrgenommen und vor allem werden die auf ihnen dargestellten Dinge für wahr gehalten. Doch spiegeln sie deswegen unweigerlich die Wahrheit wieder? Susan Sontag sagte dazu: „... die von der Kamera aufgezeichnete Realität wird zwangsläufig stets mehr verbergen als sie enthüllt.“ Ich meine, dass Susan Sontag mit dieser Behauptung recht hat.

Bei einem so machtvollen Medium wie dem Bild muss man stets hinterfragen: Wann wurde es wozu fotografiert? Eine objektive Wahrheit kann es nicht geben, wohl aber eine, die – wie in diesem Fall – den Anforderungen der Arbeiterbewegung entspricht. Also ein von Mitgliedern dieser Schicht geschaffenes Abbild der Arbeiterinnen und Arbeiter, ihrer Arbeitswelt und ihrer sozialen Wirklichkeit - mit dem sich die betreffenden Personen identifizieren und in dem sie sich wiederfinden können.

Oder, den heutigen Verhältnissen angepasst, eine kritische Auseinandersetzung – sprich Information, Aufklärung und Gegenposition – mit und über bildnerische Mittel und Zusammenhänge zwischen Massenmedien/Presse, Politik und Wirtschaft. Wie wichtig Aufklärung ist, zeigt auch der wachsende Grad an Verunsicherung seitens der Konsumenten. Denn erst mit der zunehmenden Digitalisierung und der Verbreitung entsprechender Bildbearbeitungsprogramme auch auf heimischen PCs wurde vielen Menschen bewusst, wie leicht Fotos manipulierbar sind. Von daher freue ich mich, dass die Arbeiterfotografie der Schulung des kritischen Sehens und Denkens bis heute treu geblieben ist. Nicht umsonst hinterfragt das Forum am Sonntag den Begriff der Meinungsfreiheit im Kontext gefilterter Informationen – die mit der zunehmenden Medialisierung eine neue Qualität erlangt.

Ich möchte mich ganz herzlich bei den Organisatoren der Jubiläumsveranstaltung bedanken: Dafür, dass Sie diesen Festakt in Erfurt bestreiten und dafür, eine kritische Debatte zum Mediengeschehen anzustoßen.

Lassen Sie mich wiederum mit einem Zitat von Susan Sontag enden, das die Ambitionen der Arbeiterfotografinnen und -fotografen meiner Meinung nach treffend widerspiegelt: „Fotografieren bedeutet an den Dingen, wie sie nun mal sind, interessiert zu sein...“
Widerstand gegen die Medienapparate der herrschenden Kräfte
Begrüßungsansprache von Lukrezia Jochimsen, MdB Die Linke, Ex-Chefredakteurin beim HR-Fernsehen

Lukrezia JochimsenLukrezia (Luc) Jochimsen (links neben ihr: Prof. Georg Meggle und Arnold Schölzel)

Sehr verehrter Herr Vorsitzender, verehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren!

Ich habe die Schirmfrauschaft zu Ihrer Festveranstaltung sehr gern übernommen. Obwohl mein erster Gedanke war: Arbeiterfotografie - muss es die heute überhaupt noch geben? Ist es in der Tat im Zeitalter der digitalen Film- und Fototechnik, in dem jede Frau und jeder Mann im Prinzip durch die einfache Bedienung einer Kamera das fotografische Minimum beherrscht, noch nötig, die Tradition der Arbeiterfotografie fortzuschreiben? Der tägliche Einsatz der digitalen Fotografie bei nahezu jedem Anlass ist ein Fortschritt. Das Medium ist billiger geworden, es ermöglicht auch ein Mehr an persönlicher Freiheit. Die Frage ist: Ob diese Entwicklung nicht einhergeht mit einer generellen Entpolitisierung?

Aber erstens ist auch das Private, dem alten Leitsatz folgend, politisch, und zweitens waren es gerade Fotos, die für private Zwecke aufgenommen wurden, die zur Entlarvung barbarischer Handlungen führten. Man denke hier nur an die als privat gedachten "Triumphbilder" von Wehrmachtsangehörigen, die mit ihren ermordeten Opfern posierten, an die auch privaten fotografischen Aufschreie aus dem Vietnam-Krieg und nicht zuletzt an die Folterbilder aus Abu-Ghraib, die die menschenverachtenden Praktiken der US-Besatzer im Irak aufzeigten und mit dazu beitrugen, den von Anfang an verlogenen Freiheitsdiskurs der USA zu dementieren.

Es ist festzuhalten: Die technische Privatisierung eines Mediums muss nicht zwangsläufig zur Entpolitisierung führen, sie hebt jedoch auch keinesfalls die Notwendigkeit einer bewussten politischen Orientierung im Umgang mit dem Medium Fotografie auf. Das Brecht-Wort gilt noch immer, dass "die Photographie (...) in den Händen der Bourgeoisie - heute würde man sagen des kommerziellen Unterhaltungs- und Konsumkomplexes - zu einer furchtbaren Waffe gegen die Wahrheit geworden (ist)." Und weil es noch immer gilt und gelten wird, bis die herrschenden Verhältnisse grundlegend verändert und wirklich demokratische Lebensbedingungen geschaffen worden sind, muss es eine engagierte Fotografie geben.

In Ihren zehn Thesen zur engagierten Fotografie fand ich zwei, die ich als besonders bemerkenswert erachte:

Die vierte These sagt aus, dass sich engagierte Fotografie durch ihren Verwendungszusammenhang definiert. Das ist völlig richtig. Isoliert dastehende Fotos können stets zu irreführenden Aussagen führen. Die Schule der Arbeiterfotografie setzt auf den Kontext: Straßenhandel, um gerade so zu überleben, Polizeigewalt und Ausbeutung auf dem Lande wurden bereits von der Zeitschrift "Der Arbeiter-Fotograf" in den späten 1920er Jahren dokumentiert. Aber eben nicht als Selbstzweck, Berauschung oder Sozialromantik, sondern als eindringlichen Aufruf zur Umwälzung der Verhältnisse, in denen nach Marx der Mensch "ein erniedrigtes und geknechtetes Wesen" ist. Ihr gegenwärtiges Publikationsorgan "Arbeiterfotografie" dokumentiert genauso eindringlich die heutigen Schauplätze der Verachtung des Menschen durch den Menschen, und wieder steht die Kontextualisierung der Bilder im Mittelpunkt der fotografischen Arbeit. Die erste Aufgabe heute, vor allem gegen den Krieg die Öffentlichkeit zu mobilisieren, wird ernst genommen und damit verbunden die Frage wieso es zu dieser Barbarisierung der Welt wieder kommen konnte.

Was Arbeiterfotografie heute in den verschiedenen technischen Formen, ob analog oder digital, und in unterschiedlichen Arbeitsumfeldern, ob als Profi oder als Laie, leisten kann, verdeutlicht sich für mich in der siebenten These zur engagierten Fotografie. Sie lautet nämlich, dass den Medienapparaten der herrschenden Kräfte Widerstand entgegengebracht werden muss. Das ist mit Sicherheit das Schwerste, eine Bürde, die einzelkämpferisch nicht zu bewältigen ist. Und allein der individuelle Rückzug aus der Medienlandschaft führt weder zu einem Engagement noch zu einem offenkundig unmöglich gewordenen Anhalten der Medienmaschine. Genau hier bedarf es engagierter Fotografie, die sich auch weiterhin in der Tradition der Fotoklassik, der Fotoavantgarde und der Fotomontage weiterentwickelt hat. Die Neugründung des Verbandes "Arbeiterfotografie" im Jahre 1978 hat eine kollektive Plattform des medialen Widerstandes geschaffen, die nicht unwesentlich das Wachhalten von Gegenöffentlichkeit befördert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! An den Beiträgen dieses Wochenendes ist die Vielschichtigkeit Ihrer Bemühungen recht genau zu erkennen die Tradition der kritisch-engagierten Fotografie fortzusetzen. Da Sie mich auch gebeten haben, einige Gedanken beizutragen zum gesellschaftskritischen Auftrag des Journalisten, ein paar Anmerkungen:

Erstens ist der Journalismus überhaupt nur denkbar auf der Basis einer Gesellschaftskritik. Journalistische Arbeit entstand als die Pressefreiheit den Mächtigen abgerungen wurde - sie beginnt mit der französischen Revolution. Sie hatte zwei Aufgaben: zum einen als Chronist und zum anderen zugleich als Analytiker des Zeitgeschehens - ein emanzipatorischer Abwehrakt gegenüber der vorherigen Hofberichterstattung. Dieser Arbeit verdanken wir die vielen Erkenntnisse über die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die ohne einen kritischen Journalismus nicht in das Licht der Öffentlichkeit gebracht worden wären. Aber die Hofberichterstattung hat nie aufgehört zu existieren. Sie manifestiert sich heute in den Enthüllungsdramen der Boulevardpresse und deutlicher und verheerender noch in den Untiefen des Berater-"Journalismus" und der Wirtschafts-Public-Relations, die in jedem Fall als Beratungs- und Wirtschaftspropaganda bezeichnet werden müssen.

Obwohl auch diese Bereiche von herrschenden Kräften gezielt gefördert werden und eine quantitative Zunahme dieser publizistischen Produkte zu verzeichnen ist, ist der kritische Journalismus noch! nicht verdrängt. Warum? Vielleicht, weil Menschen überall Wahrheit wissen wollen und nach der Wahrheit suchen. Es ist schwer, gegen die Manipulationen der Wahrheit im Zeitalter der Medienüberflutung anzukämpfen, aber es ist immerhin möglich.

Zweitens: wenn von einem gesellschaftskritischen Auftrag des Journalisten die Rede ist, so müssen auch eigene individuelle ethische Positionen und die Fragen nach Moral und Gewissen benannt werden. Darf ein kritischer und engagierter Journalist alles benennen und darf die engagierte Fotografie alles zeigen? Es ist sicher richtig, dass die Darstellung des Leidens der Menschen so ausführlich wie möglich erfolgen sollte, solange die Bedingungen, die dazu führen, fortexistieren. Nichtsdestotrotz gehört die Beachtung einer zivilisatorischen Moralgrenze ebenfalls zum gesellschaftskritischen Auftrag des Journalisten, damit verhindert wird, dass die Barbarei zur Elends- und Todesromantik verklärt und als angeblich naturgegeben hingenommen wird. Hier läuft der Widerstand gegen die Herrschenden vor allen Dingen auf der Schiene der Abwehr jeglichen Voyeurismus.

Drittens: Verschärfen sich die Probleme für gesellschaftskritische Journalisten in Zeiten von Kriegen. "Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.", lautet der Grundsatz, der für die kriegführenden Parteien wie ein ehernes Gesetz ihre Motive für den Krieg begleitet. Dennoch ist es dem kritischen Journalismus und einer engagierten Fotografie, seit Erfindung der Standfotografie zum Beispiel im Krim-Krieg von 1853-1856, immer wieder gelungen, im Verlauf kriegerischer Auseinandersetzungen die Militärzensur auszuhebeln und zur Entlarvung des Krieges mit sprachlichen und bildlichen Mitteln beizutragen. Kritischer Journalismus konnte Kriege früher und heute nicht verhindern, lieferte jedoch Informationen zur Aufklärung der Bevölkerung und trug damit zur Beendigung des Krieges bei - zuletzt im Vietnam Krieg. Seitdem der Krieg in unseren Tagen gegen geltendes Völkerrecht durchgesetzt, in asymmetrischen Verlaufsformen durchgeführt und mit offensichtlichen Lügen und Falschmeldungen legitimiert wird, ist es dem kritischen Journalismus gelungen, fast gleichzeitig mit dem Kriegsanfang gegen ihn zu berichten und zu polemisieren.

Aber diese nahezu erreichte Gleichzeitigkeit von Kriegsentfesselung und kritischer Berichterstattung, ja Entlarvung nutzt nichts. Der Krieg wird weiter geführt. Die Wahrheit spielt keine Rolle mehr, weil die Mächtigen zu stark sind.

Das ist die Situation, in der wir uns heute alle befinden - wir Leser, Beobachter, Betrachter und Macher von Bildern und Reportagen, Texten, Erzähler von Geschichten. Die verändernde Macht der Bilder gegen alle beschriebenen Widerstände aufrecht zu erhalten - das wünsche ich uns und der Arbeiterfotogafie.

Es ist eine schwere Aufgabe, aber es gibt keine Alternative. Eigentlich sind wir wieder an den Punkt an dem die französische Revolution 1789 schon einmal war: Die Pressefreiheit muss aufs Neue und auf eine andere Weise den Mächtigen abgerungen werden.
Stimmen zur Arbeiterfotografie
Vorgetragen von Juliane Kolata und Anna Lühmann vom Jugendtheater 'Die Schotte'

Juliane Kolata und Anna Lühmann Juliane Kolata und Anna Lühmann

Juliane Kolata und Anna Lühmann Juliane Kolata und Anna Lühmann

  • liebe Leute, Glückwunsch, Ihr macht eine wunderbare Arbeit - ohne Euch wäre die Bewegung grauer und noch weniger sichtbar. Danke für Euren Einsatz
  • Eure Fotografien provozieren und rütteln auf in einer zugekleisterten Welt
  • Junge, Junge, was seid Ihr für bekiffte Wirrköpfe...
  • für Euch sollte man sie wieder einführen: Anstalten mit Eisentüren und zwar solchen, wo drüber steht: ARBEIT MACHT FREI! Das ist der richtige Ort für Euch Penner
  • Ihr seid sehr wichtig für all unsere Aktionen und für mich als Mensch
  • Eure Arbeit streichelt die Seele.
  • echt verdienstvoll, was Ihr macht!
  • Eure Position ist so erbärmlich... Mitleid mit Euch wäre schon zuviel der Güte.
  • ...toll, was Ihr zusammenstellt!
  • Nachdem... Klaus Staeck angesichts der SPD-Politik leider verstummt ist, bin ich begeistert, dass die Arbeiterfotografie sich der leeren Nische bemächtigt hat... Merke: Zusammenhänge in kurzen Texten unterzubringen, ist eine Kunst, die wenige können
  • Ich habe wirklich keine Lust mehr, mir diese verbohrte anti-amerikanische Hetze anzutun... ich werde mir mal überlegen, welche Maßnahmen ich gegen Euch ergreife.
  • Eure website ist hervorragend! Weiter so! Ich lese sie gerne und bin vollauf Eurer Meinung!
  • Idiotie ist ein Menschenrecht... Ich habe heute Ihre Website besucht und ihre Kommentare gelesen. So einen Schwachsinn habe ich seit langem nicht mehr gelesen. Glauben Sie den Quatsch eigentlich?
  • laßt mich mit Eurer Islamistensolidarität, Verschwörungstheorien usw. in Zukunft in Ruhe!
  • ich finde diese website wirklich beeindruckend, sie deckt die wahren Fakten auf!
  • ich habe gerade Eure beeindruckende Fotostrecke 'Kommentare zur Politik der Reformen' gesehen und bin absolut begeistert.
  • ich finde Eure Hasskampagne bedeppert. Die sozialen Reformen waren absolut notwendig
  • Gratuliere den Erstellern dieser website und bedanke mich für die Zeugnisse der Arbeiterkultur.
  • streicht mich vom Verteiler. Die unerträglichen Aussagen zum Thema Iran und 9/11 haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Mit Antisemiten und Verschwörungstheoretikern möchte ich nichts zu tun haben.
  • das habt Ihr wunderbar gemacht, Hut ab! Überhaupt Eure Bilder und Texte! Eure 9/11-Beiträge...
  • so, nun hab ich mir endlich mal die Zeit genommen, Eure website etwas gründlicher kennen zu lernen... Respekt...
  • Zur Hölle mit Euch!
  • Diese Giftküche hat bei mir... nichts zu suchen
  • Hallo, aktive FotografInnen, ein großes Lob an Euch wegen der wichtigen und guten Fotos!!!
  • ich möchte mich bei Euch bedanken für die Kontinuität der Information, fürs Dranbleiben an den Themen, für Eure Schnelligkeit, mit der die Informationen im Netz sind. Ihr seid einfach großartig.
  • Mit großem Interesse verfolge ich eure Veröffentlichungen...
  • Schämt euch, Leute, schämt euch...
  • Es ist von jeher das Recht und die Pflicht des Journalismus gewesen, Meinung zu bilden - und das durch Aufklärung. Ihr seid eine kleine Minderheit, die sich daran hält.
  • SUPER Fotos!
  • Super Reportage... Die Montage zur Vermögensverteilung ist einfach nur klasse. Werde sie auf unserer Internetseite einbinden. Danke!
  • Hi, geile Fotos und geniale Homepage
  • Mir kommt gleich die Kotze hoch... Einfach peinlich, ekelhaft, unglaubwürdig...
  • Ihr seid so dumm. Und jetzt geht sterben...
  • Wenn die Arbeiterfotografie-Website nicht innerhalb von 48 Stunden eingestelt wird... werdet ihr seelenlosen Hunde dafür bezahlen. Mit bombigen Grüßen...
  • Wenn Rupert Murdoch und die CIA 20.000 Bildmanipulierer in 24-Stunden-Einsatz haben, braucht es mindestens eine, aber an sich noch viel mehr Arbeiterfotografie!
  • Viel Wahrheit und Ermutigung weiterzudenken
  • Großartig!!!
Juliane Kolata und Anna Lühmann

Arbeiterfotografie – Die Wörter
Laudatio von Georg Meggle, Professor für philosophische Anthropologie und Kognitionswissenschaften an der Uni Leipzig

Prof. Georg Meggle

Die 'Arbeiterfotografie' umfasst nicht nur Fotos; sie artikuliert sich auch in Worten. JÖRG BOSTRÖM wird gleich noch zu den Bildern der Arbeiterfotografie sprechen; mein Metier sind eher die Wörter – und zwar jetzt speziell der Gebrauch von Wörtern im Kontext einer Demokratie. Dazu zunächst ein Minimum an Philosophie (TEIL I); und dann (TEIL II) deren Anwendung auf die Worte der Arbeiterfotografie.

TEIL I

Auch Demokratien gibt es nicht umsonst. Ihr Funktionieren hängt an bestimmten Voraussetzungen. Eine der wichtigsten: Die Bürgerinnen und Bürger müssen imstande sein, sich über die öffentlichen Belange ihr eigenes Urteil zu bilden. Dies erfordert a) ein möglichst breites und b) ein möglichst vorurteilsfrei präsentiertes Informationsangebot. Und das wiederum setzt voraus, dass man zwischen Tatsachenfragen einerseits und Bewertungen andererseits unterscheiden kann.

Das wollen viele nicht; und oft fällt diese Trennung auch wirklich schwer. Trotzdem: Sie ist möglich. Ob z.B. eine Festnahme feindlicher Soldaten einfach als Gefangennahme bezeichnet wird oder als Kidnapping oder gar als Terrorakt, das macht, wie jeder hören kann, einen Riesenunterschied aus. Und es ist absolut klar, welcher dieser Begriffe zu verwenden wäre, wenn mit der betreffenden Nachricht nicht schon die Vorverurteilung mittransportiert werden soll. Und ebenso klar ist, welche Formulierung man wählt, wenn man mit diesem Akt einen neuen Krieg rechtfertigen will.

Zwischen Fakten einerseits und deren Bewertung andererseits möglichst zu trennen, diese Forderung bedeutet nicht, dass auf Bewertungen verzichtet werden muss. Ganz im Gegenteil: Beurteilen heißt schon bewerten. Die Fähigkeit zu einem kritischen Urteil – kurz: Urteilskraft – besitzt aber nur, wer nicht blind, sondern nach Maßgabe nachvollziehbarer und damit ihrerseits kritisierbarer Bewertungskriterien bewertet.

Bewertungskriterien sind nicht beliebig; vor allem die wichtigsten nicht: die moralischen. Dafür nur zwei elementare Belege: (1) Egoismus ist per se unmoralisch: Wer nur seine eigenen Interessen gelten lässt, mag kurz- oder langfristig noch so rational sein – moralisch richtig ist sein Tun nicht. Das gilt auch für den Kollektiven Egoismus, wonach die Interessen des eigenen Stammes, der eigenen Nation, der eigenen Kultur im Zweifelsfall immer mehr zählen als die Interessen der anderen. Der zweite Beleg: (2) Ob ein Tun moralisch richtig ist oder nicht, hängt letztlich allein daran, was getan wird, nicht daran, wer es tut. Die Tötung Unschuldiger ist ein Verbrechen, egal, ob von einem Palästinenser oder von einem Israeli begangen. Aus diesen Belegen ergibt sich bereits das so genannte Verbot einer Doppelmoral.

Nur so viel zu meinen philosophischen Prämissen. Was diese über den Zustand unserer Medien – und damit auch über den Zustand unserer Demokratie – besagen, das überlasse ich an dieser Stelle gerne Ihrem eigenen Urteil. Ich will nur noch mal die drei Fragen benennen, die für eine Beurteilung dieser Zustände relevant wären.
  • Wie wird mit den Fakten umgegangen?
  • Wie mit den jeweiligen Begriffen?
  • Wie steht es mit den Bewertungen? Sind diese auch nur minimal konsistent oder folgen sie einem doppelten Standard?
TEIL II

Diese drei Fragen klingen sehr elementar. Und sie sind es auch. Im Prinzip könnte sie jedermann stellen. Trotzdem zeigt die Erfahrung: Sie werden relativ selten gestellt. Ich möchte sogar behaupten: Wer als normaler Medienkonsument aufgewachsen ist, muss sich selber zu diesen Fragen erst regelrecht zwingen. Eine kritische Rezeption der Medien ist für uns jedenfalls nicht der Normalfall. Darin liegt die ganze Macht der Medien. Wer diese Macht – und sei es auch nur durch permanentes Nachfragen – in Frage stellt, der wird schnell zum Dissidenten.

Die Worte der Arbeiterfotografie zeichnen sich vor allem durch die Hartnäckigkeit und Klarheit wie Deutlichkeit ihres bohrenden Nachfragens aus. (ANNELIESE FIKENTSCHER spricht hier bescheiden von der „Beharrlichkeit im Handwerk des Fragens“; AF, Heft 88, S. 10.) Der Dissidentenstatus der Arbeiterfotografie ist von daher eine Selbstverständlichkeit. Zudem beschäftigt sich die Arbeiterfotografie nicht mit irgendwelchen Fakten, Begriffen und Bewertungen, sondern primär mit solchen, die – jedenfalls in demokratietheoretischer Hinsicht – zu den allerwichtigsten gehören; und sie konzentriert sich speziell auf solche Themen, von denen andere – auch die meisten anderen Dissidenten –lieber die Finger lassen: 11. September, Israel/Palästina, Iran – und „Warum die Medien funktionieren, wie sie funktionieren“.

Zu den Fakten. Zum Beispiel zu denen des 11. September 2001. Welche Fakten sind das? Welche dürfen wirklich als gesichert gelten? Welche sind bloß Hypothesen? Wie wahrscheinlich sind sie jeweils? Wie passen sie zu einem kohärenten Bild zusammen? Wo tauchen eklatante Widersprüche auf? Das sind ganz normale Fragen. Warum sollten solche Fragen ausgerechnet bei dem Ereignis nicht gestellt werden, das seither zur Rechtfertigung von allem herhalten muss, was sich ohne dieses Ereignis nicht hätte rechtfertigen lassen?

Die Arbeiterfotografie lässt auf ihren Netzseiten solche Fragen zu. Macht sie das zu einem Forum für Verschwörungstheorien? Wie antwortet man auf diesen Vorwurf am besten? Meine Antwort wäre: Nun, warum eigentlich nicht? Nochmal: Warum eigentlich nicht? Wer meint, den reflexartig vorgebrachten Vorwurf der Verschwörungstheorie ebenfalls reflexartig bestreiten zu müssen, der ist bereits der primitiven Propaganda dieses Vorwurfs erlegen. Dabei ist schon die Prämisse dieses Vorwurfs völlig schief: Eine Verschwörungstheorie ist nicht schon deshalb falsch, weil sie eine Verschwörungstheorie ist. Dafür gibt es in der Geschichte einfach zu viele Gegenbeispiele: Man denke nur an die Iden des März, an das berühmte „remember remember: the fifth of september“ oder die Iran-Contra-Affäre, bei der einige Insider der derzeitigen US-Administration maßgeblich beteiligt waren. Ferner: Darf man zum 11. September einen Verdacht wirklich nur dann äußern, wenn dieser bereits zweifelsfrei bewiesen ist? Warum sollten speziell bei diesem Datum Indizienargumente verboten sein? Zudem: Die offizielle Version ist selbst eine Verschwörungstheorie. Und selbst wenn diese, wohl kontrafaktisch, noch so gut belegt sein sollte, es besteht kein Grund, sie schon deshalb für wahr zu halten, weil sie die offizielle Version ist. Das sollte vielmehr eher gegen sie sprechen: Oder haben wir etwa schon vergessen, dass es die erste Busch-Administration war, die öffentlich erklärte, dass sie, wenn es denn den Interessen der Nation dient, weltweit auch von den Mitteln der Desinformation Gebrauch machen werde – und dazu auch gleich die entsprechenden Institutionen geschaffen bzw. ausgebaut hat? Ich bin, wie die meisten von uns, kein 11. September-Experte; aber wenn ich mich entscheiden müsste, wem ich mehr Glauben schenke – Dick Cheney z.B. oder Andreas von Bülow – , so wäre mir meine Wahl klar.

Zur zweiten Ebene: Zu den Begriffen. Die ARBEITERFOTOGRAFIE macht den üblichen Begriffswirrwarr nicht mit. „Dies ist kein Krieg“ – mit diesem Satz hatte Gerhard Schröder im März 1999 den Deutschen den Beginn des Angriffskrieges der NATO gegen Restjugoslawien verkündet. Dies war ein perfektes Beispiel für das, was man „semantische Kriegsführung“ nennt. Solche Lügen sind für die Arbeiterfotografie ein Greuel. Sie nennt Krieg Krieg, Vertreibung Vertreibung, Verbrechen Verbrechen.

Und, drittens, die Arbeiterfotografie spielt das weithin übliche Spiel der Doppelmoral nicht mit. Nicht einmal im Fall Israels. Die israelische Strategie der „gezielten Tötungen“ rangiert für die Arbeiterfotografie unter „Mord“; die israelische Mauer, wo sie eine Mauer ist, ist für sie nicht nur ein Sicherheitszaun; auch israelische Kriegsverbrecher sind für sie Kriegsverbrecher, die nach Den Haag überstellt werden sollten. Die Reaktion von Seiten extremistischer Neo-Zionisten überrascht daher überhaupt nicht: Auch die Arbeiterfotografie sieht sich, wie andere Israel-kritische Stimmen auch, dem Vorwurf ausgesetzt, der bei uns – völlig zu Recht – als der schlimmste aller möglichen Vorwürfe gilt: dem des Antisemitismus. Wie einem Missbrauch dieses Vorwurfs wirksam zu begegnen ist, das gehört zu den Problemen, zu deren Klärung unserer Justiz bisher der nötige Mut fehlt. Umso wichtiger ist es daher zu betonen: Eine Kritik an der Politik Israels ist nicht schon an sich ein Beleg für eine antisemitische Einstellung. Die Arbeiterfotografie weiß auch in diesem Punkt sehr wohl zu differenzieren – und so wird sie sich auch durch die mit Sicherheit zu erwartenden weiteren rufmörderischen Versuche hoffentlich nicht einschüchtern lassen.

Sich dem unhinterfragten Konsens der Medien nicht einfach zu beugen, mit kritischem Nachfragen vielmehr, wie es IMMANUEL KANT in seiner Schrift „Was ist Aufklärung?“ forderte, sich auch öffentlich des eigenen Verstandes zu bedienen, dazu gehört auch in einer Mediendemokratie das, was uns die Medien nur allzu selten lehren: Mut. Der der Arbeiterfotografie fehlt es an diesem Mut bislang wahrlich nicht!

Nur noch ein Beispiel: Es gibt, wie Sie vielleicht wissen, viele Anzeichen dafür, dass wir auf einen weiteren Krieg zusteuern. Den gegen Iran. Die dazu nötige Kriegsmaschinerie ist seit Monaten einsatzfähig. Die übliche Vorkriegspropaganda nimmt Fahrt auf. Zu ihr gehört die Dämonisierung des Gegners; der fällige Hitlervergleich darf nicht fehlen. Dessen Rolle spielt in den westlichen Medien derzeit der iranische Präsident Ahmadinedschad. Dieser soll angedroht haben, Israel von der Landkarte zu tilgen. Prüfen Sie selbst: Sie werden derzeit kaum einen Artikel zum Iran zu lesen bekommen, in dem diese Androhung der physischen Vernichtung Israels nicht als Argument dafür verwendet wird, dass es dieser Bedrohung zuvorzukommen gilt. Diese Rechtfertigung des bevorstehenden Präemptivkrieges hat nur einen Haken: Sie ist eine Fälschung. Ahmadinedschad Worte wurden falsch übersetzt. Die Arbeiterfotografie war, soweit ich weiß, die erste deutsche Quelle, die diesen Sachverhalt aufgedeckt hat – und bisher auch die einzige (www.arbeiterfotografie.com/iran/iran-0028.shtml). Der englische Guardian hat inzwischen darüber berichtet (www.guardian.co.uk/commentisfree/story/0,,1788542,00.html und www.arbeiterfotografie.com/iran/iran-0025.shtml). Wenn Sie einen weiteren deutschen Beitrag dazu kennen, bitte informieren Sie mich. Bis dahin habe ich weiterhin den schrecklichen Verdacht: Auch die deutschen Medien wollen diesen Krieg.

Ich schließe mit einem dreifachen Wenn-Dann-Satz. Wenn es, wie ich begonnen hatte, erstens, richtig ist, dass das Funktionieren einer Demokratie vom Urteilspotential ihrer Bürger abhängt und dieses wiederum, zweitens vom Aufklärungspotential unserer Medien, und wenn somit, drittens, die kritische Begleitung der Medienpraxis zu den wichtigsten demokratischen Pflichten gehört, dann – so schließe ich – haben sich die Arbeiterfotografie und speziell deren Autoren ANNELIESE FIKENTSCHER und ANDREAS NEUMANN durch ihre Arbeit um unsere Demokratie verdient gemacht. Also:
  • Gratulation!
  • Behaltet Euren Mut und macht weiter so!
  • Und für das Bisherige sagen wir Euch, liebe ANNELIESE und lieber ANDREAS, wie auch allen anderen Beteiligten ein Herzliches Dankeschön!
Frank Baier & Band
Konzert am Samstag, 27.10.2007

Frank Baier & Band Frank Baier & Band

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