Israels Krieg im Nahen Osten

Protest gegen Israels Überfall auf Bil'in
Offener Brief von Willi Übelherr vom 4.8.2009 an den Botschafter Israels in Deutschland

An den Herrn Botschafter des Staates Israel in Deutschland,

mit Bestürzung lese ich von den Geschehnissen in Bil'in, von der Rücksichtslosigkeit der militärischen israelischen Staatsorgane gegenüber wehrlosen Menschen, von den Grausamkeiten in Tat und Verhalten, was auf eine völlige Entwertung anderer Menschen und innere kulturelle Destruktivität schließen lässt.

Protest gegen Enteignung und Mauerbau, Bilin, 2005

(siehe dazu auch die Reportage 'Die Mauer und die Frauen in Schwarz')

Dies steht in keiner Verbindung zu den tragenden Grundwerten jüdischer Kultur. Eine der Säulen jüdischen Selbstverständnisses und kultureller Wertigkeit sind:

Nächstenliebe und
Was Dir verhasst ist, tu Deinem Nächsten nicht an

Dies ist die Essenz der Tora, wie wir es aus den Überlieferungen lesen können und erfahren. Diese Prinzipien sind nicht mehr die Ihrigen, sind nicht die Wertgrundlagen des israelischen Staates, sind nicht die Prämissen der Organe des israelischen Staates.

Die Europäer und inbesondere die Deutschen konnten jüdische Menschen vernichten, ausgrenzen, vertreiben, entwerten und demütigen. Und dies seit über 600 Jahren. Aber die jüdische kultur konnten sie nie zerstören.

Und diese Zerstörung organisiert nun der israelische Staat, diese Personifizierung des Hasses, der Ignoranz und nationalen Überheblichkeit, des organisierten Landraubs und der ideologischen Verbrämung seiner Rechtmäßigkeit. Sie stürzen die Jugend in Israel in diese gleiche innere Zerrissenheit, wie ich es als Deutscher erlebt habe. Mich schämen zu müssen für dieses Land, in dem praktisch Alle diesen Irrsinn und die Grausamkeiten mitgetragen haben. Damit werden sie verantwortlich für all die psychischen Zerstörungen der Menschen, die in einem Staat leben, der sich ausschließlich auf Gewalt und deren Verherrlichung gründet.

Ein Staat, der nicht zurückschreckt vor der Anwendung jeglicher Lüge und Verleumdung. Ein Staat, der keine Wertsysteme mehr kennt außer Raub und Gewalt. Ein Staat, der nur den egoistischen, kurzfristigen Eigennutz zu seiner Maxime erklärt und sich jeglicher Wahrheit entzieht. Slomo Sand hat in seiner Schrift 'Wie das jüdische Volk erfunden wurde' dieses ganze Lügengebäude zum Einsturz gebracht. Und Ilan Pappe hat in seiner Schrift 'Ethnische Säuberung von Palästina' die Geschichte der Installation des jüdisch-homogenen Nationalstaats dargelegt. Sie können sich diesen Wahrheiten nicht mehr entziehen; nur verleugnen und ignorieren. Aber auch gerade hierin zeigen Sie, daß Sie mit jüdischer Kultur und Tradition nichts mehr gemein haben.

Sie mißbrauchen die wohl schöpferischste Kultur in Europa für ihre niederen Interessen. Und Sie mißbrauchen die Jugend in Israel und deren Zukunft. In Israel werden die Grundlagen menschlicher Würde und Ehrlichkeit mit Militärstiefeln zertreten, wie wir es in den schrecklichsten Zeiten in Europa erlebt haben. Sie unterscheiden sich in nichts mehr von den Akteuren der Grausamkeiten, die hier in Europa gegen friedliche Menschen und deren Recht auf Leben vollzogen wurden.

Alle Menschen dieses Planeten haben die gleichen Rechte und gleichen Wertigkeiten. Dies ist mein zentrales Element meiner philosophischen Grundüberzeugung und damit stehe ich ohne Einschränkung zur jüdischen und islamischen Kultur.

Ihre Pfeiler gründen sich auf die Niedertracht, auf die Wertlosigkeit menschlicher Sozietäten außer den ihrigen selbst, auf das Denken, was Winston Churchill 1937 vor der Peel-Kommission erklärte:

„Ich bin nicht der Meinung, dass der Hund am Futtertrog das unwiderrufliche Recht auf den Futtertrog hat, auch wenn er dort schon sehr lange liegt. Ich räume ihm dieses Recht nicht ein. Ich räume zum Beispiel auch nicht ein, dass den nordamerikanischen Indianern oder den Schwarzen in Australien großes Unrecht widerfahren ist. Ich räume nicht ein, dass diesen Menschen Unrecht widerfahren ist, weil eine stärkere Rasse, eine höherrangige, eine weltgewandtere Rasse, um es so zu formulieren, gekommen und (an) ihre Stelle getreten ist.“

Dies ist ein Denken, das von der Weltbevölkerung nicht mehr toleriert wird. Es ist das Denken der Apartheit, das Denken deutscher und aller Faschisten, das Denken der Apologeten der weißen Rasse, das Denken des staatlich organisierten Eigennutzes. Es ist nicht das Denken der Aufklärer, das zum großen Teil von jüdischen Menschen getragen wurde. Es ist nicht das Denken der Wissenschaftler, das in unserer Geschichte zum großen teil von jüdischen Menschen getragen wurde. Und es ist auch nicht das Denken von Menschen, die in freier Umgebung und einer Atmosphäre des freien Denkens aufwachsen.

Weil Sie dies wissen, deshalb organisieren sie die Indoktrination der Jugend in Israel, die Geschichtsverfälschung und die Verleumdung so mutiger Menschen wie der Gruppe des 'Brechens des Schweigens'. Sie können diesen freien Diskurs über Zukunft und Geschichte nicht mehr zulassen, weil er sich zur Auflösung ihres ideologischen Lügengebäudes entwickeln würde.

Diese Aktionen in Bil'in und zuvor in Gaza zeigen diesen inneren Verfall in der israelischen Gesellschaft. Und bei aller Sympathie für die palästinensischen Menschen trifft mich dieser Verfall ungemein schmerzlich, weil er so viele Menschen mitreißt, die nur durch den Zufall ihrer Geburt in diesem Umfeld hineingezogen werden. Vielleicht tragen Sie noch etwas von der Größe jüdischer Tradition in sich und verspüren etwas von der Zerstörung, die hier stattfindet. Dann bitte ich Sie, diesem Einhalt zu gebieten, um noch etwas von dem in Israel zu retten, was wir als jüdische Kultur verstehen.

mit Grüssen, Willi Übelherr, Halle/Westfalen

Anhang

Bericht des Bürgerkomitees Bil'in vom 3. August 2009

Um 3:00 Uhr nachts fielen die Besatzungsstreitkräfte in das Dorf Bil'in ein. Insgesamt 200 Soldaten drangen mit Tarnbemalung auf den Gesichtern und Gesichtsmasken zu Fuß an verschiedenen Punkten in das Dorf ein. 5 Häuser wurden überfallen und insgesamt 8 Menschen verhaftet, darunter 7 Palästinenser und ein Aktivist aus den Vereinigten Staaten.

Die verhafteten Palästinenser sind: die drei Brüder Khaled Show gut Abd-Alrazic al-Khateeb (23 Jahre alt), Mustafa Show gut Abd-Alrazic al-Khateeb (18 Jahre alt), and Mohammed Show gut Abd-Alrazic al-Khateeb (16 Jahre), Abdullah Ahmad Yassen (18 Jahre); Abdullah Mohammed Ali Yassen (16 Jahre); Issa Mahmoud Issa Abu Rahma (40 Jahre); Mohammed Abdulkarim Mustafa Khatib (35 Jahre) – Mohammed Khatib ist einer der Leiter des Bürgerkomitees. Die Besatzungsstreitkräfte warfen Bomben, um die Dorfbewohner zu zerstreuen, die bei Tagesanbruch in die Straßen kamen und Steine auf die eintreffenden Jeeps und die Soldaten warfen, die teilweise wegen der Dunkelheit noch nicht zu erkennen waren. Die Jeeps wurden dann an verschiedenen Plätzen des Dorfes mit laufenden Motoren abgestellt bis zum Ende der Operation um 6:45 Uhr.

Das Bürgerkomitee von Bil'in hat das Menschenrechtskomitee darum gebeten, ihm sowohl bei der Freilassung der acht Verhafteten zu helfen als auch bei der Durchsetzung der Forderung gegenüber der israelischen Armee, die nächtlichen Razzien einzustellen.

Aufruf zum Protest von Martin Forberg (Journalist und Mitglied des AK Nahost, Berlin)

3. August 2009: Massiver nächtlicher Überfall der israelischen Armee auf das palästinensische Dorf Bilin - Acht Menschen verhaftet - darunter auch Mohammed Khatib, führendes Mitglied des Bürgerkomitees Bil'in und Preisträger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008

Insgesamt befinden sich derzeit 25 Bil'iner wegen ihrer friedlichen Proteste gegen die Landnahme in Haft

Die Carl-von Ossietzky-Medaille wird seit 1962 von der Internationalen Liga für Menschenrechte verliehen

Protestieren Sie bitte/Protestiert bei der Israelischen Botschaft in Berlin gegen die fortgesetzten Überfälle auf Bil'in! Fordern Sie die Freilassung der Verhafteten!

mailto:botschaft@israel.de

Fordern Sie bitte den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Frank-Walter Steinmeier auf, politischen Druck auf die israelische Regierung auszuüben, damit sie die Angriffe auf den beispielhaft gewaltfreien Widerstand des Dorfes Bil'in umgehend einstellt!

mailto:poststelle@auswaertiges-amt.de

Siehe dazu als Hintergrundinformation auch das Interview von Martin Forberg mit Mohammed Khatib in der TAZ vom 8.2.2008 "Gewaltfeier Widerstand in Palästina - 'Sie schlagen und schießen auf uns' - Das palästinensische Dorf Bilin ist zum Symbol des gewaltfreien Kampfes gegen die israelische Besatzung geworden. Notwendig sei aber vor allem internationaler Druck auf Israel, sagt Mohammed Khatib" (taz.de)

Weiterer Beitrag zum Thema Israel/Palästina:

Hört endlich auf, Euch dem Unrecht zu unterwerfen
Appell des Bundesverbands Arbeiterfotografie an die Verantwortlichen für Meinungsunterdrückung und Menschenrechtsverletzung - anläßlich der abgesagten Vortragsreise von Norman Finkelstein im Februar 2010

Alle Beiträge zu Israel/Palästina im Überblick:

Tagebuch Israel/Palästina
Notizen zu Israels Krieg im Nahen Osten - insbesondere gegen die Bevölkerung Palästinas

Eine schwarze Fahne
Gideon Levy in der israelischen Tageszeitung Haaretz vom 9.7.2006

Wer hat begonnen?
Gideon Levy in der israelischen Tageszeitung Haaretz vom 13.7.2006

Israels Kriegsführung gegen die (palästinensische) Infrastruktur
Mike Whitney am 2.7.2006 auf der website 'Information Clearing House'

Anhaltender Bomben-Terror Israels im Libanon ist keine Selbstverteidigung
Offener Brief an die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Angelika Merkel, Beirut, 15.7.2006

Wider die ideologische Kontrolle
Norman G. Finkelstein und sein unfreiwilliger, hochaktueller Kommentar zu Israels neuem Krieg - Eine Betrachtung zu seinem 2006 in deutsch erschienenen Buch 'Antisemitismus als politische Waffe'

Stop dem israelischen Staatsterrorismus im Libanon und in Palästina!
Flugblatt der Wiener 'Frauen in Schwarz' anläßlich der Mahnwache am 4.8.2006 (Übersetzung eines Flugblatts der Femmes en Noir, Marseille)

Der Libanon als neues Ziel - Die Neokonservativen und die Politik des 'konstruktiven Chaos'
Analyse von Thierry Meyssan (Journalist, Schriftsteller, Präsident von 'Réseau Voltaire'), 25.7.2006 - aus dem Französischen von Klaus von Raussendorff

Kriegsanlaß durch Israel provoziert?
Über den 'Ausbruch' von Israels Krieg gegen den Libanon am 12. Juli 2006