Medien und Krieg - Der Fall Milosevic
Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter gegen einen Prozeß der Unfairnis und Verfolgung
Künstler-Appell für Milosevic, verfasst von Robert Dickson (kanadischer Dichter) - Montreal, New York, Moskau, Paris, März/April 2004

Der britische Dramatiker Harold Pinter, Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 2005, hat in Zusammenhang mit dem Prozeß gegen den ehemaligen Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, einen Aufruf unterzeichnet, in dem es u.a. heißt: "Wenn Rechtsprechung nicht rechtens ist, wenn Strafrecht Verfolgung ist, wenn dem internationalen Recht Hohn gesprochen wird, um 'internationales Recht durchzusetzen', dann leben wir jetzt in der Tat in der doppeldeutigen Welt von George Orwells 1984." Nachfolgend der komplette Aufruf in deutscher Übersetzung:


Seit mehr als zwei Jahren wird nun schon gegen Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) - einer Einrichtung des Sicherheitsrats von zweifelhafter Legalität - verhandelt, beschuldigt in 66 Anklagepunkten wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Mehr als 500.000 Seiten Dokumente und 5000 Video-Kassetten sind von der Anklage vorgelegt worden. Es gab etwa 300 Verhandlungstage. Über 300 Zeugen wurden vernommen. Das Verhandlungsprotokoll umfasst annähernd 33.000 Seiten. Aber bei all der aufgewandeten Zeit und Mühe ist es der Anklage dennoch nicht gelungen, erhebliche oder zwingende Beweise für irgendeine strafbare Handlung oder Absicht von Präsident Milosevic vorzulegen.

Tatsächlich wurde offenkundig, dass einige Zeugen der Anklage gedrängt worden waren, unter Eid zu lügen; andere begingen Meineid. Dem ehemaligen NATO-Befehlshaber Wesley Clark wurde gestattet, in Verletzung des Prinzips der Öffentlichkeit des Verfahrens, nicht-öffentlich auszusagen, wobei Washington die Möglichkeit hatte, die Entfernung von Teilen seiner Aussage aus dem öffentlichen Protokoll zu beantragen, die man als den Interessen der USA schädlich ansah.

Die Anklage gegen Präsident Milosevic erfolgte während des 78tägigen Dauerbombardements Jugoslawiens durch die NATO-Truppen unter Führung der USA, die Streubomben und abgereichertes Uran einsetzten, versuchten, Präsident Milosevic durch Bombenangriffe auf seine Residenz zu ermorden, Tausende von Zivilisten töteten und Schäden in Milliardenhöhe an der Infrastruktur des Landes verursachten. Dieser illegale Akt des unerklärten Krieges erfolgte in eindeutiger Verletzung des NATO-Vertrages, der UN-Charta und des internationalen Rechts. Doch weder Wesley Clark noch die Führer der NATO-Länder sind wegen Verbrechen angeklagt worden, derentwegen Slobodan Milosevic beschuldigt wird.

Das Verfahren des ICTY gegen Slobodan Milosevic respektiert weder die Grundsätze oder auch nur den Schein von Rechtsprechung, wie zahlreiche und zunehmend mehr internationale Juristen öffentlich erklärt haben. Wie Ramsey Clark, der frühere Justizminister der Vereinigten Staaten feststellte: „Das Schauspiel dieses gewaltigen Angriffs eines enormen Anklageteams mit umfangreichen Ressourcen gegenüber einem einzelnen Mann, der sich selbst verteidigt, abgeschnitten von aller effektiven Hilfe, unter überall erfolgenden Angriffen auf seine Unterstützer, bei einem Gesundheitszustand, der sich unter der dauernden Anspannung verschlechtert, liefert ein Bild der Essenz von Unfairnis und Verfolgung." Und nun, nachdem der vorsitzende Richter Richard May aus nicht näher bezeichneten Gesundheitsgründen zurückgetreten ist, scheint es unausweichlich und von vornherein entschieden, dass das Verfahren nichtsdestoweniger weiter geht, trotz der praktischen Unmöglichkeit, dass ein neuer Richter in der Lage ist, mit dem Berg an bisher vorgelegtem Beweismaterial fertig zu werden.

Wenn Rechtsprechung nicht rechtens ist, wenn Strafrecht Verfolgung ist, wenn dem internationalen Recht Hohn gesprochen wird, um „internationales Recht durchzusetzen", dann leben wir jetzt in der Tat in der doppeldeutigen Welt von George Orwells 1984. Der Raufbold von nebenan hat entschieden, dass die Welt sein Hinterhof ist. Die Auswirkungen dieses ungeheuerlichen Umgangs mit „Machtpolitik" gehen über das ungerechte Verfahren gegen Slobodan Milosevic hinaus: die nun durchgesetzte „neue Weltordnung" ist einfach inhuman und unerträglich. Was ist zu tun, um diesen grausamen und verbrecherischen Stand der Dinge zu ändern?

Erinnern wir uns daran, dass vor nicht allzu langer Zeit 15 Millionen Menschen in einer Geste der internationalen Solidarität am selben Tag marschierten, um Nein gegen den illegalen Krieg der Bush-Junta gegen Irak zu sagen. Jetzt ist es Zeit für eine andere Geste. Denn wenn dieses Verfahren weiter geht, gibt es nur noch den Triumph der Travestie über die Gerechtigkeit, der Macht über das Prinzip, der Desinformation über die Wahrheit. Und viele fühlen, dass all das zusammen genommen Staatsterrorismus gegen ein praktisch wehrloses Land und seinen legal gewählten Präsidenten darstellt.

Als Künstler besteht unsere Arbeit darin, unseren Horizont zu erweitern, menschlicher zu werden und diese Menschlichkeit zu vermitteln. Und zu schaffen. Zerstörung ist für uns unerträglich. Es ist unerträglich, dass Gerichte missbraucht werden, um das Töten von Zivilisten, die Zerstörung einer souveränen Nation und die Dämonisierung und Gefangennahme des Führers dieser Nation zu rechtfertigen. Lasst uns jetzt eine mächtige Demonstration unserer Menschlichkeit schaffen. Jetzt ist es Zeit, uns einmal mehr laut und deutlich Gehör zu verschaffen, indem wir diese Ungerechtigkeit verurteilen. Wir bitten Sie dringend, Ihre Bemühungen mit denen des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic zu verbinden.

Die Entscheidungsschlacht für die Wahrheit bedarf jetzt Ihrer Hilfe!


Englischsprachige Originalfassung:
Artists' Appeal for Milosevic

For over two years now, Slobodan Milosevic has been on trial before the International Criminal Tribunal for former Yugoslavia - a Security Council institution of dubious legality - charged with 66 counts of war crimes, crimes against humanity and genocide. Over 500,000 pages of documents and 5000 videocassettes have been filed as evidence by the Prosecution. There have been some 300 trial days. More than 300 witnesses have testified. The trial transcript is near 33,000 pages. Yet after all this time and effort, the Prosecution has failed to present significant or compelling evidence of any criminal act or intention of President Milosevic.

In fact, it has been revealed that some prosecution witnesses have been coerced to lie under oath, others have committed perjury. Former NATO commander Wesley Clark, was allowed, in violation of the principle of an open trial, to give testimony in private, with Washington able to apply for removal of any parts of his evidence from the public record they deemed to be against US interests.

President Milosevic was indicted during the 78 day continuous bombardment of Yugoslavia by US-led NATO forces, which used cluster bombs and depleted uranium, attempted to assassinate Milosevic by bombing his residence, killed thousands of civilians and caused billions of dollars of damage to the country's infrastructure. This illegal act of undeclared war is in clear violation of the NATO Charter, the UN Charter, and International Law. Yet neither Wesley Clark, nor the leaders of NATO countries have been indicted for the crimes of which Slobodan Milosevic is accused.

The proceedings of the ICTY against Slobodan Milosevic, as a large and growing number of international jurists has publicly stated, respect neither the principles nor even the appearance of justice. According to Ramsey Clark, the former Attorney-General of the United States, "the spectacle of this huge onslaught by an enormous prosecution support team with vast resources pitted against a single man, defending himself, cut off from all effective assistance, his supporters under attack everywhere and his health slipping away from the constant strain, portrays the essence of unfairness, of persecution". And now that presiding judge Richard May has resigned his position for unspecified health reasons, it appears inevitable, the issue prejudged, that the trial will nevertheless continue, in spite of the virtual impossibility that a new judge will be able to come to grips with the mountain of evidence presented so far.

If justice is not just, if prosecution is persecution, if international law is flouted in order to "enforce international law", we are indeed now living in the dystopian world of George Orwell's 1984. The neighborhood bully has decided the world is his back yard. The implications of this egregious use of "power politics" go beyond the unjust trial of Slobodan Milosevic: the "new world order" now being implemented is simply inhuman and intolerable. What can be done to change this cruel and criminal state of affairs?

Let us remember that it was not long ago that 15 million people marched on the same day in a gesture of international solidarity to say no to the Bush junta's illegal war on Iraq. Now is the time for another such gesture. For if this trial continues, the only triumphs will be those of travesty over justice, power over principle, disinformation over truth. And many feel that the sum total of these acts constitutes state terrorism perpetrated on a virtually defenseless country and its legally elected president.

As artists, our work is to broaden our horizons, to become more human and to share that humanity. And to create. Destruction is intolerable to us. It is intolerable that courts be used to justify the killing of civilians, the destruction of a sovereign nation, and the demonization and imprisonment of that nation's leader. Let us now create a massive demonstration of our humanity. Now is the time to make ourselves heard loud and clear, once again, by publicly denouncing this injustice. We urge you to join your efforts to those of the International Committee for the Defense of Slobodan Milosevic.

SIGNED:
  • Robert Dickson, poet (winner of the Governor General's award for French poetry 2002), Canada
  • Harold Pinter, playwright, UK
  • Peter Handke, writer, Austria/France
  • Alexander Zinoviev, writer, philosopher, Russian Federation
  • Valeri Ganichev, writer (President of the Writers' Union of Russia), Russian Federation
  • Vyacheslav Klykov, sculptor (President of the International Fund for Slavonic Literacy and Culture), Russian Federation
  • Dimitri Analis, poet, Greece/France
  • Valentin Rasputin, novelist, Russian Federation
  • Fulvio Grimaldi, filmmaker, journalist, Italy
  • Vladimir Kostrov, poet (winner of Tyutchev and Bunin awards), Russian Federation
  • Nadja Tesich, novelist, Yugoslavia/US
  • Rolf Becker, actor, Germany
  • Milos Raickovich, composer, Yugoslavia/US
  • Alan Mandell, theatre artist, US
  • Mick Collins, theatre artist, US/France
  • John Steppling, screenwriter, playwright, US/Poland
  • Joseph Goodrich, playwright, US
  • Godfred Louis-Jensen, architect, Denmark
  • David Morgan, poet, Canada
  • Larissa Kritskaya, composer, journalist, Russia/USA
  • Katarina Kostic, poet, writer, Canada
  • Paolo Teobaldelli, writer, philosopher, Italy
  • Cédéric Michaud, photographe, Nouvel-Ontario, Canada
  • Nikolai Petev, writer (President of the Writers' Union of Bulgaria), Bulgaria
  • Luchezar Elenkov, writer, Bulgaria
  • Rashko Stoikov, writer, Bulgaria
  • Elena Alekova, writer, Bulgaria
  • Natasha Manolova, writer, Bulgaria
  • Dimitar Tochev, writer, Bulgaria
  • Dimitar Bezhanski, writer, Bulgaria
  • Borislav Peichev, writer, Bulgaria
  • Anzhel Vagenstein, screenwriter, Bulgaria
  • Benzhamen Varon, writer, philosopher, Bulgaria
  • Luna Davidova, actor, Bulgaria
  • Venceslav Kisov, actor, Bulgaria
  • Snezhana Barova, pianist, Bulgaria
  • Antoinette Martens, painter, puppeteer, Canada
  • Pil Lenau, writer, Denmark
  • Milosav Popadic, novelist and translator, Sweden
  • Jennifer Whittall, computer artist, Victoria, B.C., Canada
TO ADD YOUR NAME WRITE TO slobodavk@yubc.net

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Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll (Stand: 28.12.2005)
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