Berlin, 19.1.2013 (3) - "Wir haben Agrarindustrie satt" - Demonstration anläßlich der "Grünen Woche"Bilder

Massenprotest in Berlin fordert die Agrarwende

Bericht und Einschätzung (Teil 3) zur Demonstration von br

Zu dem Protestzug unter dem Motto "Wir haben es satt" der über 25.000 gegen das Bauernlegen, gegen Gentechnik im Essen und Tierquälerei rief ein Bündnis aus mehr als 90 Organisationen auf, darunter Umwelt- und Tierschutzverbände, Entwicklungsorganisationen und Landwirte. Die Demonstranten forderten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik. Sie warfen der Bundesregierung vor, bei der Reform der EU-Agrarpolitik "Steigbügelhalter für die Agrarindustrie" zu sein, statt die Forderungen der Zivilgesellschaft durchzusetzen.

Mit Trommeln und Kuhglocken verschafften die Teilnehmer auch akustischihrem Protest Gehör. Auf massenhaft verteilten Flugblättern war zu lesen: Agrarbusiness global schafft Hunger, Leid und Armut: Folgen industrieller Massentierhaltung:...50% der Weltgetreideernte wird an Tiere verfüttert! Zunehmend wird wertvolle Pflanzennahrung auch in "Bio-Sprit" umgewandelt! Jährlich aber verhungern 6 Mio. Kinder in armen Ländern. Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen! Tiere als "Ware" leiden lebenslang...

Was uns wütend macht: Dass das Land zum Spekulationsobjekt für Großkapital geworden ist. Dass die Kleinbäue_innen ... überall auf der Welt vom Land vertrieben werden. Dass jährlich tausende Hektar landwirtschaftlicher Fläche für...Infrastrukturprojekte im Interesse der Betonindustrie vergeben werden. Dass die Flächen für die Produktion von Lebensmitteln immer mehr für die Produktion von Energie versiegelt werden. Dass die Produktion von Bioprodukten immer mehr von einer Bioindustrie kontrolliert wird, die die Kleinbauern vom Markt verdrängt.

Dass "Rapunzel" in Billiglohnländern wie der Türkei Bäuer_innen vertraglich für die Produktion von Bioprodukten bindet und die Preise diktiert. Dass die Armut in vielen Ländern Afrikas von der Bioindustrie ausgenutzt wird, um billige Bioprodukte nach Europa zu bringen. Dass die Träger der Biogütesiegel sich nicht konsequent zu sozialen Fragen äußern. Dass die Verteidigung der Kleinbetriebe kein Ziel der Biobranche ist. Dass überall in der Landwirtschaft Menschen ausgebeutet werden, vor allem diejenigen, die keine Rechte haben, weil sie keine Papiere besitzen. (...)

In einem Flugblatt einer linken Gruppe heißt es: "Die Frage ist aber nicht nur wer, sondern auch wie produziert wird. (...) Der einzige Weg zu gesunden Nahrungsmitteln für alle – weltweit – ist die Abschaffung des Profitprinzips bei der Erzeugung von Lebensmitteln. Das wird im kapitalistischen System nicht möglich sein – (...) Enteignung und Überführung der Agrar- und Lebensmittelkonzerne in öffentliches Eigentum (...)".

In dem auf der Großdemonstration verteilten Flugblatt (Positionsblatt) des ´Tierärztlichen Forums für verantwortbare Landwirtschaft` steht unter anderem: "Es hat sich gezeigt, dass tierärztliche Arbeit an den systembedingten tierschutzrelevanten Symptomen und Begleiterscheinungen der industriemäßigen Tierhaltung nichts an der Grundproblematik verbessern konnte. Vielmehr wirkt fachlich gute Arbeit letztlich als Stütze des kranken Systems – ein Dilemma." (Tierärztliches-Forum@gmx.de).

Bereits 2011 waren während der "Grünen Woche" mehr als 20.000 Menschen und 2012 zirka 23.000 auf die Straße gegangen, um gegen Dioxinskandale, Gentechnik im Essen und Tierleid zu protestieren. Auf der "Grünen Woche" als "weltgrößter Leistungsschau der Ernährungswirtschaft" präsentierten Aussteller aus vielen Ländern ihre Angebote.

Die Veranstalter erwarteten auch 2013 wieder rund 400.000 Besucher auf dem Messegelände unter dem Funkturm zum großen Fressen.

Für eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft marschierten die Demonstranten vor das Bundeskanzleramt. Ihr Protest richtete sich unter anderem gegen Massentierhaltung, Pestizid-Einsatz auf den Feldern und einen wachsenden Preisdruck auf Kleinbauern, sowie gegen die Spekulation von Banken, Agrar- und Chemiekonzernen mit Nahrungsmitteln.

Allen Protesten zum Trotz wird jedoch die Deutsche Bank zum Beispiel auch künftig mit Wetten auf die Preise von Agrarrohstoffen Geld verdienen. Der Vorstandsvorsitzende Jürgen Fitschen kündigte dies auf der Grünen Woche in Berlin an. Es gäbe keine Beweise für einen Zusammenhang mit dem Hunger in der Welt.

Banken und Fonds ködern Anleger mit der Aussicht auf hohe Gewinne bei steigenden Rohstoffpreisen, insbesondere für Nahrungsmittel. Je höher der Brotpreis, umso höher der Gewinn, lautet die zynische Formel bei diesen Wetten. Je mehr spekuliert wird, desto stärker schwanken die Preise und umso unberechenbarer werden die Märkte, vor allem für Verbraucher_innen wie für die Bäuerinnen und Bauern. Je größer der Hunger in der Welt, desto größer die Gewinne für die transnationalen Agrarkonzerne und Banken.

Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) wies in den Medien die Kritik der Demonstranten zurück: "Wer eine Agrarwende fordert, muss sehen, was Deutschland hier schon geleistet hat: Wir sind bei der Ökologisierung der Landwirtschaft weiter als die meisten Staaten Europas", erklärte sie.

Regierungsvertreter aus rund 80 Staaten haben in Berlin am Rande der "Grünen Woche" deutlich mehr Investitionen für die Landwirtschaft in Entwicklungsländern angemahnt. Ziel sei, das "Agrar-Potenzial weltweit zu nutzen" und den "Umwelt- und Klimaschutz" zu berücksichtigen, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) nach einem Treffen mit ihren Amtskollegen. Hunger herrsche vor allem in ländlichen Regionen, viele Betroffene seien Kleinbauern. Deswegen sei die "Landwirtschaft der Schlüssel zur Lösung des Problems". "Für mehr öffentliche und private Investitionen müssten die Rahmenbedingungen vorhanden sein, etwa politische Stabilität".

Die Lebensmittelindustrie steht immer wieder in der Kritik. Sie gilt als Hauptmanipulator des Verbrauchers. Wenn die Hersteller beispielsweise schreiben, dass in einem Produkt kein Glutamat – ein Geschmacksverstärker – enthalten ist und sie stattdessen das juristische Hintertürchen Hefekonzentrat nutzen, dann darf sich der Verbraucher zu Recht hintergangen fühlen. Denn Hefekonzentrat wird häufig ebenfalls als Geschmacksverstärker eingesetzt.

Mit Geschmacksverstärkern und Aromen kann man Mängel kaschieren und somit billigere Rohstoffe verwenden. Wer ohne geschmacksverstärkende Zusätze arbeitet, muss ordentliche Rohstoffe nehmen, damit es schmeckt. Die sind teuer. Weil der Verbraucher aber keinen Unterschied merkt, orientiert er sich am Preis. Und diesen Wettbewerb verliert der Qualitätshersteller.

Lebensmittelherstellung ist Hightech. Um zu verstehen, was da passiert, in der ganzen Kette von der Landwirtschaft bis zum Supermarkt, sind eigentlich bei jedem Produkt schon mehrere Studiengänge erforderlich.

Zunehmend wird mit dem ökologischen Qualitätssiegel "in der Region hergestellt" geworben. Meist wird die ökologische Bilanz durchaus verbessert, wenn Konsumenten regionalen agrarischen Produkten gegenüber von weit her transportierten Produkten den Vorzug geben. Doch nicht immer ist der Rückgriff auf regionale Produkte automatisch sinnvoll.

Der CO2-Ausstoß der niederländischen Gewächshäuser zum Beispiel schlägt rund sechs Mal stärker zu Buche als der des Transports von kenianischen Blumen, die dort im Freien gute Wachstumsbedingungen finden. Die Bilanz für die Bedürfnisse und Lebensbedingungen der Bevölkerung, wie auch für die Wasserversorgung in Kenia sind jedoch ein anderes Problem.

Es wird oft so getan, als ob die Menschheit im Kapitalismus problemlos ernährt werden könnte, wenn sie das Getreide selber essen würde statt es an die Tiere zu verfüttern. Doch kann der Mensch einen erheblichen Teil des geernteten Getreides nicht essen. Schon allein deshalb, weil die Witterung nicht immer so ist, dass Weizen, der als Brotgetreide angebaut wurde, auch als Brotgetreide verwendet werden kann. Zudem kann man auf vielen Böden kein Brotgetreide anbauen, oder das Futtergetreide wird als Zwischenfrucht eingesetzt, um wieder vernünftiges Brotgetreide ernten zu können. Das heißt, die Tiere verwerten Getreide, das Menschen nicht essen können. Zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen auf dieser Erde werden zum Weiden von Tieren genutzt. Diese Flächen sind überwiegend nur zur Nutzung durch Tiere geeignet. Da können zum Beispiel aus klimatischen Gründen kein Getreide und Gemüse angebaut werden.

Aber mittlerweile ist weithin bekannt, dass es sich bei der Behauptung, "Tierhaltung sei für einen geschlossenen Betriebskreislauf notwendig", um ein fest verwurzeltes reaktionäres Dogma handelt, das sowohl durch die landwirtschaftliche Praxis als auch von verschiedenen Wissenschaftler_innen längst als solches entlarvt wurde. Mit Fleisch- und Milchprodukten wird der Großteil der Nährstoffe dem Betriebskreislauf entzogen, sodass von einem geschlossenen Kreislauf keine Rede sein kann.

Futterpflanzen sind häufig Leguminosen, welche den Boden mit Stickstoff anreichern. "Vieh"lose und bio-vegane Betriebe nutzen gerade diesen Effekt, indem sie leguminosenhaltige Gründüngung auf einem Teil der Flächen anbauen. Statt den Aufwuchs zu verfüttern, können Beete und Anbauflächen damit gemulcht oder Kompost daraus bereitet werden, der im Gegensatz zu Frischmist und Gülle weder giftig, triebig, noch von Auswaschung bedroht ist.

Auch beim "Biofleisch" ist letztendlich die Klimabilanz nicht gut und wenn eine Gesamtbilanz aufgestellt wird, die Welternährungssituation, Flächenverbrauch, Ökologie, Gesundheit und den Tierschutz einschließt, dann kann die Schlussfolgerung nur sein: Wir müssen weg von der Tierhaltung, hin zu einer effizienten Verwendung pflanzlicher Kalorien.

Es gibt bereits zahlreiche Bio-Betriebe des "vieh"losen Ökolandbaus, die bio-vegan wirtschaften und ökologischen Anbauverbänden angeschlossen sind.

Auf der Großdemonstration "Wir haben es satt" machte auch die "Umweltschutzorganisation" ´Greenpeace e.V.` die Umweltvergiftung, die Gentechnikproblematik und die Klimakatastrophe auf Transparenten, mit Aktionsgruppen und in ihren verteilten Publikationen zum Thema:

"Steigende Durchschnittstemperaturen, Extremwetter, Stürme, Überschwemmungen und lange Trockenzeiten (...). Die Landwirtschaft ist dabei Opfer und Täter. (...) Vermehrte Witterungsextreme wie Starkregen oder Wirbelstürme führen zu Ernteschäden oder Totalausfällen. Der steigende Meeresspiegel überflutet niedrig gelegene landwirtschaftliche Nutzflächen. betroffen sind vor allem die dicht besiedelten küstennahen Kornkammern vieler Länder. Weite Teile von Bangladesch oder Flussdeltas wie am Nil versalzen und werden für die Lebensmittelerzeugung unbrauchbar. Durch den Rückgang der Gletscher verschlechtert sich außerdem die Wasserversorgung vieler Landstriche, so zum Beispiel am Fuße des Himalayas und der Anden.

(...) Die Saatgut- und Chemiekonzerne, allen voran Monsanto, Bayer, Dupont, Syngenta und BASF, richten mit Pestiziden große ökologische Schäden an. (...) Genpflanzen-Hersteller wie Monsanto und BASF, Bayer und Pioneer vermarkten ihre Produkte als Rezept gegen den Welthunger Gentechnik fördert aber durch Patente auf das Saatgut die Monopolstellung weniger Agrarkonzerne. Deren Abnehmer, meist Kleinbauern, geraten in eine Abhängigkeit. Können sie sich das Gensaatgut und die darauf abgestimmten Pestizide nicht mehr leisten, ist ihre Existenz bedroht. (...)

Gentechnisch veränderte Pflanzen können sich nicht nur durch direkte Verbreitung über ihre Samen ausbreiten. Über ihren Pollen, übertragen durch Wind oder Insekten, verunreinigen sie Nachbarfelder oder Wildpflanzen. (...)

Hunger und Armut sind in erster Linie ein politisches und soziales Problem: Über 880 Millionen Menschen hungern weltweit, obwohl ausreichend Lebensmittel produziert werden. Verursacht wird dies durch unfaire Handelsbedingungen, Kriege, politische Strukturen und fehlenden Zugang zu Ressourcen wie Land, Wasser, Saatgut oder finanzielle Mittel. Allein mehr Lebensmittel zu produzieren, kann den Hunger also nicht besiegen. auch Klimawandel und Wetterextreme beeinflussen die Landwirtschaft und damit die weltweite Lebensmittelproduktion. Betroffen sind in erster Linie Kleinbauern und Konsumenten in den Ländern des Südens. (...)

Mit Patenten versucht sich die Industrie, ein Monopol über die Landwirtschaftliche Produktion und Ernährung zu verschaffen. Patente im Bereich Landwirtschaft können exklusive Rechte über Saatgut, Ernte bis hin zu den Lebensmitteln beinhalten. Die Konzerne diktieren dann, wer was zu welchen Bedingungen und Preisen anbauen und verkaufen darf: vom Weizen bis zum Brot, vom Mais bis zum Popcorn. (...)

Die Kette von Skandalen reißt nicht ab. Im Preiskampf um die billigsten Nahrungsmittel bieten die Supermärkte Masse statt Qualität: Im Einkaufskorb landet pestizidbelastetes Obst und Gemüse sowie Fleisch, das zu über 90 Prozent aus der Massentierhaltung stammt. Auch die Gentechnik ist nicht vom Tisch: Über die Futtermittel bahnt sie sich den Weg zum Verbraucher. (...)"

Das Label "Klimaschutz" ist Etikettenschwindel. "Grüne" Energien, Agrosprit- und Biogasproduktion stoppen nicht die Erderwärmung – im Gegenteil. Wenn der unregulierte Ausbau der sogenannten grünen Energie so weitergeht wie bisher, wird genau das zerstört, was der "Klimaschutz" vorgibt erhalten zu wollen, nämlich Natur, Artenvielfalt und Lebensraum für den Menschen.

80 Prozent der erneuerbaren Energien weltweit stammt aus Wasserkraftnutzung und nicht aus Windkraft oder Solaranlagen. Weltweit sind über 5.000 Staudämme im Bau, allein in Amazonien 600 mittlere und 60 Megadämme. Das ist eine Folge des Klimaschutzgedankens, der besagte, alles was kein CO2 ausstößßt ist gut. Dass die exzessieve Nutzung der Wasserkraft im Kapitalismus auch zu Naturzerstörung, Vertreibung von Menschen, Ausrottung von Tieren und Pflanzen und zur Vernichtung von bäuerlichen Existenzen führt, wird übergangen.

"Hehre Rhetorik, klägliche Ergebnisse: Immer neue Uno-Klimagipfel haben im Kampf gegen die Erderwärmung versagt", schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin ´Der Spiegel` im Dezember 2012. "Experten verlangen nun eine Abschaffung der Mega-Tagungen und einen Tabubruch: Die Welt müsse den Anstieg der Temperaturen hinnehmen - und konkret vor Ort gegen die Folgen kämpfen. (...) Wie lange aber wollen die rund 20.000 Uno-Delegierten als Vertreter der Staaten noch von Gipfel zu Gipfel reisen, um die Hoffnung auf einen weltweiten Vertrag zu schüren?"

Text "Massenprotest in Berlin fordert die Agrarwende" Teil 4