Medien und Krieg - Das 'Massaker von Srebrenica'
Die Rolle von Srebrenica im Juli 1995
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 22.09.2003 - "Retter, Propheten, Sehide - Clinton in Srebrenica begeistert empfangen. Fragen zur Bosnien-Politik des Ex-USA-Präsidenten"

Ein Verbrecher kehrt zwanghaft immer an den Tatort zurück, lautet eine kriminalistische Faustregel. Doch kaum jemand würde diese Regel auf William Clinton und seinen jüngsten Besuch im bosnischen Srebrenica anwenden. Für die Massenexekutionen muslimischer Bewohner dieser Stadt im Juli 1995 werden nämlich Radovan Karadzic und Ratko Mladic, Präsident und Generalstabschef der bosnischen Serben während des Bürgerkrieges, verantwortlich gemacht. »Sie wollten Macht durch Völkermord«, sagte der frühere US-Präsident, als er am Samstag unter dem Beifall von 30000 Besuchern eine Gedenkstätte für die damaligen Opfer einweihte.

Clinton ist unter den Muslimen sehr beliebt, weil er unmittelbar nach der Eroberung Srebrenicas gegen Widerstände auch im NATO-Bündnis eine Intervention in Bosnien durchgesetzt hatte. Im August 1995 bombardierten US-Kampfflugzeuge zwei Wochen lang serbische Stellungen, mit ihrer Unterstützung konnten muslimisch-kroatische Bodentruppen fast ein Fünftel des Landes erobern. Diese territoriale Verteilung wurde dann im Waffenstillstandsabkommen von Dayton im November 1995 bestätigt. »Die Familien der Überlebenden sind der Ansicht, daß Clinton unter allen Führern der Welt das größte moralische Recht (zur Einweihung der Gedenkstätte) hat«, sagte Amor Masovic, Leiter der muslimischen Vermißtenkommission.

Doch es gibt auch Zeugen, die Clinton dieses Recht streitig machen. Der erste ist Hakija Meholjic, vor dem Fall der Stadt Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei. Er nahm an einem Treffen der bosnisch-muslimischen Staatsführung im September 1993 in Sarajevo teil, auf dem der damalige Präsident Alija Izetbegovic gesagt habe: »Wißt ihr, Clinton bot mir im April 1993 ... an, daß die Streitkräfte der Tschetniks (Schimpfwort für Serben) Srebrenica erobern, ein Massaker von 5000 Muslimen begehen, und dann könne eine militärische Intervention geschehen.« Demnach hat Clinton über zwei Jahre vorher genau das vorgeschlagen, was dann im Sommer 1995 passiert ist. Ein Hellseher? Ein Stratege? Oder sind die Zitate erfunden, etwa von serbischen Nationalisten? Das kann eigentlich nicht sein, denn der Zeuge ist selbst Muslim und sein Interview erschien am 22. Juni 1996 in der muslimischen Zeitung Dani aus Sarajevo.

Eine ähnliche Aussage hat UN-Generalsekretär Kofi Annan zu Protokoll gegeben. In einem Bericht vom 15. November 1999 erwähnte er »ein internes Treffen der bosniakisch(-muslimischen) Führung vom 28. und 29. November 1993 ... , auf dem Präsident Izetbegovic erklärt habe, ... daß eine Intervention der NATO in Bosnien-Herzegowina möglich sei, aber nur stattfinden könne, wenn die Serben gewaltsam in Srebrenica eindrängen und dort mindestens 5000 Personen massakrierten«. So steht es im Bericht der Untersuchungskommission der französischen Nationalversammlung, der im November 2001 vorgelegt wurde.

Der westlichen Darstellung, wonach die Serben für die Opfer in Srebrenica allein verantwortlich seien, widerspricht auch eine Presseerklärung der International Strategic Studies Association (ISSA) anläßlich der Clinton-Visite in Bosnien (www.StrategicStudies.org). Der konservative Think Tank, der einst Reagans Verteidigungsministers Alexander Haig gleich zweimal für seine Verdienste auszeichnete, hält die gängige Zahl von 7000 bis 8000 ermordeten Muslimen für »weit übertrieben und durch Beweise nicht gestützt«. So seien »ungefähr 3000 Namen, die auf der Liste der Opfer standen ..., 1996 wieder als Wähler bei den Kommunalwahlen 1996 aufgetaucht«. Um so schlimmer, so die ISSA weiter, daß Paddy Ashdown, internationaler Protektor für Bosnien-Herzegowina, und sein Stellvertreter Donald Hays, im Hauptberuf US-Botschafter in Sarajevo, die »gewählten Vertreter der bosnischen Serben zwingen wollen, ein betrügerisches Dokument zu unterzeichnen, mit dem sie die offizielle Version der Ereignisse in Srebrenica akzeptieren«.

Die konservativen Sicherheitsexperten weisen darauf hin, daß die Clinton-Regierung mehrere tausend Gotteskrieger aus Iran, Afghanistan und Nahost in Bosnien eingeschleust hat. Daß durch deren ständige Angriffe aus der angeblich demilitarisierten Schutzzone Srebrenica die Serben im Sommer 1995 zum Zuschlagen provoziert worden seien, legt auch der Untersuchungsbericht der niederländischen Armee vom April 2002 nahe (www.srebrenica.nl). ISSA berichtet weiter, daß man beim Studium von Clintons Bosnien-Politik auch auf den Namen von Osama bin Laden stößt. Der Terrorist hatte 1993 von der muslimischen Regierung in Sarajevo einen bosnischen Paß bekommen.

Die ISSA befürchtet, daß die von Clinton eröffnete Gedenkstätte das Bündnis mit dem Fundamentalismus fortsetzen und »ein Reliqienschrein für radikale Islamisten in Europa« werden könnte. Die Gestaltung des Friedhofes läßt diese Befürchtung realistisch erscheinen. Die damit beauftragte Steinmetzfirma will nach eigenen Angaben für die knapp tausend Gräber »die typischen Grabsteine für Sehide« anfertigen. Sehide sind Märtyrer, die im Heiligen Krieg gefallen sind.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2003/09-22/006.php


Weiterer Beitrag zu Srebrenica:
Fragen, was in Srebrenica geschah, bald strafbar?
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 19.2.2005

Alle Beiträge zu Srebrenica im Überblick:
Srebrenica, Frau Albright und die Satellitenbilder
Betrachtungen zu einem 'Massaker', das genau zum richtigen Zeitpunkt kam, 17.3.2005
Die Rolle von Srebrenica im Juli 1995
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 22.09.2003
Fragen, was in Srebrenica geschah, bald strafbar?
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 19.2.2005
Ohne Beweis ein gesichertes Faktum?
George Pumphrey über das 'Massaker von Srebrenica', 1999
'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll, 11.6.2005 (zuletzt ergänzt am 20.11.2005)
Reaktionen auf die Betrachtung 'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll (Stand: 28.12.2005)
Der Pressekodex gilt nicht mehr
dpa-Journalist und Burda-Vorstandsmitglied kippen das Wahrheitsgebot, 15.3.2006
Ein fragwürdiges Video
Artikel von Ralph Hartmann über das so genannte Srebrenica-Video - aus 'Ossietzky' vom 9.7.2005
Panther, Kaimane, Skorpione
Artikel von Germinal Civikov über das so genannte Srebrenica-Video und den Prozeß gegen Slobodan Milosevic - aus 'Freitag' vom 1.7.2005
Bitte um Auskunft in Sachen Srebrenica
Eine Anfrage anläßlich der Internationalen Konferenz Bosnien 92-95 vom 2. bis 4.12.2005 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, 21.11.2005
"Gefechtstote werden geleugnet"
Gespräch mit Alexander Dorin in 'junge Welt' vom 10.7.2010
Was geschah in Srebrenica?
Artikel aus Ossietzky 16/2009
Gegen die Manipulation der Wahrheit
Interview mit Alexander Dorin zu Srebrenica, geführt von Kaspar Trümpy (Schweizer ICSM-Mitglied) am 12.09.2012

Alle Beiträge zum Fall Milosevic im Überblick:
Milosevic ist schuldig - das steht fest - denn wäre er es nicht, wäre es die Nato
Betrachtungen zu Jürgen Elsässers Buch 'Kriegslügen', Jugoslawien und dem Prozess gegen Slobodan Milosevic
Propagandamaterial als Beweismittel im Prozeß gegen Ex-Präsident Slobodan Milosevic
tagesschau.de zeigt das Propaganda-Bild unkommentiert, 14.2.2002
"Nie wieder Aufklärung - WDR-Dokumentation über den Haager Prozeß gegen Milosevic erhält den Joseph-Goebbels-Preis der Fernsehkritik"
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 3.12.2003 über "die story: Das Tribunal - Angeklagt Slobodan Milosevic", WDR-Fernsehen, 1.12.2003
Scharping, Milosevic und die Amselfeld-Propaganda
Über zwei Zitate und den Vorwurf, Slobodan Milosevic sei ein Nationalist
Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter gegen einen Prozeß der Unfairnis und Verfolgung
Künstler-Appell für Milosevic, verfasst von Robert Dickson (kanadischer Dichter) - Montreal, New York, Moskau, Paris, März/April 2004
NATO-Flop am Amtsgericht
Klaus Hartmann über ein Urteil, das die Sperrung der Spendenkonten für die Verteidigung von Slobodan Milosevic illegal nennt - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Milosevic klagt an
Anna Gutenberg über das Buch 'Die Zerstörung Jugoslawiens - Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern', Zambon-Verlag 2006 - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Die Ku-Klux-Klan-Logik zu Den Haag
Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 15.03.2006
Nicht in die Knie gezwungen
Ralph Hartmann, ehemaliger DDR-Botschafter in Belgrad, Auszüge aus der Rede zum Gedenken an Slobodan Milosevic, in 'junge Welt' vom 20.3.2006
Der Tod von Milosevic: ein politischer Mord, für den das Opfer verantwortlich gemacht wird
Sarah Flounders (Co-Direktorin des International Action Center, New York), in der Übersetzung aus dem Englischen von Klaus von Raussendorff, 23.3.2006
Mord in Den Haag
Ralph Hartmann in 'Ossietzky' vom 17.3.2006

Alle Beiträge zu vergangenen Kriegen:
Was Bilder beweisen - über die Funktion von Bildern im Krieg gegen Jugoslawien
Artikel von Andreas Neumann, August 2000, aus der Zeitschrift Arbeiterfotografie, Ausgabe 88
Der Informationskrieg
Artikel des Gegen-Informations-Büros zum Thema 'Propaganda und Krieg'
Bilder, sagt man, lügen nicht - oder vielleicht doch?
Artikel von Thomas Deichmann in der Weltwoche vom 9.1.1997
Unter den Trümmern der Dresden-Debatte liegen die Leichen des Jahres 1999
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 14.2.2005
Sarajewo 5.2.1994 - Bomben für den Frieden
Ralph Hartmann in 'Ossietzky', Ausgabe 8/2005