Rezensionen zum Thema 11.9.
Einblicke in die Funktionsweise der Machtapparate
Eine Betrachtung zur Ausstellung über die Kriegsberichterstattung der Agentur VII im Rahmen der 'Visual Gallery', Photokina, Köln 2004

In verwinkelten Gängen tauchen wir ein in fast vollkommene Dunkelheit. Alles ist schwarz verkleidet. Eine Chance zur Orientierung geben uns nur die hell leuchtenden Bilder, die eine Art Fenster zur Welt bilden. So sieht offenbar das Konzept der Ausstellungsmacher aus.

Zwei Fotografen und Kriege in drei Ländern seien hier herausgegriffen und stellvertretend betrachtet. Um die Aussage der Ausstellung nicht zu verfälschen, werden hier alle von dem jeweiligen Fotografen mit einem bestimmten Krieg in Zusammenhang stehenden Bilder mit den Original-Bildlegenden in die Rezension einbezogen. (Original-Bildlegenden: kursiv, rechts neben den Bildern)

Irak

Mit fünf Bildern von James Nachtwey befaßt sich die Ausstellung der Agentur VII mit dem Irak im Jahr 2003, dem Jahr als die USA mit ihrer 'Koalition der Willigen' in dieses Land mit militärischer Gewalt eingefallen sind - mit dem Ergebnis von bislang 100.000 Toten auf Seiten der irakischen Bevölkerung (gemäß einer Studie, die am 29.10.2004 von der britischen Medizinzeitschrift 'The Lancet' veröffentlicht wurde: www.thelancet.com).

Von immerhin einem getöteten irakischen Soldaten erfahren wir in der Ausstellung (Bild 1). Dabei wird dieser eine Tote nicht gezeigt. Und es bleibt verschwommen, wer für seinen Tod verantwortlich ist. Von Toten in der irakischen Zivilbevölkerung erfahren wir nichts.

Bild 1

"Die Familienmitglieder eines Soldaten, der getötet wurde, als er während eines amerikanischen Missile-Angriffs ein Gebäude in Bagdad bewachte, trauern vor seiner Beerdigung an seinem Sarg. 28. März 2003"
Bild 2

"Irakische Soldaten suchen nach einem vermeintlichen amerikanischen Piloten, der während des zweiten Golfkriegs gegen die Herrschaft Saddam Husseins im Zentrum Bagdads über dem Flussufer des Tigris abgeschossen wurde. 23. März 2003."
Bild 3

"Ein Mann hat den Kopf einer Statue Saddam Husseins vom Pelestine Square in Bagdad gerettet und transportiert ihn auf einem Handkarren weg. 10. April 2003."
Bild 4

"Am 22. und 23. April fand eine Pilgerfahrt zur schiitischen Grabmoschee des Al Hussein in Kerbela statt. Schiiten aus dem ganzen Irak und auch aus dem Iran beteiligen sich an der Pilgerfahrt. Frauen beten vor dem Schrein, der an der Stelle errichtet wurde, an der Imam Hussein ermordet worden war. 23. April 2003."
Bild 5

"Ein US Marine von der 3/4-Marine-Einheit bezwingt einen Plünderer während einer Patrouille zum Schutz vor Plünderei, Angriffen auf irakische Bürger und feindliche Angriffe auf die Marines in Bagdad. Eine Menschenmenge hat sich versammelt, um zuzusehen. Sie jubelt den Marines zu. 14. April 2003."

Eins weiteres Bild aus dem Irak (Bild 5) zeigt folgende Szene: Ein US-Elite-Soldat hat einen Mann an Armen und Kopf gefaßt, hält ihm dabei die Augen zu und lacht dabei. Der Fotograf steht unmittelbar davor. Aber es ist etwas anderes, was sich neben dem Fotografen befinden muß, auf den der Blick des Soldaten gerichtet ist. Es bleibt also im Unklaren, wem er mit seinem Lachen seinen Gemütszustand vermitteln will. Auch warum er in dem Moment lacht, als er den Mann gefaßt hält, ist dem Foto nicht zu entnehmen. Weit weg im Hintergrund ist eine Menschenmenge zu erkennen, deren Verhalten aber auf dem Foto nicht zu beurteilen ist. Was in der Folge mit dem Gefaßten geschehen wird, ist nicht zu erschließen. Es sind weder weitere Soldaten zu sehen, auch kein Fahrzeug, in daß der Gefaßte abgeführt werden könnte. Es ist nicht auszuschließen, daß der Gefaßte im nächsten Moment sich wieder frei bewegen wird. Das Bild wirkt inszeniert.

In der Ausstellung lesen wir dazu: "Ein US Marine von der 3/4-Marine-Einheit bezwingt einen Plünderer während einer Patrouille zum Schutz vor Plünderei, Angriffen auf irakische Bürger und feindliche Angriffe auf die Marines in Bagdad. Eine Menschenmenge hat sich versammelt, um zuzusehen. Sie jubelt den Marines zu. 14. April 2003."

Was ist daraus zu entnehmen? Was ist das für eine Patrouille? Sie wird durchgeführt erstens zum Schutz vor Plünderei. Dann dient die Patrouille dem Schutz vor Angriffen auf irakische Bürger. Hier stellt sich die Frage, wer irakische Bürger angreift. Angegriffen ist der Irak durch die USA und ihre Koalition der Willigen. Der Soldat, dem wir gegenüber stehen, ist also Teil der Angreifenden. Und dieser Soldat soll nun die irakischen Bürger vor dem Angriff schützen, an dem er selbst beteiligt ist. Folgen wir dieser Logik, dann heißt das: er wird im nächsten Moment auf seine Kameraden losgehen und sie aus dem Land werfen. Und dann dient die Patrouille dem Schutz vor Angriffen auf feindliche Angriffe auf die US-Marines. Hier geraten wir ins Stocken. Was soll mit dieser komplizierten Formulierung zum Ausdruck gebracht werden? Also: es gibt offensichtlich Angriffe auf die US-Soldaten. Auf diese Angriffe wird mit Angriffen reagiert. Das wäre aus Sicht des US-Militärs nachvollziehbar. Nun soll aber die US-Patrouille vor diesen Angriffen des US-Militärs schützen. Wir sind verwirrt. Doch dann löst sich die Verwirrtheit zugunsten einer klaren Erkenntnis: das Vorgehen des US-Soldaten findet die Zustimmung der irakischen Bevölkerung. Sie jubelt den US-Elite-Soldaten zu. Wir sind erlöst. Unser Weltbild stimmt wieder. Wir werden bestätigt in unserer Auffassung, wer die Guten und wer die Bösen sind. Und James Nachtwey stellt sich auf die Seite der 'Guten'. Die Propagandisten des völkerrechtswidrigen Raubüberfalls der USA auf den Irak können zufrieden sein.

Afghanistan

James Nachtwey ist auch dazu bestimmt, uns mittels zweier Bilder den Krieg zu vermitteln, den die USA und ihre Verbündeten - u.a. mit Unterstützung Deutschlands - gegen Afghanistan geführt haben, basierend auf der in den Raum gestellten, unbewiesenen Behauptung, von hier aus seien die Anschläge vom 11. September 2001 geplant worden.

Bild 6

"Ein Mitglied einer anti-talibanischen Panzer-Crew zeigt seinen Kameraden einen amerikanischen Jet, der Al-Kaida-Stützpunkte in den Bergen in der Nähe von Tora Bora angreift. Der Angriff ist im Hintergrund zu sehen. Dezember 2001."

Auf dem einen Bild (Bild 6) sehen wir einen mit seinem Oberkörper aus einem Panzer ragenden Soldaten, der in einer Art, die einer Verrenkung nahekommt, nach oben blickend einen Arm in etwa senkrecht gen Himmel ausgestreckt hält. Im Hintergrund der weiten Landschaft sehen wir Rauchschwaden. Zu diesem Bild lesen wir in der Ausstellung: "Ein Mitglied einer anti-talibanischen Panzer-Crew zeigt seinen Kameraden einen amerikanischen Jet, der Al-Kaida-Stützpunkte in den Bergen in der Nähe von Tora Bora angreift. Der Angriff ist im Hintergrund zu sehen. Dezember 2001." Warum jemand mit derartigen Verrenkungen auf etwas aufmerksam machen will, was die anderen, die wir nicht sehen, wahrscheinlich ohnehin mitbekommen, bleibt unklar. Auch dieses Bild wirkt inszeniert: eine spektakuäre Pose für den berühmten Fotografen.

Bild 7

"Ein tödlich verwundeter Taliban Kämpfer, der am Kriegsschauplatz liegen gelassen wurde. Vorbeiziehende Menschen sehen zu, wie der Mann stirbt. 26. November 2001."

Das zweite Bild (Bild 7) zeigt einen am Boden liegenden, wahrscheinlich toten oder fast toten Menschen, auf den ein Gewehrlauf gerichtet ist. Dazu lesen wir: "Ein tödlich verwundeter Taliban Kämpfer, der am Kriegsschauplatz liegen gelassen wurde. Vorbeiziehende Menschen sehen zu, wie der Mann stirbt. 26. November 2001." Vorbeiziehende und dabei zusehende Menschen sehen wir nicht. Von wem der Mensch am Boden umgebracht wurde, erfahren wir nicht. Und wer das Gewehr auf den am Boden Liegenden gerichtet hält, bleibt uns ebenso verborgen. Es sieht fast so aus, als könnte der am Boden Liegende gerade mit Kugeln aus dem Gewehrlauf liquidiert worden sein.

Insgesamt erfahren wir über den Krieg, den die USA und ihre Verbündeten gegen ein Land führen, das die USA nicht angegriffen hat, fast nichts - nichts über die Brutalität der Bombenangriffe mit ihren Opfern und nichts über die Hintergründe. Wiederholt wird die gebetsmühlenartig vorgetragene Behauptung, es gäbe hier Stützpunkte einer Al-Kaida genannten Organisation mit Verbindungen zu den Taliban. Ob davon irgendetwas zutrifft, wird nicht hinterfragt. Indem das nicht geschieht, werden die vorgeschobenen Kriegsgründe als Tatsache dargestellt und damit der Angriffskrieg gegen Afghanistan legitimiert. James Nachtwey wird damit wiederholt zum Propagandisten für einen Krieg, den 'sein' Land führt und zu verantworten hat.

Jugoslawien

Für die Vermittlung der Kriege in Jugoslawien, insbesondere des Krieges, den die NATO 1999 unter Mißachtung der Vereinten Nationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geführt hat, ist der für 'Newsweek' arbeitende Ron Haviv auserkoren.

Seine Sicht ist eindeutig: die Brutalität geht von den Serben aus. Opfer gibt es ausschließlich auf der anderen Seite, bei den Kroaten, Bosniern und Kosovo-Albanern. Gezeigt wird (Bild 10) u.a. ein Lager, das in den Medien eine überdurchschnittliche Aufmerksamkeit erfahren hat und das uns noch als ein von den Serben betriebenes Konzentrationslager in Erinnerung ist - eine Behauptung, die sich im nachhinein als Fälschung herausgestellt hat. Fliehen müssen (Bild 11) die Kosovo-Albaner - vor den Serben. Daß die Ursachen für die Flucht keineswegs eindeutig nur auf der serbischen Seite zu suchen sind, wird uns verschwiegen. Es gibt ethnische Säuberungen. Opfer sind die Kroaten. Verantwortlich sind - die Serben (Bild 13). Ein Moslem wird bedroht - von Serben (Bild 14). Es sind Kosovo-Albaner, die verbrannt werden - von Serben (Bild 9).

Und wir sehen (Bild 12) eine Menschenmenge, die dem Fotografen - teils weinend - gegenübersteht. Dieses Bild steht gemäß Bildlegende in Zusammenhang mit den Ereignissen von Srebrenica, die als eins der schlimmsten, von Serben begangenes Massaker in unseren Köpfen verankert sind, über die bis heute keine Klarheit besteht, die aber der NATO die Legitimation verschafft haben, auf der Seite der bosnischen Muslime militärisch einzugreifen. Im August 1995 bombardierten US-Kampfflugzeuge zwei Wochen lang serbische Stellungen. Mit ihrer Unterstützung konnten muslimisch-kroatische Bodentruppen fast ein Fünftel des Landes erobern. Und Ex-Präsident Milosevic, der entgegen der jugoslawischen Verfassung außer Landes gebracht wurde und der bis heute nicht beweiskräftig verurteilt ist, blickt gewissermaßen aus der Wand als derjenige, der als der 'Schlächter' für all das Leid verantwortlich ist (Bild 8). So einfach ist das.

Bild 8

"Belgrad: Ein zerrissenes Poster des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic an einer Mauer in Belgrad am Tag seiner Verhaftung. 2001"
Bild 9

"Die sterblichen Überreste eines Kosovo-Albaner, der von serbischen Truppen verbrannt wurde. Sommer 1999"
Bild 10

"Bosnier und kroatische Kriegsgefangene im Lager Trnopolje. Sommer 1992"
Bild 11

"Kosovo-Albaner, die im Schnee eine Schubkarre mit einer alten Dame schieben, auf der Flucht vor serbischen Truppen bei ihrer Ankunft in Montenegro. Winter 1999."
Bild 12

"Überlebende des serbischen Angriffs auf Srebrenica weinen nach dem Fall des sicheren Hafens der Vereinten Nationen. Sommer 1995."
Bild 13

"Kroaten, die während der ethnischen Säuberung durch serbische Truppen durch die zerstörten Straßen der Stadt Vukovar laufen. Vukovar wurde drei Monate lang von serbischen Truppen belagert und vollkommen zerstört. November 1991."
Bild 14

"Ein Moslem in Bijeljina fleht um sein Leben, nachdem er von Arkan-Tigern gefangen genommen wurde. Frühjahr 1992."
Bild 15

"Ein serbischer paramilitärischer Soldat der Arkan-Tiger geht vorbei an sterbenden muslimischen Zivilisten, die kurz zuvor in Bijeljina auf der Straße erschossen wurden. Frühjahr 1992."

Auf der Eingangstafel zur Ausstellung insgesamt lesen wir: "VII setzt sich aus einer Gruppe von etablierten Fotografen zusammen, von denen die meisten eng mit bekannten Nachrichtenmagazinen zusammenarbeiten, sowohl in den USA als auch in Europa. Diese Fotografen werden in die Welt hinausgeschickt, um über die akutellen Themen zu berichten - sei es über Jugoslawien, Albanien, Afghanistan, Tschetschenien und zuletzt auch den Irak - und prägen so die Bilder der Gegenwart." Besonders eine Formulierung darin ist interessant und aufschlußreich: die Fotografen werden geschickt. Es sind also andere, die bestimmen, wer wohin geschickt wird und wo die Fotografen fotografieren und wo nicht. Und diese gesteuerten Fotografen prägen dann unser Bild von der Gegenwart. James Nachtwey und Ron Haviv sind zwei davon. Ungewollt gibt der Text zur Ausstellung uns so einen tiefen Einblick in die in den kapitalistischen Medien herrschenden Mechanismen.

"Die Ausstellung beschäftigt sich auch mit den Kriegsberichterstattern selbst... Wir können uns ein Bild von ihrer Arbeit machen, von ihren Methoden und ihren Freiheiten sowie ihrer Rolle als Bindeglied zwischen Medien und Politik." So heißt es dann. Obwohl wir eben gelernt haben, wie die Fotografen gesteuert werden, ist hier die Rede von ihren Freiheiten. Das irritiert. Die Fotografen seien ein Bindglied zwischen Medien und Politik. Was kann das heißen? Fotografen sind unzweifelhaft Bestandteil der Medien. Und trotzdem sollen sie ein Bindeglied zwischen sich selbst und der Politik darstellen. Vielleicht ist gemeint, sie seien ein Bindeglied zwischen den Führungsetagen der Medienkonzerne, die sie schicken, und der Politik. Das hieße dann: sie funktionieren als Elemente im Wechselspiel zwischen den verschiedenen Teilen des Machtapparats, den Medien, die uns die Sicht der Mächtigen als die unsere verkaufen soll, und den Politikern, die im Auftrag der Mächtigen die Politik umsetzen. Wir können Gabriel Bauret, dem Autor der Eingangstafel, dankbar sein für die Darstellung von Zusammenhängen, die uns sonst eher verborgen bleiben.

Bilder der Agentur VII bringen Licht ins Dunkel, Ausstellungskonstruktion

Alles in allem: der Schlußpunkt, den diese Ausstellung der Agentur VII innerhalb der 'Visual Gallery' auf der Photokina 2004 gebildet hat, verstärkt das herrschende Weltbild als das Bild der Herrschenden. Grundsätzliche Fragen bleiben unberührt. Krieg ist furchtbar, aber aus dem Blickwinkel der Herrschenden bisweilen notwendig.


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