Politische Morde und Fälle, bei denen ein politischer Mord nicht auszuschliessen ist

Enrico Mattei
Am 27.10.1962 unter ungeklärten Umständen mit seinem Flugzeug zu Tode gekommen

Am 27. Oktober 1962 kommt Enrico Mattei, geboren 1906, Chef des staatlichen italienischen Erdölkonzerns ENI, unter ungeklärten Umständen mit seinem Flugzeug zu Tode.

Cover zum Film von Claus Bredenbrock und Bernhard Pfletschinger 'Prozess gegen das Schweigen - Der Fall des Enrico Mattei'

Der 'Spiegel' schreibt in seiner Ausgabe vom 7.11.1962: "Am vorvergangenen Wochenende [...] ereilte ihn sein Schicksal: Enrico Mattei, 56 Jahre alt, Erdgas- und Ölkönig von Italien, Mitbegründer des italienischen Wirtschaftswunders und erfolgreichster internationaler Preisbrecher, stürzte mit seinem Privatflugzeug in der Nähe von Mailand ab." Ähnlich wie der 'Spiegel' in Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 Zweifel am offiziellen Tathergang in den Bereich der Legenden und Mythen zu rücken versucht, geschah dies auch 1962. Er schreibt: "Wie auch immer das Urteil der Experten lauten mag - schon jetzt ist offenkundig, daß die Flugkatastrophe von Mailand Enrico Mattei in jenen Bereich populärer Legenden Eingang verschafft hat, in dem der 1961 über Rhodesien abgestürzte Uno-Generalsekretär Dag Hammarskjöld ebenso residiert wie der 1932 durch Selbstmord geendete schwedische Zündholzkönig Ivar Kreuger. [...] Auch nach dem Selbstmord des Zündholzkönigs Kreuger vermochten die scharfsinnigsten Experten-Urteile nicht die Version zu zerstören, Kreuger sei einem Mordanschlag seiner Konkurrenten zum Opfer gefallen. Ebenso wird sich noch lange Zeit der Mythos halten, Mattei sei seinen Gegnern erlegen."

Die WDR-Fernsehsendung 'Blut und Öl - Die Kriege um das schwarze Gold' vom 28.3.2003 beschäftigt sich nicht mit Mythen und Legenden. Für die Autoren der Sendung besteht Klarheit: es war Mord an einem Industriellen, dessen Handeln und Planen das bestehende Machtgefüge ernsthaft bedrohte. In der Sendung heißt es ohne Umschweife:

"Enrico Mattei, Chef des staatlichen italienischen Erdölkonzerns ENI, schließt Verträge direkt mit erdölproduzierenden Ländern und gefährdet damit die Macht der großen Ölkonzerne. Mit einer Bombe an Bord stürzt sein Firmenjet am 27. Oktober 1962 ab. Nach Matteis Tod wird die ENI wieder zuverlässiger Partner der großen Ölkonzerne." (wdr.de)

Und eine Hörfunksendung von Claus Bredenbrock und Bernhard Pfletschinger (WDR3 am 10.10.1999) bestätigt und ergänzt:

"Er wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs Chef des staatlichen Gas- und Ölimperiums ENI - und damit der mächtigste Mann Italiens. So mächtig, daß er nicht nur die Regierungspolitik, sondern auch die Wahl des Staats-Präsidenten beeinflussen konnte. Enrico Mattei wollte aber noch mehr: Italien aus der Nato in das Lager der blockfreien Staaten führen - und das Monopol des amerikanisch-britischen Erdölkartells brechen. Am 27.Oktober 1962 stürzte der Firmen-Jet der ENI vor der Landung in Mailand ab. Neben Mattei kamen der Pilot und ein amerikanischer Journalist ums Leben. [Wesentlich später] wurde amtlich festgestellt, daß eine Bombe an Bord der Maschine explodiert war. Dazwischen liegen 36 Jahre, in denen eine selbst für Italien beispiellose Vertuschungs- und Desinformationspolitik betrieben wurde, die den Absturz als Unfall und nicht als Folge eines Attentats darzustellen versuchte. Alle Bemühungen, Licht ins Dunkel der Affaire zu bringen scheiterten." (wdr.de)

Im Text zum 1999 entstandenen Film von Claus Bredenbrock und Bernhard Pfletschinger 'Prozess gegen das Schweigen - Der Fall des Enrico Mattei' heißt es:

"Matteis Thesen waren eine ungeheure Provokation. Gegenüber der US-Botschafterin Claire Booth Luce, einer fanatischen Antikommunistin erläuterte er schon 1955 seine Strategie:

Zitat Mattei: 'Das Problem des Antikommunismus kann nicht durch die Polizei gelöst werden. Die Confindustria (Interessenorganisation der Unternehmer) und die privilegierten Klassen sehen das immer noch so - eine Position, die jedoch nicht mehr vertretbar ist. Die Lösung des Problems des Kommunismus in Italien ist nur durch entschlossene soziale und ökonomische Reformen möglich.' Eine Haltung, die für die amerikanische Botschafterin Luce vollkommen inaktzeptabel ist und die sie sofort nach Washington meldet.

In seinem Buch 'Mattei: Oil and Power Politics' schildert der Brite Paul Frankel, zeitweilig auch als Berater für Mattei tätig, daß ihm ein führender Manager einer US-Ölgesellschaft zwei Jahre vor Matteis Tod sagte: 'Ich kann nicht verstehen, warum noch niemand einen Weg gefunden hat, Mattei umzubringen.'

Und der Mattei-Biograph Georgio Galli stellt fest, daß der Tod Matteis in die Jahre fällt, in denen der CIA seit 1961 unter der Führung des ultrakonservativen Republikaners John McCone im In- und Ausland die Eliminierung einer Reihe von Persönlichkeiten organisierte, die sich gegen die Interessen mächtiger amerikanischer Industrieller gestellt hatten. McCone ist als Milliardär und Großaktionär an einer Nutzung der in der Welt bestehenden Ölquellen unter amerikanischer Hegemonie interessiert. Später leitet er den weltweiten Konzern ITT, der für die CIA in Chile wie auch in anderen Staaten Südamerikas Staatsstreiche vorbereitet." (desdev.de)

Mit dem Tod Matteis befaßt sich auch Gerhard Feldbauer, der sich umfassend mit dem Fall Aldo Moro auseinandergestzt hat. In der Tageszeitung 'junge Welt' vom 11.5.1998 schreibt er:

"Mattei, der die staatliche Energiebehörde ENI aufgebaut hatte, der er ab 1953 als Präsident vorstand, trat entschieden der US-amerikanischen Vorherrschaftspolitik entgegen und stand dem Beitritt in die NATO kritisch gegenüber. Er strebte für Italien eine Jugoslawien ähnliche Position an. Besonders radikaldemokratische Positionen vertrat Mattei in der sogenannten 'kommunistischen Frage' [...]. Ausgehend davon, daß die IKP bereits Anfang der 50er Jahre 22 Prozent Wählerstimmen erreichte, forderte der ENI-Chef öffentlich, die Lösung 'der kommunistischen Frage' durch 'kraftvolle soziale und ökonomische Reformen herbeizuführen'. Die weitere Verfolgung dieses 'prokommunistischen Kurses' bedeutete für Mattei 1962 wie 15 Jahre später für Moro das Todesurteil."(jungewelt.de)

Regine Igel widmet dem Fall 'Enrico Mattei' in ihrem 2006 erschienenen Buch 'Terrorjahre' ein ausführliches Kapitel. Darin schildert sie, wie es zu der teilweisen Aufklärung des Falles kam:

"Im Juni 1995 wendet sich der Neffe des abgestürzten ENI-Chefs, Angelo Mattei, an Untersuchungsrichter Conte, überzeugt davon, dass hinter dem Anschlag ein 'berühmter italienischer Politiker' stehe. Einige Monate danach entscheidet sich die Staatsanwaltschaft für eine makabre Operation, die nach 33 Jahren die endgültige Klärung bringen soll. Der Leichnam Matteis wird obduziert, und tatsächlich zeigen sich an den wenigen leiblichen Resten, die man nach der Explosion überhaupt hat finden können, Spuren von Sprengstoff, also einer Bombenexplosion. Die Ermittler stoßen auf eine noch beunruhigendere Tatsache: Ein Mann der Leibwache Matteis und ein mysteriöser Hauptmann, der die letzte Inspektion der Maschine Matteis vor dem Abflug vornahm, waren Mitglieder der [von der CIA gesteuerten] Geheimorganisation Gladio."

Alexandra Bader bestätigt und ergänzt: "Ein Offizier seiner Leibwache, die das Flugzeug vor dem Start inspizierte, war Mitglied von Gladio. Der Journalist Mauro De Mauro, der darüber recherchierte, wird ermordet, ebenso Oberstaatsanwalt Francesco Coco, der Mauros Tod untersuchte." (nr00392.vhost-enzo.sil.at)

Eine vollständige Aufklärung des Falles wird weiter verhindert. Regine Igel in 'Terrorjahre':

"Zur Person Matteis im Jahre 1958 angelegte amerikanische Dokumente könnten der Aufklärung dienen. Doch bis heute werden die Dossiers IR 7912 und der von der CIA-Station in Rom verfasste Bericht 'aus nationalen Sicherheitsgründen' als Staatsgeheimnis behandelt und nicht freigegeben.

Der seinerzeit für die CIA in Rom verantwortliche CIA-Stations-Chef Thomas Karamessines wird unmittelbar nach dem Tod Matteis zum Einsatz nach Kuba abberufen. Es ist eine auffällige Praxis, dass CIA-Stations-Chefs auch in anderen Ländern nach bedeutenden politischen Mordanschlägen in ihren Gastländern zum Einsatz an andere Orte abgezogen werden. Wieder zurück in Amerika, spielt Karamessines dann eine Rolle bei der Verdunkelung der Umstände der Ermordung John F. Kennedys im Jahr 1963. Danach trifft man ihn in Südamerika bei der Leitung der Operation, die zum Tod Che Guevaras führt, später bei den Vorbereitungen zum Militärputsch in Griechenland. Karamessines gilt als Spezialist für 'covert actions' und politische Mordfälle. Er war involviert in die Todesumstände von Salvador Allende, Patrice Lumumba im Kongo und Rafael Trujillo in der Dominikanischen Republik. 1967 wird er Leiter der 'Operation Chaos', die die Infiltration von Geheimdienstagenten in die Führung studentischer Widerstandsorganisationen durchführte."

Weiter Regine Igel: "Die 'New York Times' kommentiert am 28. Oktober 1962, einen Tag nach dem Absturz: 'Es gibt Umstände, durch die der Tod eines Einzelnen eine Bedeutung für die ganze Welt bekommen kann.' Wer verstehen will, versteht. Der Tod Matteis hat fast unmissverständliche Auswirkungen. Mit der Liquidierung des unbequemen Industriellen wird von einem Tag auf den anderen auch seine politische Linie der nationalen Unabhängigkeit in der Erdölpolitik liquidiert. ENI-Nachfolger Eugenio Cefis regelt die italienische Energieversorgung wieder ganz im Sinn der Interessen der amerikanischen Erdölindustrie: Im März 1963 kann die Standard Oil mit dem Abschluss eines Fünf-Jahresvertrags über Öllieferungen an Italien mehr als zufrieden sein."

Veröffentlichungen, die der Aufklärung zuwider laufen

Nach wie vor gibt es Veröffentlichungen, die der Aufklärung zuwider laufen. In der Munzinger-Biografie ist zu lesen: "Völlig überraschend fand M. am 27. Okt. 1962 beim Absturz seines Reiseflugzeuges bei Melegnano (früher Marignano) östlich Mailands den Tod. Die Absturzursache ist ein Rätsel, da normales Flugwetter herrschte. Es tauchte der Verdacht auf Sabotage auf." Es wird angemerkt, Mattei habe im eigenen Land nicht nur "Bewunderer, sondern auch Gegner, die seine Geschäftlichen Methoden als bedenklich kritisierten", gehabt. Der Umstand, daß er Morddrohungen gab, wird in einen anderen Zusammenhang gerückt: Mattei sei im August 1961 von "Algerienfranzosen beschuldigt, sich mit der algerischen Exilregierung in Verbindung gesetzt und auch die Forderungen Tunesiens auf Sahara-Gebiete unterstützt zu haben. Er wurde mit dem Tode bedroht."

Wikipedia verbreitet folgende 'Information': "Bei einem Flug von Catania, Sizilien nach Lignate, Mailand im Oktober 1962 verunglückte Matteis Flugzeug in der Umgebung eines kleinen Dorfs in der Lombardei zwischen Pavia und Mailand während eines Sturms." (de.wikipedia.org) Aus dem 'normalen Flugwetter' bei Munzinger ist hier ein Sturm geworden.

Und der 'Spiegel' verbreitet am 10. März 2003 beiläufig eine Darstellung aus der FAZ: "Dietmar Polaczek greift, leider sehr kurz, den berühmten Fall Enrico Mattei auf - nach 40 Jahren scheint sich herauszustellen, dass dieser Ölboss offensichtlich von Mafia und Democrazia Cristiana ermordet wurde, und nun wird das Verfahren eingestellt." (spiegel.de) Immerhin: es war Mord, aber die Mörder waren nach dieser Darstellung die Mafia und die italienischen Christdemokraten.

Aussagen von Mohammad Reza Pahlavi, Schah des Iran

Wikipedia: "Schah Mohammad Reza Pahlavi nahm Kontakt mit Enrico Mattei, dem Prasidenten des italienischen Erdöl- und Energiekonzerns Eni S.p.A., auf und im Jahr 1957 verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, mit dem die rechtliche Grundlage für die Exploration, Förderung, Verarbeitung, Transport und Verkauf von iranischem Öl außerhalb des an das Konsortium vergebenen Fördergebiets geschaffen wurde. In dem noch im selben Jahr geschlossenen Vertrag der NIOC [National Iranian Oil Company] mit der ENI war eine Teilung de Gewinne festgelegt worden, bei der der NIOC 75 % und der ENI 25 % des Gewinns zuflossen. Noch im Mai 1957 hatte Howard Page, der Direktor der damaligen Standard Oil of New Jersey, die NIOC vor einem Vertrag mit Mattei gewarnt. Der Schah erklärte jedoch, dass die NIOC solche Warnungen nicht beachten sollte. Am 1. August 1957 setzte Schah Mohammad Reza Pahlavi mit seiner Unterschrift das besagte Gesetz in Kraft und am 3. August 1957 wurde der Vertrag zwischen der NIOC und der ENI unterzeichnet."

Der Schah in "Antwort an die Geschichte", der deutschsprachigen Ausgabe seiner Memoiren: "Die internationalen Ölgesellschaften waren lange meine Gegner gewesen. Nach Mossadeqs Niederlage rief ich von neuem ihren Ärger hervor, indem ich mit Enrico Mattei in Italien über einen Vertrag verhandelte. Er hatte die italienische Ölgesellschaft Ente Nazionale Idrocarburi (ENI) zu einem größeren, unabhängigen Rivalen der internationaler Giganten entwickelt. Unser Vertrag bezog sich an und für sich nicht auf riesige Mengen, aber seine Bedingungen waren bedeutsam. Statt die Gewinne wie früher halbe halbe aufzuteilen, war Mattei bereit, lediglich 25% für sich zu nehmen, während der Iran 75% bekam. Wenig später traf ich das gleiche Arrangement mit Standard Oil in Indiana. Das halbe-halbe-Prinzip war durchbrochen."

Der Schah in "Answer to History", der englischsprachigen Ausgabe seiner Memoiren: "My success in negotiating a 75/25 oil royalty agreement with Enricco Mattei of E.N.I. in 1957 enraged the international oil cartel."

Und an anderer Stelle macht der Schah deutlich, daß er den Tod Matteis nicht für die Folge eines Unfalls hält: "I believe that Enrico Mattei, the general director of the A.G.I.P., was among the first casualties. When I knew him, engineer Mattei was a man in his fifties with extraordinary dynamism and an admirable knowledge of the petroleum world. He was fully aware of the risks he was taking in defying the great international cartels. And he always said that he did not have time to be afraid. To save time, he constantly traveled by plane or helicopter. His two-motor Marane-Saunier 760 was always piloted by the excellent and very prudent Major Irnerio Bertuzzi. On October 27,1962, at 5:25 P.M., the plane took off from the Sicilian airport of Catania and was to land in Milan at 6:57. William McHale, the head of the Italian service of the American Journal Time, accompanied Mattei. At 6:55 the control tower of the airport received a last message from Bertuzzi, who was preparing to land, and nothing after that. About 10:00 P.M. it was learned that the plane had fallen in flames near Bascape in the province of Pavia. There were no survivors. The accident was officially termed as one 'due to lack of visibility.' I have never believed that Mattei's death was an accident. Earlier that month, during an inspection of the Marane plane, an explosive device had been found hidden in one of the motors."


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