Medien und Krieg - Der Fall Milosevic
Der Tod von Milosevic: ein politischer Mord, für den das Opfer verantwortlich gemacht wird
Sarah Flounders (Co-Direktorin des International Action Center, New York), in der Übersetzung aus dem Englischen von Klaus von Raussendorff, 23.3.2006

Im Sommer 2004 begegnete ich dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic im Gefängnis von Scheveningen, als ich als Zeugin seiner Verteidigung zugelassen worden war. Bevor ich hinein gelangen konnte, hatte ich vier völlig separate Kontrollposten zu passieren und konnte nichts anderes als Papiere mit hinein nehmen. Jede Sicherheitsstufe war strenger als die vorherige.

Niemand der mit Präsident Milosevic in den letzten vier Jahren zusammen getroffen ist, kann glauben, er hätte riskiert, sich selbst zu töten, anstatt sein Verfahren zu Ende zu führen. Und niemand, der einmal im Den Haager Gefängnis in Scheveningen war, kann die abwegigen Behauptungen glauben, dass er irgendwie in der Lage war, regelmäßig nicht verordnete Medikamenten herein zu schmuggeln. Da würde man schon eher jene Kräfte verdächtigen, die verzweifelt versuchen, ihre eigenen Verbrechen zu vertuschen.

Meine Rolle als Zeugin beruhte auf meiner Reise nach Jugoslawien im Frühjahr 1999 während des 78-tägigen US/NATO-Bombardements. Ich besuchte zerbombte Schulen, Krankenhäuser, Heizwerkanlagen und Märkte und berichtete über die Schäden der Zivilbevölkerung. Außerdem hatte ich seit 1993 über die Rolle geschrieben, welche die USA bei der Strangulierung und gewaltsamen Zerstückelung Jugoslawiens hinter der Szene spielten.

Selbst nachdem mein Name als Zeugin der Verteidigung akzeptiert worden war, war es auch dann noch eine komplizierte und langwierige Prozedur, diesen Besuch abzustatten. Obgleich alles am Tage des Besuches genehmigt worden war, vergingen immer noch vier Stunden, um durch die Kontrollposten in die Spezialeinheit im Innern des Gefängnisses zu kommen, wo die Angeklagten des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) völlig abgetrennt von den übrigen Gefangenen unter strenger Bewachung gehalten wurden.

Das Gefängnis Scheveningen ist eine Hochsicherheitseinrichtung. Milosevic und die anderen angeklagten Gefangenen sind in einem speziellen Gefängnistrakt innerhalb der Haftanstalt untergebracht. Diese Abteilung erstreckt sich über vier Stockwerke mit jeweils 12 Zellen. Sie wird von besonderen UN-Wärtern beaufsichtigt. Überall sind Kameras. Jeder Augenblick der Gefangenen wird beobachtet und kontrolliert. Als der Präsident in seine Zelle verbracht wurde, blieb das Licht zuerst 24 Stunden am Tag an, und jede Bewegung wurde verfolgt.

Woher kam das Rifampicin?

Inzwischen behaupten die niederländischen Behörden, dass Milosevic ein seltenes, schwer zu beschaffendes Antibiotikum nahm, das zur Behandlung von Lepra und Tuberkulose eingesetzt wird und das die einzigartige Fähigkeit hat, die Wirkung der Medikamente, die er zur Kontrolle seines Bluthochdrucks nahm, herabzusetzen. Wie ist dieses Medikament namens Rifampicin in Milosevics Körper gelangt? Er befand sich als Gefangener in einem Hochsicherheitsgefängnis unter dreifachem Verschluss in einem Spezialtrakt innerhalb einer Haftanstalt, die früher von den Nazis benutzt wurde, um holländische Widerstandskämpfer zu inhaftieren.

Als das Rifampicin am 12. Januar diesen Jahres in Milosevics Blut gefunden wurde, hielt das ICTY den Bericht über die Blutprobe geheim, selbst vor Milosevic und seinen Ärzten, die darüber Beschwerde führten, dass etwas bedrohlich Falsches die Gesundheit des Angeklagten angriff. Derweil Milosevic, sein Verteidigungskomitee und die ihn unterstützenden Anwälte Auskunft über seine Gesundheit verlangten, saßen die ICTY-Beamten auf diesem Bericht. Warum haben die für Milosevics Gesundheit verantwortlichen ICTY-Beamten, wenn sie denn wirklich geglaubten, er schmuggele schädliche Arzneimittel in das Gefängnis, diesen Bericht nicht viel eher veröffentlicht?

Verzögerungen schaden Milosevic

Ebenso abwegig sind die Behauptungen, dass Milosevic seine Krankheit vorgespielt hat, um sein Verfahren zu verzögern. Tatsächlich verzögerte die Anklagevertretung das Verfahren, ersten indem sie zusätzliche Anklagepunkte zu Kroatien und Bosnien einführte, als man merkte, dass man aufgrund der ursprünglichen Anklagepunkte zu Kosovo keine Beweisgrundlage für Kriegsverbrechen hatte, sodann indem man man Hunderte von Zeugen aufbot und von Februar 2002 bis Februar 2004 zur Darstellung des Sachverhalts, wie die Anklage ihn sah, 500.000 Druckseiten an Dokumenten produzierte.

Jedes Mal, wenn Milosevic zu krank war, um im Gerichtssaal weiter zu machen, beantragte die Anklage, ihm Zwangsverteidiger aufzuzwingen und ihm das Recht eines Gefangenen zu nehmen, seine Verteidigung selbst zu führen. Milosevic war entschlossen, den Prozess als Plattform zu benutzen, um nicht nur sich selbst sondern die Bevölkerung von Jugoslawien zu verteidigen und die USA, Deutschland und die NATO-Mächte für ihre Rolle bei der verbrecherischen Zerstörung seines Landes anzuklagen. Er begrüßte den Prozess als die einzige Plattform, wo er die historischen Zusammenhänge darstellen konnte. In seinen Ausführungen vor dem Gericht erläuterte er ständig, warum er, ungeachtet seiner schlechten Gesundheit, entschlossen war, weiter zu machen.

Ich begegnete Milosevic in dem Sonderraum, dem einzigen Platz, wo das ICTY ihm erlaubt, zu arbeiten oder über die Gerichtsunterlagen zu verfügen, um seine Verteidigung vorzubereiten. Wenn sein Bluthochdruck stieg und er nicht in der Lage war, mit der Gerichtsverhandlung fortzufahren, wurde er auc vom Zugang zu seinem Verteidigungsmaterial ausgeschlossen.

Das ICTY hat Milosevic beschuldigt, er habe sich insgeheim selbst mit Medikamenten behandelt und vermieden, die verordneten Arzneimittel zu nehmen. Auf diese Anschuldigung antwortete Milosevic selbst am 1. September 2004 im Gerichtssaal: „Sie kennen wahrscheinlich die Praxis in Ihrer eigenen Haftanstalt nicht. Ich nehme meine Mittel in Gegenwart der Wärter ein. Sie werden mir ausgehändigt. Ich nehme sie in Gegenwarte des Wärters, und der Wärter trägt in ein Buch ein, wann genau ich diese Mittel eingenommen habe.“

Trotz des Risikos eines lebensbedrohlichen Herzanfalls, über das wiederholt in Auseinandersetzung mit den Anklägern gesprochen wurde, weigerten sich die Beamten des Tribunals sogar, regelmäßige Kontrollen des Gesundheitszustandes des Präsidenten zu veranlassen. Monate lang lehnten sie den Zugang von Spezialisten ab, die bereit waren nach Scheveningen zu kommen und verzögerten damit die Behandlung.

Schlüssiger und glaubwürdiger als die Erklärung des ICTY war die des Präsidenten. In einem Brief an die russische Botschaft zwei Tage vor seinem Tode schreibt Milosevic, dass er seit mehr als vier Jahren keine Antibiotika genommen habe. Er fragt, warum der medizinische Bericht über die Entdeckung von Rifampicin fast zwei Monate lang vor ihm geheim gehalten wurde. Er schreibt, er glaube, dass „aktive Schritte unternommen werden, um seine Gesundheit zu zerstören.“ Warnend weist er darauf hin, dass er sich sicher ist, er werde vergiftet und sein Leben sei in Gefahr.

Ein politisches Tribunal

Die Art, wie das ICTY mit dem Tod von Präsident Milosevic umgeht, gleicht der Art der Behandlung des gesamten Verfahren durch das ICTY: Es ist der Versuch, das Opfer für das Verbrechen verantwortlich zu machen.

Das ICTY ist kein wirkliches internationals Gericht mit der Zuständigkeit, über angeklagte Kriegsverbrecher ein Urteil zu fällen. Es ist ein politisches Gericht, das 1993 vom UN-Sicherheitsrat auf Druck der US-Außenministerin Madelin Albright in Verletzung der UN-Charta eingerichtet wurde. Seine Zuständigkeit ist darauf beschränkt, über Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien zu urteilen, und die überwiegende Mehrheit der Gefangenen sind Serben. Es ist ein Propagandaapparat und ein Haftlager für politische Gefangene, als neutrales Gericht getarnt. Es verfolgt das Ziel, die Opfer selbst für die Verbrechen verantwortlich zu machen, die gegen sie begangen wurden, und die imperialistischen Mächte freizusprechen, die die Sozialistische Föderation Jugoslawien überfielen, bombardierten und privatisierten.

Als Milosevic mit mir über das Verfahren sprach, war er es, der mit seinem historischen Wissen und seiner trotz Krankheit starken Energie meine Ermüdung durch die reisebedingte Zeitverschiebung und infolge des vierstündigen Eingangshürdenlaufs überwand und es uns beiden möglich machte, das Gespräch voller Zuversicht angesichts der nächsten Schritte des Tribunals zu beenden.

Nun soll die Welt glauben gemacht werden, dass Milosevic für seinen eigenen Tod verantwortlich ist. Dabei geht es um ein so unglaublich kompliziertes Szenario, eine so ausgetüftelte Selbstmordgeschichte, die so unwahrscheinlich ist wie die gegen ihn erhobenen Anklagen. Die käuflichen und bezahlten Großmedien akzeptieren und propagieren die Geschichte seines Todes in derselben unterwürfigen Art, wie sie die Existenz dieses illegalen Gerichts und die Rechtfertigung für die Zerstörung Jugoslawiens akzeptiert haben.

Milosevic ist jetzt von uns gegangen. Aber die Summe seiner Gegendarstellung gegen die in zwei Jahren vorgetragene Darlegungen der Ankläger und seine zur Eröffnung seiner Verteidigung gehaltene Rede und die von ihm eingeführten Zeugenaussagen leben fort. Er hinterließ eine fulminante Anklage gegen die Intervention der USA und der europäischen Großmächte auf dem Balkan in einem historischen Dokument, welches das Format eines großen „J’accuse“ hat. Seine Rede, die eine umfangreiche Dokumentation und viele faktische Details enthält, ist auf Serbisch, Griechisch, Französisch, Russisch, Englisch und Deutsch erschienen. Wenn die billige Kriegspropaganda längst verrauscht ist, wird „DIE ZERSTÖRUNG JUGOSLAWIENS - SLOBODAN MILOSEVIC ANTWORTET SEINEN ANKLÄGERN“ noch lange Bestand haben.


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Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll (Stand: 28.12.2005)
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