Drohender Kriegsschauplatz Iran |
'Wipe off the Map' als Fälschung bestätigt Wichtige Erkenntnisse des Guardian-Journalisten Jonathan Steele über das angebliche Zitat des iranischen Präsidenten, Israel müsse von der Landkarte getilgt werden Wir haben uns mehrfach mit den verfälschenden Übersetzungen in Zusammenhang mit Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad befaßt und gezeigt, daß es dabei um psychologische Kriegsführung und das zu schaffende Feindbild Iran geht. Nun hat die Debatte über die Fälschungen auch die englischsprachigen Mainstream-Medien erfaßt.
Jonathan Steele schreibt am 2.6.2006 in 'The Guardian' [1]:
Nun haben wir eine ähnlich propagandistische Entstellung einer Äußerung vom Präsidenten des Iran. Fragen Sie irgendwelche Leute in Washington, London oder Tel Aviv, ob sie einen von Mahmud Ahmadinedschad geäußerten Satz zitieren können. Die Chancen stehen gut, daß sie sagen, er wolle Israel dem Erdboden gleichmachen ('wiped off the map' - wörtlich übersetzt: 'von der Landkarte tilgen'). Wieder sind es vier kurze Wörter... Doch die Formulierung ist falsch, ganz einfach und simpel. Ahmadinedschad hat sie nicht ausgesprochen. Farsi Sprechende haben dargelegt, daß er falsch übersetzt worden ist. Der iranische Präsident hat eine frühere Äußerung des ersten islamischen Führers, des späteren Ayatollah Khomeini, zitiert, daß "das Besatzungsregime von Jerusalem von den Seiten der Geschichte verschwinden müsse" (this regime occupying Jerusalem must vanish from the page of time), so wie das Schah-Regime im Iran verschwinden mußte. Er hat keine militärische Drohung ausgesprochen. Er hat dazu aufgerufen, die Besatzung von Jerusalem zu einem Zeitpunkt in der Zukunft zu beenden... Aber der propagandistische Schaden war entstanden, und die westlichen Falken brachten den iranischen Präsidenten in Beziehung zu Hitler, als ob er die Juden ausrotten wolle. Bei der jüngsten jährlichen Zusammenkunft des 'American Israel Public Affairs Committee', einer machtvollen Lobby-Gruppe, schalteten riesige Bildschirme zwischen zwei Bildern hin und her - Ahmadinedschad mit dem falschen Zitat 'wiping off the map' und ein sich ereifernden Hitler.
Er kommt zunächst auf die 'New York Times' [3] zu sprechen, die am 11.6.2006 einen Artikel von Ethan Bronner and Nazila Fathi veröffentlicht hat, mit dem sie versucht, sich aus der Zwickmühle retten, in die Jonathan Steele sie gebracht hat. Resümierend behauptet die 'New York Times', die selbst die falsche Übersetzung mit in Umlauf gebracht hatte, am 11.6.2006: "Hat also Irans Präsident dazu aufgerufen, Israel dem Erdboden gleichzumachen? Gewiß, es scheint so." (So did Iran's president call for Israel to be wiped off the map? It certainly seems so.) Das behauptet die 'New York Times' am Ende ihres Artikels dreist, obwohl ihre eigene Ausführungen das Gegenteil belegen. Dazu weiter Jonathan Steele:
Wenn der iranische Präsident einen Fehler gemacht hat und 'safheh' statt 'sahneh' verwendet hat, dann ist das von geringer Bedeutung. Ein englischer Muttersprachler könnte ebenso 'stage of history' (Bühne der Geschichte) mit 'page of history' (Seiten der Geschichte) verwechseln. Der maßgebliche Sachverhalt ist, daß beide Formulierungen einen zeitlichen und keinen räumlichen Charakter haben. Und ich schrieb in meiner ursprünglichen Veröffentlichung, der iranische Präsident habe einen vagen Wunsch für die Zukunft zum Ausdruck gebracht. Er drohte nicht mit einem vom Iran ausgelösten Krieg mit dem Ziel, die Kontrolle Israels über Jerusalem zu beseitigen.
Eine wichtige Erkenntnis liefert BBC, die auch an der Verbreitung des falschen Zitats beteiligt sind. Jonathan Steele dazu:
Infolge meiner Anfrage und der ausgelösten Kontroverse sind sie auf den Farsi-Muttersprachler zugegangen, der die Rede ausgehend von einer am 29. Oktober 2005 vom iranischen Fernsehen zur Verfügung gestellten Tonaufzeichnung übersetzt hatte. Nachfolgend das, was der Sprecher mir bezüglich der off-the-map-Passage sagte: "Der Informationsdienst hat nochmals geprüft. Es ist ein schwer zu übersetzender Ausdruck. Sie waren in Zeitdruck, als sie schnell eine Übersetzung herstellen sollten. Und sie suchten nach einer richtigen Formulierung. Mit mehr Zeit zum Überlegen würden sie sagen, daß die Übersetzung lauten sollte: 'eliminated from the page of history' (beseitigen von den Seiten der Geschichte)." Ich fragte, ob BBC angesichts des Umstandes, daß das Thema zu einer derartigen Kontroverse geführt hat, eine Korrektur herausgeben werde. Die Antwort: "Es wäre eine lange Zeit seit der ursprünglichen Version vergangen." Ich interpretiere das als 'wahrscheinlich nicht'. Aber warten wir's ab. Wichtig sind diese Ausführungen insbesondere auch deshalb, weil aus ihnen hervorgeht, daß die Analyse des Original-Tons zum gleichen Ergebnis führt wie die Übersetzung des von ISNA [6] veröffentlichten schriftlichen Textes. Damit ist belegt, daß der iranische Präsident - zumindest an der entscheidenden Stelle - in seiner Rede tatsächlich so formuliert hat wie nachträglich schriftlich dokumentiert. Weiter Jonathan Steele:
Damit sind wir am Ziel... Konsens ist: Ahamadinedschad hat nicht über irgendwelche Landkarten gesprochen. Er hat, wie ich in meinem ursprünglichen Artikel behauptete, einen vagen Wunsch für die Zukunft zum Ausdruck gebracht. Ein allerletzter Punkt. Die Tatsache, daß er die gewünschte Option - die Beseitigung des Regimes, das Jerusalem besetzt hält - mit dem Sturz des Schah-Regimes im Iran vergleicht, macht glasklar deutlich, daß er über einen Regime-Wechsel und nicht über das Ende Israels spricht. Als er in den 1970ern als Schuljunge gegen den Schah opponierte, ist er sicherlich nicht dafür eingetreten, den Iran von den Seiten der Geschichte zu entfernen. Er wollte lediglich, daß der Schah verschwindet. Das Gleiche gilt für Israel. Der iranische Präsident ist zweifelsohne ein Gegner des Zionismus oder - wenn Sie die Formulierung bevorzugen - des zionistischen Regimes. Das trifft aber auch auf eine erhebliche Zahl israelischer Bürger, Juden wie Araber, zu... Allein deswegen dürfen wir Ahamadinedschad nicht dämonisieren. Obwohl spätestens mit den Ausführungen von Jonathan Steele klar sein sollte, wie die Sachlage ist, geht die Propaganda weiter. Am 17.6.2006 hören wir in Frankfurt bei einer Kundgebung von 'Honestly Concerned' den Holocaust-Überlebende Arno Lustiger mit der Behauptung, der iranische Staatschef wolle 'als zweiter Hitler in die Geschichte eingehen' und Israel in einen 'atomaren Holocaust' stürzen. (hr-online [8]) Und Micha Brumlik (ehem. Direktor des Fritz-Bauer-Instituts) meint in den Äußerungen des iranischen Präsidenten eine Aufstachelung zum Angriffskrieg sehen zu müssen. (hr-online [8]) Und Sacha Stawski von 'Honestly Concerned' geht noch weiter, wenn er sagt: "Es geht hier nicht nur um Israel. Der Iran stellt mit seinen Atomwaffen eine Gefahr für die gesamte westliche Welt dar." (ZDF [9]) Sie setzen damit das fort, was vorher wieder und wieder verbreitet wurde, als es beispielsweise wider besseres Wissen hieß: "Ahmadinedschad spricht heute so wie Hitler vor der Machtergreifung. Er spricht von der völligen Zerstörung und Vernichtung des jüdischen Volkes... Wir haben es mit einem Psychopathen der übelsten Sorte zu tun! Mit einem Antisemiten, einem brandgefährlichen Staatschef. Gott verhüte, daß dieser Mann jemals Atomwaffen in die Hände bekommt, um seine Drohungen wahr zu machen." (Israels Ministerpräsident Ehud Olmert am 29.4.2006 in einem Interview mit der Bild-Zeitung [10]) Oder als es hieß: "Seit Hitler ist er (Ahmadinedschad) der erste, der sich hinstellt und sagt, das jüdische Volk müsse vernichtet werden [...] Hitler hat Vernichtungslager eingerichtet, er will die Bombe..." (Schimon Peres, früherer Ministerpräsident Israels, gemäß AFP-Meldung vom 25.4.2006) Links: [1] Jonathan Steele am 2.6.2006 http://www.guardian.co.uk/commentisfree/story/0,,1788542,00.html [2] Jonathan Steele am 14.6.2006 http://commentisfree.guardian.co.uk/jonathan_steele/2006/06/post_155.html [3] 'New York Times' am 11.6.2006 http://www.campus-watch.org/article/id/2571 [4] Juan Cole am 15.6.2006 http://www.juancole.com/2006/06/steele-on-ahmadinejad-of-arenas-of.html [5] MEMRI-Übersetzung der Rede Ahmadinedschads vom 26.10.2005 http://memri.org/bin/articles.cgi?Page=archives&Area=sd&ID=SP101305 [6] ISNA-Quelle der Rede Ahmadinedschads vom 26.10.2005 (in Farsi) http://www.isna.ir/Main/NewsView.aspx?ID=News-603386 [7] IRNA-Quelle der Rede Ahmadinedschads vom 14.4.2006 http://www.irna.ir/en/news/view/line-17/0604141214202410.htm [8] Bericht über die Kundgebung von 'Honestly Concerned' am 17.6.2006 in Frankfurt http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/ index.jsp?rubrik=15662&key=standard_document_23387756 [9] Interview des ZDF mit Sacha Stawski von 'Honestly Concerned' in Zusammenhang mit der Kundgebung in Frankfurt am 17.6.2006 http://www.heute.de/ZDFheute/drucken/1,3733,3945737,00.html [10] Interview der Bild-Zeitung mit Israels Ministerpräsident Ehud Olmert am 29.4.2006 http://www.bild.t-online.de/BTO/news/aktuell/2006/04/29/ olmert-israel-interview-teil2/olmert-isreal-interview-teil2.html |
Weiterer Beitrag zum drohenden Kriegsschauplatz Iran: |
"Seien Sie herzlich gegrüßt!" Brief von Irans Präsident Ahmadinedschad an Bundeskanzlerin Merkel vom 20.7.2006 |
Alle Beiträge zum Iran im Überblick: |
Tagebuch Iran Notizen aus dem Kontext des drohenden Krieges gegen den Iran |
Die 'Welt', ein 'genialer Netzwerker' und der Angriffskrieg gegen den Iran Anmerkungen zu einem Artikel in der 'Welt', 12.2.2006 |
Was die Kriegspropagandisten von sich geben Äußerungen von Angela Merkel, George W. Bush, John McCain, Joseph Lieberman, Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice, John Bolton, Ehud Olmert (Stand: 29.4.2006) |
Stoppt den Krieg gegen Iran, bevor er beginnt! - Stop the war on Iran before it starts! Internationaler Appell - Online-Petition |
Israel, Iran und die Atomwaffen Knut Mellenthin in 'junge Welt' vom 19.10.2005 |
'Israel von der Landkarte löschen' - Der Krieg gegen den Iran hat längst begonnen Über die angeblichen Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, 9.3.2006 (zuletzt erweitert am 9.4.2006) |
Bomben auf den Iran? - Gedanken zum Iran-Krieg Artikel von Prof. Georg Meggle, 18.1.2006 |
Kriegspropaganda für die Massen - Feindbild Iran Veröffentlichungen aus 'Bild' und 'Bild am Sonntag' ab Dezember 2005 |
Leugnet Irans Präsident den Holocaust oder legt er die Finger in die Wunde des Westens? Eine Analyse der Medienrhetorik auf dem Weg zum Krieg gegen den Iran, 3.4.2006 (erweitert am 9.4.2006) |
Eine gelungene Infektion Über die Funktion eines Horst Mahler in der kriegsvorbereitenden Propagandakampagne gegen den Iran, 14.4.2006 |
Wer nicht mitspielt, ist Antisemit Wie die 'taz' den Planungen der USA für einen Atomkrieg gegen den Iran begegnet, 22.4.2006 |
Iran: Dreck, Teufel, Pfeifen und Pfifferlinge Was die 'westlichen' Medien aus Ahmadinedschads Äußerungen vom 28.4.2006 machen |
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Von Nazis nicht für einen Krieg gegen den Iran einspannen lassen! Über die Rolle einer von Nazis angemeldeten Pro-Iran-Demo am 17.6.2006 in Frankfurt-Sachsenhausen |
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Auf dem Weg zum Höhepunkt der Kriegspropaganda Eine Betrachtung über den 'Spiegel' vom 29.5.2006 und das darin enthaltene Interview mit dem iranischen Präsidenten |
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"Seien Sie herzlich gegrüßt!" Brief von Irans Präsident Ahmadinedschad an Bundeskanzlerin Merkel vom 20.7.2006 |
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