Berlin, 19.1.2013 (4) - "Wir haben Agrarindustrie satt" - Demonstration anläßlich der "Grünen Woche"Bilder

Massenprotest in Berlin fordert die Agrarwende

Bericht und Einschätzung (Teil 4) zur Demonstration von br

"Auf tierische Nahrung zu verzichten, ist ein uraltes philosophisches Gebot. Aus Griechenland, Großbritannien und Indien kamen wichtige Impulse. Im Laufe der Zeit wiederholten sich die Motive: Askese, Ethik, Ökologie." (auf der "Wir haben es satt"-Demo verteilter Fleischatlas 2013 Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel, Heinrich Böll Stiftung, BUND, Le Monde diplomatique)...

Von England ausgehend bildeten sich im 1.Jahrhundert in vielen Ländern Vegetarier-Clubs und -verbände. Von den Folgen der industriellen Revolution, der Proletarisierung und Verstädterung abgestoßen, bildeten die Vegetarier zunächst eine romantische Opposition. Neben der Zivilisationskritik bildeten sich auch asketische und tierschützende Strömungen. Bürgerlich-religiöse Kreise ließen sich vom Arzt und Theologen Albert Schweitzer und seiner Devise "Ehrfurcht vor dem Leben" beeinflussen.

In Deutschland gab es nach der Zeit der faschistischen Diktatur nur langsam eine Wiederbelebung des Vegetarismus, der sich anfällig für reaktionäre, völkische und rassistische Theorien erwiesen hatte und zeitweilig als nationalsozialistische Modeerscheinung missbraucht wurde.

Die Tierrechtsbewegung und der Veganismus zählen zu den jüngsten Strömungen, für die der Konsum von tierischen Produkten nicht in Frage kommt und somit auch nicht der Verzehr von Leichenteilen. Die Tierrechtsbewegung sieht Menschen und Tiere als gleichwertige Teile einer gemeinsamen Gesellschaft; sie lehnt Nutzung und Ausbeutung ab. Aktivisten der Bewegung bezeichnen die Tötung von Tieren als Mord. Der Veganismus führt ethische, aber auch ökologische und globalisierungskritische Argumente ins Feld. Er wurzelt im Vegetarismus, lehnt aber nicht nur tierische Lebensmittel ab, sondern auch die Verwendung tierischer Produkte wie Wolle und Leder und solche mit tierischen Bestandteilen, zum Beispiel in Kosmetika und Medikamenten.

Von den zehn größten Fleischhändlern der Welt haben sieben ihren Hauptfirmensitz in den USA. Ihre Effizienz beruht darauf, dass sie Futtermittelhandel, Tierproduktion, Schlachtung und Handel mit Fleisch unter einem Dach abwickeln. Ihre Gewinne maximieren sie durch globale Vernetzung und Marktkenntnis, indem sie die kulturell und sozial bedingten Essgewohnheiten in der ganzen Welt ausnutzen.

So essen viele deutsche und viele US-Konsumenten das weiße Brustfleisch des Geflügels. Die restlichen Teile werden dann billig in Länder mit vorwiegend ärmeren Konsumenten verkauft. Auf diese Weise zerstörten in den 1990er Jahren europäische Billigexporte die Geflügelproduktion im westafrikanischen Ghana, das sich anders als etwa Russland nicht mit protektionistischen Maßnahmen wehren konnte.

Die EU subventioniert mit öffentlichen Geldern die europäischen Fleischmultikonzerne deren Umsätze ständig weiter wachsen. Vor allem deutsche Fleisch-Fabriken werden immer größer. Zwischen 2009 und 2012 wurden in Deutschland mehr als 2,5 Millionen Schweinemastplätze genehmigt. Deutschland ist zur Billigfleisch-Weltmacht geworden. Das Filet bleibt auf dem deutschen Markt, der Rest geht um den Globus. Deutschland entwickelte sich zum größten Fleischexporteur der Welt, zum Massenfleisch-Produzenten für die Welt, mit drastischen Folgen für Tiere, Menschen und Umwelt.

Deutsches Billigfleisch verdrängt die heimische Produktion im Ausland. Schwerpunkt der Fleischindustrie in Deutschland ist Niedersachsen. Entlang der Autobahn 31, dem Chicken-Highway Niedersachsens, warten mehr Hühner auf ihre Ermordung als das Land Einwohner hat.

Weitere Folgen der Massentierhaltung resultieren aus dem immensen Antibiotika-Einsatz, ohne den ein Großteil der Tiere noch vor ihrer Schlachtreife sterben würden; desweiteren aus der Überdüngung der Böden durch die anfallende Gülle und durch die Lärm- und Feinstaub-Belastung für die Anwohner der Mastanlagen, – Anlagen die meist wie Hochsicherheitsgefängnisse mit Nato-Draht und Videoüberwachung geschützt werden.

Durchschnittlich 1094 Tiere verzehrt allein ein Mensch in Deutschland in seinem Leben. Das besagt der veröffentlichte Fleischreport der Bundesregierung. Ein riesiger Berg toter Tiere. Der Report führt auch noch auf, dass auf jedes erzeugte Kilogramm Fleisch (Schwein, Rind, Kalb, Lamm, Geflügel) 170 Milligramm Antibiotika kommen, was wiederum zur Folge hat, dass auch Menschen in Massen antibiotikaresistent werden und im gesundheitlichen Ernstfall dann die medizinische Hilfe versagt.

Aufgrund von Maul- und Klauenseuche stagnierte der Fleischexport zeitweise international. Millionen Tiere wurden getötet, allein um die Seuchen einzudämmen.

Desweiteren sorgt nicht nur der Durst des Viehs für Probleme, sondern beim Wasserverbrauch vor allem die Bewässerung der Futterpflanzen und der Dung aus Massentierhaltungen, der in hoher Konzentration und samt Antibiotikaresten versickert. Der Verbrauch des wichtigsten Lebensmittels weltweit, das Süßwasser, verachtfachte sich allein im vergangenen Jahrhundert. Als Folge dieser Entwicklung hat ein Drittel der Menschheit nicht genug Wasser, und 1,1 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, da Seen, Flüsse, Meere und Grundwasser mit Nährstoffen und Schadstoffen vollgepumpt werden. In vielen Regionen der Welt sinkt der Grundwasserspiegel dramatisch.

In vielerlei Art und Weise wird das Wasser weltweit vergiftet. Allein wer eine gesunde Lebensweise pflegt, glaubt gerne, damit im Einklang mit der Natur zu sein, wenn er sich im Freien bewegt und schwimmt und seine Haut dabei vor schädlicher UV-Strahlung schützt. Doch durch dieses Verhalten werden jährlich zwischen 400.000 und 600.000 Tonnen Sonnenschutzmittel ins Meer gewaschen, die so zum Korallensterben beitragen.

Nicht nur der Kapitalismus, sondern auch der Fleischkonsum gefährden weltweit die Ernährungssicherheit. In Massentierhaltung versklavte "Nutztiere" werden zu einem hohen Anteil mit Nahrung gefüttert, die ebensogut für den menschlichen Verzehr geeignet wäre, vor allem Mais, Soja und Getreide. Diese Nahrung wird somit nicht zuletzt im Hinblick auf die Hungerproblematik regelrecht verschwendet.

Mehr Fleisch in Deutschland wird nur mit immer mehr Kraftfutter erzeugt und wenn die heimischen Äcker dazu nicht mehr ausreichen, werden sie im Ausland besorgt, mit "Landgrabbing" und anderen kolonialistischen Methoden. Auf den abgeholzten Flächen im Amazonas-Becken grasen Millionen von Rindern und auf den alten Weiden Brasiliens wird immer mehr Soja und Zuckerrohr gepflanzt.

Nicht nur in Afrika, auch in Rumänien und in anderen armen Ländern kaufen westeuropäische und andere Investoren in großem Stil Ackerland auf. Kleinbauern verlieren ihre Existenzgrundlage durch »Landgrabbing« vor allem deutscher, italienischer, britischer und anderer Investmentfirmen.

„Keine Gentechnik auf unseren Tellern“, „Das Schwein ist uns nicht Wurst“, „Tiere sind Lebewesen, keine Lebensmittel“, ist auf den Protestplakaten der Großdemonstration "Wir haben es satt!" zu lesen. Auch Gegner der Kaninchenmast protestieren gegen die Politik von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU).

„Frau Merkel, hier stehen doch nicht verrückte Wutbürger“, ruft Maria Heubuch von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft vom Podium bei der Schlusskundgebung vor dem Kanzleramt. „Hier stehen Tausende, die die Auswirkungen Ihrer Politik satt haben.“

Auf dem EU-Gipfel im Februar 2013 wird die Finanzierung für die Agrarsubventionen als größter Teil des EU-Budgets beschlossen werden, mit verheerenden Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Die Tier- und Fleischproduktion gehört zu den profitabelsten Zweigen der Landwirtschaft und trägt vierzig Prozent zum Gesamtwert der weltweiten Agrarproduktion bei, liefert riesige Mengen Fleisch für die globale Mittel- und Oberschicht. Seit den 1960er Jahren zahlt die EG bzw. die EU für Tierhaltung und industrielle Fleischerzeugung jährlich Subventionen in Milliardenhöhe. Durch niedrige Löhne auf Schlachthöfen werden Fleischprodukte noch zusätzlich verbilligt. Der Agrarsektor trägt auch in Deutschland erheblich zur Freisetzung von Treibhausgasen bei und das vor allem durch die Tierhaltung.

Text "Massenprotest in Berlin fordert die Agrarwende" Teil 1